Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Anforderungen an eine wirksame eigenhändige Unterschrift
Leitsatz
Die aus einem Blankoexemplar ausgeschnittene und auf die Telefax-Vorlage eines bestimmenden Schriftsatzes (hier: Berufungsschrift und Berufungsbegründung) geklebte Unterschrift des Prozessbevollmächtigten einer Partei erfüllt nicht die an eine eigenhändige Unterschrift nach § 130 Nr. 6 i.V.m. § 519 Abs. 4, § 520 Abs. 5 ZPO zu stellenden Anforderungen.
Gesetze: § 130 Nr 6 ZPO, § 233 ZPO, § 519 Abs 4 ZPO, § 520 Abs 5 ZPO
Instanzenzug: LG München I Az: 13 S 1241/14vorgehend Az: 264 C 19631/13
Gründe
I.
1Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung von 1.275 € (nebst Zinsen und vorgerichtlichen Anwaltskosten) im Zusammenhang mit einem zwischen den Parteien geschlossenen Unterrichtsvertrag in Anspruch. Das Amtsgericht hat die Beklagte mit Versäumnisurteil vom antragsgemäß verurteilt. Nach Einspruchseinlegung hat es das Versäumnisurteil - mit Ausnahme eines geringfügigen Teils der vorgerichtlichen Anwaltskosten - aufrechterhalten. Das Urteil vom ist dem damaligen Prozessbevollmächtigten der Beklagten, Rechtsanwalt V. S. , am zugestellt worden. Hiergegen ist mit Telefax vom unter dem Briefkopf des Prozessbevollmächtigten der Beklagten Berufung eingelegt worden. Innerhalb verlängerter Frist sind am und - wiederum unter dem Briefkopf von Rechtsanwalt S. - das Rechtsmittel begründende Schriftsätze per Telefax bei dem Berufungsgericht eingegangen. Sämtliche Schriftsätze weisen eine als "S. " lesbare Unterschrift auf, wobei oberhalb der Unterschrift jeweils eine horizontal verlaufende Linie erkennbar ist. Nachdem das Berufungsgericht die Beklagte aufgefordert hatte, das Zustandekommen der Unterschriften auf den beiden Berufungsbegründungen zu erläutern, teilte Rechtsanwalt G. , der damals Mitarbeiter in der Kanzlei S. war und später die anwaltliche Vertretung der Beklagten übernommen hat, mit Schriftsatz vom mit, er habe die Angelegenheit bearbeitet. Auf Wunsch der Mandantin und mit Einverständnis von Rechtsanwalt S. , der alle Schriftsätze gekannt habe, habe er am gemäß seinem handschriftlichen Entwurf Berufung eingelegt. Rechtsanwalt S. habe auf einem leeren Blatt seine Unterschrift geleistet. Da deren Position nicht genau gepasst habe, habe er, Rechtsanwalt G. , die Unterschrift ausgeschnitten, auf den Berufungsschriftsatz geklebt und an das Berufungsgericht gefaxt. Bei den beiden Schriftsätzen zur Berufungsbegründung sei - nach Billigung der handschriftlichen Entwürfe durch Rechtsanwalt S. - in gleicher Weise verfahren worden.
2Ebenfalls mit Schriftsatz vom hat Rechtsanwalt S. diese Schilderung bestätigt und ergänzend ausgeführt, die handschriftlichen Entwürfe der Schriftsätze vom sowie vom 25. und seien von ihm geprüft und gebilligt und anschließend von Rechtsanwalt G. (am PC) in Reinschrift getippt worden. Das Ausschneiden und Aufkleben der blanko gegebenen Unterschriften sei mit seinem Einverständnis erfolgt.
3Mit Hinweisverfügung vom - zugestellt am - hat das Berufungsgericht Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit einer lediglich "aufgeklebten" Unterschrift geäußert. Daraufhin beantragte Rechtsanwalt G. mit am eingegangenem Telefax, der Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die etwaige Versäumung der Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist zu gewähren.
4Mit Beschluss vom hat das Landgericht unter Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags die Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass eine Beteiligung des ursprünglich bestellten Rechtsanwalts S. am Berufungsverfahren nicht erkennbar sei, da bereits die Berufungseinlegung lediglich mit aufgeklebter Unterschrift erfolgt sei. Schon aus dem Erscheinungsbild der Schriftsätze ergebe sich nicht, dass sich auf der Urschrift der Fernkopie tatsächlich die Unterschrift ihres Urhebers befinde. Damit lasse sich den bei Gericht eingegangenen Schriftstücken nicht entnehmen, ob der bevollmächtigte Rechtsanwalt sich diese zu Eigen gemacht habe. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lägen nicht vor. Es hätte dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten klar sein müssen, dass die bloße Verbindung einer separat gefertigten Unterschrift mit einem Schriftsatz den Anforderungen des § 130 Nr. 6 ZPO nicht genüge.
5Dagegen wendet sich die Beklagte mit der Rechtsbeschwerde.
II.
6Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist jedoch nicht zulässig, weil weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordern (§ 574 Abs. 2 ZPO).
71. Das Berufungsgericht hat die Berufung zu Recht als unzulässig verworfen. Entgegen der Auffassung der Beschwerde hat es dabei die Anforderungen an eine wirksame eigenhändige Unterschrift nach § 130 Nr. 6 ZPO nicht in einer Art und Weise überspannt, die das Verfahrensgrundrecht der Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) verletzen würde.
8a) Die hier maßgeblichen Rechtsfragen sind höchstrichterlich bereits geklärt. Gemäß § 130 Nr. 6 ZPO i.V.m. § 519 Abs. 4, § 520 Abs. 5 ZPO müssen die Berufungsschrift und die Berufungsbegründung als bestimmende Schriftsätze grundsätzlich von einem zur Vertretung bei dem Berufungsgericht berechtigten Rechtsanwalt eigenhändig unterschrieben sein. Die Unterschrift soll die Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Prozesshandlung ermöglichen und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck bringen, die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen und diesen bei Gericht einzureichen. Zugleich soll sichergestellt werden, dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern dass es mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet wird. Für den Anwaltsprozess bedeutet dies, dass die Berufungsschrift und die Berufungsbegründung von einem dazu bevollmächtigten und bei dem Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalt zwar nicht selbst verfasst, aber nach eigenverantwortlicher Prüfung genehmigt und unterschrieben sein müssen (st. Rspr., vgl. nur Senatsbeschluss vom - III ZB 70/11, NJW-RR 2012, 1142 Rn. 6; , NJW-RR 1998, 574; Beschlüsse vom - V ZB 45/04, NJW 2005, 2709; vom - XI ZB 40/05, NJW 2006, 3784 Rn. 7; vom - IV ZB 9/11, BeckRS 2011, 26453 Rn. 6 und vom - XII ZB 642/11, NJW 2012, 3378 Rn. 16).
9Das Erfordernis der eigenhändigen Unterschrift entfällt nicht dadurch, dass die Berufung - was zulässig ist - per Telefax eingelegt und begründet wird. In diesem Fall genügt zwar die Wiedergabe der Unterschrift in Kopie, jedoch muss es sich bei der Kopiervorlage um den eigenhändig unterschriebenen Originalschriftsatz handeln (Senatsbeschluss vom aaO Rn. 6; aaO). Die Wirksamkeit der Prozesshandlung setzt somit voraus, dass die Kopiervorlage von einem postulationsfähigen Rechtsanwalt unterschrieben worden ist und dessen Unterschrift auf der Kopie wiedergegeben wird.
10Mit dem äußeren Merkmal der Unterschrift ist aus Gründen der Rechtssicherheit auch ohne einen darüber hinausgehenden Nachweis davon auszugehen, dass der Anwalt den Prozessstoff eigenverantwortlich durchgearbeitet hat und die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes tragen will. Für ein Rechtsmittelgericht besteht deshalb in aller Regel kein Anlass, den Inhalt einer anwaltlich unterschriebenen Berufungsbegründung darauf zu überprüfen, in welchem Umfang und wie gründlich der Anwalt den Prozessstoff tatsächlich selbst durchgearbeitet hat (BGH, Beschlüsse vom aaO und vom aaO Rn.16). Dementsprechend ist eine Blankounterschrift grundsätzlich geeignet, die Form zu wahren. Dabei muss allerdings gewährleistet sein, dass der Rechtsanwalt den Inhalt des noch zu erstellenden Schriftsatzes so genau festgelegt hat, dass er dessen eigenverantwortliche Prüfung bereits vorab bestätigen konnte (BGH, Beschlüsse vom aaO S. 2710 und vom aaO Rn. 17 f). So kann ein Schriftsatz zum Beispiel vom ortsabwesenden Rechtsanwalt telefonisch diktiert und anschließend - etwa anhand der Textdatei oder durch Übersendung per Telefax - überprüft worden sein ( aaO Rn. 18).
11b) Nach diesen Maßstäben ist das Berufungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die von Rechtsanwalt G. aus dem jeweiligen Blankoexemplar ausgeschnittenen und auf die Telefax-Vorlage geklebten Unterschriften des damaligen Prozessbevollmächtigten der Beklagten nicht geeignet waren, die an eine eigenhändige Unterschrift nach § 130 Nr. 6 i.V.m. § 519 Abs. 4, § 520 Abs. 5 ZPO zu stellenden Anforderungen zu erfüllen.
12Durch die hier gewählte Verfahrensweise war nicht gewährleistet, dass Rechtsanwalt S. durch seine Blankounterschrift die Verantwortung für den Inhalt der Berufungsschrift und der Berufungsbegründung vorab übernahm. Zutreffend weist die Beschwerdeerwiderung darauf hin, dass das blanko unterzeichnete Schriftstück zur Erstellung der Schriftsätze vom und vom 25./ nicht verwendet wurde. Weder wurde der Text in das Blankoexemplar eingefügt noch mit diesem verbunden (vgl. BGH, Beschlüsse vom - VIII ZB 33/65, NJW 1966, 351 und vom aaO Rn. 2; siehe auch MüKoBGB/Einsele, 7. Aufl., § 126 Rn. 11). Vielmehr hat Rechtsanwalt G. die Unterschrift aus dem Blankoexemplar ausgeschnitten und auf einen Schriftsatz geklebt, dessen Inhalt dem damaligen Prozessbevollmächtigten der Beklagten nur als handschriftlicher Entwurf bekannt war. Auf diese Weise ist eine Collage entstanden, die auch mittels einer früheren, in ganz anderem Zusammenhang geleisteten Unterschrift hätte erstellt werden können und die es ermöglichte, die ausgeschnittene Unterschrift - je nach Festigkeit der Klebeverbindung - gegebenenfalls mehrfach zu verwenden. Insoweit ist der vorliegende Fall rechtlich nicht anders zu beurteilen als die Fälle, in denen ein mittels eines normalen Telefaxgeräts übermittelter bestimmender Schriftsatz lediglich eine eingescannte Unterschrift aufweist, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs den Formerfordernissen des § 130 Nr. 6 ZPO nicht genügt (, NJW 2006, 3784 Rn. 11). Es war ebenso wie bei einer eingescannten Unterschrift nicht gewährleistet, dass Rechtsanwalt S. die Verantwortung für den Inhalt der Rechtsmittelschriftsätze übernommen hatte und es sich nicht lediglich um ungeprüfte Entwürfe handelte. Im vorliegenden Fall war es auch tatsächlich so, dass Rechtsanwalt S. zum Zeitpunkt der Leistung der Blankounterschriften nur handschriftliche Entwürfe von Schriftsätzen vorlagen, die Rechtsanwalt G. anschließend am PC fertig stellen sollte. Ohne Kenntnis des endgültigen Textes war Rechtsanwalt S. nicht in der Lage, dessen eigenverantwortliche Prüfung vorab zu bestätigen.
132. Auch hinsichtlich der Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags ist die Rechtsbeschwerde nicht zulässig, da die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.
14Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht angenommen, dass der Wiedereinsetzungsantrag unbegründet ist. Denn es fehlt an einem Wiedereinsetzungsgrund. Nach § 233 ZPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert war, die Berufungsfrist (§ 517 ZPO) oder die Berufungsbegründungsfrist (§ 520 Abs. 2 ZPO) einzuhalten. Das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten ist einer Partei zuzurechnen (§ 85 Abs. 2 ZPO). So liegt der Fall hier. Die Formunwirksamkeit sowohl der Berufungseinlegung als auch der Berufungsbegründung beruht darauf, dass der damalige Berufungsanwalt eine mit § 130 Nr. 6 ZPO unvereinbare Verfahrensweise gewählt hat. Seine im Widerspruch zur höchstrichterlichen Rechtsprechung stehende Auffassung, dass das Kriterium der Eigenhändigkeit der Unterschrift auch bei einer aus dem Blankoexemplar ausgeschnittenen und auf ein anderes Schriftstück geklebten Unterschrift gegeben sei, beruhte auf einem vermeidbaren Rechtsirrtum und damit auf einem Verschulden, welches sich die Beklagte gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss (vgl. aaO).
Herrmann Wöstmann Tombrink
Remmert Reiter
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW 2015 S. 3246 Nr. 44
NJW 2015 S. 8 Nr. 40
WM 2015 S. 2023 Nr. 42
UAAAF-02518