BGH Beschluss v. - XII ZB 106/10

(Verfahrenskostenhilfe für das Berufungsverfahren: Gerichtlicher Hinweis bei ergänzungsbedürftigem Nachweis der Bedürftigkeit) 

Gesetze: § 115 ZPO, § 117 ZPO

Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 7 UF 73/09vorgehend Az: 541 F 966/09

Gründe

I.

1Das die Klage auf nachehelichen Unterhalt abweisende Urteil des Amtsgerichts ist der Klägerin am zugestellt worden. Mit am Montag, dem , beim Oberlandesgericht eingegangenem Schriftsatz hat die Klägerin Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Berufungsverfahrens beantragt. Dem Schriftsatz war eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin beigefügt, in der der Abschnitt G "Sonstige Vermögenswerte, Lebensversicherungen, Wertpapiere, Bargeld …" unvollständig ausgefüllt war.

2Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit der Begründung zurückgewiesen, die Formularerklärung erlaube keine abschließende Beurteilung, ob die Klägerin außer Stande sei, die Prozesskosten aus eigenen Mitteln aufzubringen. Mit Rücksicht darauf fehle es an der hinreichenden Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung. Denn Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne mangels schuldloser, nämlich auf Hilfsbedürftigkeit beruhender Versäumung der Berufungsfrist nicht bewilligt werden, so dass die Berufung zu verwerfen sein werde. Der Beschluss wurde der Klägerin am zugestellt.

3Mit am eingegangenem Schriftsatz hat sie Berufung eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs hat sie vorgetragen, sie habe nicht damit rechnen müssen, dass ihr wegen der fehlenden Angaben zu ihren Vermögensverhältnissen Prozesskostenhilfe versagt werde. In der in erster Instanz vorgelegten Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse habe sie in der betreffenden Rubrik ebenfalls keine Angaben gemacht; gleichwohl sei ihr vom Amtsgericht Prozesskostenhilfe bewilligt worden.

4Die Klägerin hat die Berufung innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist begründet.

5Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung verworfen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin habe erkennen können, die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht hinreichend dargetan zu haben. Dass das Amtsgericht die hinsichtlich der Vermögensverhältnisse gebotene Aufklärung unterlassen habe, habe nicht den Schluss rechtfertigen können, das Prozesskostenhilfegesuch werde in zweiter Instanz in gleicher Weise verfahrensfehlerhaft behandelt. Ein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin hierauf habe angesichts der lückenhaften Angaben nicht bestanden. Die Lücke habe auch nicht ohne weiteres auf andere Weise, etwa anhand der beigefügten Unterlagen, geschlossen werden können. Vielmehr ergäben sich aus den vorgelegten Kontoauszügen Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin Lebensversicherungen unterhalten habe. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne deshalb nicht bewilligt werden, weshalb die Berufung zu verwerfen sei.

6Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.

II.

7Auf das Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG-RG noch das bis Ende August 2009 geltende Prozessrecht anwendbar, weil der Rechtsstreit vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (vgl. Senatsurteil vom - XII ZR 8/08 - FamRZ 2010, 192 Rn. 5).

81. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO iVm §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, denn die angefochtene Entscheidung verletzt die Klägerin in ihrem Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip).

92. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Bewilligung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist.

10Das Oberlandesgericht hat der Klägerin zu Unrecht die fristgerecht beantragte (§§ 234 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO) Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist versagt.

11a) Zwar ist das Oberlandesgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der am eingegangene Schriftsatz, mit dem die Klägerin die Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragt hat, nicht bereits als Berufungsschrift aufgefasst werden kann. Denn der Schriftsatz ist als Prozesskostenhilfegesuch bezeichnet und beschränkt sich auch auf das entsprechende Begehren. Die Berufungsfrist ist deshalb nicht gewahrt worden.

12b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, auch des Senats, ist ein Rechtsmittelführer, der vor Ablauf der Rechtsmittelfrist Prozesskostenhilfe beantragt hat, bis zur Entscheidung über den Antrag so lange als ohne sein Verschulden an der rechtzeitigen Wahrnehmung einer fristwahrenden Handlung verhindert anzusehen, als er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen muss, weil er sich für bedürftig im Sinne der §§ 114 ff. ZPO halten darf und aus seiner Sicht alles getan hatte, damit aufgrund der von ihm eingereichten Unterlagen ohne Verzögerung über sein Prozesskostenhilfegesuch entschieden werden kann (vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 71/00 - FamRZ 2005, 789; vom - XII ZB 83/07 - FamRZ 2008, 868 und vom - XII ZB 151/07 - FamRZ 2008, 871). Das war hier der Fall.

13Zwar kann ein Rechtsmittelführer nur dann davon ausgehen, die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe dargetan zu haben, wenn er sich rechtzeitig vor Ablauf der Rechtsmittelfrist auf dem hierfür von § 117 ZPO vorgeschriebenen und von ihm vollständig ausgefüllten Vordruck über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse erklärt hat. Dabei dürfen die Anforderungen an die Darlegung der Bedürftigkeit allerdings nicht überspannt werden, weil sonst der Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zu den Gerichten zu ermöglichen, verfehlt würde. So kann die Partei, auch wenn der Vordruck einzelne Lücken enthält, u.U. gleichwohl darauf vertrauen, die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe dargetan zu haben (vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 83/07 - FamRZ 2008, 868, 869 und vom - XII ZB 151/07 - FamRZ 2008, 871). Das kommt in Betracht, wenn dem Rechtmittelführer bereits in der Vorinstanz - aufgrund eines ordnungsgemäß und vollständig ausgefüllten Vordrucks - Prozesskostenhilfe gewährt worden war und eine nunmehr im Vordruck vorhandene Lücke im Zusammenhang mit dem Parteivortrag nicht den Schluss nahe legt, die wirtschaftlichen Verhältnisse der Partei hätten sich zwischenzeitlich in einer für die Gewährung von Prozesskostenhilfe erheblichen Weise geändert (Senatsbeschluss vom - XII ZB 221/99 - NJW-RR 2000, 1387).

14c) Letzteres ist hier allerdings nicht der Fall. Die Klägerin hat vielmehr sowohl in erster als auch in zweiter Instanz eine Formularerklärung vorgelegt, die eine Lücke aufwies. Gleichwohl konnte sie darauf vertrauen, ihre Hilfsbedürftigkeit hinreichend dargetan zu haben.

15Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann ein Rechtsmittelkläger, dem für den ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe bewilligt worden war, bei im Wesentlichen gleichen Angaben zu den Vermögensverhältnissen erwarten, dass auch das Gericht des zweiten Rechtszuges ihn als bedürftig im Sinne des § 115 ZPO ansieht. Die Partei braucht dann nicht damit zu rechnen, dass das Rechtsmittelgericht strengere Anforderungen an den Nachweis der Bedürftigkeit stellt ( - VersR 1984, 192 f.; vgl. auch Senatsbeschluss vom - IVb ZB 157/86 - FamRZ 1987, 1018). Unter diesen Umständen kann sie erwarten, dass sie auf eine abweichende Beurteilung hingewiesen und ihr Gelegenheit gegeben wird, ergänzend zu der vom zweitinstanzlichen Gericht beanstandeten Lücke in ihrer Formularerklärung vorzutragen.

16Auf einen entsprechenden Hinweis hätte die Klägerin die im Rahmen des Wiedereinsetzungsgesuchs nachgeholten Angaben vorgetragen. Diese stehen einer Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht entgegen. Die Klägerin leistet Zahlungen auf eine Riester-Rente und auf eine weitere Lebensversicherung (Rückkaufswert zum : 1.524 €). Die Riester-Rente hat nach § 115 Abs. 3 ZPO iVm § 90 Abs. 2 Nr. 2 SGB XII unberücksichtigt zu bleiben. Der Wert der Lebensversicherung übersteigt zusammen mit dem Sparguthaben der Klägerin (1.020 €) den Schonbetrag von 2.600 € (vgl. Zöller/Geimer ZPO 29. Aufl. § 115 Rn. 57) nicht. Daraus ergibt sich, dass die Klägerin sich für bedürftig halten durfte.

173. Der angefochtene Beschluss kann danach keinen Bestand haben. Hinsichtlich der beantragten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann der Senat selbst abschließend entscheiden, weil dies allein eine rechtliche Bewertung erfordert. Da die Berufungsfrist unverschuldet versäumt wurde, ist Wiedereinsetzung zu gewähren.

Fundstelle(n):
BAAAE-41935