BGH Beschluss v. - XII ZB 624/12

Verfahrenskostenhilfe: Erfolgsaussicht bei einer höchstrichterlich noch nicht geklärten Rechtsfrage; Einlegung der Rechtsbeschwerde zum BGH durch einen dort zugelassenen Rechtsanwalt

Leitsatz

1. Ist das Beschwerdegericht in einem Verfahrenskostenhilfeverfahren der Auffassung, dass die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung von der Klärung einer in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte umstrittenen und höchstrichterlich noch nicht geklärten Rechtsfrage abhängt, muss es dem Beschwerdeführer beim Vorliegen der persönlichen Voraussetzungen insoweit Verfahrenskostenhilfe bewilligen, und zwar auch dann, wenn es die Auffassung vertritt, dass die Rechtsfrage zu Ungunsten des Beschwerdeführers zu entscheiden ist (im Anschluss an Senatsbeschlüsse vom , XII ZB 192/02, NJW 2004, 2022 und vom , XII ZB 190/12, FamRZ 2013, 369).

2. Auch in Verfahren der Verfahrenskostenhilfe kann eine Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof wirksam nur durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt eingelegt werden (im Anschluss an Senatsbeschluss vom , XII ZB 82/10, FamRZ 2010, 1425).

Gesetze: § 114 ZPO, § 574 ZPO, § 114 Abs 2 FamFG

Instanzenzug: Az: 18 WF 74/12vorgehend AG Pankow-Weißensee Az: 18 F 9113/11

Gründe

I.

1Die 1989 geborene Antragstellerin ist die Tochter des Antragsgegners. Sie besuchte seit August 2006 die gymnasiale Oberstufe und ging im Juni 2010 mit dem Erwerb des schulischen Teils der Fachhochschulreife vom Gymnasium ab. Im Anschluss an ihren Schulbesuch war sie zeitweise als Verkäuferin tätig und absolvierte seit September 2011 ein freiwilliges soziales Jahr bei dem Landesjugendring B.        . Im August 2012 hat sie eine Ausbildung zur Erzieherin aufgenommen.

2Mit Antrag vom hat die Antragstellerin gegen den Antragsgegner rückständigen und laufenden Kindesunterhalt geltend gemacht und die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe beantragt. Das Amtsgericht hat der Antragstellerin die nachgesuchte Verfahrenskostenhilfe wegen fehlender Erfolgsaussichten ihrer Rechtsverfolgung versagt. Die gegen diese Entscheidung gerichtete sofortige Beschwerde hat das Beschwerdegericht nach Übertragung des Verfahrens durch die Einzelrichterin auf den Senat zurückgewiesen. Zugleich hat es die Rechtsbeschwerde zugelassen, soweit der Rechtsverfolgung für die Dauer der Ableistung des freiwilligen sozialen Jahres vom bis zum die Erfolgsaussichten abgesprochen worden sind. Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, dass die Klärung der - von ihm verneinten - Frage, ob die Ableistung eines freiwilligen sozialen Jahres schon generell und ohne Zusammenhang mit einem konkreten Ausbildungskonzept des Kindes als angemessener Ausbildungsabschnitt im Rahmen einer Gesamtausbildung anzusehen sei, im Hinblick auf eine divergierende Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordere.

II.

3Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

41. Die Rechtsbeschwerde, deren Zulassung das Beschwerdegericht in rechtlich nicht zu beanstandender Weise auf den Zeitraum vom bis zum beschränkt hat, ist statthaft (§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i.V.m. §§ 127 Abs. 2 Satz 2, 567 Abs. 1 Nr. 1, 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) und auch im Übrigen zulässig.

5Allerdings hätte die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen werden dürfen. Im Verfahren der Verfahrenskostenhilfe kommt eine Zulassung der Rechtsbeschwerde unter dem Gesichtspunkt der Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) oder der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nur in Betracht, wenn es um Fragen des Verfahrens der Verfahrenskostenhilfe oder der persönlichen Voraussetzungen ihrer Bewilligung geht (vgl. Senatsbeschlüsse vom - XII ZA 11/07 - FamRZ 2007, 1720 Rn. 6 und vom - XII ZA 6/04 - FamRZ 2004, 1633 f.; - NJW-RR 2012, 125 Rn. 10). Hängt die Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe aus Sicht des Beschwerdegerichts dagegen allein von der Frage ab, ob die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, kann die Rechtsbeschwerde wegen dieser Frage nicht zugelassen werden. Indessen ist das Rechtsbeschwerdegericht gemäß § 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO auch an eine insoweit rechtsfehlerhafte Zulassung der Rechtsbeschwerde gebunden (Senatsbeschluss vom - XII ZB 192/02 - NJW 2004, 2022; BGH Beschlüsse vom - V ZB 40/02 - NJW 2003, 1126 und vom - III ZB 30/02 - NJW-RR 2003, 1001).

62. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Beschwerdegericht hätte die Erfolgsaussichten der von der Antragstellerin mit ihrem Unterhaltsbegehren beabsichtigten Rechtsverfolgung mit der gegebenen Begründung nicht verneinen dürfen.

7Das Beschwerdegericht hat die Auffassung vertreten, dass der volljährigen Antragstellerin für die Dauer ihres freiwilligen sozialen Jahres schon dem Grunde nach kein Anspruch auf Ausbildungsunterhalt zustehe, weil sie mangels Darlegung eines tragfähigen, an ihren Begabungen und Fähigkeiten orientierten Ausbildungskonzeptes nicht hinreichend belegt habe, inwieweit die Ableistung des freiwilligen sozialen Jahres für ihre später beabsichtigte Berufsausbildung konkret nutzbar gemacht werden könnte. Ferner ist das Beschwerdegericht davon ausgegangen, dass es demgegenüber nach einer vom Oberlandesgericht Celle (OLG Celle FamRZ 2012, 995 f.) vertretenen Rechtsansicht zum Unterhaltsanspruch von Kindern während des freiwilligen sozialen Jahres solcher Darlegungen nicht bedürfe.

8Die Prüfung der Erfolgsaussicht darf nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in das Nebenverfahren der Verfahrenskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Verfahrenskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den das Rechtsstaatsprinzip erfordert, nicht selbst bieten, sondern erst zugänglich machen (BVerfG NJW 1994, 241, 242 und NJW 2000, 1936, 1937; Senatsbeschluss vom - XII ZA 6/04 - FamRZ 2004, 1633, 1634 mwN). Ist das Beschwerdegericht daher - wie im vorliegenden Fall - der Auffassung, dass die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung von der Klärung einer in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte umstrittenen und höchstrichterlich noch nicht geklärten Rechtsfrage abhängen, muss es dem Beschwerdeführer beim Vorliegen der persönlichen Voraussetzungen insoweit Verfahrenskostenhilfe bewilligen, und zwar auch dann, wenn das Beschwerdegericht die Auffassung vertritt, dass die Rechtsfrage zu Ungunsten des Beschwerdeführers zu entscheiden ist (BVerfG FamRZ 2013, 605, 606; 2013, 685, 686; Senatsbeschluss vom - XII ZB 190/12 - FamRZ 2013, 369). Verweigert es dem Beschwerdeführer dagegen Verfahrenskostenhilfe und lässt gleichzeitig wegen der Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung die Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu, widerlegt es damit in aller Regel die Richtigkeit seiner eigenen Entscheidung. Dies muss grundsätzlich ohne nähere Sachprüfung zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht führen (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 192/02 - NJW 2004, 2022; MünchKommZPO/Motzer 4. Aufl. § 127 Rn. 36; Musielak/Fischer ZPO 9. Aufl. § 127 Rn. 25).

93. Zur Rechtsmittelbelehrung des Beschwerdegerichts weist der Senat noch darauf hin, dass die unter Bezugnahme auf § 114 Abs. 4 Nr. 5 FamFG ausdrücklich erteilte Belehrung, wonach sich die Beteiligten im Verfahren der Rechtsbeschwerde in Verfahrenskostenhilfesachen nicht durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen müssen, nicht zutreffend ist. Auch in Verfahren der Verfahrenskostenhilfe kann eine Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof wegen § 114 Abs. 2 FamFG nur durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt eingelegt werden (Senatsbeschluss vom - XII ZB 82/10 - FamRZ 2010, 1425 Rn. 7; Keidel/Weber FamFG 17. Aufl. § 114 Rn. 11, 20; Prütting/Helms FamFG 2. Aufl. § 114 Rn. 34; Musielak/Borth FamFG 3. Aufl. § 114 Rn. 6).

Dose                           Vézina                         Klinkhammer

               Günter                          Botur

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
NJW 2013 S. 2198 Nr. 30
NWB-Eilnachricht Nr. 28/2013 S. 2208
MAAAE-39465