Beweisaufnahme im Strafverfahren: Einvernahme eines bei einer richterlichen Vernehmung anwesenden Polizeibeamten statt des Ermittlungsrichters
Gesetze: § 244 Abs 1 StPO, § 244 Abs 2 StPO, § 250 Abs 1 S 1 StPO
Instanzenzug: LG Augsburg Az: 1 KLs 301 Js 140765/12
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten P. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tatmehrheit mit bewaffnetem unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge jeweils in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zudem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass 27 Monate der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe vor der Maßregel zu vollstrecken sind.
2Den Angeklagten D. , dem vorgeworfen worden war, die zur Verurteilung des Angeklagten P. führenden Taten mit diesem gemeinschaftlich begangen zu haben, hat es freigesprochen.
3Gegen dieses Urteil wenden sich sowohl der Angeklagte P. als auch die Staatsanwaltschaft mit ihren Rechtsmitteln. Die Staatsanwaltschaft hat Revisionen zu Lasten beider Angeklagter eingelegt. Hinsichtlich des Angeklagten D. erhebt sie außer der Sachrüge auch Verfahrensrügen, mit denen sie die Verletzung von § 250 StPO sowie diejenige der Amtsaufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) durch das Tatgericht geltend macht.
I.
4Nach den Feststellungen des Landgerichts bestellte der selbst regelmäßig Marihuana und Amphetamin konsumierende Angeklagte P. im September und Oktober 2012 von unbekannt gebliebenen Lieferanten Amphetamin. Die Lieferungen, die mindestens 1 kg bzw. 1,7 kg Amphetamin mit unterdurchschnittlicher Wirkstoffkonzentration umfassten, erfolgten jeweils per Postpaket an die Wohnanschrift des Angeklagten. Er verwahrte das Rauschgift an unterschiedlichen Orten in der Küche seiner Wohnung bis zum gewinnbringenden Weiterverkauf. Die größten Teilmengen der zweiten Lieferung hatte er in der Dunstabzugshaube und der Mikrowelle versteckt. In unmittelbarer Nähe dieser Verstecke bewahrte der Angeklagte in einer nicht verschließbaren Küchenschublade einen Teleskopschlagstock und ein Kampfmesser mit einer feststehenden, 18 cm langen Klinge auf. Dieser Umstand war ihm bewusst.
5Dem Angeklagten D. war mit der Anklage vorgeworfen worden, mit dem Angeklagten P. vereinbart zu haben, dass Letzterer seine Wohnung für gemeinsame Betäubungsmittelgeschäfte zur Verfügung stelle. D. sollte die Drogen (Amphetamin) bestellen, die anschließend in die Wohnung von P. geliefert werden sollten. Von der Wohnung aus sollte das Amphetamin gewinnbringend weiterverkauft werden. Nach dem Anklagevorwurf war für D. die „Regie" über die Verkäufe vorgesehen; P. sei die Rolle der Ausführung der Verkäufe „vor Ort" zugedacht gewesen.
6Das Tatgericht hat den Angeklagten D. aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die Vorwürfe gegen D. gründeten sich allein auf Angaben des Zeugen M. , der eine Zeit lang Unterschlupf in der Wohnung des Angeklagten P. gefunden hatte. Das Landgericht hat den Zeugen, der selbst wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge - bei Strafmilderung gemäß § 31 BtMG -zu einer Freiheitstrafe verurteilt worden war, als weitgehend unglaubwürdig erachtet. Diese Bewertung stützt es u.a. auf ein näher dargelegtes starkes Motiv für eine Belastung weiterer Personen außer dem Angeklagten P. sowie auf das häufig wechselnde, den jeweiligen Erkenntnissen der Ermittlungsbehörden angepasste Aussageverhalten.
II. Revision des Angeklagten P.
7Die auf die nicht ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten P. bleibt ohne Erfolg. Das Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insbesondere hat das Landgericht auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen zu der Tat C.2. der Urteilsgründe rechtsfehlerfrei die Voraussetzungen des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG angenommen.
III. Revisionen der Staatsanwaltschaft
8Die Revisionen der Staatsanwaltschaft bleiben sowohl im Hinblick auf den Angeklagten P. (nachfolgend 1.) als auch bezüglich des Angeklagten D. (nachfolgend 2.) erfolglos.
91. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit der Sachrüge in erster Linie gegen die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten P. gemäß § 64 StGB in einer Entziehungsanstalt. Weder ihre Beanstandungen der der Annahme der Anordnungsvoraussetzungen zugrunde liegenden Beweiswürdigung noch die gegen die Anordnung selbst gerichteten greifen durch. Der Senat hat das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft so ausgelegt, dass diese die Unterbringung auf jeden Fall anfechten will (vgl. , NStZ-RR 2012, 72); die Nachprüfung hat aber weder zu Lasten noch zu Gunsten der Angeklagten Rechtsfehler ergeben.
10a) Das Landgericht hat ohne Rechtsfehler in der Beweiswürdigung den Angaben des Angeklagten über seinen Rauschmittelkonsum geglaubt und zur Grundlage der Beurteilung der Voraussetzungen des § 64 StGB gemacht. Soweit die Revision meint, das Tatgericht hätte angesichts der Ergebnisse des in die Hauptverhandlung durch Verlesung eingeführten „Haargutachtens" der Einlassung des Angeklagten über den vorhandenen Konsum auch von Marihuana nicht folgen dürfen, zeigt sie damit keine Lücken in der Beweiswürdigung auf. Vielmehr versucht sie - im Revisionsverfahren unbeachtlich - ihre eigene Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des Tatrichters zu setzen. Das Tatgericht hat sich mit dem den Nachweis des Konsums von Betäubungsmitteln durch den Angeklagten führenden Gutachten auseinandergesetzt und rechtsfehlerfrei dargelegt, warum sie unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Gutachtens der Einlassung des Angeklagten insgesamt, auch hinsichtlich des von ihm angegebenen Konsums von Marihuana, folgt (UA S. 32 und 33).
11b) Das Landgericht hat auch den Begriff des „Hangs" i.S.v. § 64 StGB nicht verkannt. Für einen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, ausreichend, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betroffene auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 311/12 mwN, insoweit in NStZ-RR 2013, 74 nicht abgedruckt; vom - 2 StR 174/13, insoweit in NStZ-RR 2013, 340 nicht abgedruckt). Nicht erforderlich ist, dass beim Täter bereits eine Persönlichkeitsdepravation eingetreten ist (, NStZ-RR 2008, 7). Dem Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum die Gesundheit sowie die Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betroffenen beeinträchtigt sind, kommt nur eine indizielle Bedeutung zu. Das Fehlen solcher Beeinträchtigungen schließt nicht notwendigerweise die Bejahung eines Hangs aus (BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198, 199; vom - 3 StR 421/11, NStZ-RR 2012, 204, 205; vom - 2 StR 174/13, NStZ-RR 2013, 340).
12c) Anhand des vorgenannten Maßstabs hat das Tatgericht auf der Grundlage des festgestellten Drogenkonsumverhaltens des Angeklagten das Vorliegen eines Hangs ohne Rechtsfehler angenommen. Dass es dabei dem einen Hang verneinenden Sachverständigen nicht gefolgt ist, stellt den Bestand der Maßregelanordnung nicht in Frage. Es ist gerade Aufgabe des Tatrichters, sich gegenüber dem Sachverständigen die Eigenständigkeit der Beurteilung zu bewahren (vgl. Senat, Urteil vom - 1 StR 512/01; van Gemmeren in MünchKommStGB, Band 2, 2. Aufl., § 64 Rn. 109). Beantwortet er allerdings eine für die Entscheidung über die Anordnung der Maßregel relevante Frage abweichend von der Bewertung des Sachverständigen, muss der Tatrichter seine vom Sachverständigen verschiedene Beurteilung in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise begründen (Senat aaO).
13Dem genügt das angefochtene Urteil.
14d) Die Annahme eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen dem festgestellten Hang des Angeklagten und der Begehung der verfahrensgegenständlichen Taten ist ebenfalls ohne Rechtsfehler. Für einen solchen Zusammenhang genügt, dass die Verübung der Anlasstat wenigstens mitursächlich auf den Hang zurückzuführen ist (, NStZ-RR 2014, 75). Ein solcher ursächlicher Zusammenhang ist typischerweise dann gegeben, wenn die Straftaten begangen werden, um Rauschmittel selbst oder Geld für ihre Beschaffung zu erlangen (BGH aaO).
15Gerade eine solche Motivation hat das Landgericht ohne Rechtsfehler bei der Beweiswürdigung bei dem Angeklagten P. festgestellt (UA S. 33).
162. In Bezug auf den Freispruch des Angeklagten D. zeigt die Revision keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf.
17a) Die beiden erhobenen Rügen der Verletzung von Verfahrensrecht bleiben aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom genannten Gründen ohne Erfolg.
18Soweit die Revision die Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes i.S.v. § 250 Abs. 1 Satz 1 StPO mit der Begründung rügt, das Tatgericht hätte Äußerungen der zuständigen Ermittlungsrichterin aus Anlass der Eröffnung des Haftbefehls gegenüber dem Zeugen M. nicht durch die zeugenschaftliche Vernehmung des Zeugen KOK N. , sondern durch Vernehmung der Ermittlungsrichterin selbst einführen müssen (RB S. 2), weist der Senat ergänzend auf Folgendes hin: § 250 Abs. 1 Satz 1 StPO regelt lediglich den Vorrang des Personalbeweises vor dem Sachbeweis. Dagegen gebietet die Vorschrift gerade nicht, den „sachnächsten" Zeugen, meist also denjenigen, der die zu beweisende Tatsache selbst wahrgenommen hat, zu hören (siehe nur Sander/Cirener in Löwe/Rosenberg, StPO, Band 6/1, § 250 Rn. 1 und 23). Zwar wird die Amtsaufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) regelmäßig die Vernehmung des sachnächsten Zeugen gebieten. Vorliegend war jedoch die Ermittlungsrichterin im Vergleich zu dem Zeugen KOK N. nicht die sachnächste Zeugin. Dieser hat wie sie an der Haftbefehlseröffnung teilgenommen und konnte den Inhalt des dort Geäußerten in gleicher Weise wie die Ermittlungsrichterin aufgrund eigener Wahrnehmung bekunden.
19b) Die dem Freispruch des Angeklagten D. zugrundeliegende Beweiswürdigung hält sachlich-rechtlicher Prüfung stand.
20Die Würdigung der Beweise ist Sache des Tatrichters. Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die Prüfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung durch das Revisionsgericht ist auf das Vorliegen von Rechtsfehlern beschränkt. Solche Rechtsfehler liegen in sachlich-rechtlicher Hinsicht bei der Beweiswürdigung lediglich dann vor, wenn diese widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze verstößt oder wenn der Tatrichter zu hohe Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat. Rechtsfehlerhaft ist es zudem, wenn das Tatgericht es versäumt, sich im Urteil mit anderen naheliegenden Möglichkeiten auseinanderzusetzen, und dadurch über schwerwiegende Verdachtsmomente ohne ausreichende Erörterung hinweggeht ( mwN).
21Solche Rechtsfehler enthält das angefochtene Urteil nicht. Die Revision der Staatsanwaltschaft zielt lediglich darauf ab, ihre eigene Beweiswürdigung in Bezug auf den Zeugen M. an die Stelle derjenigen des Tatgerichts zu setzen.
IV.
22Soweit das Landgericht über den mit der unverändert zum Hauptverfahren zugelassenen Anklage vom gegenüber dem Angeklagten P. erhobenen Vorwurf, Strafvereitelung dadurch begangen zu haben, dass er den anderweitig Verfolgten M. von August 2012 bis zu dessen Festnahme am in seiner (P. s) Wohnung versteckt hat, um M. vor der Strafvollstreckung zu bewahren (Ziffer II. der Anklage), seine Kognitionspflicht nicht ausgeübt hat, kann der Senat keine Entscheidung treffen. Da das Landgericht seine Kognitionspflicht nicht auf diese verfahrensgegenständliche Tat (§§ 155, 264 StPO) erstreckt hat, ist die Sache insoweit noch dort und nicht beim Bundesgerichtshof anhängig (vgl. , NStZ 1993, 551, 552).
Raum Wahl Graf
Cirener Radtke
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
UAAAE-61201