BAG Beschluss v. - 7 ABR 82/11

Verhinderung eines Betriebsratsmitglieds - Ausschluss von Beschlussfassung bei interner Stellenbesetzung wegen Interessenkollision - eigene Betroffenheit

Leitsatz

Ein Betriebsratsmitglied ist von der Beschlussfassung des Betriebsrats über den Antrag des Arbeitgebers auf Zustimmung zur Versetzung eines Arbeitnehmers nicht deshalb ausgeschlossen, weil es sich selbst auch auf die betreffende Stelle beworben hat.

Gesetze: § 25 Abs 1 S 2 BetrVG, § 99 Abs 3 S 2 BetrVG

Instanzenzug: Az: 32 BV 219/10 Beschlussvorgehend Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Az: 3 TaBV 4/11 Beschluss

Gründe

1A. Die Arbeitgeberin begehrt - soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren von Interesse - die Feststellung, dass die Zustimmung des für ihren Betrieb in B gebildeten Betriebsrats zur Versetzung des Arbeitnehmers S als erteilt gilt.

2Die Arbeitgeberin stellt Leiterplatten her. Sie beschäftigt ca. 520 Arbeitnehmer. Anfang 2010 schrieb sie im Betrieb B die Stelle eines „Supervisors“ im Bereich Ver- und Entsorgung zur Neubesetzung aus. Auf die interne Stellenausschreibung bewarben sich neben dem Arbeitnehmer S die Arbeitnehmer G und Be sowie das Betriebsratsmitglied B. Die Arbeitgeberin beantragte unter dem die Zustimmung des Betriebsrats zur Versetzung des Arbeitnehmers S auf die ausgeschriebene Stelle ab dem . Unter dem leitete sie dem Betriebsrat die Bewerbungsunterlagen aller Kandidaten zu und gab ihm Auskunft über die Person der Stellenbewerber. Am selben Tag kamen die Betriebsparteien überein, dass der Antrag vom als erneut gestellt anzusehen sei und eine Versetzung von Herrn S zum zum Gegenstand habe.

3In seiner Sitzung vom fasste der Betriebsrat den Beschluss, der beabsichtigten Versetzung von Herrn S zu widersprechen. An der Beratung und Beschlussfassung des Betriebsrats nahm auch das Betriebsratsmitglied B teil. Ein Ersatzmitglied war nicht geladen worden. Mit einem der Arbeitgeberin vor dem zugegangenen Schreiben vom teilte der Betriebsrat der Arbeitgeberin seine Zustimmungsverweigerung mit. Er stützte diese unter anderem darauf, die weiteren internen Bewerber seien bei der Auswahl benachteiligt worden, weil die Kriterien der Betriebsvereinbarung über innerbetriebliche Stellenausschreibung nicht beachtet worden seien. Nach diesen Kriterien hätten die Arbeitnehmer G und Be die Stelle eher erhalten müssen. Gleiches gelte für das Betriebsratsmitglied B. Dieses habe zudem einen Anspruch auf Berücksichtigung bei der neuen Besetzung der Stelle, weil ihm anlässlich einer früheren Besetzung der Stelle im Jahr 2008 in einem Absagegespräch mitgeteilt worden sei, dass es an zweiter Stelle der Auswahl liege.

4Die Arbeitgeberin hat die Ansicht vertreten, das Betriebsratsmitglied B habe wegen eigener Betroffenheit an der Beratung und Beschlussfassung des Betriebsrats nicht teilnehmen dürfen. Dessen Beschluss sei daher unwirksam und die Zustimmung zur personellen Einzelmaßnahme gelte als erteilt.

5Die Arbeitgeberin hat beantragt

6Der Betriebsrat hat beantragt, den Antrag abzuweisen.

7Er hat die Ansicht vertreten, das Betriebsratsmitglied B habe an der Beratung und Beschlussfassung teilnehmen dürfen.

8Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die dagegen gerichtete Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde begehrt der Betriebsrat weiterhin die Abweisung des Antrags der Arbeitgeberin.

9B. Die zulässige Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist begründet. Die Vorinstanzen haben dem Antrag der Arbeitgeberin zu Unrecht stattgegeben.

10I. Der Antrag der Arbeitgeberin ist zulässig.

111. Gegenstand des Antrags ist die von der Arbeitgeberin mit Schreiben vom beantragte Zustimmung des Betriebsrats zur Versetzung des Arbeitnehmers S. Das vorangegangene Zustimmungsersuchen vom hat die Arbeitgeberin - wohl wegen der Informationsrügen des Betriebsrats - nicht weiterverfolgt.

122. Die Arbeitgeberin hat das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche rechtliche Interesse an der begehrten Feststellung, die Zustimmung des Betriebsrats zur Versetzung des Arbeitnehmers S gelte als erteilt. Wird dem Antrag entsprochen, kann sie die personelle Maßnahme aufrechterhalten, ohne sich mitbestimmungswidrig zu verhalten. Sie ist dann nicht darauf angewiesen, die Zustimmung des Betriebsrats zur Versetzung von Herrn S gemäß § 99 Abs. 4 BetrVG gerichtlich ersetzen zu lassen (vgl.  - zu B I 2 der Gründe, BAGE 51, 42). Die Arbeitgeberin bedarf der begehrten Feststellung, da die Versetzung des Arbeitnehmers S nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG mitbestimmungspflichtig war und die Arbeitgeberin an dieser festhält.

13II. Der Antrag ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts unbegründet. Die Zustimmung des Betriebsrats zur Versetzung des Herrn S gilt nicht nach § 99 Abs. 3 Satz 2 BetrVG als erteilt. Der Betriebsrat hat seine erforderliche Zustimmung wirksam verweigert.

141. Nach § 99 Abs. 3 Satz 2 BetrVG gilt die Zustimmung des Betriebsrats zu einer personellen Einzelmaßnahme als erteilt, wenn der Betriebsrat dem Arbeitgeber die Zustimmungsverweigerung nicht frist- und ordnungsgemäß mitteilt. Voraussetzung für eine beachtliche Zustimmungsverweigerung ist ein wirksam gefasster Betriebsratsbeschluss. Hierzu ist erforderlich, dass er in einer ordnungsgemäß einberufenen Sitzung von einem beschlussfähigen Betriebsrat gefasst wurde. Die Ladung aller Betriebsratsmitglieder ist nach § 29 BetrVG grundsätzlich wesentliche Voraussetzung für das ordnungsgemäße Zustandekommen eines Betriebsratsbeschlusses. Wird für ein zeitweilig verhindertes Betriebsratsmitglied ein vorhandenes Ersatzmitglied nicht geladen, ist der Betriebsrat an einer wirksamen Beschlussfassung gehindert ( - zu B II 2 a der Gründe mwN, BAGE 92, 162).

15a) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts setzt eine zeitweilige Verhinderung iSv. § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG nicht zwingend eine tatsächliche Verhinderung des Betriebsratsmitglieds voraus. Vielmehr kann ein Betriebsratsmitglied auch aus rechtlichen Gründen zeitweilig an der Wahrnehmung seines Amts verhindert sein (vgl.  - zu B II 2 b der Gründe, BAGE 92, 162; - 1 ABR 64/08 - Rn. 22). Wie das Bundesarbeitsgericht wiederholt entschieden hat, ist ein Betriebsratsmitglied grundsätzlich von seiner Organtätigkeit ausgeschlossen bei Maßnahmen und Regelungen, die es individuell und unmittelbar betreffen ( - zu B II 1 der Gründe, aaO; - 1 ABR 64/08 - Rn. 22). Als Teil der vom Betriebsrat repräsentierten Belegschaft sind die Betriebsratsmitglieder allerdings häufig von den vom Betriebsrat im Rahmen seiner Mitbestimmung zu treffenden Entscheidungen mehr oder weniger auch selbst betroffen. Von ihnen wird daher grundsätzlich erwartet, dass sie sich als von der Belegschaft gewählte Amtsinhaber bei diesen Entscheidungen nicht von persönlichen Interessen leiten lassen. Ein Ausschluss von der Ausübung ihres Amts ist daher auch aus Gründen der Rechtssicherheit und der Funktionsfähigkeit des Betriebsrats nur dann geboten und gerechtfertigt, wenn typischerweise davon ausgegangen werden muss, dass das Betriebsratsmitglied sein Amt wegen seiner persönlichen Interessen nicht mehr mit der erforderlichen Unabhängigkeit wahrnehmen kann. Hiervon ist in den Fällen der individuellen und unmittelbaren Betroffenheit des Betriebsratsmitglieds auszugehen.

16b) An einer individuellen Betroffenheit fehlt es, wenn das Betriebsratsmitglied nur als Angehöriger eines aus mehreren Personen bestehenden Teils der Belegschaft betroffen ist. Eine unmittelbare Betroffenheit liegt nicht vor, wenn mit der Maßnahme oder Regelung nur mittelbare Auswirkungen, Reflexe oder die Steigerung oder Verringerung tatsächlicher Chancen und Aussichten verbunden sind. Für die Mitbestimmung des Betriebsrats bei personellen Einzelmaßnahmen nach § 99 BetrVG bedeutet dies, dass von einer unmittelbaren und individuellen Betroffenheit des Betriebsratsmitglieds regelmäßig nur dann gesprochen werden kann, wenn das Betriebsratsmitglied gerade die Person ist, auf die sich das Zustimmungsersuchen des Arbeitgebers unmittelbar richtet. Der Umstand, dass ein Betriebsratsmitglied zu einer Gruppe von Mitbewerbern gehört, aus welcher der Arbeitgeber eine andere Person ausgewählt hat, genügt dagegen regelmäßig nicht, um das Betriebsratsmitglied als von seiner Amtsausübung ausgeschlossen anzusehen (vgl. auch für den Fall der Umgruppierung  - Rn. 24 ff.). Aus der Begründung einer Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats können schon deshalb keine Rückschlüsse auf eine etwaige Betroffenheit des Betriebsratsmitglieds gezogen werden, weil der Betriebsratsvorsitzende die zeitweilige rechtliche Verhinderung eines Betriebsratsmitglieds bereits bei der Einberufung der Betriebsratssitzung zu beurteilen und erforderlichenfalls ein Ersatzmitglied zu laden hat.

172. Hiernach war das Betriebsratsmitglied B nicht gehindert, an der Beratung und Beschlussfassung des Betriebsrats über das Ersuchen der Arbeitgeberin zur Versetzung des Arbeitnehmers S teilzunehmen. Das Betriebsratsmitglied B war durch die vom Betriebsrat zu treffende Entscheidung im beschriebenen Sinne nicht unmittelbar betroffen. Zwar verringerte sich durch eine Zustimmung des Betriebsrats die etwa noch vorhandene - angesichts der anderweitigen Planung der Arbeitgeberin allerdings ohnehin geringe - Chance des Arbeitnehmers B, die Stelle, um die auch er sich beworben hatte, zu erhalten. Allein die Verringerung dieser Chance genügt jedoch nicht, um von einer unmittelbaren Betroffenheit des Betriebsratsmitglieds B auszugehen. Ebenso wenig war eine Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats geeignet, dem Betriebsratsmitglied B einen Anspruch auf die zu besetzende Stelle zu verschaffen. Seine eigene rechtliche Position verbesserte sich dadurch nicht. Die Arbeitgeberin war im Falle einer Zustimmungsverweigerung lediglich gehindert, die beabsichtigte Versetzung des Arbeitnehmers S endgültig durchzuführen.

183. Die Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats war auch im Übrigen frist- und ordnungsgemäß. Die Wochenfrist des § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG ist eingehalten. Die Zustimmungsverweigerung ging der Arbeitgeberin bis zum , und damit innerhalb einer Woche nach dem zu. Sie genügte auch der an eine beachtliche Zustimmungsverweigerung zu stellenden Begründungspflicht (vgl. dazu etwa  - Rn. 50 mwN). Der Betriebsrat hat mit seiner schriftlichen Zustimmungsverweigerung - zumindest - die Zustimmungsverweigerungsgründe nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 BetrVG hinreichend deutlich gemacht.

Fundstelle(n):
BB 2013 S. 1779 Nr. 30
DB 2013 S. 1794 Nr. 32
DB 2013 S. 9 Nr. 28
LAAAE-39811