Schwerer Raub: Verwirklichung von Qualifikationsmerkmalen bei einem Raubüberfall auf ein betagtes Ehepaar in dessen Einfamilienhaus
Gesetze: § 25 Abs 2 StGB, § 250 Abs 1 Nr 1 Buchst a StGB, § 250 Abs 1 Nr 1 Buchst b StGB, § 261 StPO
Instanzenzug: LG Aachen Az: 64 KLs 602 Js 323/12 - 8/12
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision hat Erfolg.
I.
2Nach den Feststellungen überfielen der Angeklagte und sein Mittäter M. in der Nacht zum das betagte Ehepaar S. in dessen Einfamilienhaus in der Nähe A. s, um es zu berauben. Während der Ehemann im Obergeschoss schlief und den Überfall nicht bemerkte, brachte M. die 78-jährige Geschädigte im Erdgeschoss zu Boden und hielt ihr fortlaufend Augen und Mund zu. In der Zwischenzeit durchsuchte der Angeklagte das Haus nach Geld- und Wertgegenständen, wobei er teilweise fündig wurde. Durch einen schmalen Sehschlitz konnte die Geschädigte beobachten, wie der Angeklagte im Zusammenhang mit seiner Frage nach "Geld, Gold?" ein Brotmesser vom Tisch nahm, es aber auf eine abweisende Handbewegung des Mitangeklagten M. wieder zurücklegte. Beide Täter gingen davon aus, die Geschädigte habe das Ergreifen des Messers nicht wahrgenommen. In der Folge fand der Angeklagte weiteres Geld und Wertgegenstände, die er an sich nahm, bevor er als erster das Haus verließ. Kurze Zeit später verließ auch der Mitangeklagte M. das Haus und beide flüchteten mit dem Pkw der Eheleute. Zuvor war die Geschädigte noch mit einem Schal und abgeschnittenen Trageriemen ihrer Handtasche an Händen und Füßen gefesselt worden.
3Das Landgericht hat die Angeklagten aufgrund der Fesselung des Opfers wegen schweren Raubes gemäß §§ 249, 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB verurteilt. Die Verwirklichung eines besonders schweren Raubes gemäß § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB durch Einsatz eines Messers hat die Strafkammer verneint, weil die Geschädigte aus Sicht der Angeklagten das Messer nicht wahrgenommen hatte. Von einem möglichen Versuch des qualifizierten Tatbestands nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB sei der Angeklagte durch Zurücklegen des Messers jedenfalls strafbefreiend zurückgetreten.
II.
41. Die Feststellungen tragen nicht den Schuldspruch wegen mittäterschaftlich begangenen schweren Raubes aufgrund der Fesselung der Geschädigten. Der Generalbundesanwalt hat hierzu ausgeführt:
"Zwar reichen ein Beisichführen und eine Verwendungsabsicht zu irgendeinem Zeitpunkt vom Ansetzen zur Tat bis zu deren Beendigung, mithin auch im Zeitraum zwischen Vollendung und Beendigung des Raubes (entgegen RB S. 4) für die Annahme des Qualifikationsmerkmals des § 250 Abs. 1 Nr. 1 b StGB aus (st. Rspr.; BGHSt 13, 259 f.; 20, 194, 197; 31, 105, 107; BGHR StGB § 250 Abs. 1 Nr. 2 Beisichführen 4; BGH StV 1988, 429; NStZ 1998, 354 [Senat]; 1999, 242, 243; 2007, 332; NStZ-RR 2003, 202; Fischer StGB 59. Aufl. § 244 Rn. 29); auch genügt es, dass der Täter das Mittel erst am Tatort ergreift (BGHSt 13, 259, 260; BGHR aaO; BGH StV 1988, 429; NStZ 1999, 242, 243; NStZ-RR 2003, 202; Fischer aaO und § 250 Rn. 12).
Die Feststellung, die Zeugin S. sei 'zuvor' - also bevor der Mitangeklagte M. den Tatort verließ - mit einem Schal und dem abgeschnittenen Trageriemen ihrer Handtasche an Händen und Füßen gefesselt worden (UA S. 8), rechtfertigt aber nicht die Verurteilung des Angeklagten wegen eines insoweit qualifizierten Raubes. Ob eine Fesselung der Zeugin der von vornherein getroffenen Tatabrede entsprach, ist nicht festgestellt worden. Auch lassen die Feststellungen nicht erkennen, ob der Angeklagte sich zum Zeitpunkt der Fesselung überhaupt noch im Haus befand, ob er gegebenenfalls daran unmittelbar beteiligt war, ob es während der Tatausführung zu einer - sei es auch nur stillschweigenden - Absprache mit dem Mitangeklagten über die Fesselung kam oder der Angeklagte sich wenigstens in Kenntnis der Fesselungsabsicht des Mitangeklagten weiter an der Tat beteiligt hat (zum letztgenannten Fall mittäterschaftlicher Zurechnung vgl. BGH NStZ-RR 2002, 9 [Senat]; NStZ 2004, 263; Fischer StGB § 25 Rn. 20). Derartiger Feststellungen hätte es aber bedurft, um beurteilen zu können, ob der Angeklagte das Qualifikationsmerkmal selbst erfüllt hat oder ihm dieses nach mittäterschaftlichen Grundsätzen zuzurechnen war."
5Dem schließt sich der Senat an und weist die Sache zu entsprechender Aufklärung an das Landgericht zurück.
62. Im Übrigen geht das Landgericht - wie vom Generalbundesanwalt näher dargelegt - zutreffend davon aus, dass der Angeklagte die Qualifikation des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB durch Ergreifen des Messers nicht verwirklicht hat. Der neue Tatrichter wird jedoch gegebenenfalls zu berücksichtigen haben, dass bereits mit dem Ergreifen des Messers das Qualifikationsmerkmal des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StGB erfüllt sein kann.
Becker Fischer Appl
Krehl Ott
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AAAAE-35947