BGH Beschluss v. - 5 StR 602/13

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Anforderungen an die Urteilsgründe; Berücksichtigung fehlender Vorbelastung bei der Gefährlichkeitsprognose

Gesetze: § 63 StGB

Instanzenzug: Az: (530) 283 Js 1160/13 KLs (18/13)

Gründe

1Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet (§ 63 StGB). Mit seiner Revision rügt der Beschuldigte die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

21. Nach den Feststellungen des Landgerichts suchte der spätestens seit 2002 an einer schizophrenen Psychose leidende, bislang unbestrafte Beschuldigte am Tattag um eine Aufnahme in einer psychiatrischen Einrichtung nach, wobei er sich in einem akut psychotischen Zustand befand. Im Zuge seiner Aufnahmebemühungen stürzte er sich auf einen Arzt, brachte ihn zu Boden und würgte ihn. Er war wahnhaft bedingt davon überzeugt, dass dieser Arzt gegen ihn sowie seine Freundin intrigiere und dafür verantwortlich sei, dass sein Kind in einer Pflegefamilie untergebracht sei. Erst durch mehrere kräftige Faustschläge einer Ärztin konnte er dazu gebracht werden, von seinem Opfer abzulassen.

3Dem Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen folgend hat das Landgericht angenommen, es sei mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass der Beschuldigte auch zukünftig wenigstens gleichgewichtige Taten begehen werde.

42. Die Feststellungen des Landgerichts belegen nicht hinreichend, dass von dem Beschuldigten aufgrund seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Die für die Maßregelanordnung erforderliche Gefährlichkeitsprognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (vgl. , BGHSt 27, 246, 248 f., und vom - 2 StR 453/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27). Dabei sind an die Darlegungen umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt - wie hier - unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§ 62 StGB) um einen Grenzfall handelt (vgl. , NStZ-RR 2007, 73, 74). Nach diesen Maßstäben hat die Strafkammer die Unterbringungsanordnung nicht tragfähig begründet.

5Die getroffene Gefährlichkeitsprognose beruht auf der Erwägung, bei aufgrund fehlender Krankheitseinsicht abzusehendem Behandlungsabbruch oder unzureichender Medikation sei - ungeachtet des Umstands, dass die hier erfolgte Verurteilung seine erste sei - hochwahrscheinlich mit erneuten psychotischen Exazerbationen und damit einhergehend mit der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten durch den Beschuldigten zu rechnen. Angesichts bislang fehlender Vorbelastung hätte es das Landgericht indessen nicht bei diesem knappen Hinweis belassen dürfen, sondern eingehend erörtern müssen, warum der Beschuldigte in der Vergangenheit nicht durch Aggressionsdelikte in Erscheinung getreten ist und welche prognoserelevanten Schlüsse hieraus zu ziehen sind. Dass ein Täter trotz bestehenden Defekts über Jahre hinweg keine Straftaten begangen hat oder wie hier gänzlich unbelastet ist, ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger gefährlicher Taten (BGH, Beschlüsse vom - 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198, 199; vom - 5 StR 422/11, StV 2012, 209 Rn. 6, vom - 4 StR 224/12, StV 2013, 206 Rn. 11, jeweils mwN).

6Auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe kann der Senat nicht die notwendigen Darlegungen entnehmen. Zu in der Vergangenheit häufigen „fremdaggressiven Verhaltensweisen" fehlt jegliche Erläuterung; das Gleiche gilt für den Umstand, dass der Beschuldigte 2012 „ins Wasser sprang, wobei ein Suizidversuch nicht ausgeschlossen werden" konnte (UA S. 3).

73. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Eine abschließende Bewertung vermochte der Senat nicht zu treffen, weil nicht gänzlich ausgeschlossen erscheint, dass noch Feststellungen getroffen werden können, die eine Anordnung der Unterbringung gemäß § 63 StGB rechtfertigen. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die als Grundlage für die Gefährlichkeitsprognose heranzuziehende, vom Landgericht lediglich als (einfache) vorsätzliche Körperverletzung gewertete Anlasstat nicht allzu schwer wiegt und zudem gegenüber einem Betreuer begangen wurde, weswegen sie auch nicht mit vollem Gewicht als Beleg für die allgemeine Gefährlichkeit des Beschuldigten herangezogen werden kann (vgl. , aaO Rn. 7 mwN).

Basdorf                       Dölp                         König

                 Berger                      Bellay

Fundstelle(n):
NJW 2014 S. 565 Nr. 8
VAAAE-54369