Kündigungsfrist - Günstigkeitsvergleich
Leitsatz
Eine vertragliche Kündigungsfrist kann sich gegen die maßgebliche gesetzliche Kündigungsfrist nur durchsetzen, wenn sie in jedem Fall zu einer späteren Beendigung des Arbeitsverhältnisses führt. Es genügt nicht, dass die vertragliche Regelung für die längere Zeit innerhalb eines Kalenderjahres den besseren Schutz gewährt.
Gesetze: § 622 Abs 2 S 1 Nr 7 BGB, § 622 Abs 4 S 2 BGB, § 622 Abs 5 S 3 BGB, § 140 BGB, § 4 S 1 KSchG
Instanzenzug: Az: 44 Ca 332/13 Urteilvorgehend LArbG Berlin-Brandenburg Az: 15 Sa 1552/13 15 Sa 1628/13 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.
2Die Beklagte erbringt medizinische Dienstleistungen im Bereich der Radiographie. Sie beschäftigte in ihrem Betrieb weitaus mehr als zehn Arbeitnehmer. Die Klägerin war bei ihr seit 1976 - zuletzt als Leiterin Qualitätssicherung - tätig. Im „Anstellungsvertrag für außertarifliche Angestellte“ vom (künftig: Arbeitsvertrag) heißt es in § 8 Nr. 1:
3Am vereinbarte die Beklagte mit dem bei ihr gebildeten Betriebsrat einen Interessenausgleich über eine geplante Betriebsschließung. Am entschied ihre Alleingesellschafterin, den Betrieb zum stillzulegen. Zu diesem Datum endete auch der Mietvertrag für das Betriebsgrundstück.
4Mit Schreiben vom , der Klägerin am selben Tag zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis „unter Wahrung der arbeitsvertraglichen Kündigungsfrist ordentlich zum “. Die Klägerin wies die Kündigung mit Schreiben vom mangels Vorlage einer Vollmachtsurkunde zurück.
5Mit der vorliegenden Klage hat die Klägerin sich rechtzeitig gegen die Kündigung gewandt. Sie hat mit Nichtwissen bestritten, dass das Kündigungsschreiben von der damaligen Geschäftsführerin der Beklagten unterzeichnet und die Anhörung des Betriebsrats am eingeleitet worden sei. Die Kündigung sei sozial nicht gerechtfertigt. Im Übrigen habe sie die Frist von sieben Monaten zum Ende eines Kalendermonats aus § 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 BGB wahren müssen. Eine Umdeutung in eine Kündigung zum komme nicht in Betracht.
6Die Klägerin hat sinngemäß beantragt
7Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, die Kündigung habe das Arbeitsverhältnis der Parteien zum aufgelöst. Die vertragliche Kündigungsfrist setze sich gegen die gesetzliche Regelung durch. Sie biete für die längere Zeit innerhalb eines Kalenderjahres den besseren Schutz.
8Das Arbeitsgericht hat festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung - erst - zum aufgelöst worden sei. Die dagegen eingelegte Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat es die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Feststellungsantrag weiter.
Gründe
9Die Revision ist teilweise begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zu Recht zurückgewiesen. Allerdings hätte es auch die Berufung der Beklagten zurückweisen müssen. Das Arbeitsgericht hat in der Sache zutreffend entschieden.
10A. Der Feststellungsantrag hat teilweise Erfolg. Die Kündigung wurde zwar mit zu kurzer Frist ausgesprochen (I.). Sie ist jedoch in eine solche zum richtigen Termin umzudeuten (II.).
11I. Die Kündigung konnte das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht mit einer Frist von sechs Monaten zum Halbjahresende auflösen. Die Beklagte musste die Frist des § 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 BGB von sieben Monaten zum Monatsende einhalten.
121. Die Parteien haben im Arbeitsvertrag eine vom Gesetz abweichende (konstitutive) Regelung getroffen. Die im März 2005 vereinbarte Kündigungsfrist entsprach nicht der angesichts einer Betriebszugehörigkeit von - weit - mehr als 20 Jahren schon seinerzeit einschlägigen Bestimmung des § 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 BGB. Im Übrigen sieht § 622 BGB keine Beschränkung der Kündigungstermine auf das Halbjahresende vor.
132. Eine einzelvertragliche Verkürzung der Fristen des § 622 Abs. 2 BGB ist - vorbehaltlich einer Abrede iSv. § 622 Abs. 4 Satz 2 BGB - nicht möglich. Zulässig ist gemäß § 622 Abs. 5 Satz 3 BGB allein die einzelvertragliche Vereinbarung längerer Kündigungsfristen als der in Abs. 2 der Norm vorgesehenen. Ob eine im Sinne des Gesetzes „längere“ Kündigungsfrist vereinbart wurde, ist durch einen Günstigkeitsvergleich zu ermitteln.
14a) Eine einzelvertragliche Regelung von Kündigungsfrist (hier sechs Monate) und Kündigungstermin (hier 30. Juni oder 31. Dezember) ist regelmäßig als Einheit zu betrachten. Für den Günstigkeitsvergleich zwischen vertraglicher und gesetzlicher Regelung ist deshalb grundsätzlich ein Gesamtvergleich (auch Ensemble- oder Gruppenvergleich) vorzunehmen (vgl. - zu II 3 b der Gründe, BAGE 98, 205). Eine isolierte Betrachtung der Kündigungsfrist kommt nur dann in Betracht, wenn die Parteien mit einer Beschränkung der Kündigungstermine besondere, eigenständige Ziele verfolgt haben (vgl. - zu II 3 a der Gründe, aaO). Das ist hier nicht der Fall.
15b) Vergleichszeitpunkt war im Streitfall der . An diesem Tag wurde die vertragliche Abrede getroffen und schon damals war § 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 BGB die für eine potentielle Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien einschlägige Vorschrift. Vertragsschluss und Zeitpunkt der erstmaligen Kollision mit dieser - vorbehaltlich der Regelungen des § 622 Abs. 4 BGB - halbzwingenden Norm fielen zusammen.
16aa) Entgegen einer im Schrifttum teilweise vertretenen Auffassung (vgl. KDZ/Zwanziger 9. Aufl. § 622 BGB Rn. 50) kann - was hier freilich zum selben Ergebnis führte - für den Günstigkeitsvergleich nicht auf den Zeitpunkt des Ausspruchs der konkreten Kündigung abgestellt werden. Vielmehr ist abstrakt die vertragliche Gesamtregelung auf ihre Vereinbarkeit mit den gesetzlichen Bestimmungen hin zu überprüfen (zutreffend APS/Linck 4. Aufl. § 622 BGB Rn. 182; Schaub/Linck ArbR-Hdb. 15. Aufl. § 126 Rn. 28). Spätestens mit dem Eintritt des Arbeitnehmers in die jeweilige „Stufe“ des § 622 Abs. 2 BGB muss feststehen, welche Regelung als die günstigere vorgehen wird. § 622 Abs. 2, Abs. 5 Satz 3 BGB besagt nicht, dass die im konkreten Fall längere Frist zur Anwendung gelangen müsste. Der Grundsatz, dass der Verwender sich nicht auf die Unwirksamkeit seiner eigenen Vertragsgestaltung berufen kann (vgl. - zu II 1 a der Gründe mwN), der für den Vergleich im konkreten Kündigungszeitpunkt sprechen könnte, gilt allein für die hier nicht in Rede stehende Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB. Auch dort führt er im Übrigen „nur“ dazu, dass eine Vertragsbestimmung vom Verwender in jedem Fall und vom Verwendungsgegner in keinem Fall zu beachten ist. Das steht grds. schon im Zeitpunkt des Vertragsschlusses fest.
17bb) Der Senat lässt offen, ob eine einheitliche, von der Dauer der Betriebszugehörigkeit unabhängige einzelvertragliche Kündigungsfrist solange Anwendungsvorrang genießen kann, bis sie schließlich mit einer für den Arbeitnehmer günstigeren Frist gemäß der Stufenregelung des § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB kollidiert (so Persch BB 2010, 181, 184 f.). Dafür spricht, dass es sich bei den einzelnen Stufen des Gesetzes um jeweils selbständige Bestimmungen handeln dürfte (vgl. - zu II 2 b der Gründe, BAGE 98, 205 für die Prüfung, ob eine Abweichung von der - jeweiligen - gesetzlichen Regelung vorliegt). Für einen solchen Anwendungsvorrang streitet auch, dass bei dem gesetzlich ausdrücklich normierten Günstigkeitsvergleich nach § 4 Abs. 3 TVG - erst - auf den Zeitpunkt der Kollision mit der betreffenden Tarifnorm abzustellen sein soll (vgl. -). Demgegenüber dürfte unerheblich sein, ob die Vertragsparteien mit einer einheitlichen, „starren“ Frist ein „Gesamtpaket“ aus einer anfangs längeren, zuletzt dafür kürzeren Frist als im Gesetz vorgesehen „schnüren“ wollten.
18c) Die einzelvertragliche Kombination einer kürzeren als der gesetzlich einschlägigen Kündigungsfrist mit eingeschränkten Kündigungsterminen (zB nur zum Quartals- oder Halbjahresende) setzt sich nicht schon dann gegen das Gesetz durch, wenn sie - wie hier in acht von zwölf Monaten - für die längere Zeit innerhalb eines Kalenderjahres den besseren Schutz gewährt (so aber Diller NZA 2000, 293, 296 mit ausführlichen Berechnungsbeispielen; vgl. tendenziell auch - zu II 3 e der Gründe, BAGE 98, 205).
19aa) Eine derartige Abrede ist nicht - stets - günstiger als die gesetzliche Regelung. Sie sieht sowohl längere als auch kürzere Fristen vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 4 Abs. 3 TVG können sich solche teils günstigeren, teils ungünstigeren Vereinbarungen jedenfalls gegen Tarifrecht nicht durchsetzen (vgl. - BAGE 24, 228; - 5 AZR 644/00 - zu II 4 b der Gründe).
20bb) Auch die Auslegung von § 622 BGB ergibt, dass in Abs. 2 der Vorschrift Mindestfristen bestimmt sind, die dem Arbeitnehmer - vorbehaltlich der Möglichkeiten des § 622 Abs. 4 BGB - ausnahmslos zur Verfügung stehen sollen. Für eine Durchschnittsbetrachtung bezogen auf ein Kalenderjahr gibt die Norm nichts her. Nach § 622 Abs. 5 Satz 3 BGB müssen einzelvertraglich vereinbarte Kündigungsfristen „länger“ und nicht „meistens länger“ sein. Das entspricht dem Zweck des Gesetzes. Der Fristenlauf soll dem Arbeitnehmer vor allem die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz während des - noch - fortbestehenden Arbeitsverhältnisses (vgl. § 629 BGB) und damit einen nahtlosen Übergang in eine Anschlussbeschäftigung ermöglichen (zu den Gesetzeszwecken vgl. im Einzelnen Kaiser FS Konzen 2006 S. 381, 385 ff.). Diese zeitlich begrenzte Schutzfunktion der Kündigungsfristen aktualisiert sich erst bei Ausspruch einer - wirksamen - Kündigung. Der Zweck dieses temporären Bestandsschutzes würde nur unvollkommen verwirklicht, wenn die Anwendung einer bloß „tendenziell“ günstigeren Regelung im konkreten Kündigungsfall zu einer das gesetzliche Mindestmaß unterschreitenden Frist führen könnte (so auch Lambrich Anm. zu - EzA § 622 BGB nF Nr. 63). Die Übergangsvorschrift in Art. 222 Nr. 1 EGBGB zum Gesetz zur Vereinheitlichung der Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten vom (BGBl. I S. 1668), mit dem § 622 BGB seine heutige Gestalt erhielt, unterstreicht, dass die gesetzlichen Mindestfristen bei jedem - dort: durch den Zugang der Kündigung bereits angebrochenen, aber noch nicht abgeschlossenen - „kündigungsrechtlichen Sachverhalt“ (vgl. BT-Drs. 12/4902 S. 9) zugunsten des Arbeitnehmers „voll effektiv“ werden sollen.
213. Die Beklagte hat nicht dargetan, dass ein einschlägiger Tarifvertrag iSv. § 622 Abs. 4 BGB existiert. Soweit sie in der Revision erstmals auf den Manteltarifvertrag für die chemische Industrie in den neuen Bundesländern und Berlin (Ost) vom in der Fassung vom abgehoben hat, hat sie zur Eröffnung seines persönlichen Anwendungsbereichs nicht vorgetragen. Das wäre erforderlich gewesen, weil die Klägerin unter Bezugnahme auf § 1 letzter Satz und § 2 Nr. 2, erster Halbsatz des Arbeitsvertrags eingewandt hatte, dass sie als „außertarifliche Angestellte“ nicht vom „MTV Chemie“ erfasst werde.
224. Da die vertragliche Kündigungsfrist sich im Vergleich mit der gesetzlichen Regelung nicht als durchweg länger erweist, musste die Beklagte gemäß § 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 BGB eine Frist von sieben Monaten zum Monatsende einhalten. Die zu wahrende Kündigungsfrist betrug nicht etwa sieben Monate zum Halbjahresende. Die Parteien wollten eingeschränkte Kündigungstermine nur im Verbund mit einer auf sechs Monate verkürzten Kündigungsfrist vereinbaren. Diesen Willen respektiert § 622 BGB. Auch insofern gilt, dass die Vorschrift lediglich Mindeststandards setzen möchte. Versteht man sie als Gebotsnorm, tritt eine für den Arbeitnehmer ungünstigere Vereinbarung insgesamt lediglich hintan, bleibt aber rechtlich als solche existent. Es gilt der Anwendungsvorrang des Gesetzes. Ordnet man § 622 Abs. 2 BGB als Verbotsnorm (§ 134 BGB) ein, ist die vertragliche Regelung in Gänze unwirksam (§ 139 BGB).
23II. Die Kündigung ist weder zum wirksam, noch ist sie als Willenserklärung insgesamt unwirksam. Sie kann in eine Kündigung zum umgedeutet werden (§ 140 BGB).
241. Eine Umdeutung ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil die zum erklärte Kündigung nach § 7 KSchG als von Anfang an rechtswirksam gälte (vgl. dazu - Rn. 30, BAGE 135, 255). Die Klägerin hat in der Frist des § 4 Satz 1 KSchG Klage erhoben und sich in den zeitlichen Grenzen des § 6 Satz 1 KSchG auf die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist berufen.
252. Es gibt keinen Anhalt dafür, dass die Beklagte eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausschließlich zum gewollt hätte. Die entsprechende Würdigung des Arbeitsgerichts ist ohne Rechtsfehler. Entgegen der Ansicht der Klägerin hindert die Überzeugung des Arbeitgebers, er habe mit zutreffender Frist gekündigt, nicht die Annahme, er hätte bei Kenntnis der objektiven Fehlerhaftigkeit der seiner Kündigung beigelegten Frist das Arbeitsverhältnis nicht fortsetzen, sondern zum nächstzulässigen Termin beenden wollen ( - Rn. 29, BAGE 135, 255).
263. Die Kündigung zum ist wirksam.
27a) Sie ist aufgrund der Betriebsstilllegung sozial gerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 2 KSchG. Die Klägerin hat die Ordnungsgemäßheit des Konsultationsverfahrens (§ 17 Abs. 2 KSchG) nicht bestritten. Ihre Rüge, die Massenentlassungsanzeige (§ 17 Abs. 3 KSchG) sei fehlerhaft, hat sie auf entsprechenden Vortrag der Beklagten nicht konkretisiert.
28b) Die Zurückweisung der Kündigung gemäß § 174 Satz 1 BGB ging - unabhängig von der Frage ihrer Rechtzeitigkeit (vgl. dazu - Rn. 126; - 6 AZR 354/10 - Rn. 33, BAGE 140, 64) - ins Leere. Der Klägerin musste keine Vollmachtsurkunde vorgelegt werden. Die Kündigung wurde aufgrund gesetzlicher Vertretungsmacht nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GmbHG erklärt (vgl. - Rn. 26). Das Landesarbeitsgericht ist ohne Rechtsfehler zu der Überzeugung gelangt, dass sie von der damaligen - alleinvertretungsberechtigten - Geschäftsführerin der Beklagten unterzeichnet war.
29aa) Der von der Revision mit Blick auf die Beweiswürdigung gerügte Denkfehler liegt nicht vor. Das Landesarbeitsgericht hat nicht gemeint, die Unterschrift unter der schriftlichen Beantwortung der Beweisfrage nach § 377 Abs. 3 ZPO müsse zwingend von der - als Zeugin vernommenen - vormaligen Geschäftsführerin der Beklagten stammen. Es war hiervon überzeugt. Das musste es nicht näher begründen. Gemäß § 286 Abs. 1 Satz 2 ZPO sind im Urteil lediglich die für die richterliche Überzeugungsbildung leitenden Gründe anzugeben (vgl. dazu - Rn. 40). Die Klägerin hat im Berufungsverfahren nicht bestritten, dass die Unterschrift auf dem Antwortschreiben von der Zeugin eigenhändig geleistet wurde. Für das Gegenteil bestanden auch keine Anhaltspunkte. Damit bedurfte es zu dieser Frage weder eines Beweises nach § 441 Abs. 2 ZPO noch gesonderter Ausführungen im Rahmen der Beweiswürdigung.
30bb) Aufgrund der schriftlichen Zeugenaussage und einer als echt anzusehenden Vergleichsunterschrift hat sich das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei die Überzeugung gebildet, dass die Unterschrift auf dem Kündigungsschreiben von der seinerzeitigen Geschäftsführerin der Beklagten stammte. Es entspricht allgemeiner Lebenserfahrung, dass eine Unterschrift nicht immer vollständig identisch geleistet wird, sondern eine gewisse Variationsbreite aufweist (vgl. nur - zu II 2 a der Gründe). Zudem war unter der Unterschrift auf dem Kündigungsschreiben der maschinenschriftliche Text „C W, Geschäftsführerin“ angebracht und ist nichts dafür ersichtlich, warum eine andere Person anstelle der Zeugin das Schreiben hätte unterzeichnen sollen. Die Klägerin verkennt, dass es für die von § 286 Abs. 1 ZPO geforderte Überzeugung des Gerichts keiner absoluten Sicherheit bedarf, sondern ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit genügt, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (st. Rspr., vgl. - Rn. 44; - Rn. 23).
31c) Der Betriebsrat wurde ordnungsgemäß angehört. Die Beklagte hat die Kündigung nicht vor Ablauf der Frist zur Stellungnahme nach § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG ausgesprochen.
32aa) Der Betriebsratsvorsitzende hat das Anhörungsschreiben am entgegen genommen. Das steht aufgrund einer ebenfalls rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts fest. Dieses hat in seinen Entscheidungsgründen zudem ausgeführt, dass die Klägerin den Zugang zuletzt - mit der Folge des § 138 Abs. 3 ZPO - „auch nicht mehr in Abrede gestellt“ habe. Seine Feststellung hätte nur mit einem erfolgreichen Berichtigungsantrag nach § 320 ZPO beseitigt werden können (vgl. - zu II 1 der Gründe; - Rn. 11).
33bb) Der Betriebsratsvorsitzende war zum Empfang des Anhörungsschreibens berechtigt (§ 26 Abs. 2 Satz 2 BetrVG). Soweit die Klägerin seine ordnungsgemäße Wahl bestritten hat, hat sie weder deren erfolgreiche Anfechtung analog § 19 BetrVG (vgl. - zu B II 2 der Gründe, BAGE 69, 228) noch das Vorliegen solch schwerwiegender und offensichtlicher Gesetzesverstöße behauptet, dass ausnahmsweise von einer nichtigen Wahl auszugehen wäre (vgl. Fitting BetrVG 27. Aufl. § 26 Rn. 60). Im Übrigen ist nicht ersichtlich, warum die Beklagte vom Fehlen einer Empfangsvollmacht des Betriebsratsvorsitzenden und deshalb von einer nicht ordnungsgemäßen Einleitung des Anhörungsverfahrens hätte ausgehen müssen (zur Problematik vgl. - zu B I 1 a und B I 2 a bb der Gründe).
34B. Der Leistungsantrag ist dem Senat nicht zur Entscheidung angefallen. Die Klägerin hat Weiterbeschäftigung nur bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung begehrt.
35C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, § 92 Abs. 1 ZPO. Das erstinstanzliche Schlussurteil war - trotz Zurückweisung beider Berufungen - gemäß § 308 Abs. 2 ZPO im Kostenpunkt zu korrigieren. Es hatte eine Gesamtentscheidung unter Einbeziehung der im Teilvergleich getroffenen Vereinbarung zu erfolgen.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2015:290115.U.2AZR280.14.0
Fundstelle(n):
BB 2015 S. 1338 Nr. 22
DB 2015 S. 1169 Nr. 20
DB 2015 S. 6 Nr. 18
NJW 2015 S. 2205 Nr. 30
NJW 2015 S. 8 Nr. 21
BAAAE-89055