BAG Beschluss v. - 7 ABR 20/13

Zuordnungstarifvertrag - Feststellungsantrag - Betriebsrat

Gesetze: § 21b BetrVG, § 256 Abs 1 ZPO

Instanzenzug: ArbG Darmstadt Az: 2 BV 29/10 Beschlussvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 9 TaBV 35/11 Beschluss

Gründe

1A. Die Beteiligten streiten darüber, ob das Amt des antragstellenden Betriebsrats geendet hat.

2Antragsteller ist der am für den Betrieb Frischelager G konstituierte Betriebsrat. Das Frischelager, in dem 65 Arbeitnehmer beschäftigt waren, wurde bis zum durch die RLS R GmbH betrieben. Am fand ein Betriebsübergang auf die zu 2. beteiligte Arbeitgeberin statt. Seit Herbst 2011 besteht das Frischelager G nicht mehr. Dessen Funktion wurde, ebenso wie die Funktionen Frischelager, Tiefkühl und Obst und Gemüse des Lagers D, von dem neu gebauten Lager Ra übernommen.

3Die Arbeitgeberin sowie weitere Unternehmen des R-Konzerns hatten am mit der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di e.V. einen „Tarifvertrag nach § 3 Betriebsverfassungsgesetz“ (im Folgenden: Zuordnungstarifvertrag) abgeschlossen. Dieser hat auszugsweise folgenden Inhalt:

4Nach dem Zuordnungstarifvertrag fällt das Frischelager G in den Zuständigkeitsbereich des Betriebsrats Region Mitte 2, dem mehrere Lager und das Fleischwerk in F zugeordnet sind.

5Der Antragsteller hat mit der Antragsschrift vom zunächst die Feststellung begehrt, dass seine Amtszeit nicht wegen des Übergangs des Betriebs auf die Arbeitgeberin am geendet habe. Der Übergang des Frischelagers G auf die Arbeitgeberin habe nicht dazu geführt, dass für das Frischelager der bei der Arbeitgeberin und anderen Unternehmen aufgrund des Zuordnungstarifvertrags für die Region Mitte 2 gebildete Betriebsrat zuständig geworden sei. Der Zuordnungstarifvertrag entspreche nicht den Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG und sei deshalb unwirksam. Angesichts der Anzahl der zusammengefassten Betriebsstätten und der örtlichen Ausdehnung des Betriebs könne nicht nachvollzogen werden, dass der durch die Zusammenfassung gebildete Betriebsrat die Interessen der Beschäftigten wirksamer wahrnehmen könne als einzelne nach der gesetzlichen Betriebsverfassung gebildete Betriebsräte. Auch sei nicht zu erkennen, weshalb die Interessen der in einem Fleischwerk beschäftigten Arbeitnehmer wirksamer durch Betriebsratsmitglieder vertreten würden, die überwiegend in Lagerbetrieben beschäftigt seien. Der Zuordnungstarifvertrag sei zudem rechtsunwirksam, weil sich der tarifvertraglich gebildete Gesamtbetriebsrat nicht hinreichend zum gesetzlich vorgesehenen Konzernbetriebsrat abgrenzen lasse.

6Der Antragsteller hat zuletzt beantragt

7Die Arbeitgeberin hat beantragt, den Antrag abzuweisen.

8Das Arbeitsgericht hat den in erster Instanz ausschließlich gestellten Hauptantrag abgewiesen. Nach der Schließung des Frischelagers G hat der Antragsteller im Beschwerdeverfahren klargestellt, dass der Antrag nur noch im Hinblick auf das Restmandat weiterverfolgt werde. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde, mit der der Antragsteller sein Begehren um den Hilfsantrag erweitert hatte, zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat seine zuletzt gestellten Anträge weiter. Die Arbeitgeberin beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.

9B. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

10I. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig.

111. Die Rechtsbeschwerde ist ordnungsgemäß begründet. Dies gilt entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin auch, soweit die Abweisung des Hilfsantrags durch das Landesarbeitsgericht angegriffen wird.

12a) Nach § 92 Abs. 2, § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO gehört zum notwendigen Inhalt der Rechtsbeschwerdebegründung die Angabe der Rechtsbeschwerdegründe. Bei einer Sachrüge muss die Rechtsbeschwerdebegründung den Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts so aufzeigen, dass Gegenstand und Richtung des Rechtsbeschwerdeangriffs erkennbar sind. Deshalb muss die Rechtsbeschwerdebegründung eine Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung enthalten. Dies erfordert die konkrete Darlegung der Gründe, aus denen der angefochtene Beschluss rechtsfehlerhaft sein soll. Dadurch soll sichergestellt werden, dass der Prozessbevollmächtigte des Rechtsbeschwerdeführers den angefochtenen Beschluss im Hinblick auf das Rechtsmittel überprüft und mit Blickrichtung auf die Rechtslage genau durchdacht hat. Außerdem soll die Rechtsbeschwerdebegründung durch ihre Kritik an der angefochtenen Entscheidung zur richtigen Rechtsfindung durch das Rechtsbeschwerdegericht beitragen. Die bloße Darstellung anderer Rechtsansichten ohne jede Auseinandersetzung mit den Gründen der Beschwerdeentscheidung genügt den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Rechtsbeschwerdebegründung vor diesem Hintergrund nicht (vgl. zur Revision  - Rn. 10 mwN).

13b) Diesen Anforderungen wird die Rechtsbeschwerdebegründung gerecht. Entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin setzt sich die Rechtsbeschwerde mit der Begründung des angefochtenen Beschlusses in gebotener Weise auseinander. Sie befasst sich zwar nicht ausdrücklich mit dem Hilfsantrag. Dies ist aber auch nicht erforderlich. Davon ausgehend, dass es dem Betriebsrat nur noch um die Feststellung eines Restmandats im Sinne des § 21b BetrVG im Zusammenhang mit der Schließung des Frischelagers G geht, hat das Landesarbeitsgericht keine voneinander unabhängigen, selbstständig tragenden rechtlichen Erwägungen zum Haupt- und zum Hilfsantrag angestellt. Es hat die Zurückweisung des Hauptantrags damit begründet, dass die Amtszeit des Antragstellers mit dem Betriebsinhaberwechsel von der RLS GmbH auf die Arbeitgeberin am geendet habe. Da der Antragsteller somit schon vor der Schließung des Frischelagers im vierten Quartal 2011 untergegangen sei, habe zu seinen Gunsten mit der späteren Schließung des Frischelagers kein Restmandat entstehen können. Aus diesem Grund hat das Landesarbeitsgericht auch den Hilfsantrag als unbegründet erachtet.

142. Der Betriebsrat ist rechtsbeschwerdebefugt. Dem steht nicht entgegen, dass er seit dem Übergang des Betriebs zum auf die Arbeitgeberin möglicherweise nicht mehr existiert.

15Zwar führt ein unstreitiger Verlust der Beteiligtenfähigkeit zur Unzulässigkeit eines Rechtsmittels. Ist jedoch die Beteiligtenfähigkeit gerade streitig, so wird sie hinsichtlich der Zulässigkeit des Rechtsmittels unterstellt. Es entspricht einem allgemeinen prozessualen Grundsatz, dass eine Partei, deren Parteifähigkeit oder gar rechtliche Existenz überhaupt im Streit steht, wirksam ein Rechtsmittel mit dem Ziel einlegen kann, eine Sachentscheidung zu erlangen (vgl. etwa  - zu B I der Gründe mwN; - 1 ABR 53/05 - Rn. 19, BAGE 119, 279; - 7 ABR 42/12 - Rn. 12). So verhält es sich hier. Der Betriebsrat nimmt als Antragsteller für sich in Anspruch, im Restmandat amtierender Betriebsrat und damit eine nach dem Betriebsverfassungsgesetz beteiligte Stelle zu sein. Da es um die Feststellung seines Bestehens geht, ist die Beteiligtenfähigkeit des Betriebsrats gegeben. Könnte der Betriebsrat keine Rechtsbeschwerde einlegen, würde die vorinstanzlich zu seinem Nachteil wirkende Sachentscheidung, dass seine Amtszeit bereits mit dem Übergang des Frischelagers von der RLS GmbH auf die Arbeitgeberin am geendet hat und deshalb im Zeitpunkt der Schließung des Frischelagers im vierten Quartal 2011 kein Restmandat mehr entstehen konnte, in Rechtskraft erwachsen. Damit verlöre der Betriebsrat aus verfahrensrechtlichen Gründen seine Existenzgrundlage, ohne dass die dafür maßgebliche Rechtsfrage in der Rechtsbeschwerde geklärt werden könnte.

16II. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Anträge im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Allerdings sind die Anträge entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts bereits unzulässig.

171. Die Anträge bedürfen der Auslegung. Danach erstrebt der Betriebsrat mit seinem als Haupt- und Hilfsantrag formulierten Begehren die Feststellung, dass sein Amt zur Wahrnehmung eines Restmandats fortbesteht.

18a) Das Rechtsbeschwerdegericht hat die gestellten Anträge als prozessuale Willenserklärungen selbstständig auszulegen. Maßgeblich sind die für Willenserklärungen des bürgerlichen Rechts entwickelten Grundsätze. Entsprechend § 133 BGB ist nicht am buchstäblichen Sinn des in der Prozesserklärung gewählten Ausdrucks zu haften, sondern der in der Erklärung verkörperte Wille zu ermitteln. Im Zweifel sind Prozesserklärungen dahin auszulegen, dass das gewollt ist, was aus Sicht der Verfahrensbeteiligten nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht. Die schutzwürdigen Belange des Erklärungsadressaten sind zu berücksichtigen (vgl. ua.  - Rn. 29 mwN; - 3 AZR 92/12 - Rn. 27; - 8 AZR 757/13 - Rn. 18).

19b) Das Landesarbeitsgericht hat den Antrag zutreffend dahin verstanden, dass es dem Betriebsrat nur noch um die Feststellung eines Restmandats zur Wahrnehmung von Beteiligungsrechten im Zusammenhang mit der Schließung des Frischelagers G geht. Soweit der Betriebsrat ursprünglich das Ziel verfolgt hat festzustellen, dass er über den hinaus im Vollmandat im Amt ist, verfolgt er dieses Rechtsschutzziel nicht mehr weiter. Dafür bestünde schon deshalb kein Feststellungsinteresse mehr, weil ein etwaiges über den hinaus fortbestehendes Vollmandat des Betriebsrats mit Ablauf der regulären Amtszeit spätestens am geendet hätte. Der Antragsteller hat daher im Beschwerdeverfahren und in der Anhörung vor dem Senat erklärt, dass der Antrag gegenwartsbezogen zu verstehen sei und sich auf das Restmandat beziehe.

202. Mit diesem Inhalt ist der Antrag hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Der Feststellungsantrag erfüllt jedoch nicht die Voraussetzungen des auch im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren anwendbaren § 256 Abs. 1 ZPO. Es geht nicht um ein Rechtsverhältnis, an dessen alsbaldiger Feststellung durch richterliche Entscheidung ein rechtliches Interesse des Betriebsrats besteht.

21a) Ein Rechtsverhältnis, dessen Bestehen oder Nichtbestehen nach § 256 Abs. 1 ZPO festgestellt werden kann, ist jede durch die Herrschaft einer Rechtsnorm über einen konkreten Sachverhalt entstandene rechtliche Beziehung einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache. Ein Antrag nach § 256 Abs. 1 ZPO muss sich dabei nicht notwendig auf das Rechtsverhältnis als Ganzes erstrecken. Er kann sich auch auf daraus folgende einzelne Beziehungen, Ansprüche oder Verpflichtungen und auf den Umfang einer Leistungspflicht beschränken. Bloße Elemente oder Vorfragen eines Rechtsverhältnisses können jedoch ebenso wie abstrakte Rechtsfragen nicht Gegenstand eines Feststellungsantrags sein. Das liefe auf die Erstellung eines Rechtsgutachtens hinaus, was den Gerichten verwehrt ist ( - Rn. 28; - 1 ABR 93/09 - Rn. 12, BAGE 136, 334; - 1 ABR 58/10 - Rn. 12; - 7 ABR 76/11 - Rn. 16). Das Feststellungsinteresse fehlt, wenn durch die Entscheidung kein Rechtsfrieden geschaffen wird. Die Rechtskraft muss weitere gerichtliche Auseinandersetzungen über die zwischen den Beteiligten strittigen Fragen um denselben Fragenkomplex ausschließen ( - Rn. 15; - 7 ABR 42/12 - Rn. 26). Das Feststellungsinteresse fehlt ferner, wenn dem Antragsteller ein einfacherer Weg zur Verfügung steht, um sein Ziel zu erreichen, oder wenn die begehrte Feststellung zu einer abschließenden Beilegung des Streits nicht geeignet ist ( - Rn. 19, BAGE 118, 131).

22b) Danach ist das erforderliche Feststellungsinteresse hier nicht gegeben. Mit der begehrten Feststellung würde nur eine Vorfrage dafür geklärt, ob dem Betriebsrat Mitbestimmungsrechte im Zusammenhang mit der Schließung des Frischelagers G zustehen können, insbesondere zum Abschluss eines Sozialplans. Diese Vorfrage wäre im Rahmen eines Rechtsstreits über das Bestehen eines solchen Mitbestimmungsrechts zu klären. Weshalb das Bestehen eines Restmandats gesondert festgestellt werden soll, ist nicht ersichtlich. Eine endgültige Beendigung der Streitigkeit zwischen den Beteiligten würde durch die Feststellung eines Restmandats auch nicht herbeigeführt. Das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts ist von weiteren Voraussetzungen abhängig. Dies gilt auch für ein etwaiges Mitbestimmungsrecht zum Abschluss eines Sozialplans im Zusammenhang mit der Schließung des Frischelagers G. Dazu müssten Fragen geklärt werden, die nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind. Dies gilt etwa für die Frage, ob es sich bei der Schließung des Frischelagers G um eine sozialplanpflichtige Betriebsänderung handelt. Dazu müsste festgestellt werden, ob die Schließung des Frischelagers G eine Betriebsstilllegung darstellt oder ob eine Zusammenlegung mit anderen Betrieben oder Betriebsteilen zu dem Lager Ra erfolgt ist. Von dieser Feststellung könnte abhängen, ob im Falle der Unwirksamkeit des Zuordnungstarifvertrags der antragstellende Betriebsrat oder ein Gesamtbetriebsrat für den Abschluss eines Sozialplans zuständig wäre. Vor allem aber müsste in einem weiteren Verfahren über das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts geklärt werden, welche Rechtswirkungen sich daraus ergeben, dass der im Jahr 2010 für die Region Mitte 2 gewählte Betriebsrat, dessen Wahl nicht angefochten wurde und der nach dem Zuordnungstarifvertrag für die Wahrnehmung von Mitbestimmungsrechten für das Frischelager G zuständig war, bereits das Mitbestimmungsrecht zum Abschluss eines Sozialplans nach § 112 BetrVG wahrgenommen hat. Es bedürfte einer Entscheidung darüber, ob ein nach der gesetzlichen Betriebsverfassung zuständiger Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht zum Abschluss eines Sozialplans auch dann noch fordern kann, wenn der nach Maßgabe eines Tarifvertrags nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG für den Abschluss des Sozialplans zuständige Betriebsrat das Mitbestimmungsrecht bereits wahrgenommen hat.

23III. Einer Anhörung des Betriebsrats Region Mitte 2 im Rechtsbeschwerdeverfahren bedurfte es nicht mehr. Der Antrag des Betriebsrats Frischelager G wird als unzulässig abgewiesen. Hierdurch entsteht weder eine Rechtskraft noch eine Bindungswirkung in Bezug auf betriebsverfassungsrechtliche Rechte oder Pflichten des antragstellenden Betriebsrats und/oder des Betriebsrats Region Mitte 2. Damit steht fest, dass der Betriebsrat Region Mitte 2 durch die Entscheidung in diesem Verfahren nicht in seiner betriebsverfassungsrechtlichen Stellung betroffen ist (vgl. auch  - Rn. 20).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2015:270515.B.7ABR20.13.0

Fundstelle(n):
BB 2015 S. 2739 Nr. 45
PAAAF-06542