Anerkennung von Dienstzeiten im Konzern - Auslegung einer Betriebsvereinbarung
Gesetze: § 253 Abs 2 Nr 2 ZPO, § 256 Abs 1 ZPO, § 133 BGB
Instanzenzug: Az: 3 Ca 2674/12 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Düsseldorf Az: 17 Sa 135/13 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über die Anrechnung von Beschäftigungszeiten.
2Die Beklagte wurde zum als „F S C GmbH“ (FSC) gegründet. Anteilseigner zu jeweils 50 % waren zunächst die Firma F Ltd. (F) und die S AG (S). Zum übertrug S ihre Geschäftsanteile an der Beklagten vollständig auf F. Seitdem firmiert die Beklagte unter dem Namen „F T S GmbH“ (FTS).
3Der Kläger absolvierte bei S vom bis zum eine Berufsausbildung zum Energieanlagenelektroniker. Danach war er bis zum bei S und bei zu deren Konzern gehörenden Gesellschaften beschäftigt. Vom bis zum war der Kläger bei der a GmbH, einer nicht zum S-Konzern und nicht zum Konzern der Beklagten gehörenden Gesellschaft tätig. Seit dem ist er bei der Beklagten beschäftigt.
4In der Betriebsvereinbarung zur Dienstzeit vom zwischen der FSC und dem bei ihr bestehenden Gesamtbetriebsrat (GBV Dienstzeit 2001) heißt es ua.:
5In den Dienstzeitrichtlinien vom , Stand - Anhang zum 1. Nachtrag des ZP-Rundschreibens Nr. 14/99 vom - (Dienstzeitrichtlinien S) ist ua. geregelt:
6S und FSC schlossen unter dem ein sog. Gegenseitigkeitsabkommen unter der Überschrift „Firmenübertritte von S zur FSC und umgekehrt“, das unter dem mit inhaltlichen Änderungen verlängert worden ist (Gegenseitigkeitsabkommen 2006). Im Letztgenannten heißt es ua.:
7Im „1. Nachtrag zur Gesamtbetriebsvereinbarung zur Dienstzeit vom “, geschlossen am zwischen der Beklagten und dem bei ihr bestehenden Gesamtbetriebsrat (GBV Dienstzeit 2012) ist ua. bestimmt:
8Nachdem der Kläger im März 2008 erfolglos bei der Beklagten eine Dienstzeitfestsetzung ab dem wegen seiner Beschäftigung bei S beantragt hatte, verfolgt er sein Begehren mit seiner am beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage weiter.
9Er hat die Auffassung vertreten, seine Beschäftigungszeiten im S-Konzern seien als Dienstzeiten bei der Beklagten anzurechnen. Die Beklagte sei zur Abgabe einer entsprechenden Erklärung verpflichtet, hilfsweise sei die Anrechnung der Zeiten festzustellen. Da sich die Beklagte auf Verjährung berufe und Dienstzeiten auch bei Sozialplanabfindungen oder Abfindungsvergleichen von Bedeutung seien, habe er ein Feststellungsinteresse. Das Wort „sinngemäß“ in der GBV Dienstzeit 2001 könne nur dahin gehend verstanden werden, dass Vorbeschäftigungszeiten bei S und S-Gesellschaften anzuerkennen seien. Weil die Beklagte zumindest zu 50 % eine S-Gesellschaft gewesen sei, habe ein entsprechendes Interesse bestanden. Sinn und Zweck der GBV Dienstzeit 2001 sei, Wechsel aus dem S-Konzern zur Beklagten zu privilegieren. Die GBV Dienstzeit 2012 könne sich nicht zu seinen Lasten auswirken, da ihm durch die GBV Dienstzeit 2001 bereits schutzwürdige Rechtspositionen entstanden seien.
10Der Kläger hat zuletzt beantragt,
11Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Das Wort „sinngemäß“ in der GBV Dienstzeit 2001 bedeute, dass „S AG“ in den Dienstzeitrichtlinien durch die Firmenbezeichnung der Beklagten ersetzt werden müsse. Zudem sei ein eventueller Anspruch verwirkt und verjährt.
Gründe
12Die zulässige Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht zurückgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung seiner Beschäftigungszeiten bei S als Firmendienstzeit bei der Beklagten.
13A. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Der Hauptantrag (Leistungsantrag) sei unbegründet, da die Anerkennung bzw. Anrechnung von Dienstzeiten keine Willenserklärung und keine Handlung sei. Auch der Hilfsantrag (Feststellungsantrag) sei unbegründet. Mit dem Wort „sinngemäß“ in der GBV Dienstzeit 2001 werde zum Ausdruck gebracht, dass der ursprüngliche Sinn und Zweck der Regelung beibehalten werden solle. Sinn und Zweck sei die Begünstigung konzernangehöriger Arbeitnehmer. Eine sinngemäße Anwendung könne nur dahin gehen, dass bei der Beklagten nur Beschäftigungszeiten im eigenen Unternehmen bzw. Konzern oder unter bestimmten Voraussetzungen bei fremden Arbeitgebern anerkannt werden sollen.
14B. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand. Der geltend gemachte Anspruch besteht nicht.
15I. Der Antrag des Klägers ist in seiner Formulierung als Leistungsantrag (Hauptantrag) zulässig, aber unbegründet.
161. Der Leistungsantrag ist nach gebotener Auslegung hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
17a) Ein Leistungsantrag ist nur dann hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, wenn der Antrag und in der Folge ein stattgebendes Urteil die Leistung so genau bezeichnet, dass der Schuldner ohne Weiteres erkennen kann, durch welche Verhaltensweisen er dem Urteilsspruch nachkommen kann und das Urteil vollstreckungsfähig ist (vgl. ua. - Rn. 13; - 6 AZR 221/11 - Rn. 24; - 4 AZR 552/04 - Rn. 14). Für die Prüfung, ob ein Klageantrag ausreichend bestimmt ist, sind die Besonderheiten des anzuwendenden materiellen Rechts und die Umstände des Einzelfalls maßgeblich. Das zu schützende Interesse der Beklagten, sich gegen die Klage erschöpfend verteidigen zu können, sowie ihr Interesse an Rechtsklarheit und Rechtssicherheit der Entscheidungswirkungen ist mit dem ebenfalls schützenswerten Interesse des Klägers an wirksamem Rechtsschutz abzuwägen. Die prozessualen Anforderungen dürfen nicht überspannt werden (ua. - Rn. 24; - 10 AZR 283/10 - Rn. 14).
18Das Revisionsgericht hat prozessuale Willenserklärungen selbständig auszulegen. Maßgeblich sind die für Willenserklärungen des bürgerlichen Rechts entwickelten Grundsätze. Entsprechend § 133 BGB ist nicht am buchstäblichen Sinn des in der Prozesserklärung gewählten Ausdrucks zu haften, sondern der in der Erklärung verkörperte Wille zu ermitteln. Im Zweifel sind Prozesserklärungen dahin auszulegen, dass das gewollt ist, was aus der Sicht der Prozesspartei nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht. Die schutzwürdigen Belange des Erklärungsadressaten sind zu berücksichtigen (ua. - Rn. 27; - 6 AZR 221/11 - Rn. 29 mwN).
19b) Gemessen daran ist der Hauptantrag des Klägers dahin gehend zu verstehen, dass die Beklagte verurteilt werden soll, die im Antrag hinreichend genau bezeichneten Beschäftigungszeiten des Klägers nach dem „Verfahren der Dienstzeitfestsetzung“ (Ziffer 8 Dienstzeitrichtlinien S) wie von ihm beantragt festzusetzen und ihm entsprechend mitzuteilen. Dabei ist der im Antrag des Klägers enthaltene Begriff „anzuerkennen“ nicht auf die Abgabe einer Willenserklärung gerichtet, sondern damit ist das in den Dienstzeitrichtlinien S vorgegebene Festsetzungsverfahren gemeint, für das in diesen Richtlinien die Worte „Festsetzung“ und „Anerkennung“ synonym verwendet werden. Diese synonyme Verwendung zeigt sich ua. in der Ziffer 8.2.1 Dienstzeitrichtlinien S („Nachweis anzuerkennender Zeiten“ und „Ohne Nachweis erfolgt keine Anerkennung“) und der Ziffer 8.2.2 Dienstzeitrichtlinien S („Nach Ablauf der Frist … eingereichte Zeiten werden nicht mehr anerkannt“).
202. In der Sache bleibt der Hauptantrag ohne Erfolg.
21a) Betriebsvereinbarungen sind wegen ihres normativen Charakters wie Tarifverträge und Gesetze auszulegen. Auszugehen ist danach vom Wortlaut der Bestimmung und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Insbesondere bei unbestimmtem Wortsinn sind der wirkliche Wille der Betriebsparteien und der von ihnen beabsichtigte Zweck zu berücksichtigen, sofern und soweit sie im Text ihren Niederschlag gefunden haben. Abzustellen ist ferner auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Regelungen. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Bestimmung führt (vgl. - Rn. 24; - 7 AZR 557/11 - Rn. 25 mwN).
22b) Danach besteht kein Anspruch des Klägers auf Anerkennung seiner Beschäftigung bei S im Zeitraum vom bis zum als Firmendienstzeit bei der Beklagten.
23aa) Für die durch die GBV Dienstzeit 2001 herbeigeführte Anwendung der Dienstzeitrichtlinien S bei der Beklagten ergibt sich aus dem Wortlaut von Ziffer 1 und Ziffer 2 der GBV Dienstzeit 2001, dass die Anwendung der Dienstzeitrichtlinien S „sinngemäß“ erfolgt.
24bb) Eine sinngemäße Anwendung der Dienstzeitrichtlinien S bei der Beklagten bedeutet, dass in den darin enthaltenen Regelungen die wörtlichen Bezüge auf „S“ durch den Namen der Beklagten zu ersetzen sind. Demnach besteht kein Anspruch auf Anerkennung der Vorbeschäftigungszeiten des Klägers, da sie im S Konzern und nicht im Konzern der Beklagten erbracht worden sind.
25(1) Sinngemäß bedeutet, dass die Anwendung „nicht (wort)wörtlich“ (Wahrig Deutsches Wörterbuch 9. Aufl. S. 1361; Duden Das Synonymwörterbuch 5. Aufl. S. 823; Knaurs Lexikon der sinnverwandten Wörter S. 445), sondern „entsprechend“ (Wahrig aaO), nämlich „dem Inhalt nach“ (Duden Deutsches Universalwörterbuch 5. Aufl. S. 1457) erfolgt.
26(2) Eine „durchgehend wörtliche“ Anwendung wäre nicht sachgerecht, sie würde den Zweck verfehlen.
27(a) Durchgehend wörtlich angewandt hätten die Dienstzeitrichtlinien S keinen Anwendungsbereich bei der Beklagten.
28(aa) Dies zeigt sich bereits in Ziffer 1 (Einführung), wo es heißt, dass sich die Anerkennung „als Firmendienstzeit“ auf die „aktuelle Beschäftigung bei der S AG“ bezieht.
29(bb) Sehr deutlich wird der Ausschluss einer durchgehend wörtlichen Anwendung an den Verfahrensvorschriften (Ziffer 8 der Dienstzeitrichtlinien S). Diese beziehen sich auf den Zeitpunkt „bei Eintritt in die S AG“. Bei wörtlicher Anwendung könnte die Verfahrensvoraussetzung „bei Eintritt in die S AG“ durch einen Eintritt in ein Arbeitsverhältnis bei der Beklagten nicht erfüllt werden.
30(b) Die Betriebsparteien haben eine Regelung zur Anerkennung von Beschäftigungszeiten als Dienstzeiten bei der Beklagten schaffen wollen, eine Anerkennung von Dienstzeiten bei S konnten sie nicht regeln und wollten es auch nicht.
31(3) Eine sinngemäße Anwendung führt nicht zu einem „selektiven“ Austausch der wörtlichen Bezüge auf „S“ durch den Namen der Beklagten.
32(a) Eine solche Lesart entspricht offenbar der Auffassung des Klägers. Danach würden alle Bezüge über die Herkunft anzuerkennender Beschäftigungszeiten unberührt bleiben, ausgetauscht würden hingegen alle Bezüge auf den anerkennenden Arbeitgeber.
33(b) Dafür gibt es jedoch keinen Anhaltspunkt im Wortlaut der Regelung. Wenn die Parteien der Gesamtbetriebsvereinbarung ein solch „gespaltenes“ Verständnis von „sinngemäß“ hätten regeln wollen, hätten sie es zum Ausdruck gebracht. Das ist nicht erfolgt.
34(c) Dass den Parteien der Gesamtbetriebsvereinbarung, die die Anerkennung von Firmendienstzeiten erkennbar umfassend regeln wollten, ein solches Verständnis auch nicht ohne spezielle Regelung im Wortlaut unterstellt werden kann, zeigen die teilweise „paradoxen“ Ergebnisse einer solchen Lesart - wie sie der Kläger vorschlägt - im Gesamtzusammenhang der Gesamtbetriebsvereinbarung: Beispielsweise wäre nicht geregelt, dass bei der Beklagten bei einer Übernahme nach der Ausbildung Ausbildungszeiten als Firmendienstzeit anzurechnen sind, hingegen wären Ausbildungszeiten anzurechnen, die bei S verbracht worden sind (Ziffer 2 der Dienstzeitrichtlinien S). Ähnliches würde für Umschulungszeiten gelten, die außerhalb eines Beschäftigungsverhältnisses erbracht worden sind. Eine bei S verbrachte Umschulung wäre bei der Beklagten für den Stichtag Firmenzugehörigkeit anzurechnen (Ziffer 2 der Dienstzeitrichtlinien S), hingegen fehlte eine Regelung zu bei der Beklagten selbst verbrachten Umschulungszeiten. Zeiten bei inländischen S-Gesellschaften und der S AG würden nach bestimmten Maßgaben anerkannt (Ziffer 6.1 der Dienstzeitrichtlinien S), für Zeiten bei inländischen Gesellschaften der Beklagten wäre keine Regelung erfolgt.
35(4) Eine sinngemäße, entsprechende Anwendung führt zu einem vollständigen Austausch der wörtlichen Bezüge auf „S“ durch den Namen der Beklagten. Dadurch wird sie ihrem Inhalt nach angewendet. Nur diese Lesart wird dem Wortlaut der schlichten, keine weiteren Vorgaben enthaltenden Regelung der „sinngemäßen“ Anwendung in Ziffer 1 und Ziffer 2 der GBV Dienstzeit 2001 gerecht.
36Bestätigt wird diese Lesart durch die Regelung in Ziffer 2a des Gegenseitigkeitsabkommens 2006 zur Anerkennung von Zeiten bei S im Wege einzelvertraglicher Sonderregelungen und auch durch den Inhalt der GBV Dienstzeit 2012.
37c) Auf Verjährung, Verwirkung und die Verfahrensrügen des Klägers kommt es nicht mehr an, da schon dem Grunde nach kein Anspruch auf Anerkennung der Vorbeschäftigungszeiten besteht.
38II. Der Hilfsantrag (Feststellungsantrag), der im Verhältnis zum Hauptantrag (Leistungsantrag) inhaltlich deckungsgleich, dasselbe Rechtsverhältnis betreffend formuliert ist, ist angesichts des Vorrangs der Leistungsklage unzulässig. Ein weiter gehendes Feststellungsinteresse iSv. § 256 Abs. 1 ZPO ist nicht ersichtlich.
39III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
AAAAE-82710