BGH Beschluss v. - V ZB 79/15

Abschiebehaftanordnung zur Sicherung der Abschiebung eines Asylantragstellers nach Italien: Rechtswidrigkeit bei unterbliebener oder fehlerhafter Belehrung nach dem Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen

Leitsatz

Die versäumte oder fehlerhafte Belehrung nach Art. 36 WÜK oder vergleichbaren bilateralen Abkommen führt nur dann zur Rechtswidrigkeit der Haftanordnung, wenn das Verfahren ohne den Fehler zu einem anderen Ergebnis hätte führen können (Aufgabe von Senat, Beschluss vom , V ZB 165/10, FGPrax 2011, 99).

Gesetze: Art 36 KonsÜbk Wien, Art 12 EUV 604/2013

Instanzenzug: Az: 3 T 246/15vorgehend Az: 700 XIV 316/15 B

Gründe

I.

1Der Betroffene reiste am unerlaubt aus Italien nach Deutschland ein und beantragte Asyl. Eine Recherche in dem europäischen Asylantragsregister EURODAC ergab, dass er schon ein Jahr zuvor in Italien einen Asylantrag gestellt hatte. Deshalb richteten die deutschen Behörden am ein Rücküberstellungsersuchen an Italien, auf welches die italienischen Behörden bis zum nicht antworteten. Der Betroffene versuchte seine Rücküberstellung nach Italien mit Eilanträgen bei den Verwaltungsgerichten zu verhindern, was ihm nicht gelang. Am brach das zuständige Bundesamt das Rücküberstellungsverfahren ab, nachdem es von den italienischen Behörden erfahren hatte, dass der Betroffene in Italien über subsidiären Schutzstatus verfüge und ihm daher ein Aufenthaltsrecht in Italien zustehe. Es stellte mit Bescheid vom fest, dass dem Betroffenen in Deutschland kein Asyl zusteht, und ordnete seine Abschiebung nach Italien an. Ein Versuch, die Abschiebung am zu vollziehen, scheiterte daran, dass der Betroffene zunächst nicht anzutreffen war, sich später seiner Abschiebung nach Italien widersetzte und ein Flug für einen Polizeibeamten, der ihn nach Italien begleitete, nicht gebucht war. Er erhielt eine Duldung und wurde, als er sich am erneut wegen der Verlängerung der Duldung bei der zuständigen Behörde meldete, festgenommen.

2Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum angeordnet. Die Beschwerde des Betroffenen hat das zurückgewiesen. Dagegen wendet sich dieser mit der Rechtsbeschwerde, nach seiner Entlassung aus der Haft am mit dem Antrag, die Rechtswidrigkeit der Haft festzustellen.

II.

3Das Beschwerdegericht hält die Haftordnung für rechtmäßig. Der Betroffene sei vollziehbar ausreisepflichtig. Hafthindernisse bestünden nicht. Der Haftgrund nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 AufenthG liege vor, weil sich der Betroffene dem ersten Abschiebungsversuch entzogen habe.

III.

4Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Die Haftanordnung ist rechtswidrig und verletzt den Betroffenen in seinen Rechten.

51. Das ergibt sich allerdings entgegen der Ansicht des Betroffenen nicht schon daraus, dass § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 AufenthG als Grund für die Anordnung von Haft bei Anordnung und während der Dauer der Haft nicht anwendbar war.

6a) Es ist zwar richtig, dass die Anordnung von Haft zur Sicherung der Rücküberstellung nach der Verordnung (EU) Nr. 603/2015 (ABl. EU Nr. L 180 S. 31 - Dublin-III-Verordnung) vor dem Inkrafttreten des Gesetzes vom (BGBl. I S. 1386) am nur auf die Haftgründe nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3 AufenthG gestützt werden konnte, nicht dagegen auf die Haftgründe nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und der damals geltenden Nr. 5 AufenthG (Senat, Beschlüsse vom - V ZB 31/14, NVwZ 2014, 1397 Rn. 23, 31 und vom - V ZB 124/14, NVwZ 2015, 607 Rn. 11 f.). Es spricht manches dafür, dass das auch für den Haftgrund nach § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 AufenthG gilt, auf den die Haftanordnung hier gestützt ist. Das muss aber nicht entschieden werden.

7b) Gegen den Betroffenen ist Haft nicht zur Sicherung seiner Rücküberstellung nach Italien gemäß der Dublin-III-Verordnung, sondern zur Sicherung seiner Abschiebung dorthin angeordnet worden. Auf eine Abschiebung war § 62 Abs. 3 Satz 1 AufenthG in der seinerzeit geltenden Fassung uneingeschränkt anwendbar.

8aa) Zunächst kam allerdings keine Abschiebung, sondern nur eine Rücküberstellung in Betracht, weil nicht das deutsche Bundesamt über den Asylantrag des Betroffenen zu entscheiden hatte, sondern die italienischen Behörden. Italien hatte ihm nämlich Schutz gewährt und war deshalb nach Art. 12 Dublin-III-Verordnung für die Bearbeitung auch dieses Antrags zuständig. Im weiteren Verlauf des Rücküberstellungsverfahrens soll die Zuständigkeit aber auf das deutsche Bundesamt übergegangen sein, möglicherweise deshalb, weil die Frist für den Vollzug der Rücküberstellung nach Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung verstrichen war. Dann wäre über den Asylantrag nach deutschem Asylrecht zu entscheiden und dieser als unzulässig zurückzuweisen gewesen. Denn ein Asylsuchender, dem - wie hier dem Betroffenen - in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union Schutz gewährt worden ist, hat keinen Anspruch auf Asyl in Deutschland; sein Antrag ist unzulässig ( 10 C 7.13, BVerwGE 150, 29 Rn. 29).

9bb) Ein Betroffener, dem in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union Asyl gewährt und dessen weiterer Asylantrag in Deutschland als unzulässig zurückgewiesen worden ist, ist nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG in diesen Mitgliedstaat abzuschieben, wenn die Durchführung sichergestellt ist. Denn die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind nach § 26a Abs. 2 AsylVfG sichere Drittstaaten. Zur Sicherung einer solchen Abschiebung kann Haft unter den Voraussetzungen des § 62 Abs. 3 Satz 1 AufenthG angeordnet werden. Das strebte die beteiligte Behörde an.

102. Die Rechtswidrigkeit der Haftanordnung folgt auch nicht aus einem etwaigen Fehler bei der gebotenen Belehrung - hier - nach Art. 36 WÜK und vergleichbaren Vorschriften bilateraler Abkommen.

11a) Nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats führten solche Verstöße zwar ohne Weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haftanordnung (Beschlüsse vom - V ZB 165/10, FGPrax 2011, 99 Rn. 4, vom - V ZB 275/10, FGPrax 2011, 257 Rn. 6 und vom - V ZB 33/13, juris Rn. 6). Daran hält der Senat aber nicht mehr fest.

12b) Nach der neueren Rechtsprechung des Senats führt eine Verletzung von Verteidigungsrechten (insbesondere des Anspruchs auf rechtliches Gehör) nur dann zur Beendigung der Haft bzw. zur Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit, wenn das Verfahren ohne diesen Fehler zu einem anderen Ergebnis hätte führen können (näher Senat, Beschluss vom - V ZB 80/13, InfAuslR 2014, 384 Rn. 10 [rechtliches Gehör] und vom - V ZB 87/14, InfAuslR 2015, 146 Rn. 5 [Belehrung über den Rechtsmittelverzicht]). Diese Änderung der Rechtsprechung beruht auf dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom (Rs. C-383/13 - PPU - G. und R., ECLI:EU:C:2013:533). Danach darf das nationale Gericht die Anordnung von Haft zur Sicherung einer Abschiebung nach Art. 15 der Rückführungsrichtlinie (Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger, ABl. Nr. L 348, S. 98) wegen eines Verstoßes gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör nur dann aufheben, wenn es der Ansicht ist, dass das Verwaltungsverfahren zu einem anderen Ergebnis hätte führen können (EuGH, aaO, Rn. 45). Die von dem Gerichtshof aufgestellten Grundsätze gelten nicht nur für die Haft zur Sicherung der Abschiebung, sondern auch für die Haft zur Beendigung eines illegalen Aufenthalts eines Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, weil sie eine unterschiedliche Behandlung der Verletzung von Verteidigungsrechten nicht erlauben (Senat, Beschluss vom - V ZB 80/13, InfAuslR 2014, 384 Rn. 11). Zu den Verteidigungsrechten gehört die Belehrung nach Art. 36 WÜK und vergleichbaren Regelungen, die dem Betroffenen die Möglichkeit bieten soll, seinen Heimatstaat um Hilfe zu bitten. Auch ein Verstoß gegen die Pflicht zu dieser Belehrung führt zur Rechtswidrigkeit der Haft nur, wenn das Verfahren bei pflichtgemäßem Vorgehen zu einem anderen Ergebnis hätten führen können. Das hat der Betroffene darzulegen.

13c) Daran fehlt es hier. Der Betroffene hat zwar einen Verstoß gegen die Belehrungspflicht nach Art. 36 WÜK gerügt. Er hat aber nicht dargelegt, dass das Verfahren bei Beachtung der Regelung zu einem anderen Ergebnis hätte führen können. Deshalb führt ein etwaiger Verstoß gegen die Belehrungspflicht nicht zur Rechtswidrigkeit der Haft.

143. Die Haftanordnung war aber rechtswidrig, weil der Haftantrag unzulässig war.

15a) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falls wesentlichen Punkte ansprechen. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr., Senat, Beschlüsse vom - V ZB 165/13, juris Rn. 5, vom - V ZB 127/13, FGPrax 2015, 39 Rn. 6, vom - V ZB 80/13, InfAuslR 2014, 384 Rn. 15, vom - V ZB 246/11, InfAuslR 2012, 328 Rn. 10, vom - V ZB 118/12, juris Rn. 4 und vom - V ZB 20/12, FGPrax 2013, 130 Rn. 15).

16b) Diesen Anforderungen wird der Haftantrag der beteiligten Behörde nicht gerecht.

17aa) Sie hat darin zwar dargelegt, dass die Rückkehr des Betroffenen nach Italien im Wege der Rücküberstellung nach der Dublin-III-Verordnung betrieben, das Verfahren dann aber als Abschiebung nach Italien fortgesetzt worden ist. Weshalb es zu diesem Wechsel des Verfahrens kam, hat sie nicht erläutert. Darauf kam es aber entscheidend an.

18bb) Welche Haftgründe in Betracht kamen, hing seinerzeit davon ab, ob die Zuständigkeit für die Entscheidung über den Asylantrag schon auf die deutschen Behörden übergangen war oder noch bei den italienischen Behörden lag. Im ersten Fall wäre das Rücküberstellungsverfahren beendet gewesen. Zur Sicherung der Abschiebung hätte dann uneingeschränkt auf die Haftgründe nach § 62 Abs. 3 Satz 1 AufenthG zurückgegriffen werden können. War die Zuständigkeit dagegen noch nicht auf die deutschen Behörden übergangen, war das Rücküberstellungsverfahren nach der Dublin-III-Verordnung noch nicht beendet. Haft hätte dann nur nach Maßgabe von Art. 28 Abs. 2 der Dublin-III-Verordnung angeordnet werden dürfen. Danach setzte die Haft eine erhebliche Fluchtgefahr voraus, deren Gründe nach Art. 2 Buchstabe n der Verordnung durch die Mitgliedstaaten gesetzlich festzulegen sind. Dieser Vorgabe genügte § 62 Abs. 3 Satz 1 AufenthG seinerzeit nur mit Einschränkungen, weshalb die Haft zur Sicherung einer Rücküberstellung, wie eingangs dargelegt, seinerzeit nicht auf alle Haftgründe nach dieser Vorschrift gestützt werden konnte. Ohne eine Angabe zu dem Wechsel der Zuständigkeit ließ sich nicht feststellen, welchem Regime die Haftanordnung unterlag.

19cc) Diese entscheidende Angabe fehlte in dem Haftantrag. Sie ist von der beteiligten Behörde im weiteren Verfahren nicht nachgeholt und von dem Beschwerdegericht auch nicht, was möglich gewesen wäre (Senat, Beschluss vom - V ZB 80/13, InfAuslR 2014, 384 Rn. 23), selbst festgestellt worden. Deshalb durften weder die Haft noch ihre Fortdauer angeordnet werden.

IV.

20Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG, Art. 5 EMRK. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 36 Abs. 3 GNotKG.

Stresemann                     Schmidt-Räntsch                             Weinland

                      Göbel                                    Haberkamp

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
NAAAF-32441