Grenzgänger zur Schweiz: Mehrtägige Rufbereitschaft bei Krankenhauspersonal
Leitsatz
1. Ist ein in Deutschland ansässiger Arbeitnehmer über die Tagesgrenze hinweg in der Schweiz tätig, ist für die Annahme eines sog. Nichtrückkehrtages im Sinne der Grenzgängerregelung in Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz 1971/1992 entscheidend, ob eine Nichtrückkehr an seinen Wohnsitz in Deutschland aus beruflichen Gründen erfolgt ist.
2. Schließt sich unmittelbar im Anschluss an eine „reguläre” Tagesschicht in einem Krankenhaus während der Nacht an einzelnen Wochentagen oder an Wochenenden eine Rufbereitschaft (Pikettdienst außerhalb des Betriebs) an, und schließt sich daran wiederum unmittelbar eine weitere „reguläre” Tagesschicht an, ist nur von einem einzelnen Nichtrückkehrtag auszugehen, auch wenn sich die Arbeitsausübung tatsächlich über eine oder sogar mehrere Tagesgrenzen hinaus erstreckt hat.
3. Dies gilt unabhängig davon, ob die Rufbereitschaft im arbeitsrechtlichen Sinne als Arbeitszeit anzusehen ist oder nicht; entscheidend ist allein die arbeitsvertragliche Verpflichtung hierzu (Abgrenzung zu , BFHE 222, 553, BStBl II 2009, 97).
Gesetze: DBA Schweiz 1971/1992 Art. 15a Abs. 1 Satz 1, DBA Schweiz 1971/1992 Art. 15a Abs. 2 Satz 1 und 2, Verhandlungsprotokoll zum Änderungsprotokoll zum DBA Schweiz vom 18. Dezember 1991 Abschn. II Nr. 1 , Verhandlungsprotokoll zum Änderungsprotokoll zum DBA Schweiz vom 18. Dezember 1991 Abschn. II Nr. 1
Instanzenzug: (EFG 2011, 1621) (Verfahrensverlauf),
Gründe
I.
1 Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger und Revisionskläger (Kläger) im Streitjahr (2008) Grenzgänger i.S. des Art. 15a des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom (BGBl II 1972, 1022, BStBl I 1972, 519) i.d.F. des Protokolls vom (BGBl II 1993, 1888, BStBl I 1993, 928) —DBA-Schweiz 1971/1992— war.
2 Der Kläger wohnte im Streitjahr mit seiner Familie in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland). Als stellvertretender Chefarzt war er ca. 40 km von seinem Wohnort entfernt in einem Spital in der Schweiz tätig. Im Arbeitsvertrag des Klägers war eine Teilzeitarbeit von 80 % (= 40 Stunden pro Woche) vereinbart worden. Die Arbeitszeit konnte sich aber nach Bedarf auf 100 % erhöhen. Zudem war eine „gleichmässige Beteiligung am Rufdienst” in der Nacht und am Wochenende „als Arbeitszeit” vereinbart worden. Der Rufdienst führte dazu, dass der Kläger in der Region Basel in einer angemieteten Wohnung übernachten musste, da er nach den Vorgaben seines Arbeitgebers verpflichtet war, im Notfall innerhalb von zehn Minuten im Spital zu sein. Im Rahmen des Rufdienstes war der Kläger auch verpflichtet, zusätzlich zu seiner regulären Arbeitspflicht in der Klinik als „normale Dienstzeiten” bezeichnete Tätigkeiten wie geplante Operationen an Samstagvormittagen und regelmäßigen Visiten an Sonntagen nachzukommen. Jeweils nach Ende dieser Dienste kehrte er wieder in seine angemietete Wohnung zurück und versah von dort wieder den Rufdienst. Für den Rufdienst erhielt der Kläger eine Entschädigung in Höhe von 820 Schweizer Franken pro Tag, außerdem wurden Rufdienst und Wochenenddienst mit zwei Wochen Freizeit pauschal abgegolten.
3 Der Kläger erfasste seine Arbeitszeit für das Streitjahr mittels eines EDV-Systems und kennzeichnete die Tage, an denen er Rufbereitschaft hatte mit „P” (Pikettdienst). Aus diesen Aufzeichnungen ergibt sich, dass er sowohl während der Nacht als auch an Wochenenden Pikettdienste zu leisten hatte, die sich jeweils unmittelbar an eine Tagesschicht anschlossen und nach deren Ende —erneut in unmittelbarem— Anschluss teilweise eine weitere Tagesschicht folgte. Der Kläger erfasste alle Tage der ärztlichen Rufbereitschaft —damit auch mehrtägige Dienste an Freitagen, Samstagen und Sonntagen sowie an einzelnen Tagen unter der Woche— als gesonderte Nichtrückkehrtage i.S. des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/1992. Insgesamt gab er die beruflich bedingten Abwesenheiten im Streitjahr mit 66 Tagen an.
4 Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) trifft das Schweizer Arbeitsrecht eine Unterscheidung zwischen Arbeitsbereitschaft (Pikettdienst im Betrieb) und Rufbereitschaft (Pikettdienst außerhalb des Betriebs). Wird der Pikettdienst im Betrieb geleistet, ist die gesamte zur Verfügung gestellte Pikettzeit Arbeitszeit. Ansonsten sind nur jene Zeiten als Arbeitszeiten zu rechnen, in denen der Arbeitnehmer tatsächlich abgerufen wird. Die Vergütung für die Rufbereitschaft können die Parteien schriftlich bestimmen.
5 Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) folgte dieser Zählweise nicht und unterwarf den Arbeitslohn für das Streitjahr der Einkommensteuer. Die dagegen erhobene Klage hat das FG Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, mit Urteil vom 14 K 1357/11 abgewiesen. Das FG folgte dem Vorbringen des Klägers zwar insoweit, als es auch die Tage der ärztlichen Rufbereitschaft (Freitage, Samstage und Sonntage sowie einzelne Wochentage) im Grundsatz als gesonderte Nichtrückkehrtage i.S. des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/1992 berücksichtigte. Allerdings rechnete es neun (einzelne) Tage, an denen der Kläger zwar Rufbereitschaft leistete, in unmittelbarem Anschluss an den Rufdienst sich aber kein regulärer Tagesdienst anschloss, nicht als gesonderte Nichtrückkehrtage. Im Ergebnis ergaben sich damit 57 Nichtrückkehrtage. Eine proportionale Kürzung der Anzahl von 60 Tagen im Hinblick auf die Teilzeitbeschäftigung des Klägers nahm das FG nicht vor. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2011, 1621 abgedruckt.
6 Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des Art. 15a DBA-Schweiz 1971/1992. Er beantragt sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und den geänderten Einkommensteuerbescheid 2008 vom dahingehend zu ändern, dass die Einkommensteuer auf 0 € festgesetzt wird.
7 Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II.
8 Die Revision ist unbegründet und deshalb gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger ist als Grenzgänger i.S. des Art. 15a DBA-Schweiz 1971/1992 anzusehen. Seine Einkünfte aus der Tätigkeit in der Schweiz sind in die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer des Streitjahres einzubeziehen.
9 1. Der Kläger hatte im Streitjahr in Deutschland einen Wohnsitz. Er war daher gemäß § 1 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes 2002 unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Er war ferner aus abkommensrechtlicher Sicht in Deutschland ansässig (Art. 4 Abs. 1 DBA-Schweiz 1971/1992).
10 2. Nach Art. 15 Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/1992 können Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die ein in Deutschland ansässiger Arbeitnehmer aus nichtselbständiger Arbeit bezieht, grundsätzlich nur in Deutschland besteuert werden. Die genannten Bezüge dürfen jedoch in der Schweiz besteuert werden, wenn die Arbeit in der Schweiz ausgeübt wird (Art. 15 Abs. 1 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/1992). Ein aus Art. 15 Abs. 1 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/1992 folgendes Besteuerungsrecht der Schweiz führt, soweit die Arbeit in der Schweiz ausgeübt wird, zu einer Freistellung von der deutschen Steuer nach Maßgabe des Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d DBA-Schweiz 1971/1992. Nach Art. 15a Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/1992 können allerdings ungeachtet des Art. 15 DBA-Schweiz 1971/1992 Einkünfte eines Grenzgängers aus unselbständiger Arbeit in dem Vertragstaat besteuert werden, in dem der Grenzgänger ansässig ist.
11 3. Im Streitfall ist das FG zu Recht davon ausgegangen, dass Art. 15 Abs. 1 Satz 2 und Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d DBA-Schweiz 1971/1992 nicht eingreifen, da der Kläger Grenzgänger i.S. des Art. 15a DBA-Schweiz 1971/1992 ist.
12 a) Grenzgänger ist nach Art. 15a Abs. 2 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/1992 jede in einem Vertragstaat ansässige Person, die im anderen Vertragstaat ihren Arbeitsort hat und von dort regelmäßig an ihren Wohnsitz zurückkehrt. Kehrt diese Person nicht jeweils nach Arbeitsende an ihren Wohnsitz zurück, so entfällt ihre Grenzgängereigenschaft nur dann, wenn sie bei einer Beschäftigung während des gesamten Kalenderjahrs an mehr als 60 Arbeitstagen auf Grund ihrer Arbeitsausübung nicht an ihren Wohnsitz zurückkehrt (Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/1992). Ergänzend dazu heißt es in Nr. II.1. des Verhandlungsprotokolls zum Änderungsprotokoll vom (BStBl I 1993, 929), die Annahme einer regelmäßigen Rückkehr an den Wohnsitz i.S. des Art. 15a Abs. 2 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/1992 werde nicht dadurch ausgeschlossen, dass sich die Arbeitsausübung bedingt durch betriebliche Umstände —wie z.B. bei Schichtarbeitern oder Krankenhauspersonal mit Bereitschaftsdienst— über mehrere Tage erstreckt. Diese Bestimmung enthält eine verbindliche Vorgabe für die Auslegung des Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz 1971/1992 (, BFHE 222, 553, BStBl II 2009, 97, und I R 10/07, BFHE 222, 546, BStBl II 2009, 94, m.w.N.).
13 b) Das FG hat festgestellt, dass der Kläger aufgrund arbeitsvertraglicher Verpflichtung jeweils unmittelbar im Anschluss an eine „reguläre” Tagesschicht im Spital während der Nacht an einzelnen Wochentagen und an Wochenenden Rufbereitschaft (Pikettdienst außerhalb des Betriebs) zu leisten hatte. Im Ergebnis hat sich seine Rufbereitschaft mithin mehrfach im Anschluss an einen regulären Tagesdienst an einem Wochentag bis in den Morgen des nächsten Tages erstreckt; am Freitag nach Ende des regulären Tagesdienstes erstreckte sie sich oftmals über die Nacht zum Samstag bis zur Nacht zum Montag. An die jeweilige Rufbereitschaft schloss sich nach deren Ende —erneut— in unmittelbarem Anschluss in den meisten Fällen eine weitere „reguläre” Tagesschicht an; lediglich an neun einzelnen Wochentagen mit daran anschließender Rufbereitschaft war dies nicht der Fall.
14 Während der Rufbereitschaft musste der Kläger —solange kein Notfall eingetreten war— nicht an seinem Arbeitsplatz im Spital anwesend sein. Im Rahmen der Rufbereitschaft hat der Kläger allerdings als „normale Dienstzeiten” bezeichnete Tätigkeiten an Samstagvormittagen (geplante Operationen) und an Sonntagen (regelmäßige Visiten) durchgeführt. Hierzu hatte er sich in die Klinik zu begeben. Der Kläger hat die Anzahl der Nichtrückkehrtage ursprünglich mit 66 Tagen berechnet und dabei alle Tage der Rufbereitschaft —also die einzelnen Wochentage, aber auch das Wochenende mit Freitag, Samstag und Sonntag— in die Zählung einbezogen. Das FG ist von dieser Berechnung insoweit abgewichen, als es jene einzelnen Wochentage mit anschließender Rufbereitschaft nicht als Nichtrückkehrtage angesehen hat, an denen der Kläger nicht unmittelbar nach dem Ende der Rufbereitschaft erneut eine weitere „reguläre” Tagesschicht abgeleistet hat. Diese Beurteilung ist nicht zu beanstanden.
15 c) Der Senat unterscheidet bei der Auslegung von Nr. II.1. des zitierten Verhandlungsprotokolls zwischen einem eintägigen Einsatz am Arbeitsort, bei dem der Arbeitnehmer geringfügig über die Tagesgrenze hinaus seiner Tätigkeit nachgeht und damit am zweiten Tag lediglich der Einsatz am ersten abgeschlossen wird, und einem mehrtägigen Einsatz am Arbeitsort (vgl. hierzu Senatsurteil in BFHE 222, 553, BStBl II 2009, 97, Rz 15). Für den Fall des eintägigen Arbeitseinsatzes hat er entschieden, dass es für die Anwendung des Art. 15a DBA-Schweiz 1971/1992 nicht darauf ankommt, ob das Ende der Arbeitszeit oder der Zeitpunkt der Ankunft am Wohnort auf den Tag des Arbeitsantritts oder auf einen nachfolgenden Tag fällt; deshalb kann ein „Nichtrückkehrtag” i.S. des Art. 15a Abs. 2 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/1992 auch dann vorliegen, wenn der Arbeitnehmer über die Tagesgrenze hinaus seiner Tätigkeit nachgeht und erst nach Mitternacht seine Arbeitsstätte verlässt (, BFHE 207, 452, BStBl II 2010, 155, und vom I R 31/04, BFH/NV 2005, 840). Für das Vorliegen eines Nichtrückkehrtages im Sinne der Regelung kann es danach nicht entscheidend sein, ob eine Rückkehr im Einzelfall mehr oder weniger zufällig vor oder nach Mitternacht stattgefunden hat.
16 d) Das FG ist danach zutreffend davon ausgegangen, dass nach Nr. II.1. des Verhandlungsprotokolls ein Nichtrückkehrtag i.S. des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/1992 nicht vorliegt, wenn sich an die über die Tagesgrenze hinaus dauernde Rufbereitschaft keine Tagesschicht anschließt. Das Fehlen einer Rückkehr an den Wohnort für den Tag des Arbeitsbeginns soll nur dann unschädlich sein, wenn der Arbeitnehmer nach der Arbeitsausübung (Ende der Rufbereitschaft) am nächsten Tag an einer Rückkehr an den Wohnsitz gehindert ist, weil sich unmittelbar ein neuer Einsatz am Arbeitsort anschließt. Dies ist vorliegend an den vom FG festgestellten neun Tagen nicht der Fall.
17 aa) Dem kann mit der Revision nicht mit Erfolg entgegen gehalten werden, dass ein Arbeitnehmer, der Rufbereitschaft leiste, die nicht als Arbeitszeit zähle, nicht mit einem Arbeitnehmer gleichzustellen sei, der reguläre arbeitsvertragliche und auch vergütete Arbeitszeit leiste, mithin Nr. II.1. des Verhandlungsprotokolls auf den Fall des Klägers keine Anwendung finde. Allerdings hat es der erkennende Senat in seinem Urteil in BFHE 222, 553, BStBl II 2009, 97, in Bezug auf die Frage, ob eine Nichtrückkehr wegen eines Pikettdienstes beruflich bedingt i.S. von Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/1992 ist, als maßgeblich angesehen, ob der Dienst nach Schweizer Arbeitsrecht zur Arbeitszeit zählt oder nicht. Daran ist indessen nicht festzuhalten. Denn im Wortlaut von Nr. II.1. des Verhandlungsprotokolls ist von „Arbeitsausübung” über mehrere Tage die Rede. Eine Unterscheidung zwischen Tätigkeiten, die nach arbeitsrechtlichen Kriterien zur Arbeitszeit rechnen und solchen, die dies nicht tun, findet sich dort nicht (vgl. hierzu Wassermeyer/Schwenke in Wassermeyer, MA Art. 15 Rz 170). Entscheidend ist allein, dass eine Leistung aufgrund arbeitsvertraglicher Verpflichtung erbracht wird (ähnlich Brandis in Wassermeyer, Schweiz Art. 15a Rz 47c). So verhält es sich hier, da der Kläger nach den den Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) arbeitsvertraglich verpflichtet war, sich gleichmäßig am Rufdienst in der Nacht und am Wochenende zu beteiligen.
18 bb) Bestätigt wird dieses Verständnis durch die zwischenzeitlich erlassene Verordnung zur Umsetzung von Konsultationsvereinbarungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom —KonsVerCHEV— (BGBl I 2010, 2187, BStBl I 2011, 146). Unbeschadet grundsätzlicher Einwände (vgl. z.B. Lehner, Internationales Steuerrecht —IStR— 2011, 733; Drüen, Internationale Wirtschaftsbriefe 2011, 360; Hummel, IStR 2011, 397; anders z.B. Oellerich in Beermann/Gosch, AO § 2 Rz 102 f.) und der Eingrenzung des zeitlichen Anwendungsbereichs der Verordnung auf Besteuerungssachverhalte seit dem (§ 25 KonsVerCHEV) ist dem dortigen § 8 Abs. 1 KonsVerCHEV zu entnehmen, dass maßgeblich auf eine Arbeitsausübung aufgrund einer Anordnung durch den Arbeitgeber abzustellen ist.
19 cc) Dieses Auslegungsergebnis entspricht auch dem Sinn und Zweck des Art. 15a DBA-Schweiz 1971/1992, der als maßgebliches Abgrenzungsmerkmal auf die „Regelmäßigkeit” der Rückkehr an den Wohnsitz abstellt. Da nach dem Schweizer Arbeitsrecht für Bereitschaftsdienste grundsätzlich Zeitausgleich zu gewähren ist, der nur nachrangig durch eine Bezahlung abgegolten werden darf, und sich dieser Zeitausgleich regelmäßig im Ansässigkeitsstaat vollziehen wird, weist der Bereitschaftsdienst keinen gesteigerten Bezug des Arbeitnehmers zum Tätigkeitsstaat („Verwurzelung”) auf und lässt es als berechtigt erscheinen, wenn im Fall von Bereitschaftsdiensten über mehrere Tage allenfalls von einem einzigen „Nichtrückkehrtag” i.S. des Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz 1971/1992 ausgegangen wird (vgl. zu dieser Überlegung bereits Senatsurteile in BFHE 222, 553, BStBl II 2009, 97, und in BFHE 222, 546, BStBl II 2009, 94).
20 e) Für die Tage, an denen der Kläger im Anschluss an einen regulären Tagesdienst am Freitag die Rufbereitschaft über die Nacht zum Samstag bis zur Nacht zum Montag abgeleistet hat, bedeutet diese Auslegung der Nr. II.1. des zitierten Verhandlungsprotokolls zugleich, dass —entgegen der Annahme des FG— der Kläger einen mehrtägigen ununterbrochenen Arbeitseinsatz i.S. der Nr. II.1. des Verhandlungsprotokolls zu leisten gehabt hat. Denn der Fall eines mehrtägigen Arbeitseinsatzes am Arbeitsort ist als Einheit zu behandeln mit der Folge, dass ein „Nichtrückkehrtag” nur dann vorliegen kann, wenn der Arbeitnehmer nach dem Abschluss dieser Einheit aus beruflichen Gründen am Tätigkeitsort verbleibt (Senatsurteile in BFHE 222, 553, BStBl II 2009, 97, und in BFHE 222, 546, BStBl II 2009, 94). Der Senat hat sich dabei von der Überlegung leiten lassen, dass nach Nr. II.1. des Verhandlungsprotokolls die Annahme einer „regelmäßigen Rückkehr” an den Wohnsitz bei einer Arbeitsausübung, die sich bedingt durch betriebliche Umstände über mehrere Tage erstreckt, „nicht ausgeschlossen” sein soll. Dies bedeutet, dass der Fall der mehrtägigen Arbeitsausübung eine Sonderbehandlung erfahren soll, bei der die Regelmäßigkeit der Rückkehr abweichend von den tatsächlichen Gegebenheiten bestimmt wird. Dabei nimmt das Verhandlungsprotokoll namentlich auf die Situation des Krankenhauspersonals mit Bereitschaftsdienst Bezug, das erfahrungsgemäß nicht selten über mehr als zwei Tagesgrenzen hinaus im Einsatz sei. Angesichts dessen muss die Protokollregelung bei verständiger Würdigung dahin gedeutet werden, dass in jenen Fällen das Fehlen einer arbeitstäglichen Rückkehr die Grenzgängereigenschaft nicht berühren soll. Vielmehr sollen hier als „Nichtrückkehrtage” nur diejenigen Tage gezählt werden, an denen der Arbeitnehmer im Anschluss an die mehrtägige Tätigkeit nicht an seinen Wohnort zurückkehrt; das entspreche insoweit dem Wortlaut des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/1992, als dieser auf die Regelmäßigkeit der Rückkehr „nach Arbeitsende” abstellt. Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest.
21 Für den Streitfall folgt daraus, dass bei den Wochenendbereitschaften nicht jeweils drei Tage (Freitag, Samstag, Sonntag) als Tage der berufsbedingten Nichtrückkehr des Klägers an seinen Wohnsitz anzusehen sind. Schließt sich am Montag nach dem Ende der Rufbereitschaft ein regulärer Tagesdienst unmittelbar an, ist lediglich ein Tag als Nichtrückkehrtag für den mehrtägigen Arbeitseinsatz anzusetzen. Die Vorinstanz hat ihre gegenteilige Auffassung aus dem Umstand abgeleitet, dass der Kläger während seiner ärztlichen Rufbereitschaft an Samstagen, Sonntagen und Feiertagen jeweils zugleich seiner regulären Arbeitspflicht im Spital nachgekommen ist und Operationsvorbereitungen getroffen, (Anästhesie-)Sprechstunden und Visiten neu aufgenommener Patienten durchgeführt hat und die Rufbereitschaft damit durch Tätigkeiten, die als Arbeitszeit anzusehen waren, unterbrochen worden war. Darauf kommt es jedoch nicht an. Entscheidend ist wiederum, dass dem Begriff der „Arbeitsausübung” eine Unterscheidung zwischen Tätigkeiten, die im arbeitsrechtlichen Sinne als Arbeitszeit oder nicht als Arbeitszeit anzusehen sind, nicht zu entnehmen, vielmehr allein darauf abzustellen ist, ob für diese Tage der Rufbereitschaft eine arbeitsvertragliche Verpflichtung besteht.
22 Der Senat musste vor diesem Hintergrund nicht weiter darauf eingehen, dass die Vorinstanz, obwohl die Vereinbarung einer „gleichmässige(n) Beteiligung am Rufdienst” in der Nacht und am Wochenende „als Arbeitszeit” festgestellt worden war, in den Entscheidungsgründen des Urteils maßgeblich darauf abgestellt hat, dass die Rufbereitschaft nicht als Arbeitszeit zu zählen und dass deshalb nicht von einem ununterbrochenen mehrtägigen Arbeitseinsatz i.S. von Nr. II.1. des Verhandlungsprotokolls auszugehen sei.
23 f) Im Ergebnis übersteigt damit die Zahl der „Nichtrückkehrtage” im Streitjahr mit 39 Tagen nicht die in Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/1992 bestimmte Grenze. Daher hat der Kläger die in Rede stehenden Einkünfte als Grenzgänger erzielt, weshalb jene Einkünfte nach Art. 15a Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/1992 in Deutschland besteuert werden dürfen. Dem entspricht der angefochtene Bescheid, der deshalb rechtmäßig ist. Ausführungen dazu, ob die in Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/1992 festgelegte Anzahl von 60 Nichtrückkehrtagen aufgrund der Teilzeitbeschäftigung des Klägers mit vertraglich vereinbarten 80 % proportional zur kürzen gewesen wäre, sind in Anbetracht dessen entbehrlich. Dies wurde zudem von der Revision auch nicht weiter angegriffen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2014 II Seite 508
BB 2014 S. 1045 Nr. 18
BFH/NV 2014 S. 961 Nr. 6
BFH/PR 2014 S. 243 Nr. 7
BStBl II 2014 S. 508 Nr. 11
DB 2014 S. 6 Nr. 17
DB 2014 S. 993 Nr. 18
DStR 2014 S. 6 Nr. 17
DStRE 2014 S. 664 Nr. 11
EStB 2014 S. 210 Nr. 6
FR 2014 S. 714 Nr. 15
GStB 2014 S. 27 Nr. 7
HFR 2014 S. 585 Nr. 7
IStR 2014 S. 409 Nr. 11
KÖSDI 2014 S. 18839 Nr. 5
NWB-Eilnachricht Nr. 18/2014 S. 1341
PIStB 2014 S. 237 Nr. 9
RIW 2014 S. 776 Nr. 11
StB 2014 S. 137 Nr. 5
StBW 2014 S. 362 Nr. 10
StBW 2014 S. 456 Nr. 12
DAAAE-62167