Weder die Bindung an das Klagebegehren noch das Verbot der Verböserung im finanzgerichtlichen Verfahren werden durch eine ungünstigere Beurteilung steuerpflichtiger Umsätze verletzt
Gesetze: FGO § 96 Abs. 1, FGO § 96 Abs. 2, UStG § 16, GG Art. 103 Abs. 1
Instanzenzug:
Gründe
1 Die Beschwerde ist unbegründet und deshalb nach § 116 Abs. 5 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch Beschluss zurückzuweisen. Die von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) gerügten Verfahrensfehler liegen nicht vor.
2 1. Ohne Erfolg rügt die Klägerin, das Finanzgericht (FG) habe gegen § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO verstoßen und sei über das Klagebegehren hinausgegangen, indem es —über ihren Antrag, weitere Vorsteuerbeträge zu berücksichtigen, hinaus— zu ihren Lasten angenommen hat, sie habe weitere steuerpflichtige Umsätze (Abrissleistungen gegen Übertragung eines Grundstücks und Baraufgabe) erbracht.
3 Streitgegenstand einer Anfechtungsklage im steuergerichtlichen Verfahren ist —worauf bereits das FG auf S. 6 seines Urteils zutreffend hingewiesen hat— die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts im Ganzen (Beschlüsse des Großen Senats des Bundesfinanzhofs —BFH— vom GrS 1/66, BFHE 91, 393, BStBl II 1968, 344; vom GrS 1/78, BFHE 129, 117, BStBl II 1980, 99, unter C.II.1.), hier der Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2006 (Streitjahr) und nicht etwa einzelne Besteuerungsgrundlagen oder Begründungen (vgl. z.B. , juris; , BFHE 232, 232, BFH/NV 2011, 712).
4 Das Verbot der Verböserung hindert das Gericht nicht daran, innerhalb des vom Finanzamt festgesetzten Steuerbetrags einzelne Besteuerungsgrundlagen —hier: die steuerpflichtigen Umsätze— in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht für den Steuerpflichtigen ungünstiger zu beurteilen, als dies in dem angefochtenen Steuerbescheid geschehen ist (vgl. , BFH/NV 2008, 1347; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 96 FGO Rz 183 und 198).
5 2. Der gerügte Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO liegt ebenfalls nicht vor.
6 a) Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO hat das Gericht als Gesamtergebnis des Verfahrens insbesondere den Inhalt der vorgelegten Akten und das Vorbringen der Prozessbeteiligten vollständig und einwandfrei zu berücksichtigen. Das FG ist insbesondere verpflichtet, den Vortrag der Verfahrensbeteiligten vollständig zur Kenntnis zu nehmen und bei der Urteilsfindung zu berücksichtigen (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom VIII B 251/05, BFH/NV 2007, 1521; vom IX B 180/10, BFH/NV 2011, 1375, m.w.N.). Ein Verstoß gegen diese Verpflichtung ist ein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom XI B 113/11, BFH/NV 2013, 564, m.w.N.). Die Vorschrift gebietet allerdings nicht, alle im Einzelfall gegebenen Umstände im Urteil zu erörtern (vgl. , BFH/NV 2013, 1624, m.w.N.).
7 b) Die Klägerin macht als Verfahrensfehler insoweit geltend, sie habe mit Schriftsatz vom , S. 2 unten und S. 3 oben, vorgetragen, sie habe die in ihrer Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2006 bereits als Umsätze i.S. des § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 des Umsatzsteuergesetzes in der im Jahr 2006 (Streitjahr) maßgeblichen Fassung erklärt und in nämlicher Höhe den Vorsteuerabzug geltend gemacht. Dies habe das FG nicht berücksichtigt.
8 c) Dieser Vorwurf greift nicht durch, weil die Klägerin zwar im Klageverfahren vorgetragen hat, dass sie in ihrer Umsatzsteuererklärung vom in der Anlage UR, Zeile 25, —als Leistungsempfängerin— Umsatzsteuer für Bauleistungen eines im Inland ansässigen Unternehmers als Eingangsleistungen erklärt und entsprechend in Zeile 95 der Umsatzsteuererklärung auch den Vorsteuerabzug geltend gemacht hat. Diesen Vorsteuerabzug hat das FG der Klägerin jedoch gewährt (siehe S. 4 des Urteils, 1. Absatz der Entscheidungsgründe, Zeile 3 und 4) und damit den Umstand berücksichtigt, dass die Klägerin Bauleistungen als Eingangsleistungen bezogen und den Vorsteuerabzug geltend gemacht hat.
9 Dieser Vorsteuerabzug wirkt sich aber deshalb nicht steuermindernd aus, weil das FG gleichzeitig die steuerpflichtigen Umsätze der Klägerin um (vom FG angenommene) Abrissleistungen der Klägerin —als Leistende— erhöht hat. Dadurch wurde aus Sicht des FG der zu gewährende Vorsteuerabzug vollständig saldiert (siehe S. 4 des Urteils, 1. Absatz der Entscheidungsgründe, letzte Zeile).
10 3. Aus demselben Grund greift auch die Rüge, das FG habe gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) verstoßen, nicht durch.
11 a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst vor allem das Recht der Verfahrensbeteiligten, sich vor Erlass einer Entscheidung zu den entscheidungserheblichen Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern. Sie haben einen Anspruch darauf, dem Gericht auch in rechtlicher Hinsicht alles vortragen zu können, was sie für wesentlich halten. Diesen Ansprüchen entspricht die Pflicht des Gerichts, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BFH-Beschlüsse vom XI B 46/10, BFH/NV 2011, 448; vom XI B 50/11, BFH/NV 2012, 810, jeweils m.w.N.).
12 b) Gemessen daran liegt auch dieser Verfahrensfehler nicht vor. Das FG hat —entgegen der Behauptung der Klägerin— den Vortrag der Klägerin zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen, was sich schon daraus ergibt, dass es entschieden hat, dass „die Klägerin die gesamte Vorsteuer, die auf die bezogenen Abrissleistungen entfällt, abziehen” kann (S. 4 des Urteils, 1. Absatz der Entscheidungsgründe, Zeile 3 und 4).
13 c) Im Übrigen liegt, worauf der Beklage und Beschwerdegegner (das Finanzamt) zutreffend hingewiesen hat, keine Überraschungsentscheidung des FG vor, weil das FG bereits im Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung seine Rechtsauffassung zum Vorliegen weiterer steuerpflichtiger Umsätze der Klägerin geäußert hat und die Klägerin zu diesem Ansatz des FG im Hauptsacheverfahren Stellung nehmen konnte. Dies hat die Klägerin mit dem Schriftsatz vom auch getan.
14 4. Soweit sich die Ausführungen der Klägerin in ihrer Beschwerdebegründung auch gegen die materielle Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung sowie die Tatsachen- und Beweiswürdigung durch das FG richten, wird damit keiner der in § 115 Abs. 2 FGO abschließend aufgeführten Zulassungsgründe dargetan, sondern nur, dass das FG nach Auffassung der Klägerin falsch entschieden habe. Die Rüge fehlerhafter Rechtsanwendung vermag jedoch die Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO grundsätzlich nicht zu begründen (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom XI B 172/07, BFH/NV 2009, 617; vom XI B 75/10, BFH/NV 2011, 1372, m.w.N.).
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
BFH/NV 2014 S. 373 Nr. 3
FAAAE-52604