BGH Urteil v. - III ZR 228/13

Entschädigungsprozess wegen überlanger Verfahrensdauer: Prüfung der Rechtzeitigkeit einer Verzögerungsrüge im Übergangsfall

Leitsatz

1. Die Frage der Erhebung beziehungsweise Rechtzeitigkeit einer Verzögerungsrüge betrifft nicht die Zulässigkeit, sondern die Begründetheit einer Entschädigungsklage nach § 198 GVG.

2. Eine Verzögerungsrüge ist noch "unverzüglich" im Sinne des Art. 23 Satz 2 ÜGRG erhoben, wenn sie spätestens drei Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren beim Ausgangsgericht eingegangen ist (Anschluss an Senatsurteil vom , III ZR 335/13, NJW 2014, 1967).

Gesetze: § 198 Abs 3 S 1 GVG, Art 23 S 2 ÜberlVfRSchG

Instanzenzug: OLG Rostock Az: 1 SchH 2/12

Tatbestand

1Der Kläger nimmt das beklagte Land im Wege der Feststellungs- und Leistungsklage auf Entschädigung für materielle und immaterielle Nachteile wegen überlanger Dauer eines Zivilrechtsstreits in Anspruch.

2Das Ausgangsverfahren betrifft einen Zivilprozess, der im Januar 2001 vor dem Landgericht S.        eingeleitet wurde und Schadensersatzansprüche des Klägers wegen unberechtigter außerordentlicher Kündigung eines Vertrags zur Jungviehaufzucht zum Gegenstand hat. Hinsichtlich eines Betrags von 30.000 € erklärten die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Nach Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens und mehrerer ergänzender Stellungnahmen erging am ein Teilurteil. Soweit das Landgericht darin auf Zahlung eines Betrags von rund 44.000 € an den Kläger erkannte, wurde das Urteil rechtskräftig. Im Übrigen wurde es durch Berufungsurteil des Oberlandesgerichts R.     vom aufgehoben. Im weiteren Verfahrensgang holte das Landgericht ein Obergutachten ein und verkündete schließlich am ein Schlussurteil, in dem es dem Kläger weitere 116.700 € zusprach. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen. Es befindet sich derzeit im Berufungsrechtszug.

3Mit Anwaltsschriftsatz vom , der am beim Landgericht einging, erhob der Kläger eine Verzögerungsrüge unter Hinweis auf § 198 GVG. Bereits zuvor hatte er am und förmliche Untätigkeitsbeschwerden erhoben, die das Oberlandesgericht als unzulässig verwarf. Einen mit Schriftsatz vom gegenüber der Justizverwaltung geltend gemachten Anspruch auf immateriellen Schadensersatz in Höhe von 10.000 € lehnte der Präsident des Landgerichts mit Bescheid vom ab. Die dagegen an das Justizministerium des beklagten Landes gerichtete Beschwerde blieb erfolglos.

4Mit Anwaltsschriftsatz vom , der am beim Oberlandesgericht R.       einging, reichte der Kläger die vorliegende Entschädigungsklage ein, die dem Beklagten - nach verzögerter Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses durch den Kläger - erst am zugestellt wurde.

5Der Kläger hat geltend gemacht, die streitgegenständliche Verfahrensdauer von inzwischen mehr als elf Jahren sei schon dem ersten Anschein nach nicht mehr angemessen. Der derzeit noch nicht bezifferbare materielle Schaden resultiere daraus, dass ihm während der Prozessdauer ein Betrag von nahezu 200.000 € vorenthalten worden sei. Wegen der erlittenen Existenzängste und des offenkundigen Desinteresses der Justiz an der Bearbeitung seiner Ansprüche sei eine Entschädigung für immaterielle Nachteile in Höhe von mindestens 50.000 € gerechtfertigt. Da er die Verfahrensdauer kontinuierlich beanstandet habe, komme es auf die am erhobene Verzögerungsrüge nicht mehr an.

6Das Oberlandesgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine erstinstanzlichen Anträge weiter.

Gründe

7Die zulässige Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.

I.

8Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

9Die Entschädigungsklage sei unzulässig. Nach Art. 23 Satz 1 Halbsatz 1 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGRG) vom (BGBl. I S. 2302) sei die Entschädigungsregelung der §§ 198 ff GVG auf das seit Januar 2001 anhängige Ausgangsverfahren anwendbar. Die sechsmonatige Wartefrist des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG habe der Kläger zwar nicht einhalten müssen, weil das verzögerte erstinstanzliche Verfahren bei Erhebung der Entschädigungsklage am bereits abgeschlossen gewesen sei und die Verzögerungsrüge deshalb die ihr vom Gesetzgeber beigemessene Funktion nicht mehr habe entfalten können. Der Kläger habe jedoch die Vorgabe des Art. 23 Satz 2 ÜGRG, wonach die Verzögerungsrüge unverzüglich nach dem Inkrafttreten des Gesetzes (am ) zu erheben sei, nicht erfüllt. Die am eingegangene Verzögerungsrüge sei mehr als drei Wochen und sechs Tage nach diesem Zeitpunkt erhoben worden. Sie sei daher verspätet, da "unverzüglich" im Sinne des Art. 23 Satz 2 ÜGRG "ohne schuldhaftes Zögern" (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) bedeute. Die in der Regel als Obergrenze anzunehmende Frist von zwei Wochen gelte auch im Streitfall. Die neue Entschädigungsregelung sei frühzeitig Gegenstand von Fachpublikationen gewesen. Der eindeutige Gesetzeswortlaut habe dem Prozessbevollmächtigten des Klägers bekannt sein müssen. Der Kläger sei daher zur Wahrung seiner Rechte gehalten gewesen, eine Verzögerungsrüge gemäß § 198 Abs. 3 Satz 1 GV binnen zwei Wochen nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zu erheben. Er könne sich auch nicht darauf berufen, die Unangemessenheit der Verfahrensdauer bereits vor dem Inkrafttreten der neuen Entschädigungsregelung mehrfach gerügt zu haben. Frühere Beanstandungen der Verfahrensdauer stünden einer Verzögerungsrüge gemäß § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG nicht gleich.

II.

10Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung in mehreren Punkten nicht stand.

11Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts betrifft die Frage der Erhebung beziehungsweise Rechtzeitigkeit einer Verzögerungsrüge nicht die Zulässigkeit, sondern die Begründetheit der Entschädigungsklage.

12Die am beim Landgericht eingegangene Verzögerungsrüge ist "unverzüglich" nach Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGRG) erhoben worden. Sie hat damit gemäß Art. 23 Satz 2 und 3 ÜGRG Entschädigungsansprüche auch für den der Rüge vorausgehenden Zeitraum gewahrt.

131. Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Oberlandesgericht angenommen, dass die Entschädigungsregelung bei überlanger Verfahrensdauer (§§ 198 ff GVG) nach der Übergangsvorschrift des Art. 23 Satz 1 Halbsatz 1 ÜGRG auf den Streitfall Anwendung findet. Danach gilt dieses Gesetz auch für Verfahren, die bei seinem Inkrafttreten am (gemäß Art. 24 ÜGRG) bereits anhängig waren. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Das im Januar 2001 eingeleitete Ausgangsverfahren war zum maßgeblichen Stichtag weder rechtskräftig abgeschlossen noch anderweitig erledigt.

142. Anders als das Oberlandesgericht meint, hat das Fehlen einer Verzögerungsrüge (§ 198 Abs. 3 Satz 1 GVG) oder die nicht unverzügliche Erhebung einer solchen Rüge (Art. 23 Satz 2 ÜGRG) nicht die Unzulässigkeit der Entschädigungsklage zur Folge. Vielmehr ist die Verzögerungsrüge als materielle Voraussetzung des Entschädigungsanspruchs konzipiert und nicht als Zulässigkeitskriterium für dessen prozessuale Geltendmachung (BT-Drucks. 17/3802 S. 20). § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG normiert als zwingende Entschädigungsvoraussetzung, dass der Betroffene in dem Verfahren, für dessen Dauer er entschädigt werden möchte, eine Verzögerungsrüge erhoben hat. Dabei handelt es sich um eine haftungsbegründende Obliegenheit (, NJW 2014, 939 Rn. 27 und vom - III ZR 335/14, NJW 2014, 1967 Rn. 21; siehe auch BFHE 243, 126 Rn. 24 und BSG, NJW 2014, 253 Rn. 27). Wird die Verzögerungsrüge nicht unverzüglich gemäß Art. 23 Satz 2 ÜGRG erhoben, hat dies zur Folge, dass Entschädigungsansprüche wegen überlanger Verfahrensdauer bis zum Rügezeitpunkt materiell-rechtlich präkludiert sind (grundlegend Senatsurteil vom aaO Rn. 27 ff). Die Zulässigkeit der Klage bleibt davon unberührt (vgl. BFHE aaO; BSG aaO).

153. Entgegen der Auffassung der Revision haben die förmlichen Untätigkeitsbeschwerden des Klägers vom und sowie sein Schadensersatzverlangen vom die Erhebung einer Verzögerungsrüge nicht entbehrlich gemacht. Nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 23 Satz 2 ÜGRG muss in anhängigen, bereits verzögerten Verfahren die Verzögerungsrüge "unverzüglich nach Inkrafttreten" des Gesetzes erhoben werden. Allein dadurch wird der Entschädigungsanspruch rückwirkend in vollem Umfang gewahrt (Art. 23 Satz 3 ÜGRG; BT-Drucks. 17/3802 S. 31). Bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes erhobene Verzögerungsrügen erfüllen diese Voraussetzung nicht. Da sie keine präventive Warnfunktion im Sinne der §§ 198 ff GVG entfalten konnten, sind sie nicht geeignet, einen Entschädigungsanspruch zu begründen (BFHE aaO Rn. 25; OLG Bremen, NJW 2013, 2209, 2010). Dementsprechend bestimmt Art. 23 Satz 4 ÜGRG, dass es einer Verzögerungsrüge dann nicht bedarf, wenn bei einem anhängigen Verfahren die Verzögerung in einer - bei Inkrafttreten des Gesetzes - schon abgeschlossenen Instanz erfolgt ist (siehe auch BT-Drucks. 17/3802 S. 31).

164. Dem Oberlandesgericht kann nicht darin gefolgt werden, dass die Einhaltung der Wartefrist gemäß § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG im Streitfall entbehrlich war. Allerdings hat das Gericht zugleich verkannt, dass die Entschädigungsklage nicht schon am (Fertigung der am 26. April beim Oberlandesgericht eingegangenen Klageschrift), sondern erst am (Zustellung der Klageschrift an den Beklagten) - mithin nicht vorzeitig - erhoben worden ist.

17a) Nach § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG kann der Entschädigungsanspruch frühestens sechs Monate nach wirksamer Erhebung der Verzögerungsrüge gerichtlich geltend gemacht werden. Der Sinn dieser Wartefrist besteht darin, dem Gericht des Ausgangsverfahrens die Möglichkeit einzuräumen, auf eine Beschleunigung des Verfahrens hinzuwirken und dadurch (weiteren) Schaden zu vermeiden (Senatsurteil vom - III ZR 355/13, BeckRS 2014, 12289 Rn. 17). Zugleich sollen die Entschädigungsgerichte vor verfrühten Entschädigungsklagen geschützt werden (Ott in Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 GVG Rn. 245). Die Einhaltung der Frist ist eine besondere Sachurteilsvoraussetzung, die in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist. Eine vor Fristablauf erhobene Klage wird nach Ablauf der Frist nicht zulässig. Es liegt kein heilbarer Mangel vor. Nach dem Gesetzeswortlaut kommt es für die Einhaltung der Wartefrist allein auf den Zeitpunkt der Klageerhebung an. Zudem könnte andernfalls die vorgenannte Schutzfunktion der Frist für die Entschädigungsgerichte unterlaufen werden (Marx in Marx/Roderfeld, Rechtsschutz bei überlangen Gerichts- und Ermittlungsverfahren, § 198 GVG Rn. 152, 154; Ott aaO § 198 GVG Rn. 247, 250; anders Loytved, SGb 2014, 293, 295 f für den Fall, dass bei Klageerhebung bereits mehrere Monate seit der Verzögerungsrüge vergangen sind).

18b) Nach der Rechtsprechung des Senats kann eine Entschädigungsklage ausnahmsweise vorzeitig erhoben werden, wenn das betroffene Verfahren schon vor Fristablauf beendet wurde. Ein Abwarten der Frist würde insofern im Hinblick auf den Zweck des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG keinen Sinn mehr machen. In diesen Fällen ist die Fristenregelung des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG teleologisch dahin einzuschränken, dass dann, wenn das als verspätet gerügte Verfahren schon vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist abgeschlossen wurde, bereits vom Moment des Verfahrensabschlusses an eine Entschädigungsklage zulässig ist (Senatsurteil vom aaO Rn. 17). So liegt der Fall hier aber nicht.

19Das Ausgangsverfahren ist noch nicht beendet, da das am verkündete Schlussurteil des Landgerichts mit der Berufung angefochten wurde. Vor dem Hintergrund des Zwecks des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG - das Ausgangsgericht soll genügend Zeit haben, das Verfahren zu fördern und in angemessener Zeit abzuschließen oder jedenfalls eine weitere Verzögerung zu vermeiden - besteht keine Veranlassung, auf das Fristerfordernis bereits dann zu verzichten, wenn lediglich die Instanz, auf deren Dauer das Entschädigungsverlangen gestützt wird und in der die Verzögerungsrüge erhoben wurde, vor Ablauf von sechs Monaten nach Rügeerhebung abgeschlossen wurde (so aber Marx aaO § 198 GVG Rn. 150 f). Das zunächst verzögerte Verfahren kann in einer höheren Instanz besonders zügig geführt werden, so dass die Wahrung der Sechs-Monats-Frist auch nach Abschluss einer Instanz sinnvoll ist. Sie gibt nämlich dem Rechtsmittelgericht Gelegenheit, eine in der Vorinstanz eingetretene Verzögerung zu kompensieren. Demgemäß muss das Entschädigungsgericht bei der abschließenden Würdigung nach § 198 Abs. 1 GVG das gesamte Verfahren in den Blick nehmen und prüfen, ob Verzögerungen innerhalb einer späteren Phase des Prozesses ausgeglichen wurden (, NJW 2014, 220 Rn. 30; vom - III ZR 73/13, NJW 2014, 789 Rn. 41; vom - III ZR 37/13, NJW 2014, 939 Rn. 37; vom - III ZR 311/13, NJW 2014, 1183 Rn. 28 und vom - III ZR 335/13, NJW 2014, 1967 Rn. 39). Es ist zudem nicht erkennbar, dass ein Zuwarten von wenigen Wochen oder Monaten bis zum Ablauf der Frist eine nennenswerte Einschränkung des Rechtsschutzes für den Entschädigungskläger darstellen würde (vgl. Stahnecker, Entschädigung bei überlangen Gerichtsverfahren, Rn. 166).

20c) Der Kläger hat die sechsmonatige Wartefrist eingehalten. Die Fristberechnung bestimmt sich nach § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG i.V.m § 222 ZPO und § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB (Marx aaO § 198 GVG Rn. 153; Ott aaO § 198 GVG Rn. 249). Für den Beginn der Frist war der Eingang der Verzögerungsrüge am als Ereignis im Sinne des § 187 Abs. 1 BGB maßgebend. Die Frist endete gemäß § 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des . Der Umstand, dass die Entschädigungsklage bereits am beim Oberlandesgericht eingereicht wurde, ist unschädlich. Vielmehr ist entscheidend, dass die Klage, nachdem der Kläger den Gerichtskostenvorschuss gemäß §§ 12a, 12 Abs. 1 Satz 1 GKG i.V.m. KV Nr. 1212 erst am eingezahlt hatte, an das beklagte Land am zugestellt worden ist. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Einhaltung der Wartefrist ist nach dem klaren Wortlaut des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG nicht die Einreichung, sondern die Erhebung der Entschädigungsklage (Marx aaO Rdnr. 154). Letztere erfolgt nach § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG i.V.m. § 253 Abs. 1 ZPO durch Zustellung der Klageschrift an den Beklagten, sobald die Gebühr für das Verfahren im Allgemeinen gemäß §§ 12a, 12 Abs. 1 Satz 1 GKG eingezahlt ist.

21Eine Rückwirkung der Zustellung der Klageschrift nach § 167 ZPO kommt im vorliegenden Zusammenhang nicht in Betracht. Die Vorschrift soll den Zustellungsveranlasser vor den Nachteilen aus Zustellungsverzögerungen innerhalb des gerichtlichen Geschäftsbetriebs bewahren (vgl. nur Senatsurteil vom - III ZR 206/07, NJW 2008, 1674 Rn. 12 mwN), ihm aber nicht - umgekehrt - einen Nachteil zufügen. Aus diesem Grund besteht vorliegend auch keine Veranlassung zu prüfen, ob der Kläger alles Erforderliche unternommen hat, um eine zügige Zustellung zu gewährleisten.

225. Die Annahme des Oberlandesgerichts, die am eingegangene Verzögerungsrüge sei nicht "unverzüglich" im Sinne von Art. 23 Satz 2 ÜGRG erhoben worden, wird von der Revision zu Recht beanstandet. Diese Frage hat der Senat - nach Verkündung des angefochtenen Urteils - mit Urteil vom (III ZR 335/13, NJW 2014, 1967) grundlegend dahin entschieden, dass eine Verzögerungsrüge noch "unverzüglich" erhoben ist, wenn sie spätestens drei Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren beim Ausgangsgericht einging. Da die neue Entschädigungsregelung am in Kraft getreten ist, lag die Verzögerungsrüge noch innerhalb der dem Kläger eingeräumten Zeitspanne.

23Wird die Entschädigungsregelung - wie hier - nach Art. 23 Satz 1 Halbsatz 1 ÜGRG auf Altfälle angewandt, die am bereits anhängig, aber noch nicht abgeschlossen waren, wird das Recht der Verzögerungsrüge durch Art. 23 Satz 2 und 3 ÜGRG an die Besonderheiten dieser Verfahrenskonstellation angepasst (BT-Drucks. 17/3802 S. 31). Bei Verfahren, die beim Inkrafttreten der Regelung schon verzögert sind, muss die Verzögerungsrüge "unverzüglich" erhoben werden.

24Da das Oberlandesgericht zu dem bestrittenen Vorbringen des Klägers, das Ausgangsverfahren hätte bei angemessener Verfahrensförderung innerhalb eines Jahres vollständig abgeschlossen werden können, keine Feststellungen getroffen hat, ist bei der revisionsgerichtlichen Nachprüfung zugunsten des Klägers davon auszugehen, dass das Verfahren zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der §§ 198 ff GVG bereits erheblich verzögert war.

25"Unverzüglich" bedeutet nach der Gesetzesbegründung "ohne schuldhaftes Zögern" (BT-Drucks. 17/3802 S. 31). Damit wird die Legaldefinition in § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB in Bezug genommen, die nach allgemeiner Auffassung auch über die Fälle des § 121 BGB hinaus gilt (Palandt/Ellenberger, BGB, 73. Aufl., § 121 Rn. 3).

26Soweit Art. 23 Satz 2 ÜGRG die unverzügliche Erhebung der Verzögerungsrüge nach Inkrafttreten der Entschädigungsregelung verlangt, ist kein sofortiges Handeln geboten. Vielmehr muss dem Betroffenen eine angemessene Prüfungs- und Überlegungsfrist eingeräumt werden, um entscheiden zu können, ob er seine Rechte durch eine Verzögerungsrüge wahren muss. Die von der Rechtsprechung zu § 121 BGB herausgebildete Obergrenze von zwei Wochen beziehungsweise die zweiwöchige gesetzliche Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB stellen insoweit einen zu engen Maßstab dar (Senatsurteil vom aaO 25 mwN). Bei der Bemessung der gemäß Art. 23 Satz 2 ÜGRG angemessenen Überlegungsfrist ist vor allem der Zweck des Gesetzes in den Blick zu nehmen, durch Einräumung eines Entschädigungsanspruchs gegen den Staat bei überlanger Verfahrensdauer eine Rechtsschutzlücke zu schließen und eine Regelung zu schaffen, die sowohl den Anforderungen des Grundgesetzes (Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG) als auch denen der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Art. 6 Abs. 1, Art. 13 EMRK) gerecht wird (BT-Drucks. 17/3802 S. 15). Es kommt hinzu, dass das Gesetz nur einen Tag vor seinem Inkrafttreten verkündet worden ist (Art. 24 ÜGRG). Diese Gesichtspunkte sprechen dafür, den Begriff der "Unverzüglichkeit" in Art. 23 Satz 2 ÜGRG weit zu verstehen. Der Senat hat deshalb eine Drei-Monats-Frist für erforderlich gehalten, um den Erfordernissen eines effektiven Menschenrechtsschutzes zu entsprechen und den Betroffenen in allen Fällen ausreichend Zeit für die Prüfung zu geben, ob eine entschädigungspflichtige Verzögerung bereits eingetreten und eine Rügeerhebung deshalb geboten ist (Senatsurteil aaO; siehe auch BFHE 243, 126 Rn. 31 ff; Loytved, SGb 2014, 293, 295).

III.

27Das angefochtene Urteil ist demnach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 ZPO). Das Oberlandesgericht wird nunmehr erstmals zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen für einen Entschädigungsanspruch nach § 198 Abs. 1, 2 GVG vorliegen.

Schlick                     Herrmann                     Wöstmann

               Seiters                          Reiter

Fundstelle(n):
NJW 2014 S. 2588 Nr. 35
ZIP 2014 S. 1856 Nr. 38
AAAAE-71428