Zulässigkeit der Revision: Ermittlung der Revisionsbeschwer bei Streitgenossenschaft
Leitsatz
Bei der Ermittlung des Wertes der mit einer beabsichtigten Revision geltend zu machenden Beschwer im Sinne von § 26 Nr. 8 EGZPO sind die Forderungen mehrerer Beschwerdeführer, die einfache Streitgenossen nach §§ 59, 60 ZPO sind, grundsätzlich zu addieren.
Gesetze: § 2 ZPO, § 5 ZPO, § 59 ZPO, § 60 ZPO, § 26 Nr 8 ZPOEG
Instanzenzug: OLG Rostock Az: 1 U 77/11vorgehend LG Neubrandenburg Az: 2 O 43/10
Gründe
1Die Klägerinnen verlangen von der beklagten Bank Schadensersatz wegen fehlerhafter Anlageberatung im Zusammenhang mit dem Erwerb von C. -Anleihen und begehren die Zulassung der Revision gegen das Berufungsurteil, mit dem ihre Klage in vollem Umfang abgewiesen worden ist. Die Klägerin zu 1) ist in den Vorinstanzen in Höhe von 12.962,05 € unterlegen, die Klägerin zu 2) in Höhe von 16.003,08 €.
2Entgegen der Auffassung der Nichtzulassungsbeschwerdeerwiderung sind für die Berechnung des Beschwerdewerts im Sinne von § 26 Nr. 8 EGZPO die Klageforderungen der Klägerinnen zu addieren.
31. Die Wertberechnung im Rahmen des § 26 Nr. 8 EGZPO ist nach den allgemeinen Grundsätzen der §§ 3 ff. ZPO vorzunehmen (st. Rspr., BGH, Beschlüsse vom - VI ZR 418/02, NJW-RR 2004, 638, 639, vom - XII ZR 92/02, NJW-RR 2005, 1011, vom - IX ZR 195/02, juris Rn. 12, vom - XI ZR 199/04, NJW-RR 2006, 997, vom - VIII ZR 133/06, NZM 2007, 499 Rn. 2, vom - IV ZR 31/08, VersR 2009, 562 Rn. 5, vom - VII ZR 161/08, ZfBR 2010, 64 und vom - V ZR 322/13, juris Rn. 6).
4a) Damit ist grundsätzlich auch § 5 ZPO anwendbar (so ausdrücklich BGH, Beschlüsse vom - IX ZR 195/02, juris Rn. 13 und vom - LwZR 12/07, juris Rn. 11), zumal § 2 ZPO, der hinsichtlich der Vorschriften von ZPO und GVG für die Wertbestimmung auf die "nachfolgenden Vorschriften verweist", sowohl für den Wert des Beschwerdegegenstandes als auch für den Wert der Beschwer gilt. Gemäß § 5 ZPO werden mehrere in einer Klage geltend gemachte Ansprüche zusammengerechnet.
5Dementsprechend wird der Wert verschiedener Ansprüche, die im Wege der objektiven Klagehäufung geltend gemacht werden, zur Bemessung des Werts der Beschwer nach § 26 Nr. 8 EGZPO zusammengerechnet, auch wenn diese Ansprüche sich nicht aus einem einheitlichen Streitgegenstand ergeben (vgl. BGH, Beschlüsse vom - I ZR 105/05, BGHZ 166, 327 Rn. 3 ff. unter Hinweis darauf, dass der IV. und V. Zivilsenat an abweichenden Entscheidungen nicht festhalten, vom - VII ZR 131/05, NJW-RR 2006, 1097 Rn. 8 und vom - IV ZR 19/06, FamRZ 2007, 1644 Rn. 10).
6b) In zwei nach dem Zivilprozessreformgesetz vom ergangenen Entscheidungen ist der Bundesgerichtshof bereits - wenn auch nicht tragend - davon ausgegangen, dass die Beschwer mehrerer Beschwerdeführer zu addieren ist, soweit es sich nicht um wirtschaftlich identische Streitgegenstände handelt (BGH, Beschlüsse vom - LwZR 12/07, juris Rn. 11 zu § 26 Nr. 8 EGZPO unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung zu § 546 ZPO aF und vom - VIII ZB 45/12, NJW 2013, 2361 Rn. 20 zu § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO unter Verweis auf §§ 2, 5 ZPO).
7c) Auch die Kommentarliteratur geht ganz überwiegend davon aus, dass bei Rechtsmitteleinlegung durch mehrere Streitgenossen für den Wert des Beschwerdegegenstandes die auf die einzelnen Streitgenossen entfallenden Beschwerdewerte zusammenzurechnen sind, sofern die verfolgten Ansprüche nicht wirtschaftlich identisch sind (zu § 26 Nr. 8 EGZPO: Jacobs in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 544 Rn. 7; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 2 Rn. 39, § 5 Rn. 31; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 73. Aufl., § 544 Rn. 4 i.V.m. § 511 Rn. 17, Anh. § 511 Rn. 7; zu Rechtsmitteln allgemein: Bork in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 61 Rn. 4; MünchKommZPO/Wöstmann, 4. Aufl., § 2 Rn. 7 f. i.V.m. § 5 Rn. 19 f.; Zöller/Herget, ZPO, 30. Aufl., § 3 Rn. 16 "Streitgenossen", § 5 Rn. 3, 6; Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl., § 61 Rn. 9; Gehrlein in Prütting/Gehrlein, ZPO, 7. Aufl., § 61 Rn. 6; Ball in Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl., § 544 Rn. 7 i.V.m. § 511 Rn. 19; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 17. Aufl., § 135 Rn. 31, 37 f.; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 36. Aufl., § 5 Rn. 1 [unter Verweis auf BGHZ 23, 333, 338; hier ohne die Einschränkung, die in der Kommentierung von § 26 Nr. 8 EGZPO Rn. 15 gemacht wird]; zur Berufung: Althammer in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 511 Rn. 46; MünchKommZPO/Rimmelspacher, 4. Aufl., Vor §§ 511 ff. Rn. 60; Gerken in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 511 Rn. 90 f.; Zöller/Heßler, ZPO, 30. Aufl., § 511 Rn. 25 f.; Lemke in Prütting/Gehrlein, ZPO, 7. Aufl., § 511 Rn. 17; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 73. Aufl., § 511 Rn. 17, Anh. § 511 Rn. 1, 7; Wulf in BeckOK ZPO, Edition 16, § 511 Rn. 18, 18.24; im Ergebnis auch: MünchKommZPO/Krüger, 4. Aufl., § 544 Rn. 6; Zöller/Heßler, ZPO, 30. Aufl., § 26 EGZPO Rn. 14, 14a; Kessal-Wulf in BeckOK ZPO, Edition 16, § 544 Rn. 11; Prütting in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 544 Rn. 14; Ball in Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl., § 544 Rn. 6; HK-ZPO/Saenger, 6. Aufl., § 26 EGZPO Rn. 13; a.A.: Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 36. Aufl., § 26 EGZPO Rn. 15 und Gehle in Prütting/Gehrlein, ZPO, 7. Aufl., § 5 Rn. 20). Dabei können die Kommentierungen zur Zulässigkeit der Berufung gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO auch im Rahmen der Auslegung von § 26 Nr. 8 EGZPO berücksichtigt werden, da es nach beiden Vorschriften - im ersten Fall schon aufgrund des Wortlauts, im zweiten aufgrund der Auslegung durch die Rechtsprechung - auf den "Wert des Beschwerdegegenstandes" ankommt und in beiden Fällen maßgeblich ist, in welchem Umfang die Beseitigung der sich aus der angefochtenen Entscheidung ergebenden Belastung begehrt wird (vgl. nur , NJW-RR 2009, 853 Rn. 5 zur Berufung und , NJW 2002, 2720 f. zur Revision).
8d) Für die Addition der Beschwerdewerte spricht ferner, dass sie eine einheitliche Handhabung der Ermittlung der Beschwer für beide Seiten eines Prozesses bewirkt: Wenn bei einer Klage mehrerer Anleger gegen eine Bank oder Fondsgesellschaft im Fall der Verurteilung der Beschwerdewert der Beklagten ihrer gesamten Verurteilung entspricht, ohne nach den verschiedenen Klägern zu unterscheiden, profitiert die Beklagte von der gemeinsam erhobenen Klage, weil sie eine Überprüfung ihrer Verurteilung ermöglicht, die im Fall getrennter Klagen ausgeschlossen gewesen wäre. Dementsprechend muss auch im umgekehrten Fall der vollständigen Klageabweisung der Beschwerdewert der Kläger durch Addition ermittelt werden, um den Klägern eine Überprüfung des angefochtenen Urteils zu ermöglichen (vgl. BAG, BAGE 22, 383, 386).
9e) Schließlich entspricht die Addition der Beschwer einfacher Streitgenossen der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu § 546 ZPO in der bis zum geltenden Fassung (nachfolgend: aF), nach der in Rechtsstreitigkeiten über vermögensrechtliche Ansprüche, bei denen der Wert der Beschwer einen bestimmten Betrag überstieg, die Revision unabhängig von einer Zulassung durch das Oberlandesgericht statthaft war. Der Bundesgerichtshof ist davon ausgegangen, dass gemäß §§ 2, 5 ZPO bei subjektiver Klagehäufung die Beschwerdewerte der verschiedenen Streitgenossen zusammenzurechnen sind, sofern keine wirtschaftliche Identität vorliegt (vgl. , BGHZ 23, 333, 339; Beschluss vom - VI ZR 303/79, NJW 1981, 578 f.; Urteile vom - VIII ZR 111/80, WM 1981, 1255, 1256 und vom - V ZR 64/81, NJW 1983, 164 f.; Beschluss vom - IVa ZR 136/82, NJW 1984, 927, 928; Urteile vom - IVa ZR 88/88, NJW-RR 1989, 1206, vom - VIII ZR 41/96, NJW 1997, 1578, vom - V ZR 209/96, WM 1998, 402 f., vom - II ZR 146/96, WM 1998, 944, 945 [insoweit in BGHZ 138, 211 nicht abgedruckt] und vom - IX ZR 10/99, NJW 2000, 1643; Beschluss vom - I ZR 176/00, NJW 2001, 230, 231; Urteil vom - VII ZR 93/01, NJW-RR 2004, 303, 304). Das Bundesarbeitsgericht ist dem gefolgt (BAGE 22, 383, 385 f. und BAGE 45, 91, 98 f.). In den sämtlichen genannten Entscheidungen wurde nicht danach differenziert, ob es sich um einfache oder notwendige Streitgenossen handelte.
10§ 26 Nr. 8 EGZPO, der auf den "Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer" abstellt, weicht zwar insoweit von § 546 ZPO aF ab, als nicht mehr die Beschwer aus dem Berufungsurteil, sondern der Wert des Beschwerdegegenstandes aus dem beabsichtigten Revisionsverfahren maßgebend ist, so dass es nicht auf die Wertdifferenz zwischen dem in der Berufungsinstanz zuletzt gestellten Antrag und dem Tenor des Berufungsurteils, sondern den Umfang der nach dem Rechtsmittelantrag erstrebten Abänderung des angefochtenen Urteils ankommt (BGH, Beschlüsse vom - V ZR 148/02, NJW 2002, 2720 f., vom - IV ZR 154/02, NJW-RR 2003, 159, vom - VI ZR 418/02, NJW-RR 2004, 638, 639, vom - IX ZR 195/02, juris Rn. 10, 12, vom - IV ZR 214/04, NJW 2006, 1142, vom - VII ZR 131/05, NJW-RR 2006, 1097 Rn. 8 und vom - IV ZR 31/08, VersR 2009, 562 Rn. 5). Diese Änderung ist aber ohne Bedeutung für die Frage, ob für die Bestimmung des Wertes des Beschwerdegegenstandes aus dem beabsichtigten Revisionsverfahren im Fall einer von mehreren Streitgenossen eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde die Ansprüche dieser Streitgenossen, die weiterverfolgt werden, zusammenzurechnen sind.
112. Soweit der II. und der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes in zwei Fällen einfacher Streitgenossenschaft die Beschwer für jeden Beschwerdeführer gesondert ermittelt haben (BGH, Beschlüsse vom - II ZR 220/05, juris Rn. 1 und vom - XII ZR 124/12, juris Rn. 11 f.), haben beide Senate auf Anfrage erklärt, dass sie an dieser Rechtsauffassung nicht festhalten.
Ellenberger Maihold Matthias
Derstadt Dauber
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BB 2015 S. 2113 Nr. 36
NJW 2015 S. 2816 Nr. 38
NJW 2015 S. 8 Nr. 37
StBW 2015 S. 715 Nr. 18
WM 2015 S. 1669 Nr. 35
ZIP 2015 S. 1754 Nr. 36
ZIP 2015 S. 67 Nr. 35
XAAAF-01036