Bayerisches Landesamt für Steuern - S 2175.2.1-20/4 St32

Einbeziehung von Finanzierungskosten bei der Bemessung der Rückstellung für Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen

Anwendung der Grundsätze des , BStBl 2013 II S. 676

Der BFH hat mit o. g. Urteil entschieden, dass Finanzierungskosten bei der Bemessung der Rückstellung für die Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen als notwendiger Teil der Gemeinkosten i. S. d. § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchstabe b) EStG auch dann zu berücksichtigen sind, wenn die Finanzierung i. R. e. sog. Poolfinanzierung erfolgt ist.

Von einer Poolfinanzierung spricht man, wenn ein Steuerpflichtiger seine gesamten liquiden Eigen- und Fremdmittel in einen „Pool” gibt und daraus sämtliche Aufwendungen seines Geschäftsbetriebs finanziert.

Im zu Grunde liegenden Urteil war Aufbewahrungspflichtiger ein Kreditinstitut. Die Grundsätze des Urteils sind jedoch auch bei anderen Steuerpflichtigen anzuwenden.

1. Ansatz in der Steuerbilanz

1.1 Poolfinanzierung

Bereits die ursprüngliche Anschaffung bzw. Herstellung der Archivräume muss poolfinanziert gewesen sein. Sind die Gebäude oder die Gebäudeteile (in denen sich die Aufbewahrungsräume befinden) durch unmittelbar zuzuordnende Einzelkredite finanziert worden, scheidet insoweit ein Ansatz von Poolfinanzierungskosten aus. In einem solchen Fall sind die Zinsen aus dem Einzelkredit direkt den Archivräumen zuzuordnen (z. B. nach Nutzflächenanteil).

Der Aufbewahrungspflichtige hat in geeigneter Weise glaubhaft zu versichern, dass die ursprüngliche Anschaffung bzw. Herstellung der Aufbewahrungsräume i. R. e. Pools finanziert wurde und diesbezüglich keine Einzelkreditaufnahme erfolgt ist.

1.2 Verursachungsgerechte Kostenschlüsselung

Voraussetzung für die Berücksichtigung von Finanzierungsaufwendungen als Gemeinkosten ist, dass die Zuordnung auf einer kaufmännisch vernünftigen, d. h. angemessenen und verursachungsgerechten Schlüsselung der Finanzierungskosten beruht. Bei einer Poolfinanzierung werden Eigen- und Fremdkapital untrennbar vermischt, sodass Kreditmittel nicht einer bestimmten Ausgabe konkret und unmittelbar zuordenbar sind. Aus diesen Gründen ist eine sachgerechte Schätzung erforderlich.

Es wird von der Annahme ausgegangen, dass eine kongruente Finanzierung der Aktiva vorliegt, d. h. der Zinsaufwand entfällt anteilig nach den Buchwerten auf die einzelnen Aktivposten (sog. Gleichverteilungshypothese).

Nach Ansicht des BFH besteht die Vermutung, dass der Zinsaufwand den für Archivierungszwecke genutzten Räumen nach der Fremdkapitalquote des Finanzierungspools zum Zeitpunkt der Anschaffung/Herstellung zuzurechnen ist.

Die Fremdkapitalquote des Finanzierungspools des Aufbewahrungspflichtigen im Zeitpunkt der Anschaffung/Herstellung der Archivräume ist zu ermitteln. Eine reine Schätzung der Quote zum Zeitpunkt der Anschaffung/Herstellung aufgrund der derzeitigen Quote ist nicht ausreichend. Es ist jedoch nicht zu beanstanden, wenn der Aufbewahrungspflichtige durch geeignete Berechnungen die ursprüngliche Quote aus der derzeitigen Quote ableitet (z. B. Verlauf der Fremdkapitalquote in den letzten Jahren in der Branche o. ä.).

Ein weiteres zentrales Merkmal der Berechnung des Finanzierungskostenanteils ist der sog. durchschnittliche Passivzinssatz (vgl. 1.6 Beispiel zur Berechnung des Finanzierungskostenanteils). Der Zinssatz ermittelt sich als Quotient aus den tatsächlich gezahlten Zinsen und dem Fremdkapital (

tatsächlich gezahlte Zinsen
Fremdkapital
).

1.3 Höhe des Fremdkapitalanteils in den Wirtschaftsjahren nach Anschaffung/Herstellung

Es ist zu überprüfen, ob der Fremdkapitalanteil des Finanzierungspools in den Jahren nach der Anschaffung/Herstellung der Archivräume unter den bei der ursprünglichen Anschaffung/Herstellung bestehenden Anteil gesunken ist. Sollte dies der Fall sein, so ist nach Ansicht des BFH davon auszugehen, dass die auf die Archivräume rechnerisch entfallenden Refinanzierungsschulden anteilig durch einen höheren Einsatz von Eigenkapital getilgt worden sind. Bei diesem niedrigeren Ansatz verbleibt es dann auch, wenn der Fremdkapitalanteil in nachfolgenden Jahren wieder ansteigt (vgl. BFH a. a. O. Rz 30).

Der Verlauf der Fremdkapitalquote ist durch geeignete Maßnahmen nachzuweisen. Kreditinstitute sind beispielsweise verpflichtet, jährlich ihre Fremdkapitalquote an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zu melden. Die Meldung kann als geeigneter Nachweis für den Verlauf der Fremdkapitalquote herangezogen werden.

Der durchschnittliche Passivzinssatz hingegen kann sich in den Wirtschaftsjahren nach der Anschaffung/Herstellung verändern, d. h. er ist nicht auf die Höhe im Zeitpunkt der Anschaffung/Herstellung begrenzt.

1.4 Minderung der Rückstellung in den Wirtschaftsjahren nach Anschaffung/Herstellung

Der BFH sieht es als sachgerechte Schätzung an, dass die auf die Archivräume entfallenden Zinsaufwendungen durch den (abschreibungsbedingten) Rückgang der Gebäudebuchwerte gemindert werden. Dies ist ein Ausfluss der kaufmännischen Schätzung, dass die den Aufbewahrungsräumen zugeordneten Kredite, ausgerichtet an der Nutzungsdauer, zurückgeführt werden (vgl. BFH a. a. O. Rz 31).

1.5 Höchstgrenzen bei Kreditinstituten

Handelt es sich bei dem Aufbewahrungspflichtigen um ein Kreditinstitut i. S. d. § 1 des Gesetzes über das Kreditwesen (KWG), so unterliegt die Schuldzinsenschlüsselung einer Obergrenze. Diese Kreditinstitute müssen bestimmte Solvabilitätsgrundsätze beachten (vgl. § 10 KWG), d. h. der Fremdkapitalanteil darf bestimmte Grenzen nicht überschreiten. Dies stellt auch gleichzeitig die Obergrenze für die Kostenschlüsselung dar.

Die Regelungen wie hoch die Fremdkapitalquote eines Kreditinstituts sein darf, sind sehr komplex. Die gesetzliche Grundlage findet sich in § 10 Abs. 1 Sätze 9 und 11 KWG i. V. m. § 2 der Verordnung über die angemessene Eigenmittelausstattung von Instituten, Institutsgruppen, Finanzholding-Gruppen und gemischten Finanzholding-Gruppen (Solvabilitätsverordnung – SolvV). Das aufbewahrungspflichtige Kreditinstitut hat im Einzelfall durch geeignete Mittel nachzuweisen, dass es die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt. Die Kreditinstitute sind verpflichtet der Deutschen Bundesbank vierteljährlich ihren Bestand an Eigenmitteln mitzuteilen (§ 6 SolvV). Diese Mitteilungen sind geeignete Nachweismittel.

1.6 Beispiel zur Berechnung des Finanzierungskostenanteils

Der anteilige Buchwert (BuWe) der Archivräume beträgt zum  10.000 €, die jährliche AfA beträgt 300 €. Im Jahr 01 beträgt der durchschnittliche Passivzinssatz 3,5 %, im Jahr 02 beträgt er 3,6 %. Die Geschäftsunterlagen sind 6 Jahre aufzubewahren. Im Zeitpunkt der Anschaffung der Archivräume betrug das Eigenkapital im Pool 20.000 € und das Fremdkapital 80.000 €. Die Quote ist bis einschließlich 01 konstant geblieben. Im Jahr 02 beträgt die Fremdkapitalquote des Finanzierungspools 79 %.

Berechnung:

Fremdkapitalquote = 

Fremdkapital
Fremdkapital + Eigenkapital
 = 
80.000 €
80.000 € + 20.000 € 
 = 0,8


Tabelle in neuem Fenster öffnen

Rückstellung zum 31.12.01:

Jahr
Anteiliger BuWe
×
Fremdkapitalquote
×
durchschn. Passivzinssatz
02
9.700
×
0,8
×
0,035
=
272
03
9.400
×
0,8
×
0,035
=
263
04
9.100
×
0,8
×
0,035
=
255
05
8.800
×
0,8
×
0,035
=
246
06
8.500
×
0,8
×
0,035
=
238
07
8.200
×
0,8
×
0,035
=
230
 
 
 
 
 
 
 
1.504
 
Die durchschnittlichen Kosten pro Jahr betragen somit (: 6 Jahre) =
 
251
 
Die jährlichen durchschnittlichen Kosten sind mit dem Faktor 3,5 zu multiplizieren
 
= 879

Der Anteil der Finanzierungskosten in der Rückstellung für die Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen zum beträgt somit 879 €.

Durch den Faktor 3,5 wird der Tatsache Rechnung getragen, dass sich in den Archivräumen Unterlagen befinden, die noch unterschiedlich lange aufzubewahren sind.


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Rückstellung zum 31.12.02:

Jahr
Anteiliger BuWe
×
Fremdkapitalquote
×
durchschn. Passivzinssatz
03
9.400
×
0,79
×
0,036
=
267
04
9.100
×
0,79
×
0,036
=
259
05
8.800
×
0,79
×
0,036
=
250
06
8.500
×
0,79
×
0,036
=
242
07
8.200
×
0,79
×
0,036
=
233
08
7.900
×
0,79
×
0,036
=
225
 
 
 
 
 
 
 
1.476
 
Die durchschnittlichen Kosten pro Jahr betragen somit (: 6 Jahre) =
 
246
 
Die jährlichen durchschnittlichen Kosten sind mit dem Faktor 3,5 zu multiplizieren
 
= 861

Der Anteil der Finanzierungskosten in der Rückstellung für die Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen zum beträgt somit 861 €.

Würde die Fremdkapitalquote im o. g. Beispiel im Jahr 03 wieder auf 80 % ansteigen, so dürfte bei der Berechnung der Rückstellung zum nur die Quote von 79 % berücksichtigt werden (vgl. 1.3. Höhe des Fremdkapitalanteils in den Wirtschaftsjahren nach Anschaffung/Herstellung).

Beträgt die Aufbewahrungsfrist 10 Jahre, so ist die obige Berechnung zunächst für 10 Jahre durchzuführen, die Summe durch 10 zu teilen und anschließend mit dem Faktor 5,5 zu multiplizieren.

1.7 Davon abweichende Berechnung in der Praxis

Folgende Berechnung ist nicht zutreffend (Aufbewahrungsfrist 10 Jahre):


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Anteiliger BuWe
×
durchschnittlicher Passivzinssatz
×
Faktor 5,5

Bei dieser Berechnung wird nicht berücksichtigt,

  • dass der Finanzierungspool auch einen Eigenkapitalanteil enthält und

  • dass die in den zukünftigen Rechnungsperioden auf die Archivräume entfallenden Zinsen nach den in diesen Folgejahren jeweils geminderten Buchwerten zu berechnen sind.

2. Handelsrechtlicher Höchstansatz

Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass entsprechend R 6.11 Abs. 3 EStR 2012 die Höhe der Rückstellung in der Steuerbilanz den zulässigen Ansatz in der Handelsbilanz nicht über-schreiten darf (zustimmend BFH a. a. O. Rz 14).

Die Regelung hat vor allem Bedeutung für Zeiträume auf die erstmals das Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (BilMoG –  BGBl 2009 I S. 1102) anzuwenden ist. Durch das BilMoG wurde im Handelsrecht eine Abzinsungspflicht für Rückstellungen mit einer Restlaufzeit von mehr als einem Jahr eingeführt (§ 253 Abs. 2 HGB). Diese handelsrechtliche Abzinsungspflicht besteht auch dann, wenn steuerlich nicht abzuzinsen ist, weil bei einer Sachleistungsverpflichtung mit der Erfüllung bereits begonnen wurde (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e Satz 2 EStG).

Die maßgeblichen Regelungen des BilMoG sind verpflichtend für Geschäftsjahre anzuwenden, die nach dem beginnen (Art. 66 Abs. 3 Satz 1 EGHGB). Abweichend davon besteht ein Wahlrecht die neuen Vorschriften des BilMoG bereits auf nach dem beginnende Geschäftsjahre anzuwenden (Art. 66 Abs. 3 Satz 6 EGHGB).

Ergibt sich für den Steuerpflichtigen aufgrund der Neuregelungen durch das BilMoG ein niedrigerer handelsrechtlicher Wertansatz, so ist dieser nach dem Maßgeblichkeitsgrundsatz des § 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 EStG auch für die Steuerbilanz bindend. Ein dadurch evtl. entstehender Auflösungsgewinn kann nach R 6.11 Abs. 3 Satz 2 EStR 2012 durch eine gewinnmindernde Rücklage i. H. v. 14/15 des Bewertungsgewinns neutralisiert werden (jährliche gewinnerhöhende Auflösung i. H. v. mindestens 1/15 in den nachfolgenden Wirtschaftsjahren).

3. Verfahrensrechtliche Abwicklung

Durch das , BStBl 2013 II S. 317) wurde der sog. subjektiver Fehlerbegriff aufgegeben. Demnach kann die Einbeziehung von Finanzierungskosten (wenn die oben genannten Voraussetzungen erfüllt sind) grundsätzlich im ersten noch nicht bestandskräftig veranlagten Veranlagungszeitraum erfolgen. Dies gilt auch dann, wenn die Festsetzung dieses Jahres aus anderen Gründen bisher noch nicht in Bestandskraft erwachsen ist.

Wurde bereits eine Teil-Einspruchsentscheidung i. S. d. § 367 Abs. 2a AO erlassen, so kann die Berücksichtigung der Finanzierungskosten nur erfolgen, wenn diese Besteuerungsgrundlage in der Teil-Einspruchsentscheidung von der Bestandskraft ausgenommen worden ist.

Alle nachfolgenden Veranlagungszeiträume sind dann nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO (rückwirkendes Ereignis) wegen des formellen Bilanzenzusammenhangs zu ändern. Die Ermittlung der Rückstellung ist zum Ende eines jeden Wirtschaftsjahres mit den materiell zutreffenden Werten durchzuführen.

Die Berechnung des Zinslaufs im ersten Änderungsjahr und in den Folgejahren richtet sich nach den normalen Grundsätzen; ein abweichender Zinslauf wird nicht ausgelöst (AEAO zu § 233a, Nr. 10.3.2).

Bayerisches Landesamt für Steuern v. - S 2175.2.1-20/4 St32

Fundstelle(n):
QAAAE-54576