Instanzenzug: S 31 R 151/12
Gründe:
1Mit Urteil vom hat das Hessische LSG einen Anspruch des Klägers auf rentensteigernde Berücksichtigung der vom bis entrichteten Arbeitgeberbeiträge bei Berechnung seiner Regelaltersrente abgelehnt.
2Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde zum BSG eingelegt. Er beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und auf Rechtsprechungsabweichung (Divergenz).
3Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.
4Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG),
- das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder
- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).
5Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 S 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
6Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).
7Der Kläger hält die Frage für grundsätzlich bedeutsam,
"ob sich der Beitrag, den Arbeitgeber gem. § 172 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI bei der Beschäftigung eines Beziehers einer Vollrente wegen Alters zu entrichten haben, rentenerhöhend für diesen Altersrentner auswirkt?"
8Es bedürfe auch der Klärung,
"inwieweit durch die Neuregelung des § 76 d SGB VI auch bei Altersrentnern ein Zuschlag von Entgeltpunkten zu erfolgen hat, wenn Arbeitgeber Beiträge für sie gemäß § 172 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI abführen."
9Mit diesen Fragen hat der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargetan. Er hat jeweils keine abstrakt-generelle Rechtsfrage zum Inhalt oder Anwendungsbereich einer revisiblen Norm (§ 162 SGG) gestellt. Insbesondere lässt er offen, welches gesetzliche Tatbestandsmerkmal welcher Normen ausgelegt werden soll, um die Rechtseinheit zu wahren oder das Recht fortzubilden. Es ist nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts, die Beschwerdebegründung darauf zu analysieren, ob sich ihr eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung entnehmen ließe (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 26 S 48).
10Zudem fehlt es an ausreichenden Darlegungen zur Klärungsbedürftigkeit. Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG zu diesem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass das BSG zu diesem Fragenbereich noch keine Entscheidung gefällt oder durch die schon vorliegenden Urteile die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet hat (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, Kap IX RdNr 183 mwN).
11Hieran fehlt es. Der Kläger benennt keine höchstrichterliche Rechtsprechung zu der aufgeworfenen Problematik. Er versäumt es insbesondere aufzuzeigen, ob und inwieweit die höchstrichterliche Rechtsprechung zur angesprochenen Frage bereits Rechtsgrundsätze herausgearbeitet hat, dass sich die aufgeworfene Frage damit nicht beantworten lässt und inwiefern die bereits bestehenden Rechtsgrundsätze für die Entscheidung des Rechtsstreits erweitert, geändert oder ausgestaltet werden müssen.
12Auch die Klärungsfähigkeit ist nicht ausreichend dargelegt. Hierzu hätte der Kläger erläutern müssen, dass gerade ausgehend von dem vom LSG für das Revisionsgericht verbindlich festgestellten Sachverhalt (§ 163 SGG) im künftigen Revisionsverfahren notwendig über die aufgeworfene Frage zu entscheiden sein wird und an welcher konkreten Stelle der vorzunehmenden rechtlichen Prüfung dies zu geschehen hat. Die Begründung schweigt aber bereits dazu, ob sich der von ihr mitgeteilte Sachverhalt überhaupt auf den vom LSG festgestellten berufen will und ggf mit diesem ganz oder teilweise identisch ist. Da jedenfalls die bloße Mitteilung eines ohne Herkunftsangabe in der Beschwerdebegründung selbst formulierten Sachverhalts nicht geeignet ist, die mangelnde Bezeichnung des vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalts zu kompensieren und es andererseits nicht dem Beschwerdegericht obliegt, das angegriffene Urteil selbst nach einschlägigen Feststellungen zu durchsuchen, ist eine Beurteilung der potenziellen Entscheidungsrelevanz der Rechtsfrage schon deshalb von vornherein ausgeschlossen.
13Die Divergenzrüge hat ebenfalls keinen Erfolg. Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass das angefochtene Urteil auf der Abweichung beruht. Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet das vorstehend Gesagte, dass die Beschwerdebegründung erkennen lassen muss, welcher abstrakte Rechtssatz in der höchstrichterlichen Entscheidung enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht; ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das Revisionsgericht die oberstgerichtliche Rechtsprechung in einem künftigen Revisionsverfahren seiner Entscheidung zugrunde zu legen haben wird (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 mwN). Diesen Darlegungserfordernissen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
14Vorliegend fehlt es schon an einem abstrakten fallübergreifenden Rechtssatz des LSG. Hier macht der Kläger lediglich geltend, das LSG lasse weiterhin die Rechtsprechung des BVerfG zum Gleichheitsgebot des Art 3 GG unberücksichtigt. Außerdem vertrete es in seinem Urteil die Auffassung, dass ein Verstoß gegen Art 14 GG nicht vorliege. Die Entscheidung des LSG beruhe mithin auch auf einer Verkennung der höchstrichterlichen Rechtsprechung, insbesondere des BVerfG.
15Damit hat er keine Divergenz aufgezeigt. Missversteht oder übersieht das Berufungsgericht höchstrichterliche Rechtssätze und wendet es deshalb das Recht fehlerhaft an, kann daraus nicht geschlossen werden, es habe einen divergierenden Rechtssatz aufgestellt. Die Bezeichnung einer Abweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG setzt vielmehr die Darlegung voraus, dass das LSG die höchstrichterliche Rechtsprechung im angefochtenen Urteil infrage stellt. Dies ist nicht der Fall, wenn es eine höchstrichterliche Entscheidung in ihrer Tragweite für den entschiedenen Fall lediglich verkannt haben sollte (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 73 mwN). Unter diesen Umständen hätte der Kläger vertieft darauf eingehen müssen, warum es sich bei der behaupteten Abweichung des LSG nicht lediglich um eine falsche Rechtsanwendung im Einzelfall handelt, in der ein eigener Rechtssatz des Berufungsgerichts gerade nicht zum Ausdruck kommt (vgl im Einzelnen BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 45).
16Darüber hinaus zeigt der Beschwerdeführer auch nicht auf, dass die Entscheidung des LSG auf der behaupteten Divergenz beruht. Denn die Beschwerdebegründung legt nicht dar, dass das BVerfG in den herangezogenen Entscheidungen auf der Grundlage der darin angeblich aufgestellten Rechtssätze eine Fallkonstellation, die mit derjenigen des Klägers vergleichbar ist, tragend anders entschieden hat als das LSG im angefochtenen Urteil. Dafür genügt es keinesfalls, den Entscheidungen des BVerfG isoliert einzelne Sätze zu entnehmen. Stattdessen ist der tatsächliche und rechtliche Kontext darzustellen, in dem die herangezogenen höchstrichterlichen Rechtssätze stehen (vgl hierzu zB - BeckRS 2007, 41946 RdNr 10 mwN). Zum Kontext der BSG-Entscheidung ist der Beschwerdebegründung aber schon deshalb nichts zu entnehmen, weil sie verschweigt, welchen Sachverhalt das BSG jeweils zu beurteilen hatte, sodass auch nicht deutlich wird, welche rechtlichen Aussagen es wirklich getroffen hat und welche Aussagen ggf auf einer Interpretation des Klägers beruhen. Eine konkrete Sachverhaltsdarstellung auch der Entscheidung des BVerfG gehört aber zu den Mindestvoraussetzungen, um die Entscheidungserheblichkeit der Divergenzrüge prüfen zu können. Denn eine die Rechtseinheit gefährdende Abweichung kann nur bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt vorliegen, auf den dieselben Rechtsnormen anzuwenden sind.
17Der Kläger rügt weiter, "die Vorlagepflichtigkeit gegenüber dem EuGH wegen der Vereinbarkeit mit dem europäischen Recht" wäre zu prüfen gewesen. Damit macht er sinngemäß eine Verletzung der Verpflichtung zur Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art 267 AEUV durch das LSG geltend. Sein Vorbringen enthält jedoch keine schlüssige Darstellung eines solchen Verfahrensmangels nach Art 101 Abs 1 S 2 GG (gesetzlicher Richter). Insbesondere hat er nicht aufgezeigt, weshalb - als grundlegende Voraussetzung dieser Vorlageverpflichtung - die Entscheidung des LSG nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden kann. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist die Anfechtung von Entscheidungen eines nationalen Gerichts mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts auch dann möglich, wenn die Anfechtung nur nach vorheriger Zulassungserklärung durch das oberste Gericht geprüft werden kann ( [Lyckeskog] - Slg 2002, I-4839 = Juris RdNr 16, zur inhaltsgleichen Vorschrift des Art 234 EG). Außerdem hat der Kläger nicht verdeutlicht, weshalb sich im vorliegenden Verfahren die Frage nach der Auslegung des Gleichheitssatzes (Art 20) der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EuGRCh - konsolidierte Fassung, Amtsblatt EU Nr C 326 vom , S 391) überhaupt stellt. Voraussetzung hierfür wäre, dass der Anwendungsbereich der EuGRCh eröffnet ist (Art 51 Abs 1 S 1 EuGRCh). Aus welchen Gründen dies hier der Fall sein soll, hat der Kläger nicht dargelegt (s hierzu - Juris RdNr 34 sowie BVerfGE 133, 277 RdNr 88, 91).
18Von einer weiteren Begründung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
19Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstelle(n):
GAAAE-74313