Eingruppierung - sog. Auffanglohngruppe
Leitsatz
Der Lohngruppe 1 der Tarifverträge zur Regelung der Mindestlöhne für gewerbliche Arbeitnehmer in der Gebäudereinigung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland - "Innen- und Unterhaltsreinigungsarbeiten" - kommt nicht die Funktion einer sog. Auffanglohngruppe zu, die unabhängig von der ausgeübten Tätigkeit einen Mindestlohnanspruch für alle vom betrieblichen Geltungsbereich erfassten Arbeitsverhältnisse bestimmt.
Gesetze: § 1 TVG
Instanzenzug: Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven Az: 1 Ca 1360/09 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Bremen Az: 2 Sa 105/11 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über Entgeltansprüche des Klägers.
2Der Kläger ist seit dem bei der Beklagten, die überwiegend Gebäudereinigungsleistungen erbringt, beschäftigt. In dem zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrag heißt es ua.:
3Der Kläger ist mit seiner weit überwiegenden Tätigkeit an einer Müllpresse beschäftigt und entsorgt dort Verpackungsmüll. Die Beklagte vergütet die an der Müllpresse geleisteten Arbeitsstunden nach dem vertraglich vereinbarten Lohn. Soweit dem Kläger - in geringem Umfang - Reinigungsarbeiten übertragen werden, erhält er einen Stundenlohn nach der Lohngruppe 1 des jeweiligen Tarifvertrags zur Regelung der Mindestlöhne für gewerbliche Arbeitnehmer in der Gebäudereinigung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TV Mindestlohn).
4Mit seiner Klage verlangt der Kläger - soweit für die Revision von Bedeutung - für die Zeit ab dem für seine Tätigkeit an der Müllpresse die Differenz zwischen dem ihm geleisteten Stundenlohn von 6,50 Euro und den Entgeltsätzen, die für die Lohngruppe 1 nach dem jeweiligen TV Mindestlohn vorgesehen sind. Seine Beschäftigung an der Müllpresse könne dem tariflichen Tätigkeitsmerkmal „Innen- und Unterhaltsreinigung“, jedenfalls aber dem der „Beseitigung von Produktionsrückständen“ zugeordnet werden. Die Lohngruppe 1 des jeweiligen TV Mindestlohn erfasse zudem alle Arbeitnehmer unabhängig von der ausgeübten Tätigkeit. Auf dieser Grundlage seien auch geleistete Mehrarbeitsstunden mit einem Zuschlag von 25 vH zu vergüten und das Urlaubsgeld zu berechnen, welches ihm nach § 2 des Tarifvertrags über ein zusätzliches Urlaubsgeld für die gewerblichen Beschäftigten in der Gebäudereinigung (vom - TV Urlaubsgeld) zustehe. Daraus ergebe sich für die Zeit vom bis zum die eingeklagte Lohndifferenz.
5Der Kläger hat zuletzt beantragt,
6Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Der Kläger übe an der Müllpresse keine Tätigkeiten aus, die von den Tätigkeitsmerkmalen des jeweiligen TV Mindestlohn erfasst würden. Es handele sich um eine reinigungsfremde Tätigkeit.
7Das Arbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und der Berufung des Klägers - soweit für die Revision von Bedeutung - stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Gründe
8Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Klage ist insgesamt unbegründet. Der Kläger kann für die Zeit ab dem keine Vergütung nach der Lohngruppe 1 des jeweiligen TV Mindestlohn beanspruchen.
91. Der Leistungsantrag - Antrag zu 2) - ist für die Zeit vom bis zum schon deshalb unbegründet, weil in diesem Zeitraum kein Tarifvertrag für das Arbeitsverhältnis des Klägers galt, in dem der von ihm begehrte Stundenlohn geregelt war.
10a) Eine Vergütungspflicht der Beklagten nach der Lohngruppe 1 des „Tarifvertrags zur Regelung der Mindestlöhne für gewerbliche Arbeitnehmer in der Gebäudereinigung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TV Mindestlohn) vom “ (TV Mindestlohn 2007), der aufgrund der Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen im Gebäudereinigerhandwerk (GebäudeArbbV, BAnz. Nr. 34 vom S. 762) zum in Kraft gesetzt wurde, besteht nicht. Der TV Mindestlohn 2007 trat nach § 2 GebäudeArbbV am außer Kraft. Eine Nachwirkung für die Zeit ab dem entsprechend der Regelung des § 4 Abs. 5 TVG scheidet aus (ausf. dazu - Rn. 13 ff., BAGE 138, 1).
11b) Die nachfolgende Zweite Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen in der Gebäudereinigung (vom , 2. GebäudeArbbV, BAnz. Nr. 37 vom S. 951), die die „Rechtsnormen des Tarifvertrages zur Regelung der Mindestlöhne für gewerbliche Arbeitnehmer in der Gebäudereinigung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TV Mindestlohn)“ (vom , nachfolgend TV Mindestlohn 2010) in der Anlage aufführt, trat erst am in Kraft.
122. Die Klage ist weiterhin für den nachfolgenden Zeitraum ab dem insgesamt unbegründet. Die vom Kläger erbrachten Arbeitsstunden sind weder nach der Lohngruppe 1 TV Mindestlohn 2010 noch nach der Lohngruppe 1 des Tarifvertrags zur Regelung der Mindestlöhne für gewerbliche Arbeitnehmer in der Gebäudereinigung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (vom , nachfolgend TV Mindestlohn 2012) zu vergüten, die aufgrund der Dritten Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen in der Gebäudereinigung (vom , 3. GebäudeArbbV, BAnz. Nr. 196 vom S. 4621) seit dem als staatliches Recht galt. In der Folge kann der Kläger keine Berechnung von Mehrarbeitszuschlägen und eines Urlaubsgelds auf Grundlage der Lohngruppe 1 TV Mindestlohn 2010/2012 beanspruchen.
13a) Für das Arbeitsverhältnis der Parteien galt aufgrund der 2. GebäudeArbbV bis zum der TV Mindestlohn 2010 und ab dem nach der 3. GebäudeArbbV der TV Mindestlohn 2012.
14b) Die für die Eingruppierung maßgebenden tariflichen Bestimmungen nach dem TV Mindestlohn 2010 lauten wie folgt:
15Dem entsprechen bis auf die in der Höhe geänderten Mindestlöhne in § 2 Nr. 1 und die nicht mehr aufgenommene Bestimmung des § 2 Nr. 3 (§ 2 Nr. 4 TV Mindestlohn 2010 ist nunmehr § 2 Nr. 3 TV Mindestlohn 2012) die Regelungen des TV Mindestlohn 2012.
16c) Danach kann der Kläger keine Vergütung nach der Lohngruppe 1 der beiden Mindestlohntarifverträge beanspruchen. Die maßgebende, weil überwiegend von ihm ausgeübte Teiltätigkeit an der Müllpresse erfüllt nicht die Voraussetzungen eines tariflichen Tätigkeitsmerkmals der Lohngruppe 1 TV Mindestlohn 2010 oder TV Mindestlohn 2012.
17aa) Das Landesarbeitsgericht ist in der Sache zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei der zeitlich weit überwiegenden Tätigkeit des Klägers an der Müllpresse um eine einheitlich zu bewertende Teiltätigkeit handelt (zu den Maßstäben etwa - Rn. 17 mwN, BAGE 127, 305; - 4 AZR 410/05 - Rn. 11 mwN).
18Die Tarifvertragsparteien gehen nach § 2 Nr. 3 TV Mindestlohn 2010 bei der Eingruppierung grundsätzlich davon aus, dass die auszuübende Tätigkeit eines Arbeitnehmers sich auch aus verschiedenen, gesondert zu bewertenden Teiltätigkeiten zusammensetzen kann. Von diesen Grundsätzen ist, obwohl die Bestimmung des § 2 Nr. 3 TV Mindestlohn 2010 in den TV Mindestlohn 2012 nicht mehr mit aufgenommen wurde, auch für diesen Tarifvertrag auszugehen. Dass die Tarifvertragsparteien des TV Mindestlohn 2012 an diesen allgemein anerkannten Grundsatz der Eingruppierung von Arbeitnehmern ( - Rn. 20; - 4 AZR 527/83 -) bei der Bestimmung der maßgebenden Lohngruppe nicht mehr anknüpfen wollten, ist nicht ersichtlich. Dagegen spricht zudem die Bezugnahme auf den Rahmentarifvertrag für die gewerblichen Beschäftigten in der Gebäudereinigung in § 2 Nr. 3 TV Mindestlohn 2012, der inhaltsgleich die Eingruppierungsmaßstäbe des § 2 Nr. 4 TV Mindestlohn 2010 beinhaltet.
19bb) Die maßgebende Teiltätigkeit des Klägers an der Müllpresse erfüllt, wie die Auslegung der tariflichen Regelungen ergibt (zu den Maßstäben etwa - Rn. 26 mwN, BAGE 129, 238), nicht das Tätigkeitsmerkmal der Innen- und Unterhaltsreinigung iSd. Lohngruppe 1 TV Mindestlohn 2010/2012.
20(1) Für die Auslegung des von den Tarifvertragsparteien nicht näher erläuterten Tätigkeitsmerkmals der Innen- und Unterhaltsreinigung ist, weil es sich auch um keinen in der Rechtsterminologie feststehenden Begriff handelt, die branchenspezifische Auffassung für die Auslegung des Tätigkeitsmerkmals von Bedeutung ( - Rn. 17 mwN).
21(2) Der Begriff der vorliegend allein in Betracht kommenden Unterhaltsreinigung hat „begrifflich schlechthin das Reinigen und Pflegen eines Objektes zu dessen Unterhaltung zum Inhalt“ ( -). Unterhaltsreinigungsarbeiten sind „fortlaufende und kontinuierlich auszuführende Reinigungsarbeiten, die dem Erhalt, dem Schutz und der Pflege von Gegenständen dienen, wobei hierunter nicht nur Gebäude zu verstehen sind“ ( -; - 4 AZR 379/78 -). Der Begriff der Unterhaltsreinigung erfasst insbesondere - wie die Tarifvertragsparteien im TV Mindestlohn 2010/2012 auch ähnlich ausgeführt haben - neben der Reinigung die pflegende und schützende Behandlung von Innenbauteilen an Bauwerken aller Art, Gebäudeeinrichtungen, haustechnischen Anlagen sowie von Raumausstattungen und Verglasungen (vgl. auch § 1 Abschnitt II Nr. 2 RTV; ausf. dazu - Rn. 18 ff. mwN).
22(3) Die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit an der Müllpresse erfüllt nicht die Anforderungen des Tätigkeitsmerkmals der Unterhaltsreinigungsarbeiten. Es ist sowohl nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts als auch nach dem Vortrag des Klägers nicht erkennbar, dass seine Tätigkeit sich mit der Reinigung und Pflege von Räumen oder einem der anderen genannten Reinigungsobjekte befasst.
23Selbst unter Zugrundelegung eines „weiten Verständnisses“ des Begriffs der Unterhaltsreinigung, wie es das Landesarbeitsgericht angenommen hat (s. auch - Rn. 19 ff.; - 10 AZR 475/97 - zu I 1 der Gründe), fehlt es an Anhaltspunkten, nach denen die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit diesem Tätigkeitsmerkmal zugeordnet werden könnte. Es kann entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts nach dem Vorbringen des Klägers nicht davon ausgegangen werden, er übe „vor- oder nachbereitende Tätigkeiten“ im Zusammenhang mit Reinigungstätigkeiten aus; insoweit handelt es sich um eine Vermutung, für die tatsächliche Anknüpfungspunkte nicht ersichtlich sind.
24cc) Die maßgebende Teiltätigkeit des Klägers kann weiterhin nicht dem Tätigkeitsmerkmal „Beseitigung von Produktionsrückständen“ (dazu - zu III 2 b aa der Gründe; - 4 AZR 102/86 -) zugeordnet werden. Es ist weder festgestellt, dass der Kläger in einem Produktionsbetrieb tätig ist, noch ist ersichtlich, dass es sich bei dem von ihm an der Müllpresse verarbeiteten Verpackungsmaterial um Rückstände eines Produktionsprozesses handelt.
25dd) Die Tätigkeit des Klägers wird schließlich nicht deshalb von der Lohngruppe 1 TV Mindestlohn 2010/2012 erfasst, weil diese Lohngruppe für alle gewerblichen Arbeitnehmer gelten soll, deren ausgeübte Tätigkeit nicht von anderen Tätigkeitsmerkmalen des Tarifvertrags erfasst werden. Diese Auffassung des Klägers ist unzutreffend. Der Lohngruppe 1 TV Mindestlohn 2010/2012 kommt nicht die Funktion einer „Auffanglohngruppe“ zu.
26(1) Bereits durch die Nennung konkreter Tätigkeitsmerkmale in der Lohngruppe 1 TV Mindestlohn 2010/2012 - „gehören folgende Tätigkeiten“ - (ebenso für die weitere Lohngruppe 6 TV Mindestlohn 2010/2012) folgt, dass die Tarifvertragsparteien davon abgesehen haben, jede Tätigkeit eines Arbeitnehmers im Rahmen des betrieblichen Geltungsbereichs der Mindestlohntarifverträge dieser Lohngruppe zuzuordnen.
27(2) Diese Auslegung anhand des Wortlauts wird durch die Regelung in § 2 Nr. 4 TV Mindestlohn 2010 und in § 2 Nr. 3 TV Mindestlohn 2012 bestätigt. Der Anspruch auf die Lohngruppe 1 TV Mindestlohn 2010/2012 steht nur denjenigen Arbeitnehmern zu, deren Tätigkeit ein näher bezeichnetes Tätigkeitsmerkmal nach § 7 RTV/RTV erfüllt. Auch diese Beschränkung des Kreises der Anspruchsberechtigten spricht gegen die Annahme, die Tarifvertragsparteien hätten eine „Auffanglohngruppe“ vereinbaren wollen.
28(3) Die Zuordnung aller ausgeübten Tätigkeiten unabhängig von den Voraussetzungen eines konkreten Tätigkeitsmerkmals kann weiterhin nicht allein aus dem Sinn und Zweck eines Mindestlohntarifvertrags abgeleitet werden. Schon wegen der weitreichenden Wirkung von Tarifnormen auf die Rechtsverhältnisse von tarifgebundenen Dritten, die an den Tarifvertragsverhandlungen unbeteiligt waren, kann im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit der Wille der Tarifvertragsparteien nur dann berücksichtigt werden, wenn er in den tariflichen Normen einen Niederschlag gefunden hat ( - Rn. 18; - 4 AZR 197/09 - Rn. 24; - 1 ABR 1/04 - zu B II 2 a bb (1) (a) (aa) der Gründe, BAGE 114, 272).
29In Anbetracht der Aufnahme konkreter Tätigkeitsmerkmale fehlt es an solchen Anhaltspunkten. Die Tarifvertragsparteien haben gerade davon abgesehen, einen „allgemeinen Mindestlohn“ zu vereinbaren, der vorbehaltlich günstigerer Entgeltansprüche nach anderen tariflichen Regelungen an jeden Arbeitnehmer zu leisten ist (anders etwa im Tarifvertrag zur Regelung eines Mindestlohns im Gerüstbauerhandwerk im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom ; s. auch die Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen im Gerüstbauerhandwerk - GerüstArbbV - vom , BAnz. AT V1 oder im Tarifvertrag zur Regelung eines Mindestlohns für gewerbliche Arbeitnehmer im Maler- und Lackiererhandwerk vom ; s. dazu die Siebte Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen im Maler- und Lackiererhandwerk - 7. MalerArbbV - vom , BAnz. AT V1).
303. Der Kläger hat die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu tragen, § 91 Abs. 1 ZPO.
Fundstelle(n):
BB 2014 S. 627 Nr. 11
DB 2014 S. 1088 Nr. 19
DB 2014 S. 7 Nr. 10
WAAAE-56437