Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Anforderungen an die Fristen- und Postausgangskontrolle des Prozessbevollmächtigten
Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 520 Abs 2 ZPO
Instanzenzug: Brandenburgisches Az: 11 U 72/13vorgehend LG Frankfurt (Oder) Az: 12 O 231/12
Gründe
1I. Die Beklagte erstrebt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist.
2Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche aus einer Haftpflichtversicherung geltend. Das der Klage stattgebende Urteil des Landgerichts ist der Beklagten am zugestellt worden. Sie hat gegen das Urteil fristgerecht Berufung eingelegt. Das Oberlandesgericht hat die Berufungsbegründungsfrist bis zum , einem Samstag, verlängert. Mit Verfügung vom , der Beklagten am zugegangen, hat das Oberlandesgericht darauf hingewiesen, dass bis zum keine Berufungsbegründungsschrift eingereicht worden sei. Mit einem am beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz hat die Beklagte beantragt, ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
3Dazu hat sie ausgeführt, die Berufungsbegründung müsse auf dem Postweg verloren gegangen sein. Der sachbearbeitende Prozessbevollmächtigte habe den Schriftsatz am vor einer mehrtägigen Abwesenheit unterzeichnet und mit den Akten auf den in der Kanzlei für die ausgehende Post vorgesehenen Tisch gelegt. Auf dem zugehörigen Verfügungsblatt in den Akten habe seine Sekretärin seinem Diktat entsprechend handschriftlich verfügt, dass die Berufungsbegründungsschrift an das Oberlandesgericht zu versenden sei und ihm die Akten anschließend wieder vorzulegen seien. Eine namentlich nicht zu ermittelnde Kanzleimitarbeiterin habe den Schriftsatz kuvertiert, frankiert und in das auf demselben Tisch befindliche Postausgangsfach gelegt. Sodann habe diese Mitarbeiterin auf dem Verfügungsblatt neben der Versendungsverfügung das Datum "01.08." vermerkt. Im Fristenkalender sei die Berufungsbegründungsfrist wegen der Fertigung und Absendung der Berufungsbegründungsschrift gestrichen worden. Auf diese Weise werde fristgebundene Post in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten durchweg bearbeitet. Wie jeden Tag sei das Postausgangsfach geleert und die Post zur etwa 200 Meter entfernten Postfiliale gebracht worden. Bei Rückkehr des sachbearbeitenden Prozessbevollmächtigten am sei das Postausgangsfach leer gewesen. Er habe sich vor Ablauf des vergewissert, dass neben der Übersendungsverfügung in den Akten ein Datum vermerkt gewesen sei, dass sich die Berufungsbegründungsschrift nicht mehr in den Akten befunden habe und dass dort stattdessen eine für die Akten vorgesehene Abschrift eingeheftet gewesen sei.
4Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Rechtsbeschwerde.
5II. Die Rechtsbeschwerde ist nach den §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft, jedoch im Übrigen nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist insbesondere nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Das Berufungsgericht hat die in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entwickelten Anforderungen an die Organisation des Postausgangs in einer Anwaltskanzlei beachtet und nicht die Verfahrensgrundrechte der Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, indem es ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt hat.
61. Nach seiner Ansicht hat die Beklagte nicht glaubhaft gemacht, dass sie die Berufungsbegründungsfrist ohne Verschulden versäumt hat. Sie habe weder substantiiert vorgetragen noch glaubhaft gemacht, dass die Berufungsbegründungsschrift rechtzeitig am 1. oder in den Postlauf gelangt sei. Sie habe im Einzelnen darlegen und glaubhaft machen müssen, wann, von wem und in welcher Weise die Berufungsbegründungsschrift zur Post gegeben worden sei. Demgegenüber habe die Beklagte nur vorgetragen, dass ihr Prozessbevollmächtigter den Schriftsatz auf den für die ausgehende Post vorgesehenen Tisch gelegt habe. Wer den Schriftsatz kuvertiert, frankiert und in das Postausgangsfach gelegt habe, sei nicht aufklärbar. Es sei auch nicht dargelegt, wer dafür nach dem kanzleiinternen Organisationsplan zuständig gewesen sei und wer den Schriftsatz habe zur Post bringen müssen. Dass den Bürokräften der Prozessbevollmächtigten bei der Bearbeitung des Schriftsatzes ein Versehen unterlaufen sei, habe die Beklagte nicht vorgetragen. Das neben der Übersendungsverfügung vermerkte Datum "01.08.", die gestrichene Berufungsbegründungsfrist im Fristenkalender und die Beschaffenheit des Tisches, die ein Herunterfallen von Schriftstücken ausschließe, reichten nicht aus, um mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auszuschließen, dass die Berufungsbegründungsschrift weder in den Kanzleiräumen, noch auf dem Weg zur Postfiliale verloren gegangen sei. Jedenfalls sei ihr Vorbringen ungeeignet, ein Organisationsverschulden der Prozessbevollmächtigten der Beklagten auszuschließen. Es sei insbesondere nicht vorgetragen, dass für die Behandlung fristgebundener Post ausreichend zuverlässiges und regelmäßig überwachtes Personal mit abgegrenzten Aufgabenbereichen eingesetzt werde. Für ein Organisationsverschulden spreche vielmehr, dass die Prozessbevollmächtigten der Beklagten nach drei Wochen nicht mehr hätten aufklären können, wer die Berufungsbegründungsschrift postfertig gemacht habe.
72. Damit hat das Berufungsgericht die Anforderungen an die anwaltliche Sorgfaltspflicht bei Übermittlung fristgebundener Schriftsätze nicht überspannt. Es hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass die Beklagte nicht glaubhaft gemacht hat, dass die Ursache für die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist außerhalb eines ihr nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Anwaltsverschulden liegt.
8a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehört es zu den Aufgaben des Prozessbevollmächtigten, dafür zu sorgen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Der Prozessbevollmächtigte muss durch organisatorische Maßnahmen gewährleisten, dass für den Postversand vorgesehene Schriftstücke zuverlässig auf den Postweg gebracht werden (Senatsbeschlüsse vom - IV ZR 40/13, juris Rn. 9; vom - IV ZB 34/02, NJW-RR 2003, 862 unter II 1; vom - IV ZB 23/02, NJW-RR 2003, 569 unter II 1; , juris Rn. 8; Urteil vom - III ZR 148/00, VersR 2002, 380 unter II 1; jeweils m.w.N.). Zu diesem Zweck hat er eine Ausgangskontrolle zu organisieren, die einen gestuften Schutz gegen Fristversäumungen bietet (BGH, Beschlüsse vom - VIII ZB 38/14, WM 2014, 2388 Rn. 8 f.; vom - II ZB 23/12, juris Rn. 10). Zunächst muss der Rechtsanwalt sicherstellen, dass im Fristenkalender vermerkte Fristen erst dann gestrichen oder anderweitig als erledigt gekennzeichnet werden, wenn die fristwahrende Maßnahme tatsächlich durchgeführt, der Schriftsatz also gefertigt und versandfertig gemacht und die weitere Beförderung der ausgehenden Post organisatorisch zuverlässig vorbereitet worden ist (Senatsbeschluss vom aaO; BGH, Beschlüsse vom aaO Rn. 8; vom aaO Rn. 9; vom - VI ZB 78/11, VersR 2014, 645 Rn. 10; jeweils m.w.N. ). Vor dem Streichen der Frist hat sich die damit betraute Bürokraft anhand der Akten oder des postfertigen Schriftsatzes zu vergewissern, dass zweifelsfrei nichts weiter zu veranlassen ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom aaO; vom - XII ZB 109/04, NJW 2007, 3497 unter II 2 b; jeweils m.w.N.). Ferner gehört dazu die Anordnung des Rechtsanwalts, dass die Erledigung von fristgebundenen Schriftsätzen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders durch eine dazu beauftragte Bürokraft überprüft wird. Dabei muss gewährleistet sein, dass die Bürokraft nochmals und abschließend prüft, welche fristwahrenden Schriftsätze hergestellt, abgesandt oder zumindest versandfertig gemacht worden sind und ob diese mit den im Fristenkalender vermerkten Schriftsätzen übereinstimmen (BGH, Beschlüsse vom aaO Rn. 9 f.; vom - V ZB 1/00, VersR 2000, 1564).
9b) Gemessen daran hat die Beklagte nicht glaubhaft gemacht, dass die Ursache der Fristversäumnis außerhalb ihres Verantwortungsbereichs liegt. Sie hat die Möglichkeit nicht ausgeräumt, dass die Berufungsbegründung in der Kanzlei ihrer Prozessbevollmächtigten verloren gegangen ist, bevor sie dort versandfertig gemacht worden ist, und dass dies aufgrund unzureichender Kontrolle der ausgehenden Post nicht entdeckt worden ist.
10aa) Die Ausgangskontrolle in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Beklagten entspricht nicht den genannten Vorgaben. Eine Anordnung an die dortigen Bürokräfte, vor dem Streichen der Frist anhand der Akten oder des postfertigen Schriftsatzes zu überprüfen, dass zweifelsfrei nichts weiter zu veranlassen ist, hat die Beklagte nicht vorgetragen. Ihrem erkennbar auf den Einzelfall bezogenen Vortrag, die Berufungsbegründungsfrist sei wegen Fertigung und Absendung der Berufungsbegründungsschrift im Fristenkalender gelöscht worden, ist eine allgemeine Anweisung an die Bürokräfte nicht zu entnehmen. Zu einer nochmaligen abendlichen Fristenkontrolle in der Kanzlei ihrer Prozessbevollmächtigten hat die Beklagte ebenfalls nicht vorgetragen.
11bb) Der sachbearbeitende Prozessbevollmächtigte selbst hat die Bearbeitung der Berufungsbegründungsschrift nicht ausreichend kontrolliert. Es reicht nicht, dass er sich noch vor Ablauf des vergewisserte, dass das Datum "01.08." auf dem Verfügungsblatt in den Akten vermerkt war und sich anstelle des Originals der Berufungsbegründungsschrift das dafür vorgesehene Doppel in den Akten befand. Weder das auf dem Verfügungsblatt vermerkte Datum, noch das Fehlen des Originals der Berufungsbegründungsschrift oder das in den Akten abgeheftete Doppel lassen zweifelsfrei erkennen, dass die Berufungsbegründungsschrift tatsächlich postfertig in das Postausgangsfach der Kanzlei gelegt wurde.
12cc) Die unzureichende Kontrolle der ausgehenden Post ist ursächlich für die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gewesen. Es reicht aus, dass eine mögliche Ursächlichkeit für das Versäumen der Frist nicht ausgeräumt werden kann (vgl. Senatsbeschluss vom - IV ZB 17/00, VersR 2001, 85 unter 2). Das ist der Beklagten nicht gelungen. Hätten in der Kanzlei ihrer Prozessbevollmächtigten entsprechende Anordnungen zur Durchführung der beschriebenen Ausgangskontrolle bestanden, wäre bei ansonsten pflichtgemäßem Verhalten der zuständigen Bürokraft ein möglicher Fehler bei der Bearbeitung des Schriftsatzes innerhalb der Kanzlei aufgefallen.
13Die Ursächlichkeit entfällt auch nicht deswegen, weil die Berufungsbegründung trotz unzureichender Kontrolle ordnungsgemäß bearbeitet worden und in den Postausgang gelangt ist. Die Beklagte hat nicht glaubhaft gemacht, dass die Berufungsbegründung postfertig gemacht und tatsächlich zur Post gegeben wurde. Die vorgelegten Versicherungen an Eides statt des sachbearbeitenden Prozessbevollmächtigten und von dessen Sekretärin reichen nicht aus, weil beide nicht mit der Bearbeitung des Schriftsatzes betraut waren.
Mayen Felsch Harsdorf-Gebhardt
Dr. Karczewski Dr. Schoppmeyer
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CAAAE-83580