Antrag auf Schriftsatzfristgewährung ist wesentlicher, zu protokollierender Vorgang der Verhandlung
Leitsatz
Der Antrag auf Gewährung einer Schriftsatzfrist (§ 173 VwGO i.V.m. § 283 ZPO) gehört zu den wesentlichen Vorgängen der Verhandlung, die in das Sitzungsprotokoll aufzunehmen sind (§ 105 VwGO i.V.m. § 160 Abs. 2 ZPO).
Gesetze: Art 3 Abs 1 GG, § 86 Abs 3 VwGO, § 105 VwGO, § 108 Abs 1 VwGO, § 108 Abs 2 VwGO, § 173 S 1 VwGO, § 160 Abs 2 ZPO, § 283 ZPO, § 415 Abs 2 ZPO, § 44 LAnpG, § 64 S 1 LAnpG, § 56 LAnpG, § 58 LAnpG, § 18 LPGG, § 27 LPGG
Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Az: OVG 70 A 6.11 Urteil
Gründe
1Die auf Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) und auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
21. Ein entscheidungserheblicher Verfahrensmangel liegt nicht vor.
3a) Die Beschwerde meint, das Oberverwaltungsgericht habe gegen § 108 Abs. 2 VwGO verstoßen, weil es den Antrag des Klägers auf Gewährung einer Schriftsatzfrist zu dem erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Pachtvertrag aus dem Jahre 1990 abgelehnt habe. Dem kann schon deshalb nicht gefolgt werden, weil ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom ein solcher Antrag nicht gestellt wurde. Der Antrag auf Gewährung einer Schriftsatzfrist nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 283 ZPO gehört zu den wesentlichen Vorgängen der Verhandlung, die in das Sitzungsprotokoll aufzunehmen sind (§ 105 VwGO i.V.m. § 160 Abs. 2 ZPO; vgl. BVerwG 9 B 7.13 - juris Rn. 10 und - juris Rn. 3 m.w.N.). Ist ein derartiger Antrag nicht protokolliert, so begründet das Protokoll den vollen Beweis dafür, dass er nicht gestellt wurde. Den nach § 173 VwGO i.V.m. § 415 Abs. 2 ZPO zulässigen Gegenbeweis einer Unvollständigkeit des Protokolls hat der Kläger nicht führen können. Sein Antrag auf entsprechende Berichtigung des Protokolls wurde durch Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom abgelehnt.
4Davon abgesehen legt die Beschwerde nicht dar, dass sich der behauptete Verfahrensmangel nach der maßgeblichen Würdigung des Pachtvertrages durch das Oberverwaltungsgericht auf die Entscheidung ausgewirkt haben kann. Das Gericht wertet den Pachtvertrag als Indiz dafür, dass die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen - und nicht eine andere Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG) - bei Errichtung der Schafstallanlage auf dem Flurstück des Klägers Nutzungsberechtigte war. Demgegenüber gibt die Beschwerde an, der Kläger hätte in einem nachgelassenen Schriftsatz vorgetragen, dass der Pachtvertrag belege, dass seine Rechtsvorgänger Eigentümer sowohl der Grundstücksfläche als auch der darauf stehenden Gebäude gewesen seien. Danach wäre es dem Kläger also nicht darum gegangen, auf überraschendes Vorbringen des Beklagten zu erwidern. Vielmehr hätte er die Vorlage des Pachtvertrages durch den Beklagten dazu nutzen wollen, nach Schluss der mündlichen Verhandlung erstmals Indizien vorzutragen, die seine Klage stützen. Damit wird der Anwendungsbereich der Schriftsatzfrist als Mittel zur Sicherung des rechtlichen Gehörs verfehlt.
5b) Die Beschwerde rügt ferner als Verstoß gegen § 86 Abs. 3, § 108 Abs. 2 VwGO, das Oberverwaltungsgericht hätte den Kläger auf seine Rechtsauffassung hinweisen müssen, dass ein Nutzungsrecht bereits durch faktische Überlassung des Bodens durch den Staat begründet werden konnte und nicht nur durch vertragliche Vereinbarung. Bei entsprechendem Hinweis hätte der Kläger vorgetragen, dass auch bei bloß faktischer Überlassung des Bodens ein Nutzungsrecht nur habe begründet werden können, wenn der Staat hierzu berechtigt gewesen sei. Daran habe es hier gefehlt, weil der Staat das Nutzungsrecht am Flurstück ... selbst nur aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages erworben habe und es daher nicht einer LPG habe überlassen können.
6Damit ist kein Verfahrensfehler dargetan. Es kann keine Rede davon sein, dass das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht hat, mit dem der Kläger nach dem bisherigen Verfahrensverlauf nicht zu rechnen brauchte (vgl. BVerwG 11 B 61.98 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 19; stRspr); das gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Kläger nicht anwaltlich vertreten war. Das Oberverwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass der landwirtschaftliche Betrieb samt dem Flurstück ... des Klägers durch dessen Rechtsvorgänger ursprünglich dem Rat des Kreises K. zur Überlassung an die damalige LPG "Thomas Münzer" bzw. die Groß-LPG "Thomas Münzer" verpachtet worden sei. Die letztgenannte LPG sei in den 70er Jahren im Zuge einer in der DDR einsetzenden Spezialisierung in eine der Tierproduktion - LPG (T) - und in eine der Pflanzenproduktion - LPG (P) - dienende LPG aufgespalten worden. Nach damaliger Rechtslage seien die Nutzungsrechte der ursprünglichen LPGs auf die so neu entstandenen LPGs übergegangen. Das sei hier die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen, nämlich die LPG (P), gewesen, der das Grundstück zur Nutzung überlassen worden sei und die deshalb gemäß § 18 LPG-Gesetz 1982 berechtigt gewesen sei, die Schafstallanlage auf dem von ihr genutzten Grundstück des Klägers zu errichten mit der Folge des Erwerbs selbständigen Gebäudeeigentums nach § 27 LPG-Gesetz 1982. Diese Rechtsauffassung zur Entstehung und Zuordnung des Nutzungsrechts wurde bereits von der Widerspruchsbehörde vertreten und im Widerspruchsbescheid vom näher dargelegt. Sie wurde außerdem vom Beklagten im gerichtlichen Verfahren in den Schriftsätzen vom und vom nochmals im Einzelnen dargetan, der in diesem Zusammenhang auch ausdrücklich die Annahme des Klägers zurückgewiesen hat, dass Nutzungsrechte auf vertraglicher Grundlage entstanden seien. Für den Kläger konnte die Bewertung des Oberverwaltungsgerichts mithin nicht überraschend sein.
7c) Ohne Erfolg bleibt die Rüge, die angefochtene Entscheidung beruhe mit Blick auf eine mit den Denkgesetzen nicht zu vereinbarende Sachverhaltswürdigung auf einer Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes nach § 108 Abs. 1 VwGO (vgl. BVerwG 9 B 77.11 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 73 Rn. 7). Die Beschwerde meint, das Oberverwaltungsgericht habe aus den Grundmittelkarten der LPG (P) und deren Eröffnungsbilanz vom nicht auf deren Nutzungsrecht schließen dürfen. Es sei nicht möglich, von einer Sache auf ein Nutzungsrecht an dem Boden zu schließen, auf dem diese Sache gelegen sei. Die genannten Dokumente ließen vielmehr denklogisch nur den Schluss zu, dass sich die landwirtschaftlichen Gebäude im Besitz der LPG (P) befunden hätten bzw. von der LPG (P) als Teil ihres Vermögens angesehen worden seien. Diese Rüge geht schon im Ansatz ins Leere. Das Oberverwaltungsgericht hat nicht unmittelbar aus dem Inhalt der Grundmittelkarten und der Eröffnungsbilanz ein Nutzungsrecht der LPG (P) hergeleitet, sondern diesen Inhalt als Indiz dafür gewertet, dass das Flurstück ... im Rahmen der Aufteilung der Flächen der Groß-LPG "Thomas Münzer" nicht der LPG (T), sondern der LPG (P) zur Nutzung überlassen worden sei. Erst aufgrund dieses tatsächlichen Umstandes hat das Oberverwaltungsgericht in Anwendung des § 18 LPG-Gesetz 1982 den rechtlichen Schluss auf ein Nutzungsrecht der LPG (P) gezogen. Im Übrigen verkennt die Beschwerde, dass das Gericht die Dokumente nicht etwa im Wege des Urkundsbeweises nach § 98 VwGO i.V.m. §§ 415 ff. ZPO, sondern als Indizien verwertet hat, die für die Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Sachverhalts - Nutzungsüberlassung an die LPG (P) - sprechen. Es ist weder dargelegt noch sonst ersichtlich, dass bei diesem "Indizienbeweis" gegen Denkgesetze verstoßen wurde.
82. Die Frage,
"ob der Ausschluss von Eigentümern von genossenschaftlich genutztem Boden, welche zu keinem Zeitpunkt Mitglied einer LPG waren, von den Rechten ausscheidender bzw. ausgeschiedener Mitglieder einer LPG nach § 44 LwAnpG bzw. §§ 51a i.V.m. 44 LwAnpG einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG darstellt",
rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Die Grundsatzrüge verfehlt den hier in Rede stehenden Streitgegenstand. Dem Rechtsstreit liegt nicht die Frage zugrunde, ob der Kläger als Rechtsnachfolger des Inhabers eines landwirtschaftlichen Betriebs, der diesen ohne Begründung eines Mitgliedschaftsverhältnisses an eine LPG verpachten musste, in entsprechender Anwendung des § 44 LwAnpG einen Anspruch auf Abfindung geltend machen kann (verneinend - BGHZ 127, 297 und - BGHZ 124, 210). Vielmehr geht es um die Anordnung eines Bodenordnungsverfahrens mit dem Ziel der Zusammenführung von selbständigem Gebäudeeigentum und Eigentum an Grund und Boden nach § 64 Satz 1 i.V.m. § 56 LwAnpG. Für diesen Fall ist geregelt, dass der Eigentümer, der sein Grundstück an den Gebäudeeigentümer abtreten muss, Anspruch auf Abfindung durch Land vom gleichen Wert oder - mit seiner Zustimmung - in Geld hat (§ 64 Satz 1 i.V.m. § 58 LwAnpG). Davon abgesehen besteht ein erheblicher Unterschied zwischen der in § 44 LwAnpG geregelten gesellschaftsrechtlichen Auseinandersetzung unter den Mitgliedern einer LPG, die nicht nur Sach- oder Geldleistungen eingebracht, sondern durch ihre persönliche Mitarbeit das Vermögen der LPG mit erwirtschaftet haben, und der Frage einer Entschädigung von Eigentümern genossenschaftlich bewirtschafteter Grundstücke, die nicht Mitglied der LPG geworden sind (vgl. a.a.O.).
Fundstelle(n):
HFR 2014 S. 847 Nr. 9
NJW 2014 S. 10 Nr. 19
IAAAE-63386