Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - Amtsermittlungspflicht - Übergehen eines Beweisantrags - Vorliegen eines prozessordnungsgemäßen Beweisantrags - Angabe konkreter Beweistatsachen in örtlicher und zeitlicher Hinsicht - substantiiertes Bestreiten einer im Wege des Urkundenbeweises verwerteten Zeugenaussage - Parteivernehmung grundsätzlich kein zulässiges Beweismittel im sozialgerichtlichen Verfahren - rechtliches Gehör - rechtzeitige Vorlage eines ärztlichen Attests zur Begründung eines Terminverlegungsantrags - Darlegungsanforderungen
Gesetze: § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 103 SGG, § 117 SGG, § 118 Abs 1 S 1 SGG, § 202 S 1 SGG, § 227 Abs 2 ZPO, § 445 ZPO, §§ 445ff ZPO
Instanzenzug: SG Osnabrück Az: S 2 VG 12/08 Urteilvorgehend Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Az: L 12 VE 27/12 Urteil
Gründe
1I. Die Klägerin begehrt Versorgungsleistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
2Die 1978 geborene Klägerin ist serbisch-montenegrinischen Staatsangehörige. Sie reiste im August 1995 in die Bundesrepublik Deutschland ein und lebt dort bis Dezember 1997 ohne Duldung oder sonstigen Aufenthaltstitel. Seit dem besitzt sie aufgrund der Eheschließung mit einem deutschen Staatsangehörigen eine Aufenthaltserlaubnis.
3Im August 2005 beantragte die Klägerin die Gewährung von Beschädigtenversorgung. Sie sei erblindet, nachdem ihr damaliger Verlobter sie im März 1996 in einem Asylbewerberwohnheim körperlich misshandelt habe. Der Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin ab (Bescheid vom , Widerspruchsbescheid vom ), weil sich aus den beigezogenen Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft kein Nachweis des von der Klägerin vorgetragenen Sachverhalts ergebe. Unbeteiligte Zeugen hätten ausgesagt, dass die Klägerin bereits vor der vermeintlichen Tat erheblich sehbehindert gewesen sei. Wie die beigezogenen ärztlichen Unterlagen zeigten, sei Ursache der Erblindung der Klägerin eine angeborene Augenerkrankung.
4Das von der Klägerin angerufene SG Osnabrück hat ihre Klage zurückgewiesen (Urteil vom ). Die in größerer Zahl mit beachtlicher Aussagekraft vorliegenden Beweismittel bestätigten die Angaben der Klägerin nicht, zumal ihr gesamtes Verhalten auf Entschädigung ausgerichtet sei. Das vom Gericht eingeholte augenärztliche Sachverständigengutachten habe zudem bestätigt, dass die Erblindung der Klägerin auf ein beidseitiges Glaukom und nicht auf eine Gewalteinwirkung zurückzuführen sei.
5Mit Urteil vom hat das LSG ebenfalls einen Anspruch der Klägerin auf Entschädigungsleistungen nach dem OEG iVm dem BVG verneint, weil der Vollbeweis eines gegen die Klägerin gerichteten Angriffs iS von § 1 OEG nicht erbracht sei. Dagegen sprächen ua ihre im Verlauf der Zeit wechselnden und widersprüchlichen Angaben.
6Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt, für die sie die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt hat. Sie macht geltend, das LSG habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör sowie seine Pflicht zur Amtsermittlung verletzt.
7II. 1. Der PKH-Antrag der Klägerin ist unbegründet. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 114 ZPO). Daran fehlt es hier (2.).
82. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil weder die behauptete Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes (a) noch des Anspruchs auf rechtliches Gehör (b) ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).
9a) Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde wie im Fall der Klägerin darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel dabei auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Will die Beschwerde demnach einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen (§ 103 SGG), so muss sie einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist.
10Die Klägerin hat nicht dargelegt, einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag gestellt zu haben. Dafür hätte sie nicht nur die Stellung des Antrags, sondern auch aufzeigen müssen, über welche im Einzelnen bezeichneten Punkte mit welchem voraussichtlichen Ergebnis Beweis erhoben werden sollte. Denn wesentliche Merkmale eines hinreichend substantiierten Beweisantrags sind eine bestimmte Tatsachenbehauptung und die Angabe des Beweismittels für diese Tatsache (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6 mwN). Dafür ist die behauptete Tatsache möglichst eindeutig und präzise zu bezeichnen und zumindest hypothetisch zu umreißen, was die Beweisaufnahme ergeben hätte. Nur dies versetzt die Vorinstanz in die Lage, die Entscheidungserheblichkeit des Beweisantrags zu prüfen und gegebenenfalls ihre Ablehnung hinreichend iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zu begründen (Karmanski in Roos/Wahrendorf, SGG, 1. Aufl 2014, § 160a RdNr 96 mwN). Unbestimmte bzw unsubstantiierte Beweisanträge brauchen dem Gericht dagegen keine Beweisaufnahme nahezulegen (vgl BSG Urteil vom 19.10.201 - B 13 R 303/11 R - NZS 2012, 230; - BeckRS 2010, 65789 RdNr 12). Beweisantragstellern obliegt es daher, die behauptete Tatsache zu individualisieren, dh insbesondere in örtlicher und zeitlicher Hinsicht fassbar zu machen. Für Tatsachen aus dem persönlichen Lebensbereich sind die Anforderungen dabei strenger als bei Tatsachen, die typischerweise nicht in ihren Einzelheiten gekannt werden (Dawin in Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, 27. Ergänzungslieferung Oktober 2014, § 86 RdNr 92).
13Mit dem Verweis auf ihren beim LSG gestellten Antrag, sie persönlich zu hören, hat die Klägerin bereits kein zulässiges Beweismittel und damit ebenfalls keinen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag bezeichnet. Denn im sozialgerichtlichen Verfahren kommt eine Parteivernehmung zulässigerweise weder auf Antrag noch von Amts wegen in Betracht (stRspr vgl - Juris RdNr 8; vom - B 11 AL 273/02 B - Juris RdNr 3; vom - 1 BA 45/90 - SozR 3-1500 § 160a Nr 2 S 2; vom - 1 BA 51/87 - Juris), da § 118 Abs 1 S 1 SGG nicht auf die §§ 445 ff ZPO verweist. Aber selbst wenn in eng begrenzten Ausnahmefällen eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht iS des § 103 SGG durch Verzicht auf eine solche Anhörung angenommen werden könnte, hätte unter Beachtung der Darlegungserfordernisse einer ordnungsgemäßen Sachaufklärungsrüge (vgl ) vorgetragen werden müssen, dass hier ein derartiger Sachverhalt vorliegt. Insbesondere hätte es der Darlegung bedurft, aus welchen Gründen im Einzelnen das LSG trotz der vielfachen Äußerungen der Klägerin in den vorangegangenen Ermittlungs-, Verwaltungs- und im Gerichtsverfahren sich hätte gedrängt fühlen müssen, die Klägerin persönlich zu hören. Das LSG hat die Berufung unter anderem wegen des widersprüchlichen und wechselnden Vortrags der Klägerin zu verschiedenen Zeitpunkten und bei unterschiedlichen Anlässen zurückgewiesen. Die Beschwerde legt nicht dar, wie und warum gerade eine persönliche Anhörung der Klägerin diese sachlichen Widersprüche hätte ausräumen können, obwohl die Klägerin in diesem und in anderen Verfahren ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme hatte, die sie auch genutzt hat.
14Unabhängig davon fehlen in dem beim LSG gestellten Antrag auf persönliche Anhörung jegliche Angaben dazu, zu welchem Beweisthema die Klägerin noch hätte welche Aussage machen können, die das LSG noch nicht berücksichtigt hatte. Soweit sich die Beschwerde um den Beweisantrag zu untermauern im Einzelnen mit der Beweiswürdigung des LSG auseinandersetzt, übersieht sie, dass § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG diese der Beurteilung durch das Revisionsgericht vollständig entzieht. Kraft der darin enthaltenen ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung kann die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts mit der Nichtzulassungsbeschwerde weder unmittelbar noch mittelbar angegriffen werden (Karmanski in Roos/Wahrendorf, SGG, 1. Aufl 2014, § 160 RdNr 58 mwN).
15b) Die behauptete Verletzung ihres rechtlichen Gehörs hat die Klägerin ebenfalls nicht hinreichend substantiiert dargetan. Die Ablehnung eines Antrags auf Terminverlegung verletzt den Grundsatz des rechtlichen Gehörs, wenn der Beteiligte aus erheblichen Gründen am Erscheinen verhindert ist (§ 202 S 1 SGG iVm § 227 ZPO) und die Ablehnung der Verlegung den Beteiligten in der sachgemäßen Wahrnehmung seiner Rechte beeinträchtigt (Keller in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 66 RdNr 6d mwN). Ein erheblicher Grund ist auf Verlangen glaubhaft zu machen (vgl § 202 S 1 SGG iVm § 227 Abs 2 ZPO). Bei kurzfristig gestellten Anträgen auf Terminverlegung dürfen die Gerichte wegen der damit verbundenen Missbrauchsgefahr an die Glaubhaftmachung der Verhandlungsunfähigkeit hohe Anforderungen stellen (s auch BFH/NV 2010, 230, 231 = Juris RdNr 7; BFH/NV 2010, 907, 908 = Juris RdNr 6). Wird eine Terminverlegung daher erst einen Tag vor der anberaumten mündlichen Verhandlung beantragt und mit einer Erkrankung begründet, so muss dieser Verhinderungsgrund so dargelegt und untermauert sein, dass das Gericht ihn ohne weitere Nachforschungen selbst beurteilen kann (vgl BSG SozR 4-1500 § 110 Nr 1 mwN; - Juris RdNr 12). Insoweit hat das LSG der Klägerin zu Recht entgegengehalten, dass sie ihren einen Tag vor der anberaumten Verhandlung gestellten Verlegungsantrag zwar mit einer Erkrankung begründet, diese jedoch lediglich behauptet, aber durch nichts belegt hat, insbesondere nicht durch Vorlage eines ärztlichen Attestes. Die von ihren Prozessbevollmächtigten nunmehr im NZB-Verfahren vorgelegte Bescheinigung ist erst ein halbes Jahr nach dem behaupteten Krankenhausaufenthalt ausgestellt worden; sie kann die rechtzeitige Vorlage an das LSG nicht ersetzen.
16Darüber hinaus fehlt es an der Darlegung, warum eine persönliche Anwesenheit der Klägerin beim Termin zur mündlichen Verhandlung zwingend notwendig gewesen wäre, um ihr rechtliches Gehör zu wahren, obwohl sie im Termin von ihrem Prozessbevollmächtigten vertreten wurde und sich vorher mehrfach zum Sachverhalt geäußert hat.
173. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).
18Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
194. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2015:130815BB9V1315B0
Fundstelle(n):
LAAAF-01575