BGH Beschluss v. - 1 StR 605/13

Strafurteil: Widerspruch zwischen verkündeter Urteilsformel und schriftlicher Urteilsformel bei rechtlich einwandfreien Strafzumessungserwägungen

Gesetze: § 260 StPO, § 354 StPO

Instanzenzug: LG Darmstadt Az: 650 Js 3685/08 - 18 KLs

Gründe

1Der Angeklagte ist unter Freispruch im Übrigen wegen der aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Taten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt worden, wobei im Tenor des angefochtenen Urteils 132 Fälle des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt und 123 Fälle der Steuerhinterziehung genannt sind.

2Seine Revision ist auf mehrere Verfahrensrügen und die nicht näher ausgeführte Sachrüge gestützt. Sie führt zu den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Änderungen und Ergänzungen, bleibt aber im Übrigen erfolglos.

I.

3Zu den Verfahrensrügen:

41. Verstoß gegen § 268 Abs. 3 StPO.

5a) Die Hauptverhandlung war am nach 59 Verhandlungstagen beendet. Ohne dass sie nochmals eröffnet worden wäre, wurde das Urteil am verkündet.

6Hierauf gestützt, macht die Revision zutreffend geltend, dass die Frist des § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO überschritten worden sei.

7b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es vielfach nicht auszuschließen, dass ein Urteil auf einem solchen Mangel beruht (vgl. z.B. mwN), maßgeblich sind aber - wie bei allen sog. relativen Revisionsgründen - unter Berücksichtigung von Sinn und Bedeutung der verletzten Bestimmung stets die Umstände des Einzelfalls. Die nur begrenzte zeitliche Frist zwischen dem Abschluss der Verhandlung und der Urteilsverkündung soll sicherstellen, „dass die Schlussvorträge und das letzte Wort bei der Beratung allen Richtern noch lebendig in Erinnerung sind" (BGH, aaO). Dementsprechend ist maßgeblich darauf abzustellen, ob über das Urteil innerhalb der Frist des § 268 Abs. 3 Satz 2 StPO befunden wurde (vgl. mwN) oder nicht (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 58/07 und vom - 4 StR 452/06; Urteil vom - 2 StR 22/07). Ob dies der Fall war, kann allein anhand der schriftlichen Urteilsgründe regelmäßig nicht zuverlässig überprüft werden ().

8Dementsprechend zieht der Bundesgerichtshof in diesem Zusammenhang regelmäßig dienstliche Äußerungen bei (vgl. sämtliche genannte Entscheidungen).

9c) Hier hat der Vorsitzende folgende dienstliche Erklärung - an der zu zweifeln der Senat keinen Anlass sieht - abgegeben:

10„Es war zunächst vorgesehen, das Urteil bereits am zu verkünden. Hiervon wurde abgesehen, da Rechtsanwalt L.       für diesen Fall die Stellung eines Befangenheitsantrags in Aussicht stellte. Rechtsanwalt L.       erklärte, er halte es nicht für angezeigt - unmittelbar im Anschluss an die Schlussvorträge der Verteidigung und nach einer relativ kurzen Beratungszeit - das Urteil zu verkünden.

11Daraufhin wurde von mir der als nächster Verhandlungstermin benannt.

12Verschiedene Verteidiger erklärten, an diesem Tag verhindert zu sein. Allerdings vermag ich aus der Erinnerung nicht mehr mitzuteilen, welche Verteidiger dies waren.

13Es wurde dann von Seiten der Verteidiger (möglicherweise die Herren Rechtsanwälte C.     und D.    ) vorgeschlagen, den als Verhandlungstag entfallen zu lassen und den als nächsten Verhandlungstag zu bestimmen.

14Hierauf habe ich mich leider eingelassen und mir ist dann der Fehler unterlaufen am nicht nochmals in die Beweisaufnahme einzutreten.

15Das am verkündete Urteil wurde nach dem Ende der Sitzung vom beraten. Im Rahmen dieser Beratung wurde der Umfang der Verurteilungen bzw. Freisprüche beraten. Des weiteren wurden die Strafen beraten. Insoweit wurde ein vorläufiges Ergebnis gefunden. Hierbei ist anzumerken, dass während der gesamten Hauptverhandlung immer wieder der Stand des Verfahrens sowie die möglichen Rechtsfolgen erörtert und beraten wurden. Dies war u.a. aufgrund der zahlreichen Beweisanträge erforderlich. Im Rahmen der Beratung am konnte immer wieder auf die bereits gefundenen Zwischenergebnisse Bezug genommen werden.

16Die abschließende Beratung erfolgte dann am in der Zeit ab ca. 11.15 Uhr bis ca. 13.00 Uhr. Im Rahmen dieser Beratung wurden die zuvor gefundenen Ergebnisse nochmals evaluiert. Bereits der Umfang des Verfahrens sowie der Umfang der getroffenen Feststellungen zeigen, dass in dieser kurzen Zeit eine umfassende Beratung nicht stattgefunden haben kann."

17d) Dem entnimmt der Senat:

18Auf der Grundlage zahlreicher vorangegangener Zwischenberatungen hat die Strafkammer das Urteil unmittelbar im Anschluss an die Hauptverhandlung noch am beraten und zu allen für ein Urteil maßgeblichen Gesichtspunkten („Umfang der Verurteilungen bzw. Freisprüche"; „die Strafen") Ergebnisse gefunden. Der Umstand, dass unmittelbar vor der Urteilsverkündung die „zuvor gefundenen Ergebnisse nochmals evaluiert" wurden, stellt nicht in Frage, dass hier die Entscheidung rechtzeitig und unter dem noch frischen Eindruck der soeben beendeten Hauptverhandlung getroffen wurde. Ist dies aber der Fall, so gefährdet allein die verspätete Verkündung des rechtzeitig beratenen Urteils den Bestand dieses Urteils nicht. Umstände des Einzelfalls, die eine andere Beurteilung nahe legen könnten, sind nicht ersichtlich.

192. Besetzungsrüge.

20Folgendes liegt zu Grunde:

21Im Laufe der Hauptverhandlung wurde der Vorsitzende zum Direktor eines Amtsgerichts ernannt und zum Landgericht (teilweise) rückabgeordnet. Ein beisitzender Richter, zu Beginn der Hauptverhandlung noch Richter auf Probe, wurde im Laufe der Hauptverhandlung zum Richter auf Lebenszeit (Richter am Landgericht) ernannt. Bei zwei Hauptverhandlungsterminen war zwar schon der Vorsitzende zum Direktor des Amtsgerichts ernannt, nicht aber der Beisitzer zum Richter am Landgericht. Im Ergebnis zutreffend weist die Revision darauf hin, dass gemäß § 29 DRiG dem erkennenden Gericht nicht gleichzeitig ein abgeordneter Richter und ein Richter auf Probe angehören dürfen. Jedoch wurden ausweislich der (auch vom Beschwerdeführer nicht in Zweifel gezogenen) Revisionsgegenerklärung der Staatsanwaltschaft sämtliche wesentlichen Verfahrensvorgänge, zu denen es an diesen Terminen gekommen war, im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung wiederholt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Verfahrensfehler geheilt, wenn während des Laufs einer Hauptverhandlung der Rechtsgrund, der dazu geführt hat, dass hinsichtlich eines Richters ein Besetzungsmangel vorliegt, beseitigt wird und danach der (die) wesentliche(n) Teil(e) der Hauptverhandlung, der (die) zum Zeitpunkt des Besetzungsmangels durchgeführt wurde(n), wiederholt worden ist (sind) (; in vergleichbarem Sinne schon Dallinger in MDR 1971, 361, 364). Der Umstand, dass der Besetzungsmangel vor der Heilung in der Hauptverhandlung geltend gemacht wurde, steht dem nicht entgegen (BGH, aaO). Daher muss die Rüge im Ergebnis erfolglos bleiben.

II.

22Zum Schuldspruch.

23Insoweit hat die Sachrüge keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben. Allerdings stimmen die im Urteilstenor angegebenen Zahlen der Fälle von (vollendetem) Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt und von (vollendeter) Steuerhinterziehung nicht mit den Urteilsfeststellungen überein. Die dort jeweils festgestellten Fallzahlen sind geringer. Insoweit liegt ein Versehen vor, auf das die Strafkammer in den Urteilsgründen selbst hingewiesen hat. Dementsprechend sind auch nur für die ausweislich der Urteilsgründe festgestellten Fälle Strafen verhängt. Dementsprechend hat der Senat den Urteilstenor berichtigt (vgl. hierzu näher Wiedner in Graf, StPO, 2. Aufl., § 354 Rn. 31 mwN).

III.

24Zum Strafausspruch.

251. Zutreffend weist die Revision darauf hin, dass die ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls verkündete und in den Urteilsgründen angeführte Strafe (Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten) nicht mit der ausweislich des Urteilstenors verhängten Strafe (Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten) übereinstimmt. Enthalten die Urteilsgründe, wie hier, rechtlich einwandfreie Strafzumessungserwägungen, ist ein Widerspruch zwischen der verkündeten Urteilsformel einerseits und der schriftlichen Urteilsformel sowie andererseits jedenfalls regelmäßig kein offenkundiges Fassungsversehen, das einer nachträglichen Berichtigung zugänglich wäre ( mwN). Besonderheiten, die hier eine andere Beurteilung zuließen (vgl. BGH, aaO mwN), sind nicht ersichtlich. Der Senat kann angesichts der von der aufgezeigten Unklarheit unabhängigen Feststellungen und Wertungen des Urteils jedoch ausschließen, dass die Strafkammer auf eine noch niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe als die von fünf Jahren und sechs Monaten erkannt hätte. Daher erkennt er auf die niedrigere der beiden Strafen durch (vgl. BGH, aaO mwN; ; Beschluss vom - 5 StR 475/12), wie dies im Ergebnis auch der Generalbundesanwalt beantragt hat.

262. Darüber hinaus hat der Senat die von der Strafkammer unterlassene Bemessung der Tagessatzhöhe in den Fällen nachgeholt, in denen auf Geldstrafe erkannt wurde (jeweils Vergehen gemäß § 370 AO für die Monate März, April, Mai und Juni 2007, Januar 2008 <bez. Fa. I.  >, März 2008 <bez. Fa. HO.  >, November 2008 <bez. Fa. R.   >, Juli 2009 <bez. Fa. N.     > sowie Vergehen gemäß § 266a StGB für die Monate Mai 2007 <bez. Fa. I.  >, Juli, August, September, November 2009 <bez. Fa. N.     >), und den Tagessatz in Übereinstimmung mit dem Antrag des Generalbundesanwalts auf den Mindestbetrag von 1 € festgesetzt (vgl. ; vgl. auch ).

IV.

27Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO. Der geringe Teilerfolg der Revision gibt zu einer Entscheidung gemäß § 473 Abs. 4 StPO keine Veranlassung.

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

Fundstelle(n):
AO-StB 2015 S. 12 Nr. 1
wistra 2014 S. 361 Nr. 9
wistra 2014 S. 437 Nr. 11
PAAAE-68005