BAG Beschluss v. - 7 ABR 67/11

Betriebsratswahl - Minderheitengeschlecht - kein Ausschluss Überrepräsentanz - Wahlanfechtung

Gesetze: § 15 Abs 2 BetrVG, § 5 BetrVGDV1WO, § 3 Abs 2 Nr 5 BetrVGDV1WO, § 19 Abs 1 BetrVG

Instanzenzug: ArbG Oberhausen Az: 3 BV 37/10 Beschlussvorgehend Landesarbeitsgericht Düsseldorf Az: 4 TaBV 86/10 Beschluss

Gründe

1A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl. Antragstellerin ist eine im Betrieb der zu 2. beteiligten Arbeitgeberin vertretene Gewerkschaft.

2Die Arbeitgeberin beschäftigt 643 Arbeitnehmer. Mit Wahlausschreiben vom leitete der Wahlvorstand das Verfahren zur Wahl des Betriebsrats ein. In dem - teils handschriftlich vervollständigten - Wahlausschreiben heißt es auszugsweise:

3Der Wahlvorstand ließ zwei Vorschlagslisten zur Wahl zu. An der Wahl nahmen 329 Arbeitnehmer teil. Das Wahlergebnis wurde am - dem Tag der Betriebsratswahl - bekannt gemacht. Aus der Wahl ging der zu 3. beteiligte elfköpfige Betriebsrat hervor.

4Mit am bei Gericht eingegangener Antragsschrift hat die Gewerkschaft die Wahl aus mehreren Gründen angefochten. Sie hat unter anderem die Auffassung vertreten, das Wahlausschreiben sei fehlerhaft, weil die Anzahl der auf das Geschlecht in der Minderheit entfallenden Mindestsitze im Betriebsrat fehlerhaft angegeben worden sei. Es seien nicht mindestens neun Frauen, sondern mindestens zwei Männer zu wählen gewesen. Das fehlerhafte angegebene Mindestquorum von neun Frauen habe möglicherweise dazu geführt, dass weitere geeignete Wahlvorschläge nicht eingebracht worden seien.

5Die Antragstellerin hat beantragt,

6Arbeitgeberin und Betriebsrat haben beantragt, den Antrag abzuweisen. Ihrer Ansicht nach sind die behaupteten Verstöße jedenfalls nicht geeignet, um das Wahlergebnis zu beeinflussen.

7Das Arbeitsgericht hat dem Antrag entsprochen und die Wahl für unwirksam erklärt. Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin hat das Landesarbeitsgericht den Beschluss abgeändert und den Antrag abgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Gewerkschaft ihren Anfechtungsantrag weiter, während die Arbeitgeberin die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde begehrt.

8B. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts und zur Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts hat der Wahlanfechtungsantrag der Gewerkschaft Erfolg.

9I. Der Wahlanfechtungsantrag ist zulässig. Die Antragstellerin ist als eine im Betrieb der Arbeitgeberin vertretene Gewerkschaft nach § 19 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BetrVG anfechtungsberechtigt. Die Betriebsratswahl wurde rechtzeitig binnen zwei Wochen nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses am angefochten. Unschädlich ist, dass die am beim Arbeitsgericht eingegangene Antragsschrift den weiteren Beteiligten erst am und damit nach Ablauf von zwei Wochen nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses förmlich zugestellt wurde. Es genügt, dass die Antragsschrift innerhalb der Zweiwochenfrist des § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG beim Arbeitsgericht eingeht, wenn die Zustellung - wie hier - demnächst iSd. § 167 ZPO erfolgt (vgl.  - zu II 3 b der Gründe mwN).

10II. Der Wahlanfechtungsantrag ist begründet. Die Betriebsratswahl vom ist unwirksam. Die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, dass die „Verteilung“ der Mindestsitze auf Frauen und Männer im Wahlausschreiben zutreffend erfolgt ist, hält einer rechtsbeschwerderechtlichen Prüfung nicht stand. Das Wahlausschreiben verstößt gegen § 3 Abs. 2 Nr. 5 Erste Verordnung zur Durchführung des Betriebsverfassungsgesetzes (WahlordnungWO) vom (BGBl. I S. 3494). Hierbei handelt es sich um eine wesentliche Vorschrift über das Wahlverfahren. Der Verstoß war geeignet, das Wahlergebnis zu beeinflussen.

111. Nach § 19 Abs. 1 BetrVG kann eine Betriebsratswahl angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen wurde und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte.

12a) Eine wesentliche Vorschrift über das Wahlverfahren enthält § 3 Abs. 2 Nr. 5 WO. Danach muss das Wahlausschreiben ua. die Angabe der „auf das Geschlecht in der Minderheit entfallenden Mindestsitze im Betriebsrat (§ 15 Abs. 2 des Gesetzes)“ enthalten. Eine insoweit unzutreffende Angabe ist geeignet, die Anfechtung der Wahl zu rechtfertigen (vgl.  - zu B I 3 der Gründe, BAGE 110, 27; Fitting 26. Aufl. § 3 WO 2001 Rn. 11). Nach § 15 Abs. 2 BetrVG muss das Geschlecht, das in der Belegschaft in der Minderheit ist, mindestens entsprechend seinem zahlenmäßigen Verhältnis im Betriebsrat vertreten sein, wenn dieser aus drei oder mehr Mitgliedern besteht. Mit der Regelung schützt das Gesetz die Minderheit im Betriebsrat, ohne dessen Überrepräsentanz auszuschließen (vgl.  - zu B III 3 a cc (2) der Gründe, BAGE 114, 119; Fitting § 15 Rn. 11 mwN). Die Vorschrift wurde durch das Gesetz zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes vom (BGBl. I S. 1852, 2518 ff.) in das BetrVG eingefügt. § 15 Abs. 2 BetrVG-RegE war zunächst dahingehend gefasst, dass die Geschlechter entsprechend ihres zahlenmäßigen Verhältnisses im Betriebsrat vertreten sein müssen (BT-Drucks. 14/5741 S. 9 und S. 37). Die anfänglich vorgesehene „starre Geschlechterquote“ wurde im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens auf Empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zugunsten der nunmehr in § 15 Abs. 2 BetrVG normierten sog. „Mindest-Klausel“ aufgegeben (vgl. BT-Drucks. 14/6352 S. 10 und S. 54). Die Mindestsitzzahl für das Minderheitengeschlecht wird gemäß § 5 Abs. 1 Sätze 2 bis 4, Abs. 2 WO nach dem Grundsatz der Verhältniswahl auf der Grundlage des d´Hondtschen Höchstzahlverfahrens ermittelt.

13b) Danach mussten vorliegend nach § 15 Abs. 2 BetrVG, § 5 WO bei einer Belegschaft von 515 Frauen und 124 Männern die Männer mit mindestens zwei Sitzen im Betriebsrat vertreten sein. Hierauf - aber auch nur hierauf - hätte das Wahlausschreiben gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 5 WO hinweisen müssen. Es durfte insoweit nur die Angabe enthalten, dass mindestens zwei Sitze im Betriebsrat auf Männer entfallen. Im vorliegenden Wahlausschreiben heißt es dagegen, „danach müssen mindestens 9 Frauen/2 Männer (nicht Zutreffendes streichen) dem Betriebsrat angehören“. Zu wählen waren aber nicht „mindestens 9 Frauen“. Richtigerweise hätte der Wahlvorstand in dem formularmäßigen Wahlausschreiben bei Frauen, die im zahlenmäßigen Verhältnis in der Belegschaft stärker vertreten sind, nicht die Zahl neun einfügen dürfen, sondern statt dessen den Passus „mindestens … Frauen“ streichen müssen. Der Hinweis, es müssten „mindestens 9 Frauen/2 Männer“ dem Betriebsrat angehören, konnte aus Sicht der wahlberechtigten Arbeitnehmer des Betriebes auch im Zusammenhang mit dem vorstehenden Satz nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit dahin verstanden werden, dass sich der Minderheitenschutz nicht auf die zu wählenden Frauen, sondern nur auf die zu wählenden Männer beziehen soll. Das Wort „mindestens“ kann auch nicht so verstanden werden, dass es sich sowohl auf „Frauen“ als auch auf „Männer“ bezieht, denn dann wäre es sinnentleert. Im Übrigen verstieße ein solches Verständnis gegen § 15 Abs. 2 BetrVG, der die Gruppe des Geschlechts in der Minderheit schützt, ohne dessen verhältnismäßige Überrepräsentation auszuschließen.

142. Der Verstoß gegen § 3 Abs. 2 Nr. 5 WO war geeignet, das Wahlverhalten der Arbeitnehmer und damit das Ergebnis der Betriebsratswahl zu beeinflussen.

15a) Nach § 19 Abs. 1 letzter Halbsatz BetrVG berechtigen Verstöße gegen wesentliche Wahlvorschriften nur dann nicht zur Anfechtung der Wahl, wenn sie das Wahlergebnis objektiv weder ändern noch beeinflussen konnten. Dafür ist entscheidend, ob eine Wahl ohne den Verstoß unter Berücksichtigung der konkreten Umstände bei einer hypothetischen Betrachtung zwingend zu demselben Ergebnis geführt hätte. Eine verfahrensfehlerhafte Betriebsratswahl muss nur dann nicht wiederholt werden, wenn sich konkret feststellen lässt, dass auch bei der Einhaltung der Wahlvorschriften kein anderes Wahlergebnis erzielt worden wäre. Kann diese Feststellung nicht getroffen werden, bleibt es bei der Unwirksamkeit der Wahl (st. Rspr., vgl. etwa  - Rn. 29).

16b) Vorliegend kann nicht ausgeschlossen werden, dass weitere Vorschlagslisten eingebracht worden wären, wenn das Wahlausschreiben nicht den fehlerhaften Hinweis enthalten hätte, dass mindestens neun Frauen in den Betriebsrat zu wählen sind. Es ist insbesondere keineswegs fernliegend, dass durch den unzutreffenden Hinweis männliche Bewerber von einer - als wenig aussichtsreich erscheinenden - Kandidatur abgehalten wurden.

173. Auf mögliche weitere Anfechtungsgründe kam es nicht an.

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

Fundstelle(n):
BB 2013 S. 1780 Nr. 30
DB 2013 S. 1794 Nr. 32
QAAAE-40997