Berufsbildung - Schadensersatz wegen verspäteter Erteilung eines Zeugnisses über eine Qualifizierungsmaßnahme
Gesetze: § 1 Abs 1 BBiG 2005, § 1 Abs 5 BBiG 2005, § 16 BBiG 2005, § 26 BBiG 2005, §§ 58ff BBiG 2005, § 280 Abs 1 BGB, § 280 Abs 2 BGB, § 286 Abs 1 BGB, § 286 Abs 2 BGB, § 630 BGB, § 109 GewO, § 448 ZPO
Instanzenzug: Az: 12 Ca 166/09 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Hamburg Az: 7 Sa 13/10 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger von der Beklagten Schadensersatz wegen verspäteter Erteilung eines Zeugnisses verlangen kann.
2Der Kläger war bei der Beklagten in der Zeit vom bis zum im Rahmen einer Qualifizierungsmaßnahme tätig, deren Ziel die Qualifizierung des Klägers zum Eisenbahnfahrzeugführer war.
Nach der Beendigung der Qualifizierungsmaßnahme bewarb sich der Kläger nach seinem Vorbringen bei der Fa. H um die Stelle eines Disponenten. Dieses Unternehmen teilte dem Kläger mit einem Schreiben vom ua. mit:
4Mit einer E-Mail vom bat der Kläger die Beklagte um Zusendung des fehlenden Zeugnisses.
5Mit der am beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger die Erteilung eines ordnungsgemäßen Zeugnisses und die Zahlung von Schadensersatz verlangt. Nachdem die Beklagte dem Kläger am ein unter dem Datum des ausgestelltes Zeugnis erteilt hatte, hat der Kläger den Rechtsstreit insoweit für erledigt erklärt und seinen Schadensersatzanspruch auf 11.944,00 Euro beziffert. Er hat vorgetragen, sich bei der Fa. H beworben zu haben und nur wegen des fehlenden Zeugnisses der Beklagten nicht eingestellt worden zu sein. Ansonsten wäre er mit Wirkung ab dem als Disponent eingestellt worden und hätte ein monatliches Bruttogehalt iHv. 3.700,00 Euro erzielt. Stattdessen habe er monatlich nur Arbeitslosengeld iHv. 714,00 Euro bezogen. Für die Zeit vom bis zum ergebe sich daraus ein Schaden in Höhe von 11.944,00 Euro. Die Beklagte habe sich mit der Erteilung des Zeugnisses im Verzug befunden. Sein Zeugnisanspruch ergebe sich aus § 16 Abs. 1 BBiG. Danach komme der Arbeitgeber mit der Erteilung eines Zeugnisses mit der Beendigung des Ausbildungsverhältnisses ohne Mahnung in Verzug. Im Übrigen habe er die Beklagte wegen der Zeugniserteilung nicht erst mit der E-Mail vom gemahnt, sondern bereits zuvor. Nach mehreren (fern-)mündlichen Bitten habe er am ein Schreiben an die Zentrale Personalabteilung gerichtet und ua. die Übersendung eines Zeugnisses erbeten. Mit weiteren Schreiben vom 9. Oktober, 29. Oktober und habe er nochmals das Zeugnis angemahnt. Die Schreiben vom 10. September, 9. Oktober und habe er auf normale Weise mit der Post an die Beklagte versandt. Er habe die Schreiben jeweils mit seinem Computer ausgedruckt, kuvertiert, mit Briefmarken oder Frankieretiketten beklebt und zur Post gegeben. Das Schreiben vom habe er an seinem häuslichen Computer mittels des Computer-Programms STAMPIT frankiert.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
7Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger den zuletzt gestellten Klageantrag weiter. Die Beklagte begehrt die Zurückweisung der Revision.
Gründe
9Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte gemäß § 280 Abs. 1 und Abs. 2, § 286 BGB. Im Zeitpunkt der Ablehnung der Bewerbung des Klägers durch die Fa. H war die Beklagte mit der Erteilung eines Zeugnisses über die Qualifizierungsmaßnahme nicht im Verzug.
101. Die Beklagte war verpflichtet, dem Kläger ein Zeugnis über die Teilnahme an der Qualifizierungsmaßnahme zu erteilen. Diese Verpflichtung folgte entgegen der Auffassung des Klägers nicht aus § 16 Abs. 1 BBiG, sondern aus § 630 BGB. Der Qualifizierungsvertrag begründete ein Berufsbildungsverhältnis in Gestalt eines beruflichen Umschulungsverhältnisses iSd. § 1 Abs. 1 und Abs. 5, § 58 ff. BBiG. Auf ein Umschulungsverhältnis findet § 16 BBiG weder unmittelbar noch nach § 26 BBiG Anwendung.
11a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind auf Umschulungsverhältnisse die Vorschriften des Berufsbildungsgesetzes über das Berufsausbildungsverhältnis nicht anwendbar ( - Rn. 21, BAGE 117, 20; - 2 AZR 516/90 - zu II 2 c aa der Gründe, AP BBiG § 47 Nr. 2 = EzA BBiG § 47 Nr. 1; - 5 AZR 240/74 - zu I der Gründe, AP BGB § 611 Ausbildungsbeihilfe Nr. 2 = EzA GG Art. 12 Nr. 12). Das Berufsbildungsgesetz erfasst zwar die berufliche Bildung in § 1 umfassend, enthält aber nur Regelungen über die inhaltliche Gestaltung von Berufsausbildungsverträgen und anderen Vertragsverhältnissen, aufgrund derer erstmals einem Auszubildenden eine breit angelegte berufliche Grundbildung und die für die Ausübung einer qualifizierten beruflichen Tätigkeit notwendigen fachlichen Fertigkeiten und Kenntnisse bzw. erstmals berufliche Kenntnisse, Fertigkeiten oder Erfahrungen vermittelt werden (§ 1 Abs. 3, § 26 BBiG). Diese Voraussetzungen treffen auf die Umschulung iSv. § 1 Abs. 5, § 58 ff. BBiG nicht zu. Eine Umschulung soll den Übergang in eine andere geeignete berufliche Tätigkeit ermöglichen. Der Gesetzgeber hat darauf verzichtet, Umschulungsverhältnisse ebenso eingehend und zwingend zu regeln wie Berufsausbildungsverhältnisse. Er hat sich darauf beschränkt, allgemeine Grundsätze aufzustellen (vgl. § 58 ff. BBiG). Entgegen der Auffassung des Klägers hat daran die Neufassung des Berufsbildungsgesetzes durch das Gesetz zur Reform der beruflichen Bildung (Berufsbildungsreformgesetz - BerBiRefG) vom (BGBl. I S. 931) nichts geändert. Auch bei der Neufassung des Berufsbildungsgesetzes hat der Gesetzgeber darauf verzichtet, Umschulungsverhältnisse so detailliert wie Berufsausbildungsverhältnisse zu regeln (vgl. - aaO). Die Neuregelungen zu den Fortbildungs- und Umschulungsverhältnissen sollten lediglich unter Anpassung der Begrifflichkeiten transparenter gestaltet und weitgehend vereinheitlicht werden (vgl. BT-Drucks. 15/3980 S. 39 und 42 f.).
12b) Die Anwendbarkeit des § 16 BBiG auf Umschulungsverhältnisse folgt nicht aus § 26 BBiG. Diese Bestimmung ordnet die Anwendbarkeit der für das Berufsausbildungsverhältnis geltenden Vorschriften der §§ 10 bis 23 und 25 BBiG nur für Rechtsverhältnisse an, die nicht als Arbeitsverhältnisse ausgestaltet sind und die Personen betreffen, „die eingestellt werden, um berufliche Fertigkeiten, Kenntnisse, Fähigkeiten oder berufliche Erfahrungen zu erwerben“. § 26 BBiG erfasst damit - wie schon die Vorgängerregelung in § 19 BBiG aF - nur solche Rechtsverhältnisse, die im Gegensatz zur Umschulung oder Fortbildung auf die erstmalige Vermittlung beruflicher Kenntnisse, Fertigkeiten oder Erfahrungen gerichtet sind, wie dies etwa bei Anlernlingen, Volontären oder Praktikanten der Fall ist (vgl. - Rn. 26, BAGE 117, 20; - 5 AZR 240/74 - zu I der Gründe, AP BGB § 611 Ausbildungsbeihilfe Nr. 2 = EzA GG Art. 12 Nr. 12, jeweils zu § 19 BBiG aF; - 3 AZR 698/10 - Rn. 41, NZA 2012, 1428 zu § 26 BBiG nF). § 26 BBiG stellt dabei nach dem Willen des Gesetzgebers eine bloße Übernahme des § 19 BBiG aF dar, bei der lediglich von einer Verweisung auf den im Berufsausbildungsverhältnis geregelten Weiterbeschäftigungsanspruch (§ 24 BBiG) abgesehen wurde und bei der die Begrifflichkeiten an § 1 BBiG angepasst wurden (BT-Drucks. 15/3980 S. 47). Hätte der Gesetzgeber eine Geltung der Regeln über das Berufsausbildungsverhältnis auch im Umschulungsverhältnis gewollt, hätte er im Zuge des Berufsbildungsreformgesetzes - vor dem Hintergrund der gegenteiligen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts - eine entsprechende Änderung bei der Neufassung des § 26 BBiG vorgenommen.
13c) Der Unanwendbarkeit von § 16 BBiG auf Umschulungsverhältnisse steht die vom Kläger hervorgehobene Bedeutung des Zeugnisanspruchs für den Umschüler im Hinblick auf seine weiteren Berufschancen nicht entgegen. Die fehlende Anwendbarkeit von § 16 BBiG führt nicht dazu, dass der Umschüler keinen Zeugnisanspruch hat. Dieser ergibt sich vielmehr aus § 630 BGB oder § 109 GewO.
14d) Der Zeugnisanspruch des Klägers folgt aus § 630 BGB und nicht aus § 109 GewO, da die Qualifizierung des Klägers nicht im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses erfolgte, sondern auf der Grundlage des Qualifizierungsvertrags, bei dem der Ausbildungszweck und nicht die Arbeitsleistung im Vordergrund stand (vgl. hierzu - Rn. 14 und 18, BAGE 117, 20). Sofern die Umschulung nicht im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses, sondern auf Grundlage eines (isolierten) Berufsbildungsvertrags durchgeführt wurde, ergibt sich der Zeugnisanspruch aus § 630 BGB. Diese Vorschrift ist jedenfalls auf solche Dienstnehmer anwendbar, die einem Arbeitnehmer vergleichbar beschäftigt werden und deswegen auf eine Beurteilung ihrer Tätigkeit angewiesen sind (Staudinger/Preis [2012] § 630 Rn. 3; MüKoBGB/Henssler 6. Aufl. § 630 Rn. 9). Dies ist bei einem Umschüler der Fall. Bei einem Umschulungsverhältnis handelt es sich um ein Dienstverhältnis iSd. § 611 BGB (vgl. - zu II 2 d dd der Gründe, AP BBiG § 47 Nr. 2 = EzA BBiG § 47 Nr. 1). Auch der Umschüler unterliegt den Weisungen seines Dienstherrn. Die Möglichkeit, ein Zeugnis über das Umschulungsverhältnis, dessen Dauer und ggf. über das Verhalten und die Leistung des Umschülers im Umschulungsverhältnis vorzulegen, ist in einer Bewerbungssituation von wesentlicher Bedeutung.
152. Die Beklagte war zum Zeitpunkt der Ablehnung der Bewerbung des Klägers durch die Fa. H mit der Erteilung des Zeugnisses nicht im Verzug iSd. § 286 Abs. 1 BGB.
16a) Nach § 630 BGB kann bei der Beendigung eines dauernden Dienstverhältnisses der Dienstverpflichtete von dem Dienstgeber ein schriftliches Zeugnis über das Dienstverhältnis und dessen Dauer fordern. Auf Verlangen ist das Zeugnis auf die Leistung und Führung im Dienst zu erstrecken. Der Gläubiger hat daher ein Wahlrecht zwischen einem einfachen und einem qualifizierten Zeugnis. Bei dem Zeugnisanspruch nach § 630 BGB handelt es sich damit um einen sog. verhaltenen Anspruch, der zwar spätestens mit der Beendigung des Dienstverhältnisses entsteht (vgl. - AP BGB § 630 Nr. 16 = EzA BGB § 630 Nr. 11; - 5 AZR 515/80 - zu I 3 b der Gründe, BAGE 42, 41), der in seiner Erfüllbarkeit aber davon abhängig ist, dass der Gläubiger sein Wahlrecht bereits ausgeübt hat (vgl. etwa ErfK/Müller-Glöge 13. Aufl. § 109 GewO Rn. 7; Staudinger/Preis [2012] § 630 Rn. 11; MüArbR/Wank 3. Aufl. § 105 Rn. 5). Der Dienstgeber gerät mit seiner Pflicht zur Erteilung eines Zeugnisses nach § 630 BGB erst in Verzug iSd. § 286 Abs. 1 BGB, wenn der Dienstverpflichtete sein Wahlrecht ausgeübt und - bei Nichterteilung des Zeugnisses - dessen Erteilung gegenüber dem Schuldner iSv. § 286 Abs. 1 Satz 2 BGB angemahnt hat, sofern eine Mahnung nicht gemäß § 286 Abs. 2 BGB ausnahmsweise entbehrlich ist (vgl. etwa ErfK/Müller-Glöge § 109 GewO Rn. 63; Staudinger/Preis [2012] § 630 Rn. 76).
17b) Danach befand sich die Beklagte bei der Ablehnung der Bewerbung des Klägers durch die Fa. H am mit der Erteilung des Zeugnisses nicht im Verzug. Der Kläger hatte erstmals per E-Mail vom die Erteilung eines Zeugnisses begehrt. Nach den nicht erfolgreich mit Verfahrensrügen angegriffenen und damit für den Senat bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger von der Beklagten vor der Ablehnung seiner Bewerbung durch die Fa. H im Januar 2009 kein Zeugnis verlangt. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger sei hinsichtlich seiner Behauptung, die Schreiben vom 10. September, 9. Oktober, 29. Oktober und , mit denen er die Erteilung eines Zeugnisses verlangt habe, seien der Beklagten zugegangen, beweisfällig geblieben. Diese Würdigung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die vom Kläger erhobene Verfahrensrüge, das Landesarbeitsgericht hätte ihn hinsichtlich seiner Behauptungen in Bezug auf die Absendung der vier Schreiben gemäß § 448 ZPO als Partei vernehmen müssen, greift nicht durch.
18aa) Die Entscheidung über die Vernehmung einer Partei von Amts wegen nach § 448 ZPO ist in das Ermessen des Tatrichters gestellt. Sie darf nur angeordnet werden, wenn aufgrund einer vorangegangenen Beweisaufnahme oder des sonstigen Verhandlungsinhalts eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die zu beweisende Tatsache spricht (vgl. etwa - zu B III 2 b bb der Gründe, BAGE 100, 52; - 2 AZR 712/98 - zu II 2 f dd der Gründe, AP GrO kath. Kirche Art. 4 Nr. 1 = EzA BGB § 611 Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 45).
19bb) Danach ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts, von einer Parteivernehmung des Klägers abzusehen, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Landesarbeitsgericht hat im Einzelnen ausgeführt, aufgrund der fehlenden klägerischen Darlegungen zu den näheren Umständen der Versendung der Schreiben sei nicht von der erforderlichen gewissen Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der klägerischen Behauptungen auszugehen; daher sei auch nicht zu erwarten gewesen, dass die Vernehmung des Klägers als Partei zur Ausräumung von Zweifeln geeignet gewesen wäre. Mit dieser Argumentation hat sich der Kläger in der Revision nicht auseinandergesetzt.
20c) Da der Kläger somit erstmals nach der Ablehnung der Bewerbung durch die Fa. H ein Zeugnis von der Beklagten verlangt hat, kann dahinstehen, ob er dadurch sein Wahlrecht nach § 630 BGB ausgeübt hat und ob nach der Nichterteilung des Zeugnisses nach Ausübung des Wahlrechts eine Mahnung erforderlich gewesen wäre, um die Beklagte in Verzug zu setzen.
3. Der Kläger hat die Kosten der Revision gemäß § 97 ZPO zu tragen.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
BB 2013 S. 1076 Nr. 18
DB 2013 S. 1307 Nr. 23
FAAAE-34528