Erlass einer einstweiligen Anordnung: Untersagung der Sichtung und Auswertung von Beweisgegenständen, die im Rahmen einer Durchsuchung sichergestellt worden waren - drohende irreparable Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung überwiegt Folgen einer bloßen Verzögerung des Ermittlungsverfahrens
Gesetze: Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, Art 13 Abs 1 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 184b Abs 1 StGB vom , § 184b Abs 1 StGB vom , § 184b Abs 4 S 2 StGB, § 102 StPO
Instanzenzug: LG Gießen Az: 7 Qs 183/13 Beschlussvorgehend AG Gießen Az: 517 Gs - 602 Js 18835/13 Beschlussnachgehend Az: 2 BvR 200/14 Nichtannahmebeschluss
Gründe
I.
11. Gegen den Beschwerdeführer ist seit Anfang des Jahres 2013 ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Besitzes kinderpornographischer Schriften (§ 184b StGB) anhängig, welches zunächst durch die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main - Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität -, Außenstelle Gießen, geführt wurde. Ausgangspunkt des Ermittlungsverfahrens war der am erfolgte Erwerb einer DVD mit kinderpornographischen Inhalten durch den Beschwerdeführer auf der Internetseite www…, welcher erst im Jahr 2012 im Rahmen eines anderen Ermittlungsverfahrens bekannt wurde. Der Erwerb der auf dem Video erkennbaren "Posing-Darstellungen" war im Jahr 2007 noch nicht mit Strafe bedroht.
2Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main beantragte am den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses, mit dem die Durchsuchung der Wohnräume des Beschwerdeführers wegen des Verdachts des Besitzes kinderpornographischer Schriften im Sinne von § 184b Abs. 4 Satz 2 StGB angeordnet werden sollte, da zu vermuten sei, dass der Beschwerdeführer noch immer jedenfalls im Besitz der am erworbenen DVD mit nunmehr - nach einer Gesetzesänderung im Jahr 2008 - strafbaren Inhalten sei. Der Durchsuchungsbeschluss wurde am vom Amtsgericht Gießen erlassen und die Durchsuchung am vollzogen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Beschwerdeführers verwarf das Landgericht Gießen mit Beschluss vom als unbegründet.
32. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer unter anderem eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 13 Abs. 1 GG. Im Wege der einstweiligen Anordnung beantragt er zudem, die Sichtung und Auswertung sämtlicher bei der Durchsuchung in behördlichen Gewahrsam gelangten und dort noch befindlichen Daten und Beweisgegenstände bis zur Entscheidung über seine Verfassungsbeschwerde zu untersagen.
II.
4Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen vor. Der zulässige Antrag ist begründet.
51. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Entscheidung über die einstweilige Anordnung haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahmen vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die in der Hauptsache begehrte Feststellung oder der in der Hauptsache gestellte Antrag erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 103, 41 <42>; stRspr). Erweist sich der Ausgang des Hauptsacheverfahrens als offen, so hat das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich lediglich im Rahmen einer Folgenabwägung die Nachteile abzuwägen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber in der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnungerlassen würde, ihr der Erfolginder Hauptsache aber zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 99, 57 <66>; stRspr).
62. a) Die Verfassungsbeschwerde ist weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers ist eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 13 Abs. 1 GG jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen.
7b) Die somit nach § 32 BVerfGG gebotene Abwägung fällt zugunsten des Beschwerdeführers aus.
8aa) Erginge die beantragte einstweilige Anordnung, stellte sich die Verfassungsbeschwerde später aber als unbegründet heraus, würde sich die Auswertung der sichergestellten Beweisgegenstände und damit das gegen den Beschwerdeführer geführte Ermittlungsverfahren lediglich verzögern. Es ist nicht erkennbar, dass wegen dieser Verzögerung ein erheblicher Nachteil für das Wohl der Allgemeinheit zu besorgen wäre. Insbesondere würde der Strafverfolgungsanspruch des Staates nicht gravierend beeinträchtigt, zumal es der Staatsanwaltschaft nicht verwehrt wäre, in der Zwischenzeit anderweitige Ermittlungen im vorliegenden Fall anzustellen.
9bb) Unterbliebe der Erlass einer einstweiligen Anordnung hingegen, stellte sich die Verfassungsbeschwerde aber später als begründet heraus, wäre dies demgegenüber mit irreparablen Nachteilen verbunden. In diesem Fall würde die bevorstehende Auswertung der sichergestellten Gegenstände irreversibel das Recht des Beschwerdeführers auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) verletzen.
10cc) Bei Abwägung der widerstreitenden Interessen überwiegen die für den Beschwerdeführer aus einer Auswertung der Unterlagen drohenden Nachteile eines irreparablen Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Auf Seiten der Strafverfolgungsbehörden führt der Erlass der einstweiligen Anordnung lediglich zu einer Verzögerung, nicht aber zur Vereitelung des staatlichen Strafanspruchs.
11Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2014:rk20140205.2bvr020014
Fundstelle(n):
NJW 2014 S. 2939 Nr. 40
IAAAE-65463