Strafverfahren wegen versuchtem Totschlags: Berücksichtigung des Zweifelssatzes bei der Strafzumessung
Gesetze: § 261 StPO, § 22 StGB, § 23 StGB, § 49 Abs 1 StGB, § 212 StGB, § 213 Alt 2 StGB
Instanzenzug: LG München I Az: 2 Ks 128 Js 206568/12
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision. Diese hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg.
21. Nach den landgerichtlichen Feststellungen attackierte der durch eine Beleidigung gereizte Angeklagte seinen Trinkkumpanen mit bedingtem Tötungsvorsatz mittels eines Springmessers. Den ersten Stich konnte der Geschädigte noch durch Wegschlagen abwehren, der zweite traf ihn jedoch neun Zentimeter tief in den Mittelbauch. Durch das Dazwischentreten von Dritten wurde ein Nachsetzen durch den Angeklagten verhindert. Der Geschädigte, dessen Dickdarm durch den Stich eröffnet worden war, konnte durch eine Notoperation gerettet werden.
3Im Anschluss an zwei hierzu gehörte Sachverständige konnte das Landgericht eine alkoholbedingte erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit bei dem alkoholabhängigen Angeklagten zum Tatzeitpunkt nicht ausschließen.
42. Während der Schuldspruch rechtsfehlerfrei ist, hält der Strafausspruch revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.
5Das Landgericht hat nach - nicht zu beanstandender - Ablehnung eines minder schweren Falls nach § 213 Alt. 1 StGB einen sonstigen minder schweren Fall nach § 213 Alt. 2 StGB angenommen. Hierzu hat es neben anderen Milderungsgründen herangezogen, dass aufgrund der „erheblichen Alkoholisierung des Angeklagten eine Verminderung der Schuldfähigkeit nicht auszuschließen" und die Tat im Versuchsstadium, wenn auch mit Nähe zum Erfolgseintritt, stecken geblieben sei. Eine weitere Verschiebung des Strafrahmens wegen des Vorliegens der Milderungsgründe des § 21 StGB oder des § 23 StGB hat es sodann ausgeschlossen. Der Annahme eines minder schweren Falls nach § 213 Alt. 2 StGB hat es sodann die Möglichkeit der zweimaligen Strafrahmenverschiebung nach diesen Milderungsgründen gegenüber gestellt, da der danach eröffnete Strafrahmen eine Strafrahmenobergrenze unter der verhängten Strafe bereit halte. Eine solche Strafrahmenbestimmung hat es aber auch „unter Berücksichtigung dessen, dass eine verminderte Schuldfähigkeit lediglich nicht auszuschließen" sei, nicht vorgenommen.
6Die letztgenannte Erwägung erweist sich als rechtsfehlerhaft. Führt die Anwendung des § 49 Abs. 1 StGB zu einem milderen Strafrahmen als die Annahme eines minder schweren Falles unter Verbrauch von vertypten Milderungsgründen, so ist der Tatrichter zwar nicht von vornherein gehalten, bei der Bemessung der Strafe von dem milderen Strafrahmen auszugehen. Er hat vielmehr im Rahmen einer Gesamtabwägung zu prüfen und darzulegen, welchen Strafrahmen er nach den konkreten Umständen des Einzelfalls für angemessen hält (; vgl. auch Beschluss vom - 5 StR 635/12). Die hierzu vom Landgericht getroffenen Strafzumessungserwägungen lassen jedoch besorgen, dass das Landgericht der erheblichen Schuldminderung in diesem Zusammenhang geringeres Gewicht beigemessen hat, weil sie nicht positiv festgestellt, sondern lediglich aufgrund des Zweifelssatzes unterstellt worden ist (vgl. zur Anwendung des Zweifelssatzes auf nicht behebbare tatsächliche Zweifel hinsichtlich Art und Grad des psychischen Ausnahmezustands , NStZ-RR 2006, 335; Urteil vom - 1 StR 511/95, BGHSt 43, 66). Dies ist unzulässig (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 369/05, NStZ-RR 2006, 6; vom - 1 StR 548/91). Denn auch in den Fällen, in denen unter Anwendung des Zweifelssatzes von einem bestimmten Sachverhalt auszugehen ist, ist dieser Sachverhalt bei der rechtlichen Würdigung von der gleichen Bedeutung, wie ein zur Überzeugung des Gerichts festgestellter (, NStZ-RR 2000, 166).
7Auch angesichts der sonstigen Strafzumessungserwägungen kann der Senat nicht ausschließen, dass die Höhe der ausgesprochenen Strafe auf der rechtsfehlerhaften Erwägung beruht (vgl. hierzu ).
8Der Strafausspruch bedarf daher einer erneuten tatrichterlichen Prüfung und Entscheidung. Da es sich um einen reinen Wertungsfehler handelt, konnten die tatsächlichen Feststellungen bestehen bleiben. Ergänzende, zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehende Feststellungen durch den neuen Tatrichter sind möglich.
Raum Graf Jäger
Cirener Mosbacher
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
DAAAE-60709