Freispruch vom Vorwurf der schweren Körperverletzung: Notwendige Urteilsfeststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten
Gesetze: § 267 Abs 5 S 1 StPO
Instanzenzug: LG Essen Az: 27 KLs 1/13
Gründe
1Das Landgericht hat die Angeklagte vom Vorwurf der schweren Körperverletzung aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision.
2Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
31. Die zugelassene Anklage legt der Angeklagten zur Last, sie habe dem Geschädigten, mit dem sie seit zehn Jahren mit dem gemeinsamen Sohn in einer seit längerem kriselnden Beziehung lebte und von dem sie sich habe trennen und aus der Wohnung ausziehen wollen, am Nachmittag des , als der Geschädigte im Wohnzimmer der gemeinsamen Wohnung auf der Couch ein Telefongespräch geführt habe, eine Schüssel kochenden Wassers mit den Worten über den Körper geschüttet: „Du willst mich umbringen - aber bevor Du das tust, mache ich es!" Der Geschädigte habe dadurch Verbrennungen zweiten Grades beider Arme und der Brustvorderseite erlitten, wobei die Gesamtfläche der verbrannten Körperfläche bei 10 % gelegen habe. Die Verbrennungen seien zwar ausgeheilt; es seien jedoch sichtbare Narben und ein erheblicher Farbunterschied der Haut verblieben, der bei dem Geschädigten als Schwarzafrikaner besonders ins Auge falle.
42. Die Angeklagte hat die ihr zur Last gelegte Tat bestritten und sich dahin eingelassen, sie sei zwar mit der Schüssel kochend heißen Wassers in das Wohnzimmer gegangen, habe dort jedoch nur Kaffee zubereiten wollen, weil sie müde gewesen sei und sich in der Küche keine Sitzgelegenheit befunden habe. Als sie das Wohnzimmer betreten habe, sei der Geschädigte aufgestanden und habe sich, weiter telefonierend, vor sie gestellt. Dann habe er an der Schüssel gezogen, weshalb ein Gerangel entstanden sei. Dabei sei das Wasser auf ihn gekippt, die Schüssel sei hingefallen. Der Geschädigte habe sie, die Angeklagte, daraufhin geschlagen.
53. Trotz verbleibender Zweifel an der Darstellung des Geschehens durch die Angeklagte hat das Landgericht die Angeklagte freigesprochen, weil es nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme konkrete Feststellungen zum Tatablauf nicht zu treffen vermochte. Die Angaben des Geschädigten, bei dem es sich um den einzigen Belastungszeugen handele, seien nicht überzeugend gewesen; die Strafkammer habe sich auf der Grundlage seiner Angaben kein Bild zum Geschehensablauf machen können. Er habe insbesondere nicht nachvollziehbar schildern können, warum die Angeklagte plötzlich mit einer Schüssel kochend heißen Wassers ins Wohnzimmer gekommen sei und gerufen habe, dass, wenn er vorhabe, sie umzubringen, sie es tue. Der Gesprächspartner des Geschädigten am Telefon habe zum konkreten Geschehensablauf keine Angaben machen können. Er habe den Geschädigten lediglich während des Gesprächs plötzlich schreien gehört, dass die Angeklagte ihn mit Wasser überschüttet habe und ihn umbringen wolle. Danach sei weder auszuschließen, dass die Angeklagte bewusst und willentlich das kochend heiße Wasser über den Körper des Geschädigten geschüttet habe, noch, dass das Wasser in einem Gerangel zwischen der Angeklagten und dem Geschädigten unbeabsichtigt auf dessen Körper gelangt sei.
II.
6Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg, weil das angefochtene Urteil in mehrfacher Hinsicht sachlich-rechtlicher Prüfung nicht standhält.
71. Zum einen beanstandet die Beschwerdeführerin zu Recht, dass die Urteilsgründe entgegen § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO keine Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen der Angeklagten enthalten.
8a) Solche Feststellungen sind zwar in erster Linie bei verurteilenden Erkenntnissen notwendig, um nachvollziehen zu können, ob der Tatrichter die wesentlichen Anknüpfungstatsachen für die Strafzumessung (§ 46 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 StGB) ermittelt und berücksichtigt hat. Aber auch bei freisprechenden Urteilen ist der Tatrichter aus sachlich-rechtlichen Gründen zumindest dann zu solchen Feststellungen verpflichtet, wenn diese für die Beurteilung des Tatvorwurfs eine Rolle spielen können und deshalb zur Überprüfung des Freispruchs durch das Revisionsgericht auf Rechtsfehler hin notwendig sind. Das ist auch dann der Fall, wenn vom Tatrichter getroffene Feststellungen zum Tatgeschehen ohne solche zu den persönlichen Verhältnissen nicht in jeder Hinsicht nachvollziehbar und deshalb lückenhaft sind (st. Rspr.; vgl. nur Senatsurteil vom - 4 StR 22/10, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 16, Tz. 7 mwN).
9b) Die Notwendigkeit, die persönlichen Verhältnisse der Angeklagten umfassend in den Blick zu nehmen und nähere Feststellungen zu deren Lebenslauf, Werdegang und Persönlichkeit zu treffen und in den Urteilsgründen darzulegen, ergibt sich im vorliegenden Fall bereits aus dem Anklagevorwurf. Er betrifft eine Handlung, die sich innerhalb der zwischen ihr und dem Geschädigten bestehenden, langjährigen Lebenspartnerschaft ereignet haben soll. Ist ein solcher Vorwurf, wie hier, von erheblichem Gewicht, liegt es nahe, dass der Persönlichkeit der Beteiligten, insbesondere des jeweiligen Beschuldigten, und seinen individuellen Lebensumständen unter besonderer Berücksichtigung der Beziehungsentwicklung Bedeutung auch für die Beurteilung des Tatvorwurfs zukommen kann. Detaillierte Feststellungen und Erörterungen waren hier umso mehr geboten, als der vom Landgericht mitgeteilte Anklagevorwurf davon ausgeht, in der Beziehung zwischen der Angeklagten und dem Geschädigten habe es bereits seit längerem gekriselt; die Angeklagte habe sich vom Tatopfer trennen und aus der gemeinsamen Wohnung ausziehen wollen.
102. Auch die Beweiswürdigung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Es fehlt an einer geschlossenen Darstellung der Aussagen des Nebenklägers.
11a) Zwar ist der Tatrichter nicht gehalten, in den Urteilsgründen Zeugenaussagen in allen Einzelheiten wiederzugeben. In Fällen einer schwierigen Beweislage, etwa dann, wenn Aussage gegen Aussage steht, muss aber der entscheidende Teil einer Aussage in das Urteil aufgenommen werden, da dem Revisionsgericht ohne Kenntnis des wesentlichen Aussageinhalts die sachlich-rechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung auf Rechtsfehler verwehrt ist (st. Rspr.; vgl. nur , NStZ 2012, 110, Tz. 14).
12b) Gemessen daran durfte sich das Landgericht im vorliegenden Fall nicht darauf beschränken, die Angaben des Geschädigten lediglich zusammenfassend dahin zu würdigen, diese seien nicht überzeugend gewesen und die Strafkammer habe sich auch unter Berücksichtigung der Angaben des Nebenklägers kein Bild vom Geschehensablauf machen können. Dies ergibt sich schon daraus, dass die aus § 261 StPO abzuleitenden Anforderungen an eine umfassende Würdigung der festgestellten Tatsachen bei einem freisprechenden Urteil regelmäßig nicht geringer sind als im Fall der Verurteilung (, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 27 mwN). Gerade im vorliegenden Fall hätte sich das Landgericht in besonderer Weise dazu gedrängt sehen müssen, die Zeugenaussage des Nebenklägers in ihren wesentlichen Teilen in den Urteilsgründen wiederzugeben und nachfolgend unter Berücksichtigung der Einlassung der Angeklagten einer eingehenden Würdigung zu unterziehen; ausweislich der Urteilsgründe ist es selbst von einer schwierigen, einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation zumindest nahe kommenden Beweislage ausgegangen.
III.
13Das angefochtene Urteil hat schon aus den dargelegten Gründen keinen Bestand, weshalb die Sache neuer Verhandlung und Entscheidung bedarf. Ob die vom Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift an den Senat vom erhobenen weiteren Bedenken gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts durchgreifende Rechtsfehler aufzeigen, kann deshalb offen bleiben.
Mutzbauer Cierniak Franke
Bender Quentin
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Fundstelle(n):
HAAAE-61214