Freizeitausgleich nach § 2 Abs. 3 Pkw-Fahrer-TV-L
Gesetze: § 1 TVG, § 7 Abs 7 TV-L
Instanzenzug: Az: 10 Ca 204/12 Ö Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Niedersachsen Az: 11 Sa 48/13 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über die Gewährung von 22,75 Stunden Freizeitausgleich für Überstunden.
2Der Kläger trat 1990 in die Dienste des beklagten Landes und war zuletzt als Fahrer bei der Zentralen Polizeidirektion N beschäftigt. Arbeitsvertraglich ist die Anwendung des Manteltarifvertrags für Arbeiter der Länder (MTL II) vom und der diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge sowie die für den Arbeitgeber jeweils geltenden sonstigen Tarifverträge vereinbart.
3Der Pkw-Fahrer-TV-L lautet, soweit hier von Interesse, auszugsweise:
4Der Kläger war entsprechend seiner Monatsarbeitszeit der Pauschalgruppe IV zugeordnet. Im Zeitraum von November 2010 bis Januar 2011 leistete er insgesamt 78,47 Überstunden. Als Ausgleich hierfür erteilte ihm das beklagte Land im Frühjahr 2011 sieben Tage Freizeit.
5Der Kläger hat die Auffassung vertreten, für den Ausgleich der Überstunden sei gemäß der Protokollerklärung zu § 2 Pkw-Fahrer-TV-L die regelmäßige Arbeitszeit nach § 6 Abs. 1 TV-L maßgeblich. Diese betrage täglich 7,96 Stunden. Daher würden durch einen Tag Freizeitausgleich nur 7,96 Überstunden abgebaut. Er könne deshalb einen weiteren Freizeitausgleich im Umfang von 22,75 Stunden verlangen.
6Der Kläger hat - soweit für das Revisionsverfahren noch relevant - beantragt,
7Das beklagte Land hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, für einen Tag Freizeitausgleich seien in der für den Kläger maßgeblichen Pauschalgruppe IV gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 iVm. § 3 Abs. 3 Buchst. a Pkw-Fahrer-TV-L 11,65 Stunden anzusetzen.
8Das Arbeitsgericht hat der Klage im hier noch streitigen Umfang stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie auf die Berufung des beklagten Landes abgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils.
Gründe
9Die zulässige Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen das beklagte Land auf weiteren Freizeitausgleich im Umfang von 22,75 Stunden.
10I. Die Klage ist zulässig. Der Antrag ist dahin gehend auszulegen, das beklagte Land zu verurteilen, dem Kläger Freizeit im Umfang von weiteren 22,75 Stunden zum Ausgleich für sämtliche in den Monaten November 2010 bis Januar 2011 geleisteten Überstunden zu erteilen. Dieses Antragsverständnis hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt. In dieser Auslegung ist der Klageantrag hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
11II. Die Klage ist unbegründet. Der Anspruch des Klägers aus § 2 Abs. 3 Satz 1 Pkw-Fahrer-TV-L auf Freizeitausgleich für die im Zeitraum von November 2010 bis Januar 2011 geleisteten 78,47 Überstunden ist nach § 362 Abs. 1 BGB erloschen. Dem Kläger stand für je 11,65 Überstunden ein Tag Freizeitausgleich zu. Indem das beklagte Land dem Kläger sieben Tage Freizeitausgleich gewährte, hat es den Anspruch des Klägers erfüllt.
121. Der Pkw-Fahrer-TV-L findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme Anwendung. Zu den „für den Arbeitgeber jeweils geltenden sonstigen Tarifverträgen“, nach denen sich das Arbeitsverhältnis gemäß § 2 des Arbeitsvertrags richtet, zählte bei Vertragsschluss der Pkw-Fahrer-TV-L vom , der durch den am in Kraft getretenen Pkw-Fahrer-TV-L vom ersetzt wurde.
132. Nach § 2 Abs. 3 Satz 1 iVm. § 3 Abs. 3 Buchst. a Pkw-Fahrer-TV-L kann der Kläger als Fahrer der Pauschalgruppe IV für 11,65 Überstunden einen Tag Freizeitausgleich verlangen.
14a) Nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 3 Satz 1 Pkw-Fahrer-TV-L, von dem bei der Auslegung vorrangig auszugehen ist (st. Rspr., vgl. zB - Rn. 14), sind die Stunden, die über 268 Stunden hinausgehen, durch „Erteilung entsprechender Freizeit“ auszugleichen. Die „entsprechende Freizeit“ bezieht sich auf die „Stunden, die über 268 Stunden hinausgehen“. Damit ordnet der Tarifvertrag für die über die höchstzulässige Arbeitszeit hinausgehenden Stunden einen Freizeitausgleich im Verhältnis 1:1 an.
15b) § 2 Abs. 3 Satz 1 Pkw-Fahrer-TV-L ist jedoch nicht zu entnehmen, wie viele Stunden ein ganzer Tag Freizeitausgleich umfasst. Dies ergibt sich aus § 3 Abs. 3 Buchst. a Pkw-Fahrer-TV-L. Danach sind im Falle eines ganztägigen Freizeitausgleichs nach § 2 Abs. 3 Satz 1 Pkw-Fahrer-TV-L für jeden Arbeitstag bei einer Verteilung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit auf fünf Werktage bei Fahrern der Pauschalgruppe IV 11,65 Stunden anzusetzen. Diese beiden aufeinander aufbauenden und im unmittelbaren systematischen Zusammenhang stehenden Tarifvorschriften bezwecken einen Gleichlauf von durchschnittlicher täglicher Arbeitszeit und ganztägigem Freizeitausgleich. Durch die bezahlte Freistellung soll der Fahrer unter Berücksichtigung des in § 2 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 Pkw-Fahrer-TV-L vorgesehenen Zeitzuschlags für Überstunden als Äquivalent für einen Tag geleistete Überstunden einen Tag Freizeitausgleich zuzüglich des Überstundenzuschlags nach § 8 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a TV-L erhalten (vgl. Breier/Dassau/Kiefer/Thivessen TV-L Stand Juli 2014 Pkw-Fahrer-TV-L § 2 Rn. 11).
163. Diesem Tarifverständnis steht Satz 1 der Protokollerklärung zu § 2 Pkw-Fahrer-TV-L nicht entgegen. Mit dem Hinweis, die regelmäßige Arbeitszeit des Fahrers nach § 6 Abs. 1 TV-L bleibe unberührt, stellt die Protokollerklärung lediglich klar, dass die regelmäßige tarifliche Arbeitszeit grundsätzlich auch für die Fahrer gilt. Hiervon ausgehend haben die Tarifvertragsparteien mit § 2 Pkw-Fahrer-TV-L im Oktober 2006 erstmalig eine tarifliche „Opt-out“-Regelung, dh. eine abweichende Vereinbarung iSd. § 7 Abs. 2a iVm. § 7 Abs. 7 ArbZG getroffen. Dies war erforderlich geworden, weil die entsprechenden Arbeitszeitregelungen in den früheren Tarifverträgen gemäß § 25 Satz 1 ArbZG ab dem nicht mehr anwendbar waren. Die jetzige Tarifregelung sieht vor, dass bei schriftlicher Einwilligung des Fahrers die höchstzulässige Arbeitszeit dauerhaft auf bis zu 15 Stunden täglich ohne Ausgleich verlängert werden kann, wenn geeignete Maßnahmen zur Gewährleistung des Gesundheitsschutzes getroffen sind. Diese sind in § 2 Abs. 2 Satz 2 Pkw-Fahrer-TV-L nicht abschließend aufgeführt. Zugleich ist die höchstzulässige Arbeitszeit im Kalendermonat auf 268 bzw. 272,5 Stunden begrenzt.
174. Soweit der Kläger zur Begründung seiner Klage geltend macht, ein Fahrer in der Pauschalgruppe IV erhalte selbst in der höchsten Stufe weniger für eine Überstunde als nach dem TV-L, berücksichtigt er nicht, dass die Tarifvertragsparteien des Pkw-Fahrer-TV-L im Rahmen der ihnen zustehenden Gestaltungsfreiheit ein eigenständiges Vergütungssystem geschaffen haben. So werden die Fahrer entsprechend ihrer Monatsarbeitszeit Pauschalgruppen zugeordnet. Nach § 4 Pkw-Fahrer-TV-L erhalten sie ein Pauschalentgelt, dessen Höhe sich nach der durchschnittlichen Monatsarbeitszeit im vorangegangenen Kalenderhalbjahr in der jeweiligen Pauschalgruppe bemisst und mit dem das Tabellenentgelt sowie das Entgelt für Überstunden sowie die Zeitzuschläge hierfür abgegolten sind. Der zusätzliche Überstundenausgleich nach § 2 Abs. 3 Satz 1 Pkw-Fahrer-TV-L erfasst damit nicht Überstunden iSd. § 7 Abs. 7 TV-L, sondern beschränkt sich auf die Überstunden, die ausnahmsweise „über 268 beziehungsweise 272,5 Stunden hinausgehen“. Nur für diese Überstunden ist daneben der 30 %ige Zeitzuschlag nach § 8 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a TV-L zu zahlen.
185. Der von der Revision geforderte Rückgriff auf die regelmäßige tarifliche Arbeitszeit nach § 6 TV-L im Rahmen des Überstundenausgleichs nach § 2 Abs. 3 Satz 1 Pkw-Fahrer-TV-L steht nicht im Einklang mit dieser besonderen tariflichen Überstundenregelung. Er hätte zur Folge, dass ein Vergütungsanspruch für 11,65 Stunden als Gegenleistung für nur 7,96 geleistete Überstunden entstünde. Das widerspricht ersichtlich der Tarifsystematik. Der Kläger berücksichtigt zudem nicht genügend, dass in § 3 Abs. 5 Pkw-Fahrer-TV-L der gegenüber den Pauschalen nach § 3 Abs. 3 Pkw-Fahrer-TV-L niedrigere Ansatz der regelmäßigen tariflichen Arbeitszeit nach § 6 TV-L ausdrücklich auf zwei Fälle (Arbeitsbefreiung und Beurlaubung) beschränkt ist, in denen kein unabdingbarer Entgeltanspruch besteht. Aufgrund des Ausnahmecharakters der Regelung in § 3 Abs. 5 Pkw-Fahrer-TV-L und des aufgezeigten tariflichen Gesamtzusammenhangs verbietet sich ihre Übertragung auf die Abgeltung von Überstunden durch Freizeitausgleich nach § 2 Abs. 3 Satz 1 Pkw-Fahrer-TV-L.
196. Der vom Kläger verlangte weitere Freizeitausgleich ergibt sich auch nicht daraus, dass das beklagte Land die Frist des § 2 Abs. 3 Satz 1 Pkw-Fahrer-TV-L, wonach die über 268 Stunden hinausgehenden Arbeitsstunden im Laufe des kommenden oder des darauf folgenden Monats durch Erteilung entsprechender Freizeit auszugleichen sind, nicht beachtet hat. Eine derartige Rechtsfolge sieht der Tarifvertrag für den Fall der Fristüberschreitung nicht vor.
20III. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
OAAAE-82270