BFH Beschluss v. - V R 24/12

Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist; besondere Sorgfaltspflichten bei der Personalüberwachung

Leitsatz

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen eines entschuldbaren Büroversehens: Die Revisionsbegründungsfrist gehört nicht zu den üblichen, häufig vorkommenden und einfach zu berechnenden Fristen. Deshalb ist der Prozessbevollmächtigte bei der Prüfung und Überwachung des Personals zu besonderer Sorgfalt verpflichtet.

Gesetze: FGO § 54, FGO § 56 Abs. 1, FGO § 120 Abs. 2, FGO § 155, ZPO § 85 Abs. 2, ZPO § 222, BGB § 187, BGB § 188

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

1 I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) wendet sich mit der Revision gegen das klageabweisende , das der Prozessbevollmächtigten der Klägerin am zugestellt worden ist.

2 Mit Schreiben vom , zugestellt am , wies die Geschäftsstelle des erkennenden Senats darauf hin, dass die Revisionsbegründungsfrist am abgelaufen sei, eine Begründung der Revision bisher aber nicht vorliege.

3 In der am eingegangenen Revisionsbegründung beantragte die Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Revisionsbegründungsfrist sei aufgrund eines von der Klägerin nicht zu vertretenen Büroversehens versäumt worden. Der für die Wahrung der Fristen zuständige Mitarbeiter S, ein ausgebildeter Steuerfachangestellter, habe bei Eingang des Urteils des FG nur die Frist für die Revisionseinlegung, nicht aber für die Revisionsbegründung in das Fristenkontrollbuch eingetragen. S sei ausführlich über die einzutragenden Fristen belehrt worden und erledige diese Aufgabe üblicherweise auch sehr gewissenhaft. Zudem erfolge eine Kontrolle der Fristen bei Bearbeitung durch den Sachbearbeiter. Darüber hinaus prüfe die Prozessbevollmächtigte in regelmäßigen Abständen das Fristenkontrollbuch hinsichtlich der dort getätigten Eintragungen, nicht aber hinsichtlich der nicht getätigten Eintragungen.

4 Zur Glaubhaftmachung des Vortrages hat die Prozessbevollmächtigte die Ablichtung einer Seite ihres Postausgangsbuchs und die eidesstattliche Versicherung des S, mehrfach über die Berechnung und Bedeutung der Fristen belehrt worden zu sein, vorgelegt.

5 Die Klägerin beantragt sinngemäß,

unter Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Revisionsbegründungsfrist das Urteil des FG aufzuheben und den angefochtenen Umsatzsteuerbescheid für 2007 in der Fassung des Änderungsbescheides vom zu ändern.

6 Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt) beantragt,

die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, als unbegründet zurückzuweisen.

7 II. Die Revision ist unzulässig und deshalb durch Beschluss zu verwerfen (§§ 124 Abs. 1 Satz 2, 126 Abs. 1 FGO).

8 1. Nach § 120 Abs. 2 Satz 1 FGO ist die Revision innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Im Streitfall ist diese Frist nach § 54 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 und 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowie §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) am Montag, dem , abgelaufen. Die erst am beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangene Revisionsbegründung der Klägerin war mithin verspätet, da die Revisionsbegründungsfrist nicht verlängert worden war (§ 120 Abs. 2 Satz 3 FGO).

9 2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist ist der Klägerin nicht zu gewähren.

10 a) Nach § 56 Abs. 1 FGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Dies setzt in formeller Hinsicht voraus, dass innerhalb einer Frist von einem Monat nach Wegfall des Hindernisses (§ 56 Abs. 2 Satz 2 FGO) die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb dieser Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom III B 7/10, BFH/NV 2011, 1895, und vom X B 95/07, BFH/NV 2008, 969). Hiernach schließt jedes Verschulden —also auch einfache Fahrlässigkeit— die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Der Beteiligte muss sich ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO).

11 b) Im Streitfall scheitert die Wiedereinsetzung daran, dass die Prozessbevollmächtigte die vorgetragenen Wiedereinsetzungsgründe nicht hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht hat.

12 aa) Wenn —wie im Streitfall— Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen eines entschuldbaren Büroversehens begehrt wird, muss spätestens innerhalb von einem Monat nach dem Wegfall des Hindernisses substantiiert und in sich schlüssig vorgetragen werden, wie die Fristen im Büro des Prozessbevollmächtigten überwacht werden, wer für den rechtzeitigen Versand der fristwahrenden Schriftsätze verantwortlich war und weshalb diese Person kein Verschulden an der Versäumung der Frist trifft. Es ist insbesondere darzulegen, dass kein Organisationsfehler vorliegt, d.h. dass der Prozessbevollmächtigte alle Vorkehrungen getroffen hat, die geeignet sind, die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen, und dass er durch regelmäßige Belehrung und Überwachung seiner Bürokräfte für die Einhaltung seiner Anordnungen Sorge getragen hat (BFH-Beschluss in BFH/NV 2008, 969, m.w.N.). Dabei ist zu beachten, dass die Revisionsbegründungsfrist nicht zu den üblichen, häufig vorkommenden und einfach zu berechnenden Fristen gehört (BFH-Beschluss in BFH/NV 2008, 969, m.w.N.). Der Prozessbevollmächtigte ist daher bei der Prüfung und Überwachung des Personals zu besonderer Sorgfalt verpflichtet (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2008, 969, und vom VI R 36/99, BFH/NV 2000, 470; , BFH/NV 2000, 1210).

13 bb) Der Vortrag der Prozessbevollmächtigten der Klägerin genügt nicht den genannten Anforderungen zur Feststellung der ordnungsgemäßen Überwachung der Einhaltung der Revisionsbegründungsfrist. Insoweit fehlt die Darstellung, ob und gegebenenfalls in welcher Form eine Überwachung des Personals im Hinblick auf die gesonderte Eintragung der Revisionsbegründungsfristen durch die Prozessbevollmächtigte erfolgte. Die Prozessbevollmächtigte trägt vielmehr vor, dass sie selbst in regelmäßigen Abständen das Fristenkontrollbuch zwar hinsichtlich der dort getätigten Eintragungen prüfe, nicht jedoch hinsichtlich der nicht getätigten Eintragungen. Eine Überwachung der Eintragung der Revisionsbegründungsfristen wird hierdurch nicht gewährleistet. Zu den besonderen Sorgfaltspflichten der Prozessbevollmächtigten gehört es auch, z.B. durch eine —stichprobenhafte— Kontrolle im Rahmen der Bearbeitung der Schriftsätze, mit denen die Revision eingelegt wird, zu prüfen, ob Revisionsbegründungsfristen eingetragen worden sind.

14 Dem Senat ist es daher aus diesem Grunde nicht möglich, das Fehlen eines Organisationsmangels bei der Einhaltung der Revisionsbegründungsfrist festzustellen.

15 cc) Soweit die Prozessbevollmächtige im Schriftsatz vom vorträgt, sie habe S am explizit angewiesen, die Fristen in das Fristenkontrollbuch einzutragen, ist dieser Vortrag verspätet. Die mit Zustellung des Schreibens der Geschäftsstelle am in Gang gesetzte Wiedereinsetzungsfrist war zu diesem Zeitpunkt gemäß § 54 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 und 2 ZPO sowie §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB bereits abgelaufen. Darüber hinaus fehlt eine Glaubhaftmachung dieses Sachverhalts z.B. durch eine eidesstattliche Versicherung des Angestellten S (vgl. z.B. vom III R 65/05, BFH/NV 2007, 945).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BFH/NV 2013 S. 970 Nr. 6
HFR 2013 S. 607 Nr. 7
EAAAE-35428