Kostenentscheidung bei sog. in camara-Verfahren
Leitsatz
Das Verfahren nach § 86 Abs. 3 FGO ist jedenfalls dann ein unselbständiges Zwischenverfahren ohne eigenständige Kostenentscheidung, wenn der Antrag nach § 86 Abs. 3 FGO erfolglos geblieben und/oder die im Rahmen des § 86 Abs. 3 FGO in Anspruch genommene Behörde Beteiligte auch des Hauptsacheverfahrens ist.
Gesetze: FGO § 86 Abs. 3
Instanzenzug:
Gründe
I.
1 Mit Schriftsatz vom beantragte der Kläger und Antragsteller (Antragsteller) in dem seine Geschäftsführerhaftung wegen Umsatzsteuer 2002 und 2003 betreffenden Klageverfahren beim Finanzgericht (FG) gemäß § 86 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die Feststellung durch den Bundesfinanzhof (BFH), dass die Weigerung der Vorlage des vollständigen Berichts zum Umsatzsteuerbetrug der Firmengruppe B des Finanzamts für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung D und des Finanzamts für Groß- und Konzernbetriebsprüfung K vom durch den Beklagten und Antragsgegner (Finanzamt —FA—) rechtswidrig ist.
2 Dieser Bericht, den das FG nicht angefordert hatte, war dem FG zusammen mit vom FG angeforderten Handakten der Umsatzsteuerprüfung versehentlich übermittelt und vom FG auf entsprechenden Hinweis an das FA zurückgesandt worden. Dies erfolgte zugleich mit dem Hinweis an die Beteiligten, dieser Bericht sei nicht Bestandteil der Akten, die das Gericht der Entscheidungsfindung zugrunde legen werde.
3 Der Antragsteller ist der Auffassung, dass § 86 FGO nicht nur dann anwendbar sei, wenn das FA Aktenteile nach Aufforderung durch das FG nicht übersendet, sondern auch dann, wenn dem FG vorliegende Aktenteile vom FA erfolgreich zurückgefordert werden, so dass sie dem FG nicht mehr vorliegen.
II.
4 Der Antrag ist unzulässig.
5 1. Nach § 86 Abs. 1 FGO sind Behörden grundsätzlich zur Vorlage von Urkunden und Akten, zur Übermittlung elektronischer Dokumente und zu Auskünften verpflichtet. Nach Abs. 2 der Vorschrift kann die Vorlage von Urkunden oder Akten, die Übermittlung elektronischer Dokumente und die Erteilung von Auskünften verweigert werden, wenn die Vorgänge aus bestimmten Gründen geheim gehalten werden müssen. Nach Abs. 3 der Vorschrift stellt der BFH auf Antrag eines Beteiligten in den Fällen der Abs. 1 und 2 ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss fest, ob die Verweigerung der Vorlage der Urkunden oder Akten, die Übermittlung elektronischer Dokumente oder die Verweigerung der Erteilung von Auskünften rechtmäßig ist. Der Antrag ist bei dem für die Hauptsache zuständigen Gericht zu stellen.
6 2. § 86 Abs. 3 FGO setzt voraus, dass das FG im finanzgerichtlichen Verfahren die Vorlage der betreffenden Unterlagen oder die Erteilung von Auskünften angeordnet hatte und die ersuchte Behörde sich daraufhin geweigert hat, dieser Aufforderung nachzukommen (, BFH/NV 2006, 1699). Voraussetzung einer Feststellung i.S. von § 86 Abs. 3 Satz 1 FGO ist daher, dass das FG, wenn es im Rahmen eines bei ihm anhängigen Verfahrens Steuerakten vom FA anfordert und diese nicht vollständig vorgelegt werden, weiterhin, d.h. auch noch zum Zeitpunkt der erstrebten Entscheidung des BFH, auf der lückenlosen Vorlage besteht.
7 An einer derartigen Aufforderung durch das FG fehlt es im Streitfall, so dass die Voraussetzungen für ein Feststellungsverfahren nach § 86 Abs. 3 FGO nicht vorliegen. Entgegen der Auffassung des Antragstellers kommt die Anwendung dieser Vorschrift auf andere Fallgestaltungen, bei denen eine gerichtliche Anordnung zur Aktenvorlage fehlt, nicht in Betracht. Insbesondere reicht eine Rückforderung von dem FG vorliegenden Aktenteilen durch das FA nicht aus.
8 3. Einer Beiladung der obersten Aufsichtsbehörde nach § 86 Abs. 3 Satz 4 FGO bedarf es nicht, wenn —wie hier— der Antrag nach § 86 Abs. 3 FGO unzulässig ist und die Interessen der obersten Aufsichtsbehörde daher nicht betroffen sein können.
9 4. Bei dem Verfahren nach § 86 Abs. 3 FGO handelt es sich um ein unselbständiges Zwischenverfahren, so dass es keiner eigenständigen Kostenentscheidung bedarf (BFH-Beschlüsse vom III S 38/11, BFH/NV 2013, 701; vom IX B 156/06, BFH/NV 2007, 473). Der I. und der X. Senat des BFH haben auf Anfrage mitgeteilt, dass sie an ihrer gegenteiligen Auffassung in den Beschlüssen vom I B 93/07 (BFH/NV 2008, 387) und vom X S 9/09 (BFH/NV 2010, 54) nicht festhalten (BFH-Beschlüsse vom X ER-S 3/13 und vom I ER-S 1/13). Soweit der I. Senat des BFH dies auf den Fall beschränkt hat, dass der Antrag nach § 86 Abs. 3 FGO erfolglos geblieben ist und/oder die im Rahmen des § 86 Abs. 3 FGO in Anspruch genommene Behörde Beteiligte auch des Hauptsacheverfahrens ist, sind diese Voraussetzungen im Streitfall erfüllt.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2014 II Seite 478
BB 2014 S. 854 Nr. 15
BFH/NV 2014 S. 780 Nr. 5
BFH/PR 2014 S. 210 Nr. 6
BStBl II 2014 S. 478 Nr. 10
DB 2014 S. 6 Nr. 14
DB 2014 S. 760 Nr. 14
DStR 2014 S. 10 Nr. 14
DStR 2014 S. 745 Nr. 15
DStRE 2014 S. 571 Nr. 9
HFR 2014 S. 709 Nr. 8
NWB-Eilnachricht Nr. 15/2014 S. 1054
StB 2014 S. 138 Nr. 5
StB 2014 S. 96 Nr. 4
StBW 2014 S. 286 Nr. 8
Ubg 2014 S. 346 Nr. 5
YAAAE-60955