Einreihung von getrockneten Schweineohren; ermäßigter Steuersatz für die getrockneten Schweineohren
Leitsatz
In frischem Zustand genießbare, in einem Futtermittelbetrieb getrocknete Schweineohren sind in die Unterpos. 0210 99 49 KN einzureihen. Sie gehören als genießbare Schlachtnebenerzeugnisse zu Nr. 2 der Anlage 2 zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG.
Gesetze: UStG § 12 Abs. 1, UStG § 12 Abs. 2 Nr. 1 Anlage 2 Nr. 2, UStG § 12 Abs. 2 Nr. 1 Anlage 2 Nr. 37, KN Pos. 0210 UPos. 0511, EGV 1125/2006
Instanzenzug: ,
Tatbestand
1 I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt einen Lebensmittelhandel. Dabei verkauft sie unter anderem getrocknete Schweineohren. Für die Streitjahre 2006 und 2007 unterwarf sie die Lieferung getrockneter Schweineohren in den Umsatzsteuererklärungen dem ermäßigten Steuersatz gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG). Den Feststellungen einer im Jahr 2009 durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfung folgend wandte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) auf die Lieferung getrockneter Schweineohren ab den Regelsteuersatz gemäß § 12 Abs. 1 UStG an und erhöhte die Umsatzsteuer für 2006 und 2007 entsprechend.
2 Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, für die Lieferung getrockneter Schweineohren komme eine Steuerermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG weder i.V.m. Nr. 2 noch i.V.m. Nr. 37 der Anlage 2 in Betracht. Mit der Trocknung der im frischen Zustand genießbaren Schweineohren in Futtermittelbetrieben seien die Schweineohren keine genießbaren Schlachtnebenerzeugnisse i.S. der Nr. 2 der Anlage 2 zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG mehr. Eine ermäßigte Besteuerung als „Rückstände und Abfälle der Lebensmittelindustrie; zubereitetes Futter“ gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Nr. 37 der Anlage 2 komme mangels einer Zubereitung im Sinne der Verarbeitung eines Erzeugnisses ebenfalls nicht in Betracht. Die Schweineohren seien vielmehr in Kap. 5 der Kombinierten Nomenklatur (KN) einzuordnen. Die Umsätze seien daher gemäß § 12 Abs. 1 UStG nach dem Regelsteuersatz zu versteuern.
3 Mit ihrer Revision macht die Klägerin geltend, die Unterscheidung zwischen genießbaren getrockneten Schweineohren i.S. des Kap. 2 KN und ungenießbaren getrockneten Schweineohren i.S. des Kap. 5 KN sei nicht anhand des Ortes der Trocknung und der damit verbundenen Frage nach der Einhaltung lebensmittel- und hygienerechtlicher Vorschriften zu treffen. Die gegenteilige Ansicht des FG weiche von der Rechtsprechung des Senats sowie anderer FG ab. Auf die Verwendung der getrockneten Schweineohren als Tierfutter komme es ebenfalls nicht an. Solange sie nicht verdorben und deshalb ungenießbar seien, müssten getrocknete Schweineohren als genießbare Schlachtnebenerzeugnisse in Kap. 2 KN und nicht in Kap. 5 KN eingeordnet werden.
4 Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2006 und 2007, jeweils in der Fassung des letzten Änderungsbescheids, dahin zu ändern, dass die Umsatzsteuer für 2006 um . € und die Umsatzsteuer für 2007 um . € niedriger festgesetzt wird.
5 Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
6 Es teilt die Auffassung des FG.
Gründe
7 II. Die Revision der Klägerin ist begründet. Das Urteil des FG verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—) und ist auch nicht im Ergebnis richtig (§ 126 Abs. 4 FGO). Die Vorentscheidung ist aufzuheben und die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2006 und 2007, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung, sind zu ändern. Für die Lieferung getrockneter Schweineohren gilt gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Nr. 2 der Anlage 2 der ermäßigte Steuersatz in Höhe von 7 %.
8 1. Die von der Klägerin vertriebenen getrockneten Schweineohren sind in die Unterpos. 0210 99 49 KN einzureihen. Sie gehören als genießbare Schlachtnebenerzeugnisse deshalb zu Nr. 2 der Anlage 2 zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG.
9 a) Für die Auslegung des § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Anlage 2 kommt es allein auf die zolltariflichen Vorschriften und Begriffe an (Senatsurteil vom VII R 33/03, BFH/NV 2004, 849, 850, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern —ZfZ— 2004, 200, m.w.N., und , BFHE 223, 539, BFH/NV 2009, 673, 675). Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH), der sich der Senat angeschlossen hat, ist das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen und Unterpositionen der KN und in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln rechtsverbindlich festgelegt sind (vgl. Allgemeine Vorschriften für die Auslegung der KN 1 und 6). Dazu gibt es nach dem Übereinkommen zum Harmonisierten System Erläuterungen (ErlHS) und Einreihungsavise, die ebenso wie die Erläuterungen zur KN ein wichtiges, wenn auch nicht verbindliches Erkenntnismittel für die Auslegung der einzelnen Tarifpositionen darstellen (vgl. EuGH-Urteile TNT Freight Management vom C-291/11, EU:C:2012:459, Rz 30 ff., und Metherma vom C-403/07, EU:C:2008:657, ZfZ 2009, 15, 16, sowie , BFHE 229, 399, BStBl II 2011, 74, 75, Rz 7, und vom VII R 58/02, BFHE 204, 375, 377, ZfZ 2004, 165, m.w.N.).
10 b) Getrocknete Schweineohren sind „Fleisch und genießbare Schlachtnebenerzeugnisse“ i.S. der Nr. 2 der Anlage 2 zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 und 2 UStG, wenn es sich um Waren des Kap. 2 KN handelt. Von der Unterpos. 0210 99 49 KN werden insbesondere ganze oder halbe Köpfe von Hausschweinen sowie Teile davon erfasst, wozu auch Ohren gehören (Zusätzliche Anmerkung 2 C zu Kap. 2 KN). Nach den ErlHS zu Kap. 2 KN sind unter Schlachtnebenerzeugnissen u.a. solche zu verstehen, „die hauptsächlich zur menschlichen Ernährung verwendet werden (einschließlich Ohren)"; diese bleiben, ob „frisch, gekühlt, gefroren, gesalzen, in Salzlake, getrocknet oder geräuchert“, in Kap. 2 KN, „außer in den Fällen, in denen sie, da verdorben und zur menschlichen Ernährung nicht geeignet, der Position 0511 zuzuweisen sind“ (Rz 03.0, 04.0 und 08.0).
11 Hiermit übereinstimmend stellt auch die Verordnung (EG) Nr. 1125/2006 (VO Nr. 1125/2006) der Kommission vom zur Einreihung von bestimmten Waren in die Kombinierte Nomenklatur (Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 200/3) klar, dass genießbare getrocknete Schweineohren —entgegen der im Bericht des Bundesrechnungshofs nach § 99 BHO über den ermäßigten Umsatzsteuersatz (Umsatzsteuer-Rundschau 2010, 566, 570) zitierten Ansicht der Zolltechnischen Prüf- und Lehranstalt— unabhängig von ihrem Trocknungsgrad zu Kap. 2 gehören, auch wenn sie als Tierfutter verwendet werden, da das Trocknen von Schweineohren nicht deren Eignung für den menschlichen Verzehr beeinträchtigt. Entsprechend werden laut /06 (BStBl I 2006, 620) genießbare getrocknete Schweineohren (Schlachtnebenerzeugnisse) —auch wenn als Tierfutter verwendet— in die Unterpos. 0210 99 49 KN eingereiht. Nur getrocknete Schweineohren (Schlachtnebenerzeugnis), die nicht genießbar sind, sind in die Unterpos. 0511 99 85 KN (2007) bzw. die Unterpos. 0511 99 90 KN (2006) einzureihen.
12 Entgegen der Auffassung des FG kommt es somit für die Einreihung in das Kap. 2 nicht maßgeblich auf die Bestimmungen des nationalen (Lebensmittel-)Rechts, auf hygienerechtliche Vorschriften oder den Verwendungszweck der Schweineohren (als Tierfutter oder für den menschlichen Verzehr) an, sondern nur darauf, ob sie „genießbar“, d.h. für den menschlichen Verzehr geeignet, sind.
13 c) Im Streitfall sind die getrockneten Schweineohren nach ihren objektiven Merkmalen und Eigenschaften als für den menschlichen Verzehr geeignet anzusehen.
14 Wie sich aus der Einreihungsverordnung VO Nr. 1125/2006 ergibt, beeinträchtigt das Trocknen der im frischen Zustand genießbaren Schweineohren nicht deren Eignung zum menschlichen Verzehr. Durch das Trocknen wird die Vermehrung von Keimen und das Verderben der Schweineohren gehemmt. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn sie in einer Anlage außerhalb der Lebensmittelkette getrocknet werden. Da Schweineohren von Menschen ohnehin regelmäßig nicht in getrocknetem Zustand, sondern erst nach einem Garvorgang verzehrt werden können, verlieren die Ohren ihre Eignung für den menschlichen Verzehr auch nicht allein deshalb, weil sie in einem den Anforderungen des deutschen Lebensmittelrechts nicht unterliegenden Betrieb getrocknet wurden. Vielmehr müssten weitere Umstände hinzukommen, durch die die Eignung der Schweineohren für den menschlichen Verzehr aufgehoben wird (wie z.B. Fäulnis, Schimmel oder sonstige ein Verderben und damit die Ungenießbarkeit herbeiführende Umstände; zum Begriff der Genießbarkeit vgl. auch Senatsentscheidung vom VII R 54/11, BFHE 247, 378, BStBl II 2015, 169). Hierfür bestehen jedoch im Streitfall keine Anhaltspunkte. Vielmehr wurde vom FG festgestellt, dass die Schweineohren ursprünglich uneingeschränkt genießbar waren. Dass sie durch den Trocknungsvorgang in einem Futtermittelbetrieb —über das bloße Trocknen hinaus— objektiv ungenießbar wurden, hat das FG hingegen nicht festgestellt. Eine Einreihung der als genießbare Schlachtnebenerzeugnisse zu qualifizierenden Schweineohren in Kap. 5 KN scheidet demnach aus.
15 Mangels Veränderung der wesentlichen Merkmale des Ausgangsstoffes scheidet eine Einreihung als zubereitetes Futter i.S. des Kap. 23 KN nach der Einreihungsverordnung Nr. 1125/2006 ebenfalls aus.
16 2. Die bisherige Rechtsprechung des Senats steht hierzu nicht im Widerspruch.
17 Das Senatsurteil in BFH/NV 2004, 849, 850, ZfZ 2004, 200, 201 erging vor Erlass der VO Nr. 1125/2006. Das Senatsurteil vom VII R 16/08 (BFH/NV 2009, 979) betraf zurückliegende Streitjahre, weshalb der Senat diese Einreihungsverordnung gleichfalls nicht anzuwenden hatte.
18 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
BFH/NV 2015 S. 1605 Nr. 11
UR 2016 S. 70 Nr. 2
MAAAF-02671