Haftung bei Lohnsteuerabzugspflicht Dritter
Leitsatz
1. Eine Haftung des Arbeitgebers in Fällen des § 38 Abs. 3a EStG kommt nach § 42d Abs. 9 Satz 4 EStG i.V.m. § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG nur in Betracht, wenn der Dritte die Lohnsteuer für den Arbeitgeber nicht vorschriftsmäßig vom Arbeitslohn einbehalten hat.
2. An einem derartigen Fehlverhalten fehlt es, wenn beim Lohnsteuerabzug entsprechend einer Lohnsteueranrufungsauskunft oder in Übereinstimmung mit den Vorgaben der zuständigen Finanzbehörden der Länder oder des Bundes verfahren wird.
Gesetze: EStG § 42eEStG § 42d Abs. 9 Satz 4 i.V.m. § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1EStG § 38 Abs. 3a
Instanzenzug: (EFG 2013, 1524) (Verfahrensverlauf),
Gründe
1 I. Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Lohnsteuerhaftungsbescheids zu Lasten des Arbeitgebers.
2 Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist ein Unternehmen, das Leistungen des Maurer- und Betonhandwerks erbringt und ihren Sitz im EU-Ausland hat. Seit dem betreibt sie eine im Handelsregister eingetragene Zweigniederlassung in der Bundesrepublik Deutschland. Ihr Geschäftsführer hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt im EU-Ausland. Zur Durchführung von Maurer- und Betonarbeiten entsandte sie ausländische Arbeitnehmer auf inländische Baustellen. Die Klägerin beteiligte sich am Urlaubskassenverfahren der Sozialkassen der Bauwirtschaft und zahlte den im Tarifvertrag für das Baugewerbe festgelegten Prozentsatz zur Absicherung der Urlaubsansprüche ihrer Arbeitnehmer ein.
3 In den Jahren 2005 bis 2008 erhielten Arbeitnehmer der Klägerin von der Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft Abgeltungszahlungen für Urlaubsentschädigungen. Für Arbeitnehmer der Klägerin, die unter 183 Tage im Inland beschäftigt waren, führte die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft keine Lohnsteuer und keinen Solidaritätszuschlag ab.
4 Denn hierzu war ihr mit Schreiben vom von ihrem Betriebsstättenfinanzamt im Einvernehmen mit dem Hessischen Ministerium der Finanzen u.a. folgendes mitgeteilt worden:
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"1. Abgeltungszahlungen im laufenden Zeitraum Bei diesen Zahlungen ist lediglich zu prüfen, ob der 183-Tage-Zeitraum des jeweiligen DBA zum Zeitpunkt der Auszahlung unterschritten ist, bejahendenfalls ist kein Steuerabzug vorzunehmen. Von weiteren Zahlungen in diesem Zeitraum ist ein Steuerabzug vorzunehmen, wenn eine Überschreitung des 183-Tages-Zeitraums des maßgeblichen DBA erfolgt ist." |
6 Die Klägerin behielt für die von der Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft an diesen Arbeitnehmerkreis geleisteten Abgeltungszahlungen ebenfalls keine Lohnsteuer und keinen Solidaritätszuschlag ein. Eine Anzeige nach § 38 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und § 41c EStG gegenüber dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt —FA—) erfolgte insoweit nicht, obwohl ihr die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft regelmäßig Übersichten über die an die Arbeitnehmer ausbezahlten Urlaubsvergütungen übersandte, aus denen sich auch ergab, ob bzw. in welcher Höhe für den jeweiligen Arbeitnehmer hieraus Steuern abgeführt wurden.
7 Im Anschluss an eine Lohnsteuer-Außenprüfung bei der Klägerin vertrat das FA die Auffassung, dass die Urlaubsabgeltungsansprüche der Arbeitnehmer, die unter 183 Tage im Inland beschäftigt waren, von der Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft derLohnsteuer zu unterwerfen seien und erließ —ohne vorherige Anhörung— einen entsprechenden Haftungsbescheid über Lohnsteuer nebst Annexsteuern zu Lasten der Klägerin. In den Erläuterungen führt das FA aus, dass sich die Haftung aus § 42d Abs. 1 EStG ergebe. Ausführungen zu einer Inanspruchnahme der Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft (anstelle der Klägerin) fehlen.
8 Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage statt. Das beklagte FA sei für den Erlass des angefochtenen Haftungsbescheids nicht zuständig gewesen (Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 1524).
9 Mit der Revision rügt das FA die Verletzung von § 42d Abs. 9 EStG.
10 Es beantragt,
das Urteil des Sächsischen aufzuheben und die Klage abzuweisen.
11 Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
12 II. Die Revision des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Das FG hat zu Recht entschieden, dass der angefochtene Lohnsteuerhaftungsbescheid sowie die dazugehörige Einspruchsentscheidung rechtswidrig sind und die Klägerin in ihren Rechten verletzen.
13 1. Nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG haftet der Arbeitgeber für die Lohnsteuer, die er nach § 38 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 EStG bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn für Rechnung des Arbeitnehmers einzubehalten und nach § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG abzuführen hat. Er haftet gemäß § 42d Abs. 9 EStG auch dann, wenn ein Dritter nach § 38 Abs. 3a EStG seine lohnsteuerlichen Pflichten trägt. In diesen Fällen haftet der Dritte neben dem Arbeitgeber. Soweit die Haftung des Dritten reicht, sind der Arbeitgeber, der Dritte und der Arbeitnehmer Gesamtschuldner. § 42d Abs. 3 Satz 2 bis 4 EStG ist anzuwenden; § 42d Abs. 4 EStG gilt auch für die Inanspruchnahme des Dritten.
14 2. Eine Haftung des Arbeitgebers in Fällen des § 38 Abs. 3a EStG kommt daher nach § 42d Abs. 9 Satz 4 EStG i.V.m. § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG nur in Betracht, wenn der Dritte die Lohnsteuer für den Arbeitgeber nicht vorschriftsmäßig vom Arbeitslohn einbehalten hat.
15 3. An einem derartigen Fehlverhalten des —die Lohnsteuerpflichten des Arbeitgebers erfüllenden— Dritten —hier der Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft— fehlt es jedoch vorliegend. Der angefochtene Lohnsteuerhaftungsbescheid ist damit rechtswidrig.
16 a) Denn an einer vorschriftswidrigen Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer fehlt es, wenn der lohnsteuerliche Arbeitgeberpflichten wahrnehmende Dritte beim Lohnsteuerabzug entsprechend einer Lohnsteueranrufungsauskunft gemäß § 42e EStG verfährt (Senatsurteil vom VI R 44/12, BFHE 243, 266) oder den Lohnsteuerabzug nach den Vorgaben der zuständigen Finanzbehörden der Länder oder des Bundes vornimmt. In diesen Fällen ist es nicht gerechtfertigt, den Arbeitgeber oder den lohnsteuerliche Pflichten erfüllenden Dritten für einen unterbliebenen Lohnsteuerabzug in Anspruch zu nehmen (vgl. , BFHE 182, 145, BStBl II 1997, 413, und in BFHE 243, 266).
17 b) Wenn die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft gemäß dem Schreiben des Betriebsstättenfinanzamts vom , nach dem —im Einvernehmen mit dem (seinem) Hessischen Ministerium der Finanzen— für Arbeitnehmer, die unter 183 Tage im Inland beschäftigt sind, bei Abgeltungszahlungen kein Lohnsteuerabzug vorzunehmen ist, in derartigen Fällen keine Lohnsteuer einbehält und abführt, hat sie folglich den „Weisungen und Vorschriften” des Auftrag gebenden Finanzamts Rechnung getragen und damit die Lohnsteuer vorschriftsmäßig einbehalten. Der Haftungstatbestand ist in einem solchen Fall nicht erfüllt (vgl. Senatsurteile in BFHE 182, 145, BStBl II 1997, 413, und in BFH/NV 2014, 229).
18 c) Im Übrigen führt die ordnungsgemäße Abführung der weisungsgemäß einbehaltenen Lohnsteuer zum Erlöschen des Lohnsteueranspruchs des FA (§ 47 der Abgabenordnung). Die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners ist dann wegen der Akzessorietät der Haftung (z.B. , BFH/NV 2008, 526) nicht mehr möglich.
19 d) Dabei kann offenbleiben, ob das beklagte Betriebsstättenfinanzamt des Arbeitgebers oder —worauf die Vorinstanz erkannt hat— das Betriebsstättenfinanzamt des Dritten —hier der Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft— für den Erlass des angefochtenen Lohnsteuerhaftungsbescheids zu Lasten der Klägerin gemäß § 42d Abs. 9 Satz 8 EStG örtlich zuständig war.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2014 II Seite 592
BB 2014 S. 1301 Nr. 22
BBK-Kurznachricht Nr. 14/2014 S. 651
BFH/NV 2014 S. 1150 Nr. 7
BFH/PR 2014 S. 259 Nr. 8
BStBl II 2014 S. 592 Nr. 12
DB 2014 S. 1235 Nr. 22
DB 2014 S. 6 Nr. 21
DStR 2014 S. 8 Nr. 21
DStRE 2014 S. 723 Nr. 12
DStZ 2014 S. 436 Nr. 13
EStB 2014 S. 204 Nr. 6
FR 2014 S. 769 Nr. 16
GStB 2014 S. 34 Nr. 9
HFR 2014 S. 617 Nr. 7
KÖSDI 2014 S. 18876 Nr. 6
NJW 2014 S. 10 Nr. 23
NWB-Eilnachricht Nr. 22/2014 S. 1628
StB 2014 S. 173 Nr. 6
StBW 2014 S. 441 Nr. 12
StBW 2014 S. 494 Nr. 13
StuB-Bilanzreport Nr. 11/2014 S. 427
FAAAE-65010