BAG Urteil v. - 9 AZR 758/12

Tariflicher Verfall von Urlaubsabgeltungsansprüchen - Gebäudereinigerhandwerk

Gesetze: § 7 Abs 4 BUrlG, § 271 Abs 1 BGB, § 1 TVG

Instanzenzug: ArbG Ludwigshafen Az: 8 Ca 671/11 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Az: 3 Sa 2/12 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten darüber, ob der Urlaubsabgeltungsanspruch des Klägers mangels Wahrung einer tariflichen Ausschlussfrist verfallen ist.

2Der Kläger war im Gebäudereinigungsunternehmen der Beklagten vom 3. Mai bis zum zu einem Stundenlohn von 11,13 Euro brutto beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der für allgemeinverbindlich erklärte Rahmentarifvertrag für die gewerblichen Beschäftigten in der Gebäudereinigung vom (RTV) Anwendung. Die Beklagte rechnete den Lohn kalendermonatlich ab. Vom bis zum war der Kläger arbeitsunfähig krank. Mit Schreiben vom verlangte er von der Beklagten die Abgeltung von 15 Urlaubstagen.

3Im RTV heißt es ua.:

„§ 8

1. Der Lohn für geleistete Arbeit ist nach dem betrieblichen Abrechnungszeitraum, längstens jedoch monatlich, zu zahlen. Erkrankten Beschäftigten ist der fällige Lohn grundsätzlich bargeldlos auf ihr Konto oder an ihre Adresse zu zahlen bzw. zu übersenden. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, dem/der Beschäftigten bei jeder Lohnabrechnung eine genaue schriftliche Abrechnung über Gesamtlohn, Stundenlohn, Zulagen und Abzüge zu geben. ...

2. Ist die Lohnperiode der Kalendermonat, so wird der Lohn spätestens am 15. des folgenden Monats fällig.

...

...

2.1 Während des Urlaubs erhält der/die Beschäftigte den für seine/ihre regelmäßige Arbeitszeit durchschnittlichen Lohn der letzten 12 Monate; ...

2.2 Der Urlaubslohn kann nach der in Ziffer 1 errechneten Höhe nur dann gefordert und ausgezahlt werden, wenn

a) der/die Beschäftigte seinen/ihren Jahresurlaub tatsächlich antritt,

b) dem/der Beschäftigten wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Urlaub ganz oder teilweise nicht mehr gewährt oder von ihm/ihr nicht genommen werden kann,

...

2.3 Der Arbeitgeber ist verpflichtet, nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses dem/der Beschäftigten eine Bescheinigung über den im laufenden Kalenderjahr gewährten oder abgegoltenen Urlaub auszuhändigen.

1. Bei ordnungsgemäßer Lösung des Arbeitsverhältnisses hat der Arbeitgeber dem/der ausscheidenden Beschäftigten den Restlohn und alle Arbeitspapiere auszuhändigen. Der Restlohn ist sofort, spätestens bis zum 15. des folgenden Monats zu zahlen. ...

Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von 2 Monaten nach der Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden.

Lehnt die Gegenpartei den Anspruch ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb von 2 Wochen nach der Geltendmachung des Anspruchs, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von 2 Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird.“

4Nach § 3 des Lohntarifvertrags für die gewerblich Beschäftigten in der Gebäudereinigung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom (Lohntarifvertrag) standen den gewerblichen Arbeitnehmern nach Lohngruppen gestaffelte Stundenlöhne zu. Nur für geringfügig Beschäftigte der Lohngruppe 1 mit einer gleichbleibenden wöchentlichen Arbeitszeit konnte gemäß § 4 Ziff. 1 des Lohntarifvertrags ein verstetigter Monatslohn gezahlt werden.

5Der Kläger hat mit seiner am beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage die Auffassung vertreten, sein Urlaubsabgeltungsanspruch sei nicht verfallen. Dieser sei gemäß § 8 Ziff. 2 RTV als Lohn nicht mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum , sondern erst am 15. des Folgemonats und damit am fällig geworden. Er habe diesen Anspruch mit Schreiben vom geltend gemacht und somit die zweimonatige Ausschlussfrist gewahrt.

6Der Kläger hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.335,60 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem zu zahlen.

7Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, der Urlaubsabgeltungsanspruch sei mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum fällig geworden. Er sei damit nicht rechtzeitig geltend gemacht worden und gemäß § 22 Abs. 1 RTV verfallen.

8Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Urlaubsabgeltungsanspruch weiter.

Gründe

9A. Die zulässige Revision des Klägers ist in der Hauptsache begründet. Die Vorinstanzen haben dem Kläger zu Unrecht die von ihm beanspruchte Urlaubsabgeltung nicht zugesprochen.

10I. Der dem Kläger zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 14 Ziff. 2.2 Buchst. b RTV unstreitig zustehende Urlaubsabgeltungsanspruch iHv. 1.335,60 Euro brutto war nicht gemäß § 22 Abs. 1 RTV verfallen. Der Kläger wahrte mit seinem Schreiben vom die tarifliche Ausschlussfrist von zwei Monaten nach Fälligkeit. Der Urlaubsabgeltungsanspruch war entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht mit seinem Entstehen mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG am fällig, sondern nach § 8 Ziff. 2 RTV erst am .

111. Der Urlaubsabgeltungsanspruch ist ein „Anspruch“ iSd. § 22 RTV. Vorbehaltlich abweichender Tarifbestimmungen unterfällt ein Urlaubsabgeltungsanspruch als reiner Geldanspruch denselben tariflichen Bedingungen wie alle übrigen Zahlungsansprüche der Arbeitsvertragsparteien (vgl.  - Rn. 19).

122. Die Regelung in § 22 Abs. 1 RTV verstößt entgegen der Auffassung der Revision bezüglich der Abgeltung von Urlaub nicht gegen Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung. Diese Bestimmung gebietet nicht, dass eine Ausschlussfrist für den Urlaubsabgeltungsanspruch die Dauer des Bezugszeitraums des Urlaubsanspruchs deutlich übersteigt ( - Rn. 27). Eine zweimonatige Ausschlussfrist genügt den unionsrechtlichen Anforderungen an die Gleichwertigkeit und Effektivität der Regelung. Dies gilt unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig krank oder arbeitsfähig ist. Eine Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV besteht nicht (vgl.  - Rn. 10; vgl. zu einer sechswöchigen Ausschlussfrist:  - Rn. 29).

133. Der Kläger machte den Urlaubsabgeltungsanspruch erstmals mit Schreiben vom geltend. Zu diesem Zeitpunkt war die zweimonatige Ausschlussfrist des § 22 Abs. 1 RTV nicht abgelaufen. Der von dem Kläger erhobene Anspruch entstand zwar mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum , war aber erst am fällig.

144. Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf Abgeltung des ihm nicht gewährten Urlaubs entsteht gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und wird grundsätzlich zu diesem Zeitpunkt fällig ( - Rn. 22). Ist eine Zeit für die Leistung weder bestimmt noch aus den Umständen zu entnehmen, so kann der Gläubiger die Leistung gemäß § 271 Abs. 1 BGB sofort verlangen, der Schuldner sie sofort bewirken. Fehlen Sonderregelungen, gilt der Grundsatz sofortiger Fälligkeit der Leistung (vgl.  - Rn. 15; Palandt/Grüneberg 73. Aufl. § 271 BGB Rn. 2).

155. Der RTV bestimmt entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts einen vom Entstehen der Forderung abweichenden späteren Fälligkeitszeitpunkt. Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung wird als Lohn iSv. § 8 RTV erst spätestens am 15. des der kalendermonatlichen Lohnperiode folgenden Monats fällig. Die Urlaubsabgeltung ist Lohn iSd. § 8 RTV. Das ergibt die Auslegung der Tarifvorschrift.

16a) § 8 Ziff. 1 Satz 1 RTV erfasst seinem Wortlaut nach „Lohn für geleistete Arbeit“. Daraus lässt sich nicht herleiten, der Urlaubsabgeltungsanspruch sei kein Lohn in diesem Sinne. Der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers ist zwar im Gegensatz zum Arbeitslohn keine Gegenleistung des Arbeitgebers für erbrachte oder noch zu erbringende Arbeitsleistungen, sondern eine Verpflichtung des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis, den Arbeitnehmer für die Dauer des Urlaubs von der Arbeitspflicht zu befreien ( - Rn. 13, BAGE 141, 27). Dieser von der Arbeitsleistung unabhängige Charakter des Urlaubsanspruchs gilt auch für den Urlaubsabgeltungsanspruch. Zwar ist er nicht Surrogat des Urlaubsanspruchs, sondern eine reine Geldleistung. Dennoch entsteht er mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses als Ersatz für den nicht gewährten Urlaub, ohne dass er durch eine Arbeitsleistung verdient werden musste. Allerdings schließt der Wortlaut des § 8 Ziff. 1 Satz 2 RTV das Verständnis aus, nur im Gegenseitigkeitsverhältnis stehende Ansprüche des Arbeitnehmers seien Lohn. Nach dieser Tarifvorschrift ist erkrankten Beschäftigten der fällige Lohn grundsätzlich bargeldlos auf ihr Konto oder an ihre Adresse zu zahlen bzw. zu übersenden. Der im Tarifvertrag als Lohn bezeichnete Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gemäß § 3 Abs. 1 EFZG setzt keine Arbeitsleistung des Arbeitnehmers während seiner Arbeitsunfähigkeit voraus. Die Tarifvertragsparteien haben damit unter „Lohn“ jede dem Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis zu zahlende Geldleistung verstanden.

17b) Die Regelungen in § 14 Ziff. 2 RTV bestätigen das Auslegungsergebnis. Bereits die Überschrift spricht vom „Urlaubslohn“. Daraus wird deutlich, dass nach dem Verständnis der Tarifvertragsparteien des RTV der Begriff „Lohn“ auch die Urlaubsvergütung erfasst. Unter „Restlohn“, der nach § 20 Ziff. 1 Satz 2 RTV spätestens bis zum 15. des folgenden Monats zu zahlen ist, fällt damit auch der „Urlaubslohn“ und, wenn der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr gewährt werden kann, die Abgeltung des Urlaubs.

18c) Die spezielle Regelung für die Urlaubsabgeltung in § 14 Ziff. 2.2 Buchst. b RTV gibt kein anderes Auslegungsergebnis vor, sondern zeigt vielmehr, dass nach der tariflichen Regelung der Anspruch des Beschäftigten auf Urlaubsabgeltung nicht bereits mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig wird.

19aa) Nach dieser Tarifbestimmung kann der Urlaubslohn nur dann gefordert und ausgezahlt werden, wenn „dem/der Beschäftigten wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Urlaub ganz oder teilweise nicht mehr gewährt oder von ihm/ihr nicht genommen werden kann“. Obwohl die Tarifvorschrift vom „Urlaubslohn“ spricht, regelt sie erkennbar die Urlaubsabgeltung. Denn der Anspruch auf Urlaubslohn setzt gemäß § 14 Ziff. 2.2 Buchst. a RTV voraus, dass „der/die Beschäftigte seinen/ihren Jahresurlaub antritt“. Kann wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Urlaub ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden, handelt es sich bei dem nach der tariflichen Regelung zu zahlenden Urlaubslohn um die Abgeltung des Urlaubs.

20bb) § 14 Ziff. 2.2 Buchst. b RTV regelt nicht die Fälligkeit des Abgeltungsanspruchs. Die Tarifvertragsparteien haben im Wesentlichen den Wortlaut des § 7 Abs. 4 BUrlG übernommen und damit lediglich klargestellt, dass ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung nur dann besteht, wenn der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr gewährt werden kann.

21d) Für das Auslegungsergebnis sprechen auch Praktikabilitätserwägungen.

22aa) Die Gerichte für Arbeitssachen können für die Tarifauslegung ohne Bindung an die Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung ergänzend heranziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt ( - Rn. 29).

23bb) Nach § 20 Ziff. 1 Satz 2 RTV hat der Arbeitgeber dem ausscheidenden Beschäftigten den Restlohn spätestens bis zum 15. des folgenden Monats zu zahlen. Damit haben die Tarifvertragsparteien dem Umstand Rechnung getragen, dass der monatliche Lohn nicht in jedem Fall unmittelbar mit Beendigung der Lohnabrechnungsperiode berechnet werden kann. Die gewerblichen Arbeitnehmer erhielten nach dem Lohntarifvertrag grundsätzlich keinen in der Höhe feststehenden Monatslohn, sondern einen Stundenlohn. Nur für geringfügig Beschäftigte der Lohngruppe 1 mit gleichbleibender wöchentlicher Arbeitszeit berechnete sich der verstetigte Monatslohn nach einer bestimmten Formel. Eine Abrechnung der Urlaubsabgeltung bei schwankender wöchentlicher Arbeitszeit ist deshalb nicht immer bereits mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses möglich. Dies hat die Beklagte in der Revisionsverhandlung selbst eingeräumt. § 14 Ziff. 2.1 RTV stellt für die Berechnung des Urlaubslohns und damit auch der Urlaubsabgeltung auf den durchschnittlichen Lohn der letzten zwölf Monate ab. Deshalb ist es nicht immer möglich oder für den Arbeitgeber jedenfalls mit Schwierigkeiten verbunden, bereits mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Urlaubsabgeltung zu berechnen und auszuzahlen. Dem haben die Tarifvertragsparteien des RTV Rechnung getragen und die Fälligkeit der Urlaubsabgeltung abweichend von der gesetzlichen Regelung bestimmt.

24II. Dem Kläger stehen Verzugszinsen gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 iVm. Abs. 2 Nr. 1, § 288 Abs. 1 BGB nicht bereits ab dem und auch nicht ab dem , wie der Kläger dies zunächst verlangt hat, sondern erst ab dem zu.

25B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

Fundstelle(n):
BB 2015 S. 1335 Nr. 22
PAAAE-69217