BGH Beschluss v. - 3 StR 451/13

Anordnung der Sicherungsverwahrung: Verwertung zulässigen Verteidigungsverhaltens; frühkrimineller Hangtäter als Ausnahmefall; Fall der revisionsrechtlichen Untrennbarkeit von Strafausspruch und Maßregel

Gesetze: § 66 Abs 2 StGB, § 66 Abs 3 StGB

Instanzenzug: LG Wuppertal Az: 24 KLs 20/13

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in dreizehn Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

21. Die auf § 66 Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 StGB gestützte Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung hat keinen Bestand. Der Generalbundesanwalt hat hierzu in seiner Antragsschrift ausgeführt:

"Ein wesentliches Begründungselement der sachverständig beratenen Strafkammer für die Gefahr weiterer Straftaten ist eine beim Angeklagten vorliegende Externalisierung eigener Verantwortlichkeit dahingehend, dass er in der Hauptverhandlung zwar das äußere Tatgeschehen objektiv eingeräumt habe, im Übrigen aber gegenüber Gericht, Sachverständigen und seinem privaten Umfeld angab, zu den Taten von einem 'Russen' gezwungen worden zu sein (UA S. 22 ff., 29 f., 38). Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht die Einlassung des Angeklagten im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose zu seinem Nachteil verwertet hat. Zulässiges Verteidigungsverhalten darf im Rahmen der Prüfung des § 66 StGB jedoch weder hang- noch gefahrbegründend verwertet werden (BGH NJW 1992, 3247; NStZ 2001, 595, 596; 2010, 270, 271; Senat, Beschl. v. - 3 StR 12/11 - Rn. 7; BGH, Be-schl. v. - 5 StR 189/11 - Rn. 17). Anderenfalls wäre der Angeklagte gezwungen, seine Verteidigungsstrategie zu ändern, um der Anordnung von Sicherungsverwahrung zu entgehen (BGH StV 2002, 19; Beschl. v. - 5 StR 267/11 - Rn. 6).

...

Auch die tatrichterliche Ermessensausübung gem. § 66 Abs. 2, 3 StGB ist nicht frei von Rechtsfehlern. Zwar war sich die Strafkammer des ihr eingeräumten Ermessens bewusst (UA S. 38). Es ist jedoch zu besorgen, dass sie ihrer Ermessensausübung einen unzutreffenden Prüfungsmaßstab zugrunde gelegt hat und auf diese Weise zu einem defizitären Ergebnis gelangt ist. Ermessensentscheidungen nach § 66 Abs. 2 und Abs. 3 S. 2 StGB haben schon von Gesetzes wegen Ausnahmecharakter, da sie, anders als Anordnungen nach § 66 Abs. 1 StGB, keine Vortaten oder Vorverbüßungen erfordern (Senat, Beschl. v. - 3 StR 208/11 - Rn. 5; Beschl. v. - 3 StR 207/12 - Rn. 4; Urteil v. - 3 StR 148/13 - Rn. 6). Eine weitere Verengung des Ermessensspielraums ergibt sich zusätzlich aus dem Umstand, dass der Angeklagte bei den einzelnen Taten zwischen 20 und 22 Jahre alt gewesen ist. Insbesondere bei frühkriminellen Hangtätern, die das 21. Lebensjahr gerade erst überschritten haben, ist die Sicherungsverwahrung jedoch nur in Ausnahmefällen unter strengen Anforderungen bei besonders schweren Straftaten zulässig und bedarf besonders sorgfältiger Würdigung in den Urteilsgründen (Senat, Beschl. v. - 3 StR 406/88 - Rn. 3; Beschl. v. - 3 StR 235/11 - Rn. 7; - Rn. 13).

Zwar hat das Landgericht das Alter des Angeklagten im Rahmen der Ermessensausübung berücksichtigt und auch geprüft, ob nicht die Verhängung einer Freiheitsstrafe als Warnung ausgereicht hätte (UA S. 38). Dass es aber den durch die vorstehend dargelegte zweifache Ausnahmekonstellation vorliegend stark verengten Ermessenspielraum und die daraus resultierenden gesteigerten Sorgfaltsanforderungen als Maßstab zugrunde gelegt hat, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Eine Prüfung, ob das besonders geschickte Vorgehen des Angeklagten durch Gründung eines eigenen Kinderbetreuungsdienstes (UA S. 9) sowie die Vielzahl der Geschädigten die Annahme einer Ausnahme nach den geschilderten Grundsätzen rechtfertigen könnten, hat die Strafkammer nicht vorgenommen. Sie kann in der Revisionsinstanz auch nicht nachgeholt werden, da es dem Revisionsgericht verwehrt ist, die Ermessensentscheidung des Tatgerichts durch eigene Ermessenserwägungen zu modifizieren (Senat, Beschl. v. - 3 StR 207/12 - Rn. 4)."

3Dem schließt sich der Senat an.

42. Der Rechtsfehler führt auch zur Aufhebung des Urteils im Strafausspruch. Insoweit hat der Generalbundesanwalt ausgeführt:

"Die Strafkammer hat die Anordnung der Maßregel ausweislich der Urteilsgründe ausdrücklich im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigt (UA S. 35) und auf diese Weise eine revisionsrechtliche Untrennbarkeit von Strafausspruch und Maßregel herbeigeführt, da der Strafausspruch im Falle der isolierten Aufhebung der Maßregel nicht frei von Widersprüchen wäre (vgl. BGHSt 29, 359, 365 f.; BGHSt 41, 57, 59; - Rn. 5). Unbeschadet dessen soll der neue Tatrichter die Möglichkeit haben, die Rechtsfolgen insgesamt neu zu bestimmen."

5Wenngleich es eher fern liegt, dass das Landgericht die Maßregelanordnung bei der Bemessung der Strafe zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt hat, kann sich der Senat dem nicht verschließen.

Becker                         Schäfer                         Mayer

                Gericke                        Spaniol

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Fundstelle(n):
SAAAE-57082