BGH Beschluss v. - 4 StR 454/13

Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr: Zufahren auf einen Menschen im fließenden Verkehr

Gesetze: § 315b Abs 1 Nr 3 StGB

Instanzenzug: LG Essen Az: 51 KLs 8/13

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit „vorsätzlicher“ Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

21. Nach den Feststellungen befuhr der Angeklagte am Tattag mit seinem Pkw eine Straße in der Innenstadt von     . In Höhe des von seiner ältesten Tochter bewohnten Hauses sah er auf der gegenüberliegenden Straßenseite die Nebenklägerin, seine von ihm getrennt lebende Ehefrau, die auf dem Bürgersteig, in Fahrtrichtung des Angeklagten gehend, einen Kinderwagen mit ihrem zweijährigen Enkel schob. Er fasste spontan den Entschluss, mit seinem Fahrzeug auf diese zuzufahren, bremste es deshalb ab, lenkte es über die Gegenfahrspur nach links auf den Gehweg und fuhr auf die Nebenklägerin zu. Unmittelbar vor ihr kam er zum Stehen; ob er seine Frau dabei mit dem Pkw erfasste, konnte die Strafkammer nicht feststellen. Entweder auf Grund einer Berührung mit dem Fahrzeug oder wegen eines Gleichgewichtsverlusts nach einer Ausweichbewegung kam die Nebenklägerin zu Fall und zog sich eine Prellung am Bein zu. Eine solche Verletzung als Folge des Sturzes bei einem der beiden alternativ in Betracht kommenden Fahrmanöver habe er, so die Strafkammer, im Sinne eines bedingten Schädigungsvorsatzes in Kauf genommen; indes sei es ihm nicht darauf angekommen, die Nebenklägerin umzufahren.

32. Die Feststellungen des Landgerichts zu der für eine vollendete Tat nach § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB vorausgesetzten konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder einer Sache von bedeutendem Wert infolge eines zweckwidrigen Einsatzes eines Fahrzeugs entbehren ebenso einer tragfähigen Beweisgrundlage wie die Annahme eines zumindest bedingten Schädigungsvorsatzes des Angeklagten.

4a) Nach gefestigter Rechtsprechung des Senats muss die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus zu einer kritischen Situation geführt haben, in der – was nach allgemeiner Lebenserfahrung auf Grund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache im Sinne eines „Beinaheunfalls“ so stark beeinträchtigt war, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht (vgl. nur Senatsbeschluss vom – 4 StR 373/09, BGHR StGB § 315b Abs. 1 Nr. 3 Eingriff, erheblicher 6 mwN). Bei Vorgängen im fließenden Verkehr muss zu einem bewusst zweckwidrigen Einsatz eines Fahrzeugs in verkehrsfeindlicher Absicht ferner hinzukommen, dass das Fahrzeug mit zumindest bedingtem Schädigungsvorsatz missbraucht wurde (Senatsurteil vom – 4 StR 228/02, BGHSt 48, 233, 237 f.). Beides ist nicht hinreichend belegt.

5b) Das Landgericht hat den Nachweis, dass der Angeklagte die Nebenklägerin mit seinem Pkw angefahren und sich diese hierdurch die Beinverletzung zugezogen hat, nicht zu führen vermocht. Diese Sachverhaltsalternative durfte es den Feststellungen deshalb nicht zugrunde legen. Die Strafkammer hat jedoch auch nicht hinreichend belegt, dass durch das Zufahren mit dem Fahrzeug eine konkrete Leibesgefahr für die Nebenklägerin eingetreten ist. Vielmehr hat diese angegeben, auf das Fahrmanöver des Angeklagten frühzeitig aufmerksam geworden zu sein, sich deshalb umgedreht und gesehen zu haben, dass der Angeklagte auf dem Gehweg auf sie zufährt. Er sei dabei nicht schnell gefahren und habe vor ihr abgebremst. Diese Angaben, mit denen sich das Landgericht nicht auseinandergesetzt hat, lassen es schon als zweifelhaft erscheinen, ob das Fahrmanöver des Angeklagten eine konkrete Gefährdung der Nebenklägerin in dem oben dargelegten Sinne hervorgerufen hat, zumal die Strafkammer keine Feststellungen zu der vom Angeklagten gefahrenen Geschwindigkeit und zu dem Abstand zur Nebenklägerin im Zeitpunkt des Anhaltens des Fahrzeugs getroffen hat. Jedenfalls stellen die Angaben der Nebenklägerin sowie das – wovon zu Gunsten des Angeklagten auszugehen ist –rechtzeitige Anhalten die Annahme des für die Tatbestandsverwirklichung des § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB erforderlichen Schädigungsvorsatzes – und damit zugleich eines Körperverletzungsvorsatzes – des Angeklagten in Frage. Vor diesem Hintergrund bestand Anlass zu der Prüfung, ob der Angeklagte darauf vertraut hat, es werde „schon nichts passieren“.

Sost-Scheible                          Roggenbuck                        Franke

                      Mutzbauer                              Bender

Fundstelle(n):
HAAAE-51773