BAG Urteil v. - 6 AZR 477/13

Abfindung nach dem MaßnahmenTV DRV KBS

Gesetze: § 1 TVG

Instanzenzug: Az: 14 Ca 382/11 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Hamburg Az: 8 Sa 83/12 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über eine Abfindung nach § 3 des Tarifvertrags über personalplanerische Maßnahmen bei der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See (künftig: MaßnahmenTV DRV KBS) vom idF des Änderungstarifvertrags vom .

2Die Klägerin war seit 1991 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fanden kraft beiderseitiger Tarifbindung die für die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See geltenden Tarifverträge Anwendung. Die Parteien beendeten das Arbeitsverhältnis einvernehmlich durch Auflösungsvertrag vom zum . Die Beendigung erfolgte vor dem Hintergrund des Umstands, dass die Klägerin zumindest während einer Raucherpause die Zeiterfassung nicht betätigt hatte, was die Beklagte als Arbeitszeitbetrug wertete. Eine Abfindungsregelung enthält der Vertrag nicht. Die Klägerin erhielt spätestens während ihrer Unterschrift unter den Vertrag auf ihre Nachfrage, ob ihr eine Abfindung nach dem MaßnahmenTV DRV KBS gezahlt werde, von der Beklagten die Auskunft, das sei nicht der Fall. Die Stelle der Klägerin wurde von der Beklagten zum nachbesetzt.

3Der MaßnahmenTV DRV KBS bestimmt auszugsweise:

4Mit ihrer am bei Gericht eingegangenen Klage begehrt die Klägerin - soweit für die Revisionsinstanz noch von Bedeutung - die Zahlung der höchstmöglichen Abfindung nach § 3 MaßnahmenTV DRV KBS von 25 Monatsbezügen in rechnerisch unstreitiger Höhe.

5Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, bei einer einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses bis zum sei nach § 3 MaßnahmenTV DRV KBS eine Abfindung zu zahlen. Weitere Anspruchsvoraussetzungen bestünden bei Beachtung des Wortlauts als Grenze der Auslegung nicht. Die der Beklagten durch § 9 MaßnahmenTV DRV KBS eingeräumte Wahl habe diese getroffen, indem sie den Aufhebungsvertrag mit der Klägerin, der eine Maßnahme im Sinne des § 3 Abs. 1 MaßnahmenTV DRV KBS sei, geschlossen habe. Dem generellen Bedürfnis zum Abbau personeller Kapazitäten und zur Senkung von Personalkosten, das dem Tarifvertrag zugrunde liege, werde auch dann Rechnung getragen, wenn sich der Arbeitgeber von einem Arbeitnehmer aus anderen Gründen trennen wolle. In diesem Fall kumulierten das konkrete Bedürfnis, das Arbeitsverhältnis mit einem bestimmten Arbeitnehmer aufzulösen, und das generelle Bedürfnis nach einem Personalabbau. Die Klägerin hat mit Nichtwissen bestritten, dass der Arbeitsplatz des Mitarbeiters, der ihre Stelle innehat, wiederbesetzt worden ist.

6Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

7Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags geltend gemacht, der MaßnahmenTV DRV KBS finde nur auf solche Aufhebungsverträge Anwendung, die zu den in der Präambel genannten Zwecken geschlossen würden. Das sei bei der Klägerin nicht der Fall gewesen.

8Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr auf die Berufung stattgegeben. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte unter Vertiefung und Wiederholung ihres bisherigen Vorbringens ihr Begehren auf Klageabweisung weiter.

Gründe

9I. Die Revision ist begründet. Der Klägerin steht keine Abfindung gemäß § 3 MaßnahmenTV DRV KBS zu. Es fehlt an der erforderlichen Entscheidung der Beklagten, das Arbeitsverhältnis einvernehmlich gegen Zahlung einer Abfindung als Maßnahme im Sinne des MaßnahmenTV DRV KBS zu beenden.

101. Die Klägerin wird gemäß § 1 MaßnahmenTV DRV KBS vom Geltungsbereich dieses Tarifvertrags erfasst.

112. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts und der Klägerin genügt es zur Entstehung des Anspruchs auf Abfindung nach § 3 MaßnahmenTV DRV KBS nicht, dass das Arbeitsverhältnis während der Geltungsdauer dieses Tarifvertrags einvernehmlich beendet wird. Voraussetzung für einen solchen Abfindungsanspruch ist vielmehr darüber hinaus, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis zum Zwecke des Personalabbaus bzw. zur Senkung von Personalkosten einvernehmlich unter Zahlung einer Abfindung als Maßnahme im Sinne des MaßnahmenTV DRV KBS beenden will (ebenso Thüringer Landesarbeitsgericht - 6 Sa 191/11 -; Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg - 24 Sa 2342/08 -). Diese Beschränkung ergibt sich aus der Auslegung des § 3 MaßnahmenTV DRV KBS unter Berücksichtigung des tariflichen Gesamtzusammenhangs.

12a) Entgegen der Auffassung der Klägerin kann § 3 MaßnahmenTV DRV KBS nicht isoliert betrachtet werden. Bei der Auslegung ist nicht allein der Wortlaut dieser Bestimmung, sondern auch und vor allem der tarifliche Gesamtzusammenhang, in dem sie steht, heranzuziehen. Nur so kann auf den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien geschlossen und nur unter Berücksichtigung dieses Zusammenhangs kann der Sinn und Zweck der Abfindungsregelung zutreffend ermittelt werden (vgl.  - Rn. 13). Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Tarifregelung führt (vgl.  - Rn. 17, BAGE 134, 184).

13b) Bei Heranziehung dieser Auslegungsmaßstäbe ergibt sich unter Berücksichtigung der Präambel und von § 9 MaßnahmenTV DRV KBS, dass entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts die Motive des Arbeitgebers, die ihn zur einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses bewegen, nicht unbeachtlich sind.

14aa) In der Präambel zum MaßnahmenTV DRV KBS haben die Tarifvertragsparteien klargestellt, dass die Beklagte als Trägerin der gesetzlichen Rentenversicherung mit den in diesem Tarifvertrag genannten Maßnahmen den erforderlichen Personalabbau umsetzen können soll (vgl. Hasse GdS Magazin 2007, 10). Ob und in welchem Umfang sie die tariflich eröffneten Instrumente tatsächlich anwendet, hängt jedoch allein von ihrer Entscheidung ab, vor der sie sich gemäß § 2 Abs. 1 MaßnahmenTV DRV KBS mit dem Personalrat ins Benehmen zu setzen hat. Dies ergibt sich aus § 9 MaßnahmenTV DRV KBS. Die Tarifvertragsparteien sind damit gerade nicht von dem von der Klägerin unterstellten „generellen Bedürfnis zum Personalabbau“ ausgegangen, dem durch einen voraussetzungslosen Anspruch auf Abfindung bei jeder einvernehmlichen Beendigung während der Laufzeit des Tarifvertrags Rechnung getragen werden sollte.

15bb) Entgegen der Auffassung der Klägerin macht die Beklagte darum nicht schon dann von einer Maßnahme nach § 3 des Tarifvertrags Gebrauch, wenn das Arbeitsverhältnis einvernehmlich beendet wird. Bietet die Beklagte einem Arbeitnehmer an, das Arbeitsverhältnis aus anderen Gründen als einem Personalabbau im Sinne des MaßnahmenTV DRV KBS und damit ohne Abfindung nach § 3 dieses Tarifvertrags zu beenden, und nimmt der Arbeitnehmer dieses Angebot an, fehlt es an der nach § 9 MaßnahmenTV DRV KBS erforderlichen Entscheidung der Beklagten.

16cc) § 3 MaßnahmenTV DRV KBS enthält, anders als das Landesarbeitsgericht angenommen hat, auch keine abschließenden, hier nicht einschlägigen Ausschluss- bzw. Reduzierungsregelungen. Die Regelungen zur Begrenzung der Höhe der Abfindung in § 3 Abs. 2 Satz 3, Abs. 4 und Abs. 8 MaßnahmenTV DRV KBS gelten erst und nur dann, wenn der Anspruch dem Grunde nach entstanden ist. Bei den in § 3 Abs. 5 und Abs. 6 MaßnahmenTV DRV KBS geregelten Tatbeständen scheidet die Maßnahme „Abfindung wegen einvernehmlicher Beendigung des Arbeitsverhältnisses“ nach dem Willen der Tarifvertragsparteien von vornherein aus. Insoweit haben sie das im Übrigen freie Ermessen der Beklagten nach § 9 MaßnahmenTV DRV KBS eingeschränkt, nicht jedoch die Beklagte verpflichtet, bei jeder anderen einvernehmlichen Beendigung eine Abfindung nach § 3 MaßnahmenTV DRV KBS zu zahlen.

17c) Ein Anspruch auf Abfindung nach § 3 Abs. 1 MaßnahmenTV DRV KBS entsteht demnach nur, wenn die Beklagte - entsprechend der Überschrift des § 9 des Tarifvertrags - einem Arbeitnehmer anbietet, das Arbeitsverhältnis zum Zwecke des Personalabbaus im Sinne des MaßnahmenTV DRV KBS gegen Zahlung einer Abfindung nach den tariflichen Maßstäben zu beenden oder wenn sie - entsprechend den Angaben unter I 5 bzw. II 6 auf Seite 4 bzw. 8 des Fragen- und Antwortenkatalogs (Stand Januar 2011) - einen Antrag des Arbeitnehmers, das Arbeitsverhältnis einvernehmlich unter Zahlung einer Abfindung nach dem MaßnahmenTV DRV KBS zu den aus der Präambel ersichtlichen Zwecken zu beenden, annimmt. Allein dieses Auslegungsergebnis ist vernünftig, sachgerecht, zweckorientiert und praktisch brauchbar.

18aa) Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts führt dieses Auslegungsergebnis nicht dazu, dass der Arbeitnehmer das außerhalb seines Erkenntnisbereichs liegende Risiko trägt, beweisen zu müssen, dass sein Ausscheiden eine von der Beklagten im Sinne von § 3 MaßnahmenTV DRV KBS gewollte Beendigung sei. Die Tarifvertragsparteien haben der Beklagten bei der Frage, ob sie eine Maßnahme nach § 3 MaßnahmenTV DRV KBS anwenden will, ein, wie ausgeführt, nur durch § 3 Abs. 5 und Abs. 6 MaßnahmenTV DRV KBS eingeschränktes, im Übrigen grundsätzlich freies Ermessen eingeräumt. Entscheidet sie sich gegen eine Maßnahme nach § 3 MaßnahmenTV DRV KBS und damit gegen eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses unter Zahlung der dort geregelten Abfindung, hat dies der Arbeitnehmer idR zu akzeptieren. Beweisprobleme stellen sich nicht.

19bb) Dagegen führte das Auslegungsergebnis des Landesarbeitsgerichts zu Problemen bei der praktischen Anwendung und im Übrigen zu geradezu widersinnigen Ergebnissen. Nach diesem Normverständnis könnte die Beklagte auch Aufhebungsverträge, die wie der vorliegende verhaltensbedingt sind oder auf die Initiative des Arbeitnehmers, zB wegen einer angestrebten beruflichen Veränderung, zurückgehen, nur dann ohne Abfindungsverpflichtung schließen, wenn die Tarifvertragsparteien einem solchen Abschluss zustimmen würden. In der Praxis führte das dazu, dass die Beklagte aufgrund der damit verbundenen Zeitverzögerung und organisatorischen Probleme vom Abschluss derartiger Aufhebungsverträge absehen würde. Dies hätte zur Folge, dass sie sich auch berechtigten Wünschen von Arbeitnehmern, das Arbeitsverhältnis aus privaten Gründen kurzfristig zu beenden, verschließen und sie auf eine Eigenkündigung verweisen würde. Das Instrument, verhaltensbedingte Aufhebungsverträge zu schließen und so gerichtliche Auseinandersetzungen im beiderseitigen Interesse zu vermeiden, wäre ihr im praktischen Ergebnis weitgehend genommen. Ein derart praxisfernes Ergebnis kann nicht Ziel der tariflichen Regelung sein und nicht dem Willen der Tarifvertragsparteien entsprechen. Dem lässt sich auch nicht mit dem Argument des Landesarbeitsgerichts begegnen, es sei Sache der Beklagten, dafür zu sorgen, dass der tarifliche Zweck des Personalabbaus erreicht werde. Ebenso wenig lässt sich dem mit der Klägerin entgegenhalten, auch ein Ausscheiden aus verhaltensbedingten Gründen führe zu einem Personalabbau. Diese Sichtweisen berücksichtigen nicht, dass es keineswegs zwingend ist, dass derartige Aufhebungsverträge Arbeitsplätze betreffen, die vom Personalabbau aus den in der Präambel des MaßnahmenTV DRV KBS genannten Gründen erfasst sind.

203. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist nicht zum Zwecke des Personalabbaus im Sinne des § 3 Abs. 1 MaßnahmenTV DRV KBS erfolgt, sondern unstreitig aufgrund eines Fehlverhaltens der Klägerin. Zudem wusste die Klägerin, dass die Beklagte nicht bereit war, eine Abfindung zu zahlen, hat den Aufhebungsvertrag aber gleichwohl unterschrieben. An diesem Vertrag und den daraus erwachsenden Konsequenzen muss sie sich festhalten lassen. Darauf hat bereits das Arbeitsgericht zutreffend hingewiesen. Unerheblich ist, ob die Stelle der Klägerin zumindest mittelbar nicht nachbesetzt worden ist.

21II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
EAAAE-84398