Strafverfahren wegen eines Tötungsdelikts: Feststellung verminderter Schuldfähigkeit infolge Alkoholkonsums
Gesetze: § 21 StGB, § 212 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO
Instanzenzug: LG Aachen Az: 52 Ks 401 Js 477/13 - 2/14
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags (Fall II. 2. der Urteilsgründe) und wegen gefährlicher Körperverletzung (Fall II. 1. der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt und den Vorwegvollzug von zwei Jahren und neun Monaten der "Freiheitsstrafe" vor der Maßregel angeordnet. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
21. Die Verfahrensrügen haben aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom keinen Erfolg.
32. Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuldspruch und zum Strafausspruch im Fall II. 1. der Urteilsgründe keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
43. Der Strafausspruch im Fall II. 2. der Urteilsgründe hält hingegen rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil die Strafkammer eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen hat.
5a) Das sachverständig beratene Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt eine "maximale Blutalkoholkonzentration von etwa 3 %o" (UA S. 13) bzw. eine errechnete "Blutalkoholkonzentration von 3,18 %o" (UA S. 47) aufgewiesen habe. Die Voraussetzungen des § 21 StGB hätten indes nicht vorgelegen, weil beim alkoholgewöhnten Angeklagten keinerlei auf Alkoholgenuss zurückzuführende Ausfallerscheinungen festgestellt werden konnten. Der Angeklagte sei zu zielgerichtetem Vorgehen in der Lage gewesen und hätte auch nach der Tat den Tatort "ohne Aufsehen zu erregen" verlassen können. Anhaltspunkte für Ausfallerscheinungen während der Tatausführung hätten sich nicht ergeben. Soweit ein Zeuge bekundet habe, der Angeklagte sei vor der Tat "'richtig voll'" und danach "noch immer betrunken, [...] 'nicht mehr zurechnungsfähig' und 'wie ein Tier'" (UA S. 48) gewesen, ist die Strafkammer dieser Einschätzung nicht gefolgt, zumal es dem Angeklagten gelungen sei, "ohne größere Probleme [...] die Wohnungstüre aufzuschließen und den Schlüssel in ein Schloss zu stecken bzw. ihn abzuziehen. Auch das Anziehen der Schuhe in hockender Position und angelehnt an die Wand" (UA S. 48) sei kein "Anhalt für eine hohe alkoholische Beeinflussung."
6b) Zwar gibt es keinen gesicherten Rechts- oder Erfahrungssatz, wonach ab einer bestimmten Höhe der Blutalkoholkonzentration ohne Rücksicht auf psychodiagnostische Beurteilungskriterien regelmäßig vom Vorliegen einer krankhaften seelischen Störung auszugehen ist. Bei einem Wert von über 2 % ist eine erhebliche Herabsetzung der Hemmungsfähigkeit aber je nach den Umständen des Einzelfalles in Betracht zu ziehen, naheliegend oder gar in hohem Maße wahrscheinlich (, BGHSt 43, 66, 75 f.; Beschluss vom - 5 StR 545/11, NStZ-RR 2012, 137). Bei Tötungsdelikten ist ab einer Blutalkoholkonzentration von 2,2 % eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit in Betracht zu ziehen (vgl. Senat, Beschluss vom - 2 StR 5/98, BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 35; weitere Nachweise bei Streng in Münchener Kommentar, StGB, 2. Aufl., § 20 Rn. 68).
7Für die Beantwortung der Frage, ob die Voraussetzungen des § 21 StGB gegeben sind, kommt es demnach - gesamtwürdigend - sowohl auf die Höhe der Blutalkoholkonzentration als auch auf die psychodiagnostischen Kriterien an (vgl. , BGHSt 43, 66, 75 f.). Dabei steht das Fehlen von Ausfallerscheinungen einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit nicht unbedingt entgegen; gerade bei - wie hier - alkoholgewöhnten Tätern können äußeres Leistungsverhalten und innere Steuerungsfähigkeit durchaus weit auseinander fallen (vgl. , NStZ 2007, 696; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 20 Rn. 23a, jeweils mwN). Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass die Feststellung, der Angeklagte habe nach der Rückkehr zur Wohnung keine Ausfallerscheinungen gezeigt, auf Angaben von Zeugen beruhen, die entweder ebenfalls dem Alkohol zugesprochen hatten oder unter dem Einfluss von Schmerzmitteln standen. Soweit sich die Urteilsgründe auf die Aussagen dieser Zeugen stützen, wären etwaige alkoholische bzw. medikamentöse Auswirkungen auf deren Wahrnehmung und Bewertung des Verhaltens des Angeklagten zu erörtern gewesen (vgl. , BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 41).
8Zudem lassen sich gewichtige psychodiagnostische Gegenindizien, die geeignet sein könnten, die Indizwirkung der Blutalkoholkonzentration für die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten zu relativieren, dem Urteil nicht ausreichend entnehmen. Die Wertung der Strafkammer, der Angeklagte habe sich situationsadäquat und zielgerichtet verhalten, steht vielmehr im Widerspruch zu den Feststellungen. Danach trägt bereits das Gesamtbild der Tatausführung deutliche Züge einer spontanen und unüberlegten Handlung.
9Der Senat kann ausschließen, dass der Angeklagte bei Begehung der Tat im Fall II.2. der Urteilsgründe schuldunfähig gewesen wäre, muss jedoch den Strafausspruch in diesem Fall aufheben.
104. Die Aufhebung des Einzelstrafausspruchs zu Fall II. 2. der Urteilsgründe hat die Aufhebung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe und der Entscheidung über die Dauer des Vorwegvollzuges der Gesamtfreiheitsstrafe vor der Maßregel zur Folge.
11Der Senat weist darauf hin, dass die Strafzumessungserwägung des Landgerichts, zu Lasten des Angeklagten zu werten sei, dass er "ohne Anlass zum wiederholten Male das Gespräch mit dem Geschädigten gesucht" habe (UA S. 51), rechtlichen Bedenken begegnet. Tatmodalitäten dürfen einem Angeklagten nur dann ohne Abstriche strafschärfend zur Last gelegt werden, wenn sie in vollem Umfang vorwerfbar sind, nicht aber, wenn ihre Ursache in einer von ihm nicht oder nur eingeschränkt zu vertretenen geistig-seelischen Beeinträchtigung liegt (vgl. Fischer, StGB, 62. Aufl., § 46 Rn. 32 mwN).
Krehl Eschelbach Ott
Zeng Bartel
Fundstelle(n):
NAAAE-98389