BSG Urteil v. - B 2 U 15/12 R

(Gesetzliche Unfallversicherung - Unfallversicherungsschutz gem § 2 Abs 1 Nr 1 SGB 7 - Beschäftigungsverhältnis - abhängige Beschäftigung - Eingliederung in die Arbeitsorganisation - Tätigkeit nach Weisungen - Erfüllung einer fremdwirtschaftlichen Hauptpflicht - Probearbeitsverhältnis - Postzusteller)

Leitsatz

Wird mit der unfallbringenden Verrichtung eine sich aus einem zuvor begründeten Rechtsverhältnis ergebende Hauptpflicht erfüllt, liegt keine bloße Anbahnung eines Beschäftigungsverhältnisses (mehr) vor.

Gesetze: § 2 Abs 1 Nr 1 SGB 7, § 7 Abs 1 SGB 4, § 8 Abs 1 SGB 7

Instanzenzug: Az: S 40 U 191/10 Urteilvorgehend Landessozialgericht Hamburg Az: L 3 U 21/11 Urteil

Tatbestand

1Die Beteiligten streiten um die Feststellung eines Arbeitsunfalles.

2Der Kläger bewarb sich im Herbst 2009 als Empfänger von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende aus eigener Initiative bei der T. GmbH (im Folgenden: T. GmbH) um eine Stelle als Briefausträger. Daraufhin wurde vereinbart, dass er vom 15. bis zum jeweils 6 Stunden täglich als Postzusteller ohne Anspruch auf ein Entgelt eingesetzt werden sollte. Außerdem wurde der Abschluss eines schriftlichen Arbeitsvertrages für den in Aussicht gestellt.

3Am 15. und stellte der Kläger die Post nach Einweisung ihn begleitender anderer Mitarbeiter der T. GmbH zu. Am Morgen des erhielt er zunächst ein Dienstfahrrad, Dienstkleidung und zwei am Fahrrad zu befestigende Taschen mit Post, die er ohne Begleitung eigenständig austragen sollte. Nachdem der Kläger etwa die Hälfte der zuzustellenden Post verteilt hatte, wurde er von einem Hund angesprungen. Er rutschte mit dem Fahrrad weg, stürzte und zog sich dabei einen komplizierten Schienbeinkopfbruch zu. Die Beklagte lehnte es ab, dieses Geschehen als Arbeitsunfall anzuerkennen, weil der Kläger zum Unfallzeitpunkt weder als Beschäftigter noch als sog Wie-Beschäftigter versichert gewesen sei (Bescheid vom , Widerspruchsbescheid vom ).

4Das SG Hamburg hat die Verwaltungsentscheidung aufgehoben und festgestellt, dass das Ereignis vom (richtig: ) ein Arbeitsunfall ist (Urteil vom ). Das LSG Hamburg hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei zum Unfallzeitpunkt Beschäftigter iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII gewesen. Spätestens am sei er mit der Anweisung, die Post in Dienstkleidung in einem bestimmten Bezirk zuzustellen, in die Arbeitsorganisation der T. GmbH eingegliedert und deren Weisungsrecht in Bezug auf Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsausführung unterstellt gewesen. Allein wegen des eigenwirtschaftlichen Motivs des Klägers, eine Festanstellung zu erreichen, könne nicht von der Anbahnung eines späteren potentiellen Beschäftigungsverhältnisses gesprochen werden. Der Kläger habe die Zustelltätigkeit wegen seiner Obhutspflichten für die ihm übergebenen Postsendungen und überlassene Briefträgerausstattung auch nicht jederzeit abbrechen können (Urteil vom ).

5Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII. Der Kläger habe zum Unfallzeitpunkt nicht dem versicherten Personenkreis der Beschäftigten angehört. Auch am habe er mit der eigenwirtschaftlichen Motivation gehandelt, eine Festanstellung zu erreichen. Bei Hospitations- und Probearbeitstagen im Rahmen eines laufenden Bewerbungsverfahrens mangele es regelmäßig an der betrieblichen Eingliederung. Eine Person, die im Wesentlichen allein eigene Angelegenheiten verfolge, sei auch nicht wie ein Beschäftigter tätig.

6Die Beklagte beantragt,die Urteile des Landessozialgerichts Hamburg vom und des Sozialgerichts Hamburg vom aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7Der Kläger beantragt,die Revision zurückzuweisen.

8Er hält die angegriffenen Entscheidungen für zutreffend.

Gründe

9Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet.

10Das LSG hat die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG, das auf die zulässige kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und § 55 Abs 1 Nr 1 SGG) die begehrte Feststellung getroffen hatte, zu Recht zurückgewiesen. Die Ablehnung der Beklagten in ihrem Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinem Anspruch auf Feststellung eines Versicherungsfalles aus § 102 iVm § 8 Abs 1 SGB VII. Er hat am einen Arbeitsunfall erlitten.

11Nach § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb "Versicherter" ist. Die Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität und haftungsbegründende Kausalität; vgl zuletzt - juris RdNr 10 mwN, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

12Die Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses - das Austragen der Post - hat den Sturz und damit einen Unfall und dieser hat einen Schienbeinkopfbruch und folglich einen Gesundheitserstschaden rechtlich wesentlich verursacht. Bei dieser Tätigkeit war der Kläger auch als Beschäftigter iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII versichert.

13Eine nach § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII versicherte Tätigkeit als Beschäftigter wird verrichtet, wenn der Verletzte zur Erfüllung eines von ihm begründeten Rechts- und damit Beschäftigungsverhältnisses, insbesondere eines Arbeitsverhältnisses eine eigene Tätigkeit in Eingliederung in das Unternehmen eines anderen (vgl § 7 Abs 1 SGB IV) zu dem Zweck verrichtet, dass die Ergebnisse seiner Verrichtung diesem und nicht ihm selbst unmittelbar zum Vorteil oder Nachteil gereichen (vgl § 136 Abs 3 Nr 1 SGB VII). Es kommt objektiv auf die Eingliederung des Handelns des Verletzten in das Unternehmen eines anderen und subjektiv auf die zumindest auch darauf gerichtete Willensausrichtung an, dass die eigene Tätigkeit unmittelbare Vorteile für das Unternehmen des anderen bringen soll. Eine Beschäftigung iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII wird daher ausgeübt, wenn die Verrichtung zumindest dazu ansetzt und darauf gerichtet ist, eine eigene objektiv bestehende Haupt- oder Nebenpflicht aus dem zu Grunde liegenden Rechtsverhältnis zu erfüllen, der Verletzte eine objektiv nicht geschuldete Handlung vornimmt, um einer vermeintlichen Pflicht aus dem Rechtsverhältnis nachzugehen, sofern er nach den besonderen Umständen seiner Beschäftigung zur Zeit der Verrichtung annehmen durfte, ihn treffe eine solche Pflicht, oder er unternehmensbezogene Rechte aus dem Rechtsverhältnis ausübt ( - SozR 4-2700 § 8 Nr 45 RdNr 23 f und vom - B 2 U 8/11 R - BSGE 111, 37 = SozR 4-2700 § 2 Nr 20, RdNr 27 ff).

14Das LSG hat die vom Kläger am verrichtete Tätigkeit zutreffend dem Typus der Beschäftigung zugeordnet. § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII erfasst die Beschäftigten iS des § 7 Abs 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (Satz 1). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (Satz 2). Eine Beschäftigung liegt daher immer dann vor, wenn ein Arbeitsverhältnis besteht. Sie kann aber auch ohne Arbeitsverhältnis gegeben sein, wenn der Verletzte sich in ein fremdes Unternehmen eingliedert und seine konkrete Handlung sich dem Weisungsrecht eines Unternehmers insbesondere in Bezug auf Zeit, Dauer, Ort und Art der Verrichtung unterordnet ( - BSGE 111, 37 = SozR 4-2700 § 2 Nr 20, RdNr 31 ff). Dabei kommt es auf die das Gesamtbild bestimmenden tatsächlichen Verhältnisse an. Ob eine Beschäftigung vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die hieraus gezogene Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine - formlose - Abbedingung rechtlich möglich ist. Entscheidend ist die Rechtsbeziehung so wie sie praktiziert wird und die praktizierte Beziehung so wie sie rechtlich zulässig ist ( - BSGE 111, 257 = SozR 4-2400 § 7 Nr 17, RdNr 16 mwN). Ob der Verletzte ein Entgelt erhalten hat, ist für die Beschäftigung iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII - und grundsätzlich auch des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB IV - unerheblich.

15Nach Maßgabe dieser Grundsätze sind die Vorinstanzen zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger im Unfallzeitpunkt eine versicherte Beschäftigung verrichtet hat. Mit dem Austragen der Post erfüllte er eine sich aus einem zuvor begründeten Rechts- und damit Beschäftigungsverhältnis ergebende Hauptpflicht.

16Zwischen der T. GmbH und dem Kläger war zwar noch kein Arbeitsvertrag zustande gekommen. Dessen Abschluss war lediglich für den in Aussicht gestellt worden. Nach den nicht mit zulässig erhobenen sowie begründeten Verfahrensrügen angegriffenen und damit für den Senat bindenden (§ 163 SGG) tatsächlichen Feststellungen des LSG war der Kläger gleichwohl am abredegemäß in einem fremden Betrieb der T. GmbH tätig und dabei in deren Arbeitsorganisation eingebunden. Für diesen Tag war ihm die Dienstkleidung und ein Dienstfahrrad übergeben worden, weil er in einem vorgegebenen Bezirk die Post allein und eigenständig austragen sollte. Mit der Verwendung der Arbeitsmittel war nach außen die Unternehmenszugehörigkeit dokumentiert. Zudem sollte der damit in den Betriebsablauf eingegliederte Kläger die ihm überlassene Post zwischen 8 Uhr und voraussichtlich 14 Uhr in einem ihm zugewiesenen Gebiet verteilen. Dadurch kommt unzweifelhaft seine zum Weisungsrecht der T. GmbH korrespondierende Weisungsgebundenheit in Bezug auf Zeit, Dauer und Ort der Verrichtung zum Ausdruck, der sich der Kläger vereinbarungsgemäß auch unterworfen hat.

17Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die unfallbringende Verrichtung nicht deshalb dem unversicherten eigenwirtschaftlichen Bereich zuzuordnen, weil sie im Zusammenhang mit einer Arbeitssuche oder Verhandlungen über den Abschluss eines Arbeitsvertrages gestanden hat (vgl hierzu - NZA 1986, 542). Sie diente auch nicht der Vorstellung bei der T. GmbH als potentielle Arbeitgeberin (vgl hierzu - SozR 2200 § 539 Nr 119). Eine solche Zweckbindung ist vom LSG weder festgestellt worden noch ersichtlich. Sie mag evtl - was vorliegend nicht zu entscheiden ist - für die am 15. und verrichteten Tätigkeiten anzunehmen sein, weil der Kläger an diesen beiden Tagen die Post nach Einweisung ihn begleitender anderer Mitarbeiter der T. GmbH zustellte. Diese Einweisung und die mit ihr gegebenenfalls verbundene Feststellung der Fähigkeiten und Eignung des Klägers waren jedoch abgeschlossen, nachdem ihm von der T. GmbH aufgetragen worden war, die Post in Dienstkleidung allein und eigenständig auszutragen. Daher kann jedenfalls hinsichtlich der am verrichteten Tätigkeiten nicht mehr von einer bloßen Anbahnung ausgegangen werden, die allein darauf abgezielt hätte, die persönliche und fachliche Eignung festzustellen. Auch einer Hospitation oder Probearbeit ist der Kläger jedenfalls am Unfalltag nicht nachgegangen.

18Dass am ein wirksamer Arbeitsvertrag noch nicht zustande gekommen, sein Abschluss vielmehr für den vorgesehen war und die unfallbringende Verrichtung möglicherweise auch der Begründung des in Aussicht gestellten Arbeitsvertrages gedient hat, führt zu keiner anderen Beurteilung. An einer die Beschäftigung charakterisierenden fremdwirtschaftlichen Zweckbestimmung eines Verhaltens fehlt es erst dann, wenn mit ihm im Wesentlichen allein eigene Angelegenheiten verfolgt werden ( - SozR 4-2700 § 2 Nr 6 = NZS 2006, 375). Das abredegemäß erfolgte Austragen der Post diente indes auch der Erfüllung der mit der Übertragung der Postzustellaufgaben einhergehenden Pflichten.

19Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2013:141113UB2U1512R0

Fundstelle(n):
DB 2014 S. 15 Nr. 6
DB 2014 S. 1875 Nr. 33
DB 2014 S. 8 Nr. 29
GAAAE-60251