BGH Beschluss v. - 4 StR 364/13

Versuchter Mord: Bedingter Tötungsvorsatz bei objektiv gefährlicher Tathandlung

Gesetze: § 15 StGB, § 22 StGB, § 23 StGB, § 211 StGB

Instanzenzug: LG Coburg Az: 1 Ks 105 Js 3600/12nachgehend Az: 4 StR 213/14 Urteil

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr, unerlaubtem Entfernen vom Unfallort in zwei tateinheitlichen Fällen, vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis und Sachbeschädigung in Tatmehrheit mit falscher uneidlicher Aussage in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit versuchter Strafvereitelung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf von drei Jahren keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Ferner hat es eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2Die Verurteilung wegen versuchten Mordes u.a. im Fall B. I. 2 der Urteilsgründe war aufzuheben, weil das Landgericht die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes nicht tragfähig begründet hat.

31. Zum Tatgeschehen in der Nacht vom 27. auf den , das allein der Erörterung bedarf, hat das Landgericht folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

4a) Der Angeklagte befuhr mit seinem Pkw Mercedes Kombi öffentliche Straßen in und um K.   , obwohl er keine Fahrerlaubnis besaß. Außerdem  war er alkoholbedingt fahruntüchtig, was er zumindest hätte erkennen können und müssen. Als er einer Polizeikontrolle unterzogen werden sollte, missachtete er das ihm gegebene Haltesignal („Stopp Polizei“) und floh mit seinem Pkw. Bei der anschließenden Fahrt durch das Stadtgebiet von K.    beging er mehre- re Verkehrsverstöße und überfuhr alkoholbedingt mehrmals die Fahrbahnmarkierung. Als er an einer Einmündung anhalten musste, weil sich ihm der Zeuge S.     mit seinem Pkw quer in den Weg gestellt hatte, stoppten die verfolgenden Polizeibeamten ihr Dienstfahrzeug hinter dem Wagen des Angeklagten. Die Polizeibeamtin W.     stieg aus, klopfte auf der Beifahrerseite an die  Fahrzeugtür des Angeklagten und forderte ihn zum Öffnen der verschlossenen Beifahrertür auf, um seine Personalien festzustellen und eine Alkoholisierung zu überprüfen. Der Angeklagte leistete den Aufforderungen keine Folge, sondern rangierte mehrmals hin und her. Die Zeugin W.     musste mehrere Schritte zurückgehen, um nicht zwischen dem Pkw des Angeklagten und einem am Fahrbahnrand geparkten Pkw eingeklemmt zu werden. Der Angeklagte setzte noch weitere Male vor und zurück, wobei er der Zeugin W.     über den rechten Fuß fuhr und gegen das Dienstfahrzeug der Polizei stieß, an dem dadurch ein von ihm billigend in Kauf genommener Sachschaden in Höhe von 1.136,01 Euro entstand. Die Zeugin W.     begab sich schließlich vor den  Pkw des Angeklagten und forderte ihn aus einem Abstand von zwei bis vier  Metern zum Anhalten auf. Der Angeklagte fuhr nun, auch diese Aufforderung missachtend, mit Vollgas an und flüchtete, indem er durch eine zwischen dem Bordstein und dem Pkw des Zeugen S.     bestehende etwa 1,6 Meter breite Lücke hindurchfuhr. Die Zeugin W.     konnte sich durch einen Sprung zur Seite und ein seitliches Wegdrehen in Sicherheit bringen, wurde jedoch von der vorderen rechten Stoßstange des Pkw des Angeklagten im Bereich des linken Knies erfasst. Dadurch erlitt sie Abschürfungen sowie Schmerzen am linken Knie.

5Dem Angeklagten kam es bei diesem Vorgehen allein darauf an, sich der Polizeikontrolle zu entziehen, um seine Identifizierung und die Feststellung seiner Alkoholisierung zu verhindern. Er nahm dabei in Kauf, dass er die Zeugin W.     mit dem Pkw anfuhr, dass sie unter den Pkw geriet oder unglücklich zu Boden stürzte, wodurch sie schwere, möglicherweise sogar tödliche Verletzungen erleiden könnte. Hierzu kam es nur deshalb nicht, weil die Zeugin W.     sehr schnell reagierte und es ihr gelang auszuweichen.

6Auf seiner anschließenden Fluchtfahrt missachtete der Angeklagte erneut die Vorfahrt und stieß mit seinem Pkw gegen einen Omnibus, an dem ein Sachschaden in Höhe von 2.613,01 Euro entstand. Obwohl er den Anstoß bemerkt hatte, setzte er seine Fahrt ohne anzuhalten fort. Nach einem weiteren erfolglosen polizeilichen Anhalteversuch und einem erneuten Unfall konnte der Angeklagte schließlich festgenommen werden.

7b) Der Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes liegen die folgenden Erwägungen zugrunde: Das gesamte Verhalten des Angeklagten sei dadurch motiviert gewesen, der Polizei zu entkommen und einer Kontrolle zu entgehen. Dabei habe er auch vor und nach dem Vorfall äußerst rücksichtslos gehandelt. Daraus werde deutlich, dass ihm andere Personen völlig gleichgültig gewesen seien. Auch das Zufahren mit Vollgas auf die wenige Meter vor ihm stehende Polizeibeamtin stelle ein erheblich rücksichtsloses Verhalten dar. Aufgrund der Gesamtsituation – der Entfernung zwischen der Polizeibeamtin W.     und seinem Pkw und der relativ engen Lücke – habe er nicht darauf vertrauen können, dass sie es rechtzeitig schaffen würde, sich durch einen Schritt oder Sprung in Sicherheit zu bringen. Auch gelte es zu berücksichtigen, dass dem Angeklagten bewusst gewesen sei, dass ihn die Polizeibeamtin an einer Weiterfahrt habe hindern wollen und er deshalb nicht davon habe ausgehen können, dass sie ihn anstandslos vorbeifahren lassen würde. Aufgrund dieser Situation habe auch der Angeklagte damit rechnen müssen, „dass PHMin W.     nicht mehr rechtzeitig ausweichen könnte oder beim Ausweichen stolpern würde und entweder durch sein Fahrzeug umgestoßen und überfahren oder nach einem Sturz auf die Motorhaube zu Boden fallen könnte, wobei es zu schweren oder gar tödlichen Verletzungen hätte kommen können“.

82. Die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

9a) Bedingten Tötungsvorsatz hat, wer den Eintritt des Todes als mögliche Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und billigend in Kauf nimmt (Willenselement). Beide Elemente müssen durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände erfolgen (, NStZ-RR 2013, 242, 243; Urteil vom – 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444; Urteil vom – 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, 701 f. mwN). Dabei ist die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung ein wesentlicher Indikator sowohl für das Wissens-, als auch für das Willenselement (vgl. , NStZ-RR 2013, 242, 243; Urteil vom – 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444 mwN). Hat der Täter eine offensichtlich besonders gefährliche Gewalthandlung begangen, kann im Einzelfall allein daraus der Schluss auf ein Wissen um die vorhandene Lebensgefahr und deren Inkaufnahme gezogen werden (vgl. , NStZ 2012, 207, 208 mwN). Der Tatrichter ist jedoch nicht gehalten, seinen Feststellungen zur objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung immer die ausschlaggebende indizielle Bedeutung beizumessen (, NStZ-RR 2013, 242, 243; vgl. Urteil vom – 5 StR 395/12, NStZ-RR 2013, 169).

10b) Den Anforderungen an die gebotene Gesamtbetrachtung wird die Beweiswürdigung zur inneren Tatseite nicht gerecht.

11Die Erwägung, der Angeklagte habe aufgrund der Gesamtsituation nicht darauf vertrauen können, dass sich die Zeugin W.     rechtzeitig in Sicherheit bringen würde, und deshalb damit rechnen müssen, dass es bei ihr zu schweren oder gar tödlichen Verletzungen kommen konnte, findet in dem mitgeteilten Beweisergebnis keine ausreichende Stütze. Nach den vom Landgericht für schlüssig und nachvollziehbar erachteten Ausführungen des Kfz-Sachverständigen We.   vermochte der Angeklagte seinen Pkw bis zum Standort der Zeugin W.     maximal auf 16 km/h zu beschleunigen. Unter Berücksichtigung der allgemeinen Gefahrerkennungs- und Reaktionszeit verblieb der Zeugin eine Zeitspanne von wenigstens einer Sekunde, um sich in Sicherheit zu bringen. In dieser Zeit konnte sie mindestens einen Meter zurücklegen. Da tödliche Aufprallverletzungen erst ab einer Geschwindigkeit von 40 km/h zu erwarten seien, wurden tödliche Folgen von dem Sachverständigen We.   nur für  den Fall in Betracht gezogen, dass es zu einem Sturz der Zeugin W.     nach hinten (etwa in Folge eines Stolperns oder Abstoßens von der Motorhaube) und danach zu einem Überrollen durch den Pkw des Angeklagten gekommen wäre. Der medizinische Sachverständige Prof. Dr. B.   hat tödliche Verletzungen daneben auch für den Fall für „denkbar“ gehalten, dass die Zeugin auf die Motorhaube aufgeladen worden wäre und sich daran ein Sturz von der Motorhaube mit unglücklichem Aufprall angeschlossen hätte. Auch diesen Ausführungen ist das Landgericht gefolgt. Weder die Angaben des Sachverständigen We.  , noch diejenigen des Sachverständigen Prof. Dr. B.   belegen, dass das Leben der Zeugin W.     so konkret und erheblich in Gefahr gebracht worden ist, dass daraus ohne ergänzende Erwägungen der Schluss gezogen werden könnte, der Angeklagte habe – entgegen seiner anderslautenden Erklärung in der Hauptverhandlung – ein ernst zu nehmendes Todesrisiko für gegeben erachtet und in Kauf genommen.

12Soweit das Landgericht in diesem Zusammenhang auf die zu Tage getretene Rücksichtslosigkeit des Angeklagten und seinen unbedingten Fluchtwillen hinweist, werden keine Gesichtspunkte aufgezeigt, die auf eine weiter gehende Risikoeinschätzung hindeuten. Zwar können sich aus einem risikogeneigten Gesamtverhalten und der sich aus der Art des Handlungsantriebes ergebenden Stärke des Tatanreizes (vgl. , NStZ-RR 2006, 317, 318; Beschluss vom – 3 StR 311/90, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 22) Rückschlüsse auf eine Bereitschaft zur Inkaufnahme schwerster Folgen ergeben, doch ist dies vornehmlich für das Willenselement von Bedeutung. Welche konkrete Folgenerwartung (Wissenselement) der Täter mit seiner Tat verknüpft hat, kann dagegen nur sehr begrenzt aus seiner Risikobereitschaft und seinem Tatmotiv erschlossen werden.

13Der Umstand, dass der Angeklagte die Flucht erzwang, obwohl ihn die Zeugin W.     an einer Weiterfahrt hindern wollte, vermag eine erhöhte Risikoeinschätzung für sich genommen ebenfalls nicht zu begründen. Erfahrungsgemäß weichen Polizeibeamte Kraftfahrern aus, die eine Polizeisperre durchbrechen wollen, obgleich es ihnen gerade auf deren Anhaltung ankommt (vgl. , NStZ-RR 1996, 97; Beschluss vom – 4 StR 181/92, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 28; Urteil vom – 4 StR 511/82, VRS 64, 191, 192). Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte im konkreten Fall Grund für die Annahme hatte, die Zeugin W.     werde zur Durchsetzung ihrer berechtigten Anhalteaufforderung ein erhöhtes Eigenrisiko eingehen, können dem festgestellten Sachverhalt nicht entnommen werden.

14Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.

II.

15Die Aufhebung der Verurteilung wegen versuchten Mordes erfasst auch die Verurteilung wegen der hierzu in Tateinheit stehenden Delikte (vgl. ; Urteil vom – 4 StR 642/96, BGHR StPO § 353 Aufhebung 1). Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen werden von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht berührt und können daher bestehen bleiben. Neue Feststellungen sind zulässig, soweit sie den bisherigen nicht widersprechen.

16Die Aufhebung der Verurteilung wegen versuchten Mordes u.a. hat die Aufhebung der dafür verhängten Einzelstrafe zur Folge. Dies entzieht dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage. Die Maßregelanordnung war aufzuheben, weil sie nach § 69 Abs. 2 Nr. 2 und 3 StGB an die aufgehobenen Verurteilungen wegen Trunkenheit im Verkehr und unerlaubten Entfernens vom Unfallort geknüpft ist. Der Adhäsionsausspruch bleibt bestehen, weil der Angeklagte in der Hauptverhandlung den geltend gemachten Schmerzensgeldanspruch anerkannt hat (§ 406 Abs. 2 StPO) und die Wirksamkeit des Anerkenntnisses von ihm nicht in Frage gestellt worden ist (, NJW 2006, 1890, 1891, insoweit in BGHSt 50, 370 nicht abgedruckt).

17Ergänzend bemerkt der Senat: Die Ausführungen der Revision zu § 113 Abs. 1 StGB im Schriftsatz vom (Rechtsanwalt Wei.     ) liegen neben der Sache. Allerdings wird der neue Tatrichter zu beachten haben, dass die Annahme eines besonders schweren Falls des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 Abs. 2 Nr. 2 StGB die Feststellung voraussetzt, dass der Täter den angegriffenen Amtsträger durch eine Gewalttätigkeit in die konkrete Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsbeschädigung (§ 225 Abs. 3 Nr. 1 StGB) gebracht hat (vgl. Rosenau in LK-StGB, 12. Aufl., § 113 Rn. 86). Dabei muss die Gefahr zumindest bedingt vorsätzlich herbeigeführt worden sein (, BGHSt 26, 176, 180 ff.).

Sost-Scheible                           Roggenbuck                           Franke

                         Mutzbauer                            Quentin

Fundstelle(n):
GAAAE-48351