BSG Urteil v. - B 11 AL 12/13 R

Arbeitslosengeld - Restanspruch - Bemessungsentgelt - Arbeitsentgelt - Ausbildungsvergütung bei betrieblicher Ausbildung - keine fiktive Bemessung - Gleichheitssatz - außerbetriebliche Ausbildung

Gesetze: § 25 Abs 1 S 1 SGB 3, § 25 Abs 1 S 2 SGB 3 vom , § 131 Abs 1 S 1 SGB 3, § 132 Abs 1 S 1 SGB 3, § 134 Abs 2 Nr 2 SGB 3, Art 3 Abs 1 GG

Instanzenzug: SG Altenburg Az: S 11 AL 401/07 Urteilvorgehend Thüringer Landessozialgericht Az: L 10 AL 409/10 Urteil

Tatbestand

1Streitig ist, ob dem Kläger für die Zeit vom bis höheres Arbeitslosengeld (Alg) zusteht, insbesondere ob das Alg anstatt nach dem in der betrieblichen Ausbildung erzielten Entgelt fiktiv nach Qualifikationsgruppe 3 zu bemessen ist.

2Der 1984 geborene Kläger absolvierte bis eine duale Ausbildung zum Gas- und Wasserinstallateur. Das Ausbildungsverhältnis endete mit bestandener Gesellenprüfung. Im Anschluss daran meldete sich der Kläger arbeitslos und beantragte Alg. Die Beklagte bewilligte ihm Alg ab nach einem Bemessungsentgelt von 12,52 Euro täglich sowie einem Leistungssatz von 5,93 Euro (allgemeiner Leistungssatz, Lohnsteuerklasse 1; Bescheide vom 11. und ). Der Kläger bezog die Leistung bis zum . Anschließend meldete er sich aus dem Leistungsbezug ab, besuchte bis die berufsbildende Schule für Bautechnik in Gera und meldete sich zum erneut arbeitslos. Die Beklagte bewilligte ihm Alg, das weiterhin nach dem Entgelt von 12,52 Euro täglich bemessen war (Verwaltungsakt vom ). Vom bis war der Kläger bei seinem früheren Ausbildungsbetrieb als Gas- und Wasserinstallateur versicherungspflichtig beschäftigt. Dieser bescheinigte ihm für die gesamte Beschäftigungszeit ein Arbeitsentgelt von 4784,50 Euro.

3Am meldete sich der Kläger erneut arbeitslos und beantragte Alg. Die Beklagte bewilligte ihm Alg wiederum mit einem Leistungssatz von 5,93 Euro täglich (Bemessungsentgelt von 12,52 Euro, allgemeiner Leistungssatz; Bescheid vom ; Widerspruchsbescheid vom ).

4Hiergegen hat der Kläger erfolglos Klage mit der Begründung geltend gemacht, ihm sei Alg aufgrund einer fiktiven Bemessung nach Qualifikationsgruppe 3 zu zahlen (Urteil vom ).

5Das Landessozialgericht (LSG) hat seine Berufung zurückgewiesen (Urteil vom ). Der Kläger habe ab kein neues Stammrecht auf Alg erworben, weil er nach dem Entstehen des letzten Anspruchs keine Anwartschaftszeit mit mindestens zwölf Monaten in einem Versicherungspflichtverhältnis zurückgelegt habe. Ein höherer Anspruch auf Alg ergebe sich auch nicht, weil die Beklagte das Alg aufgrund einer fiktiven Bemessung hätte bewilligen müssen, denn der Kläger habe im erweiterten Bemessungsrahmen 150 Tage mit Arbeitsentgelt in Form der Ausbildungsvergütung zurückgelegt. Da sich das Alg des Klägers nach §§ 130, 131 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III aF) bemessen lasse, sei eine fiktive Bemessung nach § 132 SGB III aF nicht vorzunehmen. Dies verletze auch nicht Verfassungsrecht.

6Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 132 SGB III aF (jetzt: § 152 SGB III). Zwar habe er durch die zwischenzeitliche Beschäftigung kein neues Stammrecht auf Alg erworben, die Beklagte sei aber verpflichtet, das Alg neu zu berechnen und nach § 132 SGB III aF zu bemessen, weil es sich bei der Ausbildungsvergütung nicht um Arbeitsentgelt handle. Zudem führe die Bemessung des Alg nach der früher bezogenen Ausbildungsvergütung zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung (Verstoß gegen Art 3 Abs 1 Grundgesetz <GG>), weil die Gruppe der Personen mit betrieblicher Ausbildung, die - wie er - eine Ausbildungsvergütung erhalten habe, schlechter gestellt werde als die Gruppe der außerbetrieblich Auszubildenden. Diese Gruppe stehe ebenfalls in einem Versicherungspflichtverhältnis, für sie sei aber eine fiktive Bemessung des Alg vorzunehmen. Dadurch ergebe sich für die Vergleichsgruppe ein Bemessungsentgelt im Jahr 2006 von täglich 65,33 Euro. Demgegenüber werde das Alg von Personen, die eine betriebliche (duale) Berufsausbildung absolviert haben, nach der Ausbildungsvergütung bemessen. Dies führe - wie vorliegend - zu deutlich niedrigeren Leistungssätzen. Diese Unterschiede seien mit Sachgründen nicht zu rechtfertigen.

7Der Kläger beantragt,das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom sowie das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom aufzuheben und die Bescheide der Beklagten vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom abzuändern, und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger für die Zeit vom bis höheres Arbeitslosengeld zu bewilligen.

8Die Beklagte beantragt,die Revision des Klägers zurückzuweisen.

9Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend (unter Hinweis auf - SozR 4-4300 § 132 Nr 9).

Gründe

10Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet (§ 170 Abs 1 S 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>).

11Gegenstand der Revision ist das Urteil des LSG, das die vom Kläger ursprünglich zulässig erhobene Anfechtungsklage gegen die Begrenzung der Höhe des bewilligten Alg in dem Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom sowie - damit verbunden - eine auf höheres, nach Qualifikationsgruppe 3 bemessenes Alg gerichtete Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4, § 56 SGG). Das LSG hat zutreffend entschieden, dass die angefochtenen Bescheide nicht rechtswidrig sind und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzen.

121. Der Kläger hat für die Zeit vom bis keinen Anspruch auf höheres nach Maßgabe des Arbeitsentgelts seiner letzten Beschäftigung Alg, da im November 2006 ein neues Stammrecht nicht entstanden war.

13Aufgrund der Arbeitslosmeldung am ergibt sich gemäß § 124 SGB III aF eine Rahmenfrist vom bis , weil dies nicht in eine vorangegangene Rahmenfrist hineinragen darf (§ 124 Abs 2 S 1 SGB III aF). Innerhalb dieser Rahmenfrist hat der Kläger keine neue Anwartschaftszeit (§ 123 Abs 1 S 1 SGB III aF) zurückgelegt, weil er nur knapp vier Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis zur Arbeitslosenversicherung stand.

142. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, das dem Kläger ab wiederbewilligte Alg fiktiv nach dem Entgelt der Qualifikationsgruppe 3 (§ 132 Abs 2 Nr 3 SGB III aF) zu bemessen.

15a) Der geltend gemachte Anspruch auf einen höheren Zahlbetrag des Alg scheitert nicht schon daran, dass dem Kläger Zahlungsansprüche aus dem am entstandenen Stammrecht auf Alg wiederbewilligt wurden. Auch bei Wiederbewilligung ist es im Grundsatz nicht ausgeschlossen, dass sich höhere Ansprüche als bei der Erstbewilligung ergeben.

16Zwar bestimmen sich Art, Dauer und Höhe der Leistung in einem Fall, in dem ein Restanspruch auf Alg zu bewilligen ist, weiterhin nach den Umständen, die zum Zeitpunkt des Entstehens des Stammrechts vorgelegen haben (§ 130 Abs 1 S 2 SGB III aF; § 133 Abs 2 S 1 SGB III aF). Von diesem Grundsatz bildet auch § 131 Abs 4 SGB III aF (jetzt § 151 Abs 4 SGB III) keine Ausnahme, weil die Regelung nur Anwendung findet, nachdem ein neues Stammrecht auf Alg entstanden ist (Mutschler in Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 3. Aufl 2013, § 151 RdNr 20; zum alten Recht: Valgolio in Hauck/Noftz, SGB III, Stand VII/2009, K § 131 RdNr 54). Bei der Wiederbewilligung von Alg für eine Restanspruchsdauer bleibt ua das Lebensalter maßgeblich, das der Arbeitslose zum Zeitpunkt der Entstehung des Stammrechts erreicht hatte. Das Lebensalter zum Zeitpunkt der Wiederbewilligung des Zahlungsanspruchs ist nicht maßgeblich (). Das Alg ist bei Bewilligung einer Restanspruchsdauer auch nach dem Berechnungsmodus zu bemessen, der der ersten Bewilligung nach Entstehung des Stammrechts zugrunde zu legen war ( - SozR 3-4100 § 112 Nr 13; Valgolio in Hauck/Noftz, SGB III § 150 RdNr 42).

17Das bedeutet andererseits nicht, dass ein bei der erstmaligen Bewilligung zu hoch oder zu niedrig bemessener Zahlbetrag des Alg bei einer späteren Wiederbewilligung nicht korrigiert werden müsste ( - DBlR 2966a zu § 146 AFG). Zum Zeitpunkt der Wiederbewilligung des Restanspruchs ist zu prüfen, ob die Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde nach wieder vorliegen und ob die Leistung nach Dauer und Höhe zutreffend bestimmt war und ist. Dementsprechend hat das Bundessozialgericht (BSG) bereits entschieden, dass eine Bindung an frühere Bewilligungen schon deshalb nicht besteht, weil diese sich nur auf den Verfügungssatz des früheren Verwaltungsakts, nicht aber auf einzelne Berechnungselemente - wie hier das zu Grunde zu legende Bemessungsentgelt - beziehen könnte ( - SozR 4100 § 112 Nr 23). Bestehen allerdings keine Anhaltspunkte für eine unzutreffende Berechnung und Bemessung des wieder zu bewilligenden Anspruchs, kann in der Praxis weiterhin der bisherige Zahlbetrag des Alg zu Grunde gelegt werden. Ein solcher Fall liegt hier vor.

18b) Die Voraussetzungen, das Alg fiktiv nach dem Entgelt der Qualifikationsgruppe 3 (§ 132 Abs 2 Nr 3 SGB III aF) zu bemessen liegen nicht vor.

19Nach § 129 Nr 2 SGB III aF beträgt das Alg für Arbeitslose, die kein Kind iS des § 32 Abs 1, 3, 5 Einkommensteuergesetz haben, 60 vH des pauschalierten Nettoentgelts (allgemeiner Leistungssatz), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat. Das Bemessungsentgelt ist gemäß § 131 SGB III aF das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat.

20Im Bemessungszeitraum hat der Kläger ein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt in Form der Ausbildungsvergütung von 4556,06 Euro erzielt, woraus sich ein durchschnittliches tägliches Entgelt von 12,52 Euro brutto errechnet. Abzüglich Sozialversicherungspauschale (keine Steuer) beträgt das Leistungsentgelt 9,89 Euro netto (12,52 Euro abzüglich 21 vH aus diesem Betrag), aufgrund des Leistungssatzes (60 vH) ergibt sich ein Zahlbetrag des Alg von 5,93 Euro täglich.

21Diese Berechnung ergibt sich ua aus der Vorschrift des § 131 Abs 1 S 1 SGB III aF, die das Bemessungsentgelt als das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt definiert (zur Identität des Arbeitsentgeltbegriffs im Bemessungs- und Beitragsrecht vgl ; Behrend in Eicher/Schlegel, SGB III, Stand Dezember 2010, § 131 RdNr 26 mwN). Anders als der Kläger meint, kann der Begriff des Bemessungsentgelts schon Kraft dieser gesetzlichen Regelung nicht von dem Begriff des beitragspflichtigen Arbeitsentgelts "entkoppelt" werden. Der Begriff des beitragspflichtigen Arbeitsentgelts ist im Bemessungsrecht des SGB III nicht anders zu verstehen als in dessen Beitragsrecht.

22Zwar stellt eine Ausbildungsvergütung arbeitsrechtlich keinen Lohn im engeren Sinne dar, sie ist aber Arbeitsentgelt im beitragsrechtlichen Sinne, das die in betrieblicher Ausbildung versicherungspflichtig Beschäftigten (§ 25 Abs 1 S 1 SGB III) beziehen. Diese und weitere in diesem Rechtsstreit aufgeworfene Fragen hat der Senat bereits mit Urteil vom (B 11 AL 12/12 R - SozR 4-4300 § 132 Nr 9) beantwortet (die für diesen Fall maßgeblichen Passagen des Urteils finden sich unter den RdNr 15 bis 17, RdNr 22 und RdNr 28 bis 31).

23Hieran hält der Senat fest. Das Alg des Klägers ist nach Maßgabe der §§ 130, 131 SGB III aF zutreffend bemessen worden.

243. Der Kläger wird durch die Regelungen des Bemessungsrechts nicht in seinen Grundrechten, insbesondere aus dem Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG, verletzt.

25Nach dem Wegfall der früheren Sonderregelung (§ 134 Abs 2 Nr 2 SGB III in der Fassung bis ), die die betrieblichen Auszubildenden begünstigte, stellte sich die Frage, ob in Bezug auf die Bemessung von Alg eine Ungleichbehandlung der Gruppe der betrieblich ausgebildeten gegenüber der Gruppe der außerbetrieblich ausgebildeten Personen vorliegt, die den Gleichheitssatz aus Art 3 Abs 1 GG verletzt. Diese Frage hat der Senat verneint ( - SozR 4-4300 § 132 Nr 9 RdNr 28 f).

26Es ist schon fraglich, ob die Vergleichsgruppen in den für das SGB III wesentlichen Anknüpfungspunkten vergleichbar sind. Denn die Gruppe der Personen, die eine betriebliche Berufsausbildung abgeschlossen hat, stand während der Ausbildung in einer Beschäftigung (§ 25 Abs 1 S 1 SGB III). Die Gruppe der außerbetrieblich Ausgebildeten wird der erstgenannten Gruppe nur Kraft gesetzlicher Fiktion und nur im Hinblick auf das Vorliegen eines Versicherungspflichtverhältnisses gleichgestellt (§ 25 Abs 1 S 2 SGB III in der Fassung des Job-AQTIV-Gesetzes vom , BGBl I 3443). Der Neufassung der Vorschrift lag eine Entscheidung zu Grunde, in der der 12. Senat des BSG ausgeführt hatte, dass es sich bei der außerbetrieblichen Ausbildung gerade nicht um eine Beschäftigung zur Berufsausbildung iSd § 25 Abs 1 S 1 SGB III, § 7 Abs 2 Sozialgesetzbuch Viertes Buch handle (vgl - SozR 3-2600 § 1 Nr 7; zum neueren Recht: - SozR 4-4300 § 122 Nr 8 RdNr 16 mwN). Der Gesetzgeber hat hierauf mit einer Gesetzesänderung reagiert, die bestimmt, dass die außerbetriebliche der betrieblichen Berufsausbildung in Bezug auf das Vorliegen eines Versicherungspflichtverhältnisses gleichzustellen ist. Schon an diesem Regelungsbedarf wird deutlich, dass beide Arten von Ausbildungen sich unterscheiden. Es handelt sich schon deshalb nicht um Sachverhalte, die in Bezug auf die Bemessung des Alg aus Gründen der Gewährleistung des Gleichheitssatzes (Art 3 Abs 1 GG) gleich zu behandeln wären (vgl dazu im Einzelnen - SozR 4-4300 § 132 Nr 9 RdNr 28 f).

27Dem Kläger ist allerdings zuzugeben, dass die Regelungen des Bemessungsrechts zur wirtschaftlichen Folge haben, dass die Gruppe der außerbetrieblich Ausgebildeten oft höheres Alg beanspruchen kann, als die Vergleichsgruppe. Denn deren (fiktive) Bemessung orientiert sich am Durchschnittentgelt aller Beschäftigten (Bezugsgröße), während die Vergleichsgruppe aufgrund der in der Regel geringeren Ausbildungsvergütung regelmäßig einen geringeren Zahlbetrag an Alg erhält. Diese Folge des Bemessungsrechts mag rechtspolitisch unbefriedigend erscheinen, eine Verletzung des Gleichheitssatzes liegt aber nicht vor (so auch Fischinger SGb 2013, 645, 646). Die daraus resultierenden Härten sind hinzunehmen ( - SozR 4-4300 § 132 Nr 9; Fischinger aaO).

28Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2014:140514UB11AL1213R0

Fundstelle(n):
DB 2014 S. 15 Nr. 21
KAAAE-68614