BAG Urteil v. - 3 AZR 83/12

(Auslegung einer Versorgungsordnung - Verweisung auf die Grundsätze des Beamtenversorgungsrechts - Berücksichtigung eines Kindererziehungszuschlags nach § 50a BeamtVG)

Gesetze: § 1 BetrAVG, § 4 Abs 3 BeamtVG, § 14 BeamtVG, § 50a BeamtVG, § 85 BeamtVG, § 253 Abs 2 Nr 2 ZPO, § 256 Abs 1 ZPO, § 256 Abs 2 ZPO

Instanzenzug: Az: ö. D. 3 Ca 1368 b/10 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Az: 1 Sa 541 c/10 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Höhe des der Klägerin zustehenden Versorgungszuschusses.

2Die im Januar 1946 geborene Klägerin war vom bis zum bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Sie war wegen der Erziehung ihrer beiden in den Jahren 1965 und 1968 geborenen Kinder vom bis zum nicht berufstätig. Seit dem bezieht sie eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und von der Beklagten einen Versorgungszuschuss iHv. 1.098,84 Euro brutto monatlich nach der Dienstvereinbarung Nr. 1 vom (im Folgenden: DV Nr. 1). Diese bestimmt ua.:

3Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Zahlung eines höheren Versorgungszuschusses begehrt. Sie hat die Auffassung vertreten, für jedes ihrer beiden Kinder müsse ein Kindererziehungszuschlag nach § 50a BeamtVG gewährt werden. Dieser Zuschlag habe bis zum monatlich 26,55 Euro und ab dem monatlich 27,19 Euro pro Kind betragen. Der Anspruch auf Gewährung des Kindererziehungszuschlags ergebe sich aus § 4 Abs. 1 DV Nr. 1, der hinsichtlich der Versorgung auf die für Beamte des Landes Schleswig-Holstein geltenden Grundsätze des Beamtenversorgungsrechts verweise.

4Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

5Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

6Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und der Klage stattgegeben. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils. Die Klägerin begehrt die Zurückweisung der Revision.

Gründe

7Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Das Landesarbeitsgericht hat der Berufung der Klägerin zu Unrecht entsprochen und der Klage stattgegeben. Die zulässige Klage ist unbegründet.

8I. Die Klage ist zulässig. Dies gilt auch für den Antrag zu 2. Dieser ist in der gebotenen Auslegung hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO und erfüllt die für einen Feststellungsantrag erforderlichen Voraussetzungen nach § 256 ZPO.

91. Mit dem Klageantrag zu 2. begehrt die Klägerin trotz der missverständlichen Formulierung unzweifelhaft die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, ihr den in § 50a BeamtVG normierten Kindererziehungszuschlag als Teil des geschuldeten Versorgungszuschusses zu gewähren. Mit diesem Inhalt ist der Klageantrag zu 2. hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Klägerin erstrebt eine Erhöhung ihres Versorgungszuschusses um den Kindererziehungszuschlag für die Dauer von 24 Monaten, wobei sich - wie das Landesarbeitsgericht zu Recht ausgeführt hat - die Höhe des Zuschlags an der Regelung des § 50a BeamtVG in seiner jeweiligen Fassung orientieren soll. Das Klagebegehren richtet sich somit nicht darauf, die Zeiten der Kindererziehung bei der Berechnung des Versorgungszuschusses als ruhegeldfähige Dienstjahre zu berücksichtigen, sondern auf die Gewährung des Kindererziehungszuschlags nach § 50a BeamtVG.

102. Für diesen Antrag besteht das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse, da die Beklagte die Verpflichtung zur Gewährung eines Kindererziehungszuschlags nach § 50a BeamtVG bestreitet. Soweit sich der Feststellungsantrag auf die Zeit vom bis zum bezieht, handelt es sich im Übrigen um eine Zwischenfeststellungsklage iSv. § 256 Abs. 2 ZPO, für die ein besonderes Feststellungsinteresse nicht erforderlich ist.

11II. Die Klage ist unbegründet. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, der Klägerin den Kindererziehungszuschlag nach § 50a BeamtVG (seit : § 58 Beamtenversorgungsgesetz Schleswig-Holstein - SHBeamtVG vom [GVOBl. S. 153]) zu gewähren. Dies ergibt die Auslegung der DV Nr. 1. Der Kindererziehungszuschlag zählt nicht zu den von § 4 Abs. 1 DV Nr. 1 in Bezug genommenen Grundsätzen des Beamtenversorgungsrechts.

121. Dienstvereinbarungen sind - ebenso wie Betriebsvereinbarungen - wegen ihres normativen Charakters wie Tarifverträge und Gesetze auszulegen ( - zu II 1 b aa der Gründe). Auszugehen ist danach vom Wortlaut der Bestimmung und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Insbesondere bei unbestimmtem Wortsinn sind der wirkliche Wille der Parteien und der von ihnen beabsichtigte Zweck zu berücksichtigen, sofern und soweit sie im Text ihren Niederschlag gefunden haben. Abzustellen ist ferner auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Regelungen. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Bestimmung führt (vgl. zu Betriebsvereinbarungen  - Rn. 33; - 7 AZR 147/11 - Rn. 49 mwN).

132. Danach ist der Kindererziehungszuschlag nach § 50a BeamtVG nicht Teil des Versorgungszuschusses.

14a) Nach § 4 Abs. 1 DV Nr. 1 errechnet sich die Höhe der Gesamtversorgung in entsprechender Anwendung der für Beamte des Landes Schleswig-Holstein geltenden Grundsätze. § 4 Abs. 1 DV Nr. 1 erklärt damit nach seinem Wortlaut nicht das Beamtenversorgungsgesetz insgesamt für anwendbar, sondern verweist auf die Grundsätze, nach denen sich die Versorgung der schleswig-holsteinischen Beamten bestimmt. Für die Anwendung dieser Grundsätze enthält die DV Nr. 1 eigenständige, von den Bestimmungen des Beamtenversorgungsrechts abweichende Festlegungen, etwa zum Zahlungszeitpunkt des Versorgungszuschusses (§ 2 DV Nr. 1), zu dem versorgungsfähigen Gehalt und dazu, welche Vergütungsbestandteile hierzu zählen (§ 5 DV Nr. 1), zur Berücksichtigung von Vordienstzeiten (§ 6 DV Nr. 1) und zur Anrechnung von Renten auf die Gesamtversorgung (§ 7 DV Nr. 1). Es sollen daher nicht sämtliche Bestimmungen des Beamtenversorgungsgesetzes für den Versorgungszuschuss maßgeblich sein; vielmehr soll sich die Versorgung der unter die DV Nr. 1 fallenden Beschäftigten unter Berücksichtigung der in der DV Nr. 1 getroffenen Vorgaben an den grundlegenden Prinzipien orientieren, nach denen sich die Versorgung der Beamten richtet.

15Es gehört seit jeher zu den grundlegenden Prinzipien des Beamtenrechts, dass sich die Versorgung nach der dem zuletzt wahrgenommenen Amt entsprechenden Besoldungsgruppe sowie der ruhegehaltsfähigen Dienstzeit berechnet (vgl. § 4 Abs. 3 BeamtVG; ebenso: § 4 Abs. 3 SHBeamtVG) und ein bestimmter Versorgungsgrad (vgl. § 14 BeamtVG ggf. iVm. § 85 BeamtVG; ebenso: § 16 SHBeamtVG) sichergestellt wird. Eine Versorgung erfolgt nach den Grundsätzen des Beamtenversorgungsrechts und ist deshalb beamtenmäßig, wenn es sich um eine an der zuletzt bezogenen Vergütung und der ruhegehaltsfähigen Dienstzeit orientierte Versorgung mit einem dem Beamtenversorgungsrecht entsprechenden Versorgungsgrad handelt (vgl. etwa  - Rn. 33; - 3 AZR 719/06 - Rn. 40; - 3 AZR 717/06 - Rn. 29). Hiervon geht auch die DV Nr. 1 aus. Dies ergibt sich aus der Regelung in § 4 Abs. 2 DV Nr. 1, welche die in § 4 Abs. 1 DV Nr. 1 in Bezug genommenen Grundsätze konkretisiert. Danach sind maßgebende Kriterien für die Festsetzung des Versorgungszuschusses die Dienstjahre, das Gehalt und die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung und aus der Gruppenversicherung (§ 1 Abs. 1 Buchst. a und b DV Nr. 1). Die Gesamtversorgung soll daher in Abhängigkeit von der zuletzt bezogenen Vergütung und den anrechenbaren Dienstjahren (§ 4 Abs. 3 BeamtVG) festgelegt werden, von der anschließend die nach § 7 DV Nr. 1 anzurechnenden Versorgungsleistungen in Abzug gebracht werden.

16Zu diesen beamtenversorgungsrechtlichen Grundprinzipien zählt der Kindererziehungszuschlag nach § 50a BeamtVG (jetzt: § 58 SHBeamtVG) nicht. Er bemisst sich weder nach dem zuletzt bezogenen Gehalt noch nach den anrechenbaren Dienstjahren. Er ist vielmehr ein von diesen Berechnungsfaktoren unabhängiger Teil der Versorgung, der die ggf. geleistete Kindererziehung honoriert.

17b) Sinn und Zweck der Regelung, die Versorgung der Arbeitnehmer der Beklagten der Versorgung der beim Land Schleswig-Holstein ernannten Beamten anzugleichen, gebieten keine andere Auslegung. Die Beklagte will mit der Gewährung einer Gesamtversorgung in Abhängigkeit vom letzten Gehalt, den ruhegehaltsfähigen Dienstjahren und den anrechenbaren Versorgungsbezügen ein bestimmtes Versorgungsniveau sicherstellen, nicht aber die Kindererziehung honorieren. Diese Leistung wird über die gesetzliche Rentenversicherung abgesichert.

18c) In dieser Auslegung verstößt die Regelung entgegen der Auffassung der Klägerin nicht gegen höherrangiges Recht. Sie bewirkt keine Diskriminierung wegen des Geschlechts. Nach der DV Nr. 1 besteht Anspruch auf eine Versorgung im Alter, auf die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung grundsätzlich anzurechnen sind. Der Umstand, dass darin teilweise auch Rentenansprüche für Zeiten der Kindererziehung enthalten sind, führt nicht zu einer unzulässigen Benachteiligung. Dies ist lediglich die Folge der zugesagten Gesamtversorgung unter Anrechnung der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung.

19III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.

Fundstelle(n):
BB 2014 S. 1396 Nr. 23
YAAAE-64814