BAG Urteil v. - 4 AZR 934/11

Instanzenzug: ArbG Oldenburg (Oldenburg) Az: 7 Ca 406/10 E Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Niedersachsen Az: 5 Sa 397/11 E Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung der Klägerin.

2Die Klägerin ist beim beklagten Landkreis als Bezirkssozialarbeiterin im Fachdienst 51 - Jugend - beschäftigt. In dem ihr zugewiesenen Bezirk ist sie umfassend für die behördliche Sozialarbeit im Bereich Kinder, Jugend und Familien zuständig. Im Rahmen dieser Tätigkeit trifft sie ua. - in weniger als der Hälfte ihrer Arbeitszeit - Entscheidungen zur Vermeidung der Gefährdung des Kindeswohls und leitet gemeinsam mit dem Familiengericht Maßnahmen zur Gefahrenabwehr ein.

3Aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit gelten für das Arbeitsverhältnis die Tarifverträge für den öffentlichen Dienst im Bereich der Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA). Durch den Änderungstarifvertrag Nr. 6 zum Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) - Besonderer Teil Verwaltung (BT-V) vom gelten für die Eingruppierung der Beschäftigten des Sozial- und Erziehungsdienstes ab dem nach § 1 Abs. 1 Satz 1 der „Anlage zu Abschnitt VIII Sonderregelungen (VKA) § 56“ die Tätigkeitsmerkmale des Anhangs zur Anlage C, die Entgeltgruppen S. Die Klägerin erhält seither eine Vergütung nach der Entgeltgruppe S 11 TVöD-BT-V/VKA.

4Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin eine Vergütung nach der Entgeltgruppe S 14 TVöD-BT-V/VKA. Sie hat die Auffassung vertreten, ihre gesamte Betreuungstätigkeit sei auf ein einheitliches Arbeitsergebnis ausgerichtet. Es liege ein großer Arbeitsvorgang vor, der nicht weiter unterteilt werden könne. Die von ihr zu treffenden Entscheidungen zur Vermeidung einer Kindeswohlgefährdung und die zur Gefahrenabwehr erforderlichen Maßnahmen in Zusammenarbeit mit dem Familiengericht ließen sich nicht von den übrigen Tätigkeiten trennen. Zu Beginn der Fallbearbeitung sei nicht vorhersehbar, ob und in welchem Ausmaß sie jeweils anfallen würden. Diese Tätigkeitsanteile fielen auch in einem rechtserheblichen Umfang an.

5Die Klägerin hat zuletzt beantragt

6Der beklagte Landkreis hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er ist der Auffassung, nach der Ausgestaltung des Tätigkeitsmerkmals der Entgeltgruppe S 14 Alt. 1 TVöD-BT-V/VKA durch die Tarifvertragsparteien des TVöD würden die Tätigkeiten im Zusammenhang mit einer Gefährdungslage für das Kindeswohl einen gesonderten, rechtlich selbständig zu bewertenden Arbeitsvorgang darstellen. Eine Zusammenfassung mit anderen Aufgaben zu einem einheitlichen Arbeitsvorgang sei hiernach nicht möglich. Mit ihrer Tätigkeit in der Bezirkssozialarbeit erfülle die Klägerin das tariflich vorausgesetzte Maß von mindestens der Hälfte der Arbeitszeit für Tätigkeiten der Entgeltgruppe S 14 Alt. 1 TVöD-BT-V/VKA nicht.

7Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der beklagte Landkreis seinen Klageabweisungsantrag weiter.

Gründe

8Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des beklagten Landkreises zu Recht zurückgewiesen. Die als sog. Eingruppierungsfeststellungsklage zulässige Klage ist begründet. Die von der Klägerin auszuübende Tätigkeit erfüllt die Anforderungen des Tätigkeitsmerkmals der Entgeltgruppe S 14 Alt. 1 TVöD-BT-V/VKA.

9I. Für das Arbeitsverhältnis gelten aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit die Vorschriften des TVöD-BT-V/VKA und der Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten der kommunalen Arbeitgeber in den TVöD und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-VKA). Für die Eingruppierung der Klägerin sind neben § 22 Abs. 2 Unterabs. 1 Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT), der nach § 17 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-VKA nach wie vor maßgebend ist, ua. die nachstehenden Bestimmungen der Entgeltgruppen S des TVöD-BT-V/VKA von Bedeutung:

10II. Die von der Klägerin auszuübende Tätigkeit erfüllt das Tätigkeitsmerkmal der Entgeltgruppe S 14 Alt. 1 TVöD-BT-V/VKA.

111. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die der Klägerin übertragene Tätigkeit einen einheitlichen großen Arbeitsvorgang (zum Begriff  - Rn. 14; - 4 AZR 13/08 - Rn. 39 mwN, BAGE 129, 208) iSd. Protokollnotiz Nr. 1 zu § 22 Abs. 2 BAT ausmacht.

12a) Die Protokollnotiz Nr. 1 zu § 22 Abs. 2 BAT hat folgenden Inhalt:

13aa) Maßgebend für die Bestimmung eines Arbeitsvorgangs ist das Arbeitsergebnis (st. Rspr., etwa  - Rn. 24; - 4 AZR 5/09 - Rn. 22 mwN). Mit dem Begriff des Arbeitsvorgangs wurde durch den 37. Tarifvertrag zur Änderung und Ergänzung des BAT (vom ) ein einheitliches und allgemein verwertbares rechtliches Kriterium für die tarifrechtliche Beurteilung der Tätigkeit der Angestellten eingeführt, das darauf abstellt, welchem konkreten Arbeitsergebnis die jeweilige Tätigkeit des Angestellten bei natürlicher Betrachtung dient (grdl.  - zu II 3 bis 4 der Gründe, BAGE 29, 364).

14Dabei kann auch die gesamte vertraglich geschuldete Tätigkeit einen einzigen Arbeitsvorgang ausmachen. Nur wenn es tatsächlich möglich ist, Tätigkeiten von unterschiedlicher Wertigkeit abzutrennen, werden diese nicht zu einem Arbeitsvorgang zusammengefasst. Wiederkehrende, gleichartige und gleichwertige Bearbeitungen können zusammengefasst werden; nicht zusammengefasst werden können jedoch Bearbeitungen, die tariflich unterschiedlich zu bewerten sind. Letzteres gilt jedoch nur, wenn die unterschiedlich wertigen Arbeitsleistungen von vorne herein - sei es aufgrund der Schwierigkeit oder anderer Umstände - auseinandergehalten werden können und voneinander zu trennen sind. Dafür reicht jedoch nicht die theoretische Möglichkeit, einzelne Arbeitsschritte oder Einzelaufgaben verwaltungstechnisch isoliert auf andere Angestellte übertragen zu können, solange sie als einheitliche Arbeitsaufgabe einer Person übertragen sind. Tatsächlich trennbar sind Arbeitsschritte nicht, wenn sich erst im Laufe der Bearbeitung herausstellt, welchen tariflich erheblichen Schwierigkeitsgrad der einzelne Fall aufweist (vgl. insbesondere  - Rn. 20 mwN).

15bb) Bei der Bearbeitung von Fällen durch Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter bildet nicht jeder einzelne Fall einen Arbeitsvorgang, sondern erst die Befassung mit allen Fällen füllt diesen Rechtsbegriff aus (vgl.  - zu II 3 b der Gründe). Anderenfalls käme es zu einer tarifwidrigen Atomisierung solcher Tätigkeiten ( - zu II 2 b der Gründe, BAGE 82, 272).

16b) Ausgehend von diesen Maßstäben handelt es sich bei der Tätigkeit der Klägerin um einen einheitlichen Arbeitsvorgang. Arbeitsergebnis ihrer Tätigkeit ist, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, die Beratung und Betreuung der Kinder, Jugendlichen und Familien in dem ihr zugewiesenen Bezirk.

17aa) Die gesamte Tätigkeit der Klägerin ist auf dieses einheitliche Arbeitsergebnis gerichtet. Im Rahmen ihrer Tätigkeit hat sie regelmäßig darüber zu entscheiden, ob und ggf. welche Maßnahmen zu einer (weiteren) Vermeidung der Gefährdung des Kindeswohls, ggf. in Zusammenarbeit mit den Familiengerichten (nachdem die Vormundschaftsgerichte durch das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit [FamFG, vom , BGBl. I S. 2586] zum abgeschafft wurden), zu ergreifen sind.

18bb) Bei der Bestimmung von Arbeitsvorgängen ist eine vorherige Aufteilung der von der Klägerin auszuübenden Tätigkeit in Fälle, die zu einer Entscheidung führen, um eine Gefährdung des Kindeswohls zu vermeiden und solche, in denen es einer solchen Entscheidung nicht bedarf und schließlich denen, die zu einer Zusammenarbeit mit den Familiengerichten führen, nicht möglich. Diese Arbeitsschritte sind tatsächlich nicht trennbar. Nach der Arbeitsorganisation des beklagten Landkreises stellt sich erst im Verlauf der Fallbearbeitung heraus, ob und welche Maßnahmen erforderlich sind (dazu  - Rn. 27; - 4 AZR 507/03 - zu I 4 c der Gründe, BAGE 111, 216; - 4 AZR 950/93 - zu II 3 b der Gründe). Dem entspricht auch die ständige Rechtsprechung des Senats zur Tätigkeit von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern, die auf ein einheitliches Arbeitsergebnis, die Beratung und Betreuung des zugewiesenen Personenkreises gerichtet ist. Die einzelnen von ihnen auszuübenden Tätigkeiten sind regelmäßig tatsächlich und deshalb tariflich einheitlich zu bewerten ( - Rn. 18; - 4 AZR 985/93 - zu II 2 der Gründe; - 4 AZR 950/93 - aaO mwN).

19cc) Entgegen der Auffassung der Revision kann nicht davon ausgegangen werden, die Tarifvertragsparteien des TVöD hätten durch die Ausgestaltung des Tätigkeitsmerkmals der Entgeltgruppe S 14 Alt. 1 TVöD-BT-V/VKA vorgegeben, dass Tätigkeiten im Zusammenhang mit einer Gefährdungslage für das Kindeswohl einen gesonderten, rechtlich selbständig zu bewertenden Arbeitsvorgang ausmachen. Der beklagte Landkreis verkennt, dass nach der Definition der Tarifvertragsparteien in der Protokollnotiz Nr. 1 zu § 22 Abs. 2 BAT grundsätzlich das Arbeitsergebnis für die Bestimmung eines Arbeitsvorgangs maßgebend ist (oben II 1 a). Erst dann ist der Arbeitsvorgang anhand des in Anspruch genommenen Tätigkeitsmerkmals zu bewerten (vgl.  - Rn. 58; - 4 AZR 757/06 - Rn. 36, BAGE 122, 244). Dass die Tarifvertragsparteien mit der Entgeltgruppe S 14 Alt. 1 TVöD-BT-V/VKA von ihren eigenen Vorgaben abweichen wollten, ist nicht erkennbar.

202. Die auszuübende Tätigkeit der Klägerin erfüllt das Tätigkeitsmerkmal der Entgeltgruppe S 14 Alt. 1 TVöD-BT-V/VKA.

21a) Bei den hier einschlägigen Tätigkeitsmerkmalen der Entgeltgruppen S 11 und S 14 Alt. 1 TVöD-BT-V/VKA handelt es sich nicht um Aufbaufallgruppen im Sinne der ständigen Senatsrechtsprechung. Solche liegen im Tarifsinne nur dann vor, wenn das Tätigkeitsmerkmal ein „Herausheben” aus dem in Bezug genommenen Tätigkeitsmerkmal der niedrigeren Entgeltgruppe durch eine zusätzliche Anforderung ausdrücklich vorsieht, nicht aber dann, wenn ein Tätigkeitsmerkmal im Vergleich zu einem anderen lediglich höhere Anforderungen stellt ( - Rn. 20 mwN).

22b) Nach dem eindeutigen Tarifwortlaut müssen für eine Vergütung nach der Entgeltgruppe S 14 Alt. 1 TVöD-BT-V/VKA die genannten Anforderungen „Entscheidungen zur Vermeidung der Gefährdung des Kindeswohls“ sowie „Zusammenarbeit mit dem Familiengericht bzw. Vormundschaftsgericht“ kumulativ Inhalt der auszuübenden Tätigkeit sein.

23c) Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass innerhalb des einheitlichen Arbeitsvorgangs beide tariflichen Anforderungen „Treffen von Entscheidungen zur Vermeidung der Gefährdung des Kindeswohls“ und „die Einleitung von Maßnahmen in Zusammenarbeit mit dem Familiengericht bzw. Vormundschaftsgericht, welche zur Gefahrenabwehr erforderlich sind“ nicht mindestens die Hälfte der Gesamtarbeitszeit der Klägerin ausmachen müssen.

24aa) Bei der tariflichen Bewertung der Arbeitsvorgänge ist das sich aus der Protokollnotiz Nr. 1 zu § 22 Abs. 2 BAT ergebende sog. Aufspaltungsverbot zu beachten. Danach ist jeder einzelne Arbeitsvorgang als solcher zu bewerten und darf hinsichtlich der Anforderungen zeitlich nicht weiter aufgespalten werden ( - Rn. 48, BAGE 140, 311).

25bb) Danach ist für die Zuordnung der Tätigkeit zur Entgeltgruppe S 14 TVöD-BT-V/VKA entscheidend, dass die Klägerin innerhalb des Arbeitsvorgangs in rechtserheblichem Ausmaß Tätigkeiten auszuüben hat, die beide tariflichen Anforderungen erfüllen und ohne die ein sinnvoll verwertbares Arbeitsergebnis nicht erzielt werden könnte (zu Heraushebungsmerkmalen und höheren Anforderungen  - Rn. 49, BAGE 140, 311; - 4 AZN 1105/94 -; - 4 AZR 461/93 - zu B 4 c der Gründe; - 4 AZR 45/93 - zu III 3 b bb der Gründe mwN; grdl. - 4 AZR 642/84 - zu 6 der Gründe, BAGE 51, 282). Dagegen ist es nach der ständigen Rechtsprechung des Senats nicht erforderlich, dass mindestens die Hälfte der auf den Arbeitsvorgang entfallenden Tätigkeit die höhere tarifliche Wertigkeit erfüllt (s. nur  - Rn. 43; - 4 AZR 568/09 - Rn. 58 mwN).

26cc) Die Tätigkeit der Klägerin erfüllt in rechtserheblichem Ausmaß die tariflichen Anforderungen.

27(1) Die Klägerin arbeitet als Bezirkssozialarbeiterin beim beklagten Landkreis und hat in ihrer Tätigkeit in dem ihr zugewiesenen Bezirk ua. Entscheidungen zur Vermeidung der Gefährdung des Kindeswohls zu treffen und ggf. zusammen mit dem Familiengericht die erforderlichen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr im erforderlichen Umfang einzuleiten. Davon gehen auch die Parteien übereinstimmend aus.

28(2) Ohne diese Entscheidungen und Maßnahmeneinleitung in Zusammenarbeit mit den Familiengerichten könnte die Klägerin das Arbeitsergebnis, die Beratung und Betreuung der Kinder, Jugendlichen und Familien in dem ihr zugewiesenen Bezirk in denjenigen Fällen nicht erzielen, bei denen nach der jeweiligen Prüfung gerichtliche Maßnahmen zur Vermeidung einer Gefährdung des Kindeswohls erforderlich sind. Daher sind die tariflichen Anforderungen der Entgeltgruppe S 14 Alt. 1 TVöD-BT-V/VKA erfüllt, ohne dass der Senat vorliegend darüber befinden muss, ob und ggf. bei welchem quantitativen Umfang der höheren tariflichen Anforderung das rechtserhebliche Ausmaß stets gegeben ist (vgl. auch  - Rn. 43 f.; - 4 AZN 1105/94 - zu II der Gründe mwN). Dies führt dazu, wenn wie vorliegend unter Berücksichtigung der Anforderungen an die auszuübende Tätigkeit das Tätigkeitsmerkmal einer tariflich höher bewerteten Entgeltgruppe erfüllt wird, dass dieses für die Eingruppierung maßgebend ist (vgl. auch  - Rn. 49 mwN, BAGE 140, 311).

29III. Der beklagte Landkreis hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

Fundstelle(n):
PAAAE-54841