Griechische Aktiengesellschaft - Betriebsstilllegung - Heilung von Fehlern bei Massenentlassungsanzeige - Entbehrlichkeit eines Konsultationsverfahren - Stellungnahme des Betriebsrats - Einigungsstellenverfahren
Gesetze: § 17 Abs 2 KSchG, § 17 Abs 3 S 2 KSchG, § 17 Abs 3 S 3 KSchG, § 125 Abs 2 InsO, § 335ff InsO, § 335 InsO, Art 2 EGRL 59/98, Art 6 EGRL 59/98
Instanzenzug: ArbG Frankfurt Az: 2 Ca 371/10 Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 17 Sa 177/11 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten noch über eine ordentliche betriebsbedingte Beendigungskündigung.
2Die Beklagte zu 1., eine Aktiengesellschaft nach griechischem Recht mit Sitz in Athen, ist eine ehemalige Fluggesellschaft, deren Hauptanteilseigner der griechische Staat ist. Sie unterhielt in Deutschland eine Niederlassung in F mit 36 Arbeitnehmern. Daneben waren weitere 33 Arbeitnehmer in den Stationen M, S, B und D tätig. An allen Standorten bestand ein Betriebsrat, zudem war ein Gesamtbetriebsrat gebildet.
3Zur Aufrechterhaltung des Flugbetriebs gewährte der griechische Staat der Beklagten zu 1. in der Vergangenheit wiederholt Leistungen, was zur Einleitung mehrerer Verfahren wegen unionsrechtswidriger Beihilfen durch die Europäische Kommission führte. Im Jahr 2008 unterrichtete Griechenland die Europäische Kommission gemäß Art. 88 Abs. 3 EGV (jetzt: Art. 108 Abs. 3 AEUV) über Pläne, bestimmte Vermögenswerte ua. der Beklagten zu 1. an die Pantheon S.A. zu verkaufen und im Anschluss die Beklagte zu 1. zu liquidieren. Im September 2008 entschied daraufhin die Kommission, dass die gemeldete Maßnahme keine staatliche Beihilfe iSv. Art. 87 Abs. 1 EGV (jetzt: Art. 107 Abs. 1 AEUV) darstelle.
Im Anschluss verabschiedete der griechische Gesetzgeber mit Wirkung zum das Gesetz 3710/2008, mit dessen Artikel 40 in das Gesetz 3429/2005 Artikel 14 A neu hinzugefügt wurde. Art. 14 A lautet in der beglaubigten Übersetzung auszugsweise:
5Im Zuge der Umsetzung des der Europäischen Kommission vorgestellten Privatisierungsverfahrens stellte die Beklagte zu 1. Ende September 2009 den Flugbetrieb weltweit ein. Anschließend nahm die P S.A. den Flugbetrieb in Griechenland auf, ohne Ziele von und nach Deutschland anzusteuern, und firmierte Anfang Oktober 2009 zur Beklagten zu 2. um.
6Auf Antrag der Griechischen Republik vom unterstellte das Berufungsgericht Athen (Efeteio) mit Beschluss vom die Beklagte zu 1. der Sonderliquidation nach Art. 14 A des Gesetzes 3429/2005 und setzte die E S.A., eine Aktiengesellschaft griechischen Rechts mit Sitz in Athen, als Liquidatorin ein. Bereits am war in der Zeitung der Regierung der Griechischen Republik (Band Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Bl. Nr. 3847) ein Protokoll des Verwaltungsrats der E S.A. veröffentlicht worden. Danach hatte dieser entschieden, dem Direktor T und dem geschäftsführenden Ratsmitglied Ma, mit der Möglichkeit, dass jeder getrennt handelt, die volle Verwaltungs- und Vertretungsmacht der Gesellschaft zu übertragen, für alle Fragen außer denjenigen, welche, nach dem Gesetz, eine kollektive Handlung des Verwaltungsrats erfordern. Im Rahmen ihrer Handlungsmacht sollten diese Mitglieder des Verwaltungsrats das Recht haben, unter Gewährung von diesbezüglichen notariellen Vollmachten oder Vollmachtsurkunden die Ausführung konkreter Aufträge zur Vertretung der Gesellschaft vor Verwaltungs- oder Gerichtsbehörden oder gegenüber Dritten an Angestellte der Gesellschaft oder andere zu übertragen.
7Von August bis Dezember 2009 fanden in Deutschland zwischen der Beklagten zu 1. und dem Gesamtbetriebsrat Interessenausgleichsverhandlungen vor der Einigungsstelle statt. Die Verhandlungen über einen Interessenausgleich scheiterten, der Sozialplan vom erging als Spruch der Einigungsstelle.
8Die Klägerin war seit dem bei der Beklagten zu 1. bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt, zuletzt als Leadofficer. Die maßgeblichen Arbeitsbedingungen ergaben sich aus den im Arbeitsvertrag in Bezug genommenen Beschäftigungsbestimmungen. Gemäß Ziff. 20 dieser Bestimmungen galten sie für die im Anhang 1 aufgeführten Personengruppen, die örtlich in Deutschland durch die Beklagte zu 1. angestellt wurden. Dazu gehörte auch der Leadofficer.
Mit Schreiben vom leitete Rechtsanwalt G, der spätere Prozessbevollmächtigte der Beklagten zu 1., die Anhörung des Betriebsrats der Niederlassung F zur beabsichtigten Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin ein. In diesem Schreiben ist ua. ausgeführt:
Am erstattete die Beklagte zu 1. bei der Agentur für Arbeit F eine Massenentlassungsanzeige zur Beendigung aller 36 Arbeitsverhältnisse. Mit Schreiben vom bestätigte die Agentur für Arbeit den Eingang der Massenentlassungsanzeige „vom der O S.A.“ und teilte mit:
Mit weiterem Schreiben vom teilte die Agentur für Arbeit darüber hinaus mit:
12Wegen fehlender Originalvollmacht rügte der Betriebsrat mit Schreiben vom die eingeleitete Betriebsratsanhörung nach § 174 BGB und teilte mit, er habe die beabsichtigte Kündigung nur hilfsweise behandelt und widerspreche der Kündigung.
Mit Schreiben vom kündigte Rechtsanwalt G „namens und in Vollmacht des Sonderliquidators“ das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum . Im Betreff dieses Schreibens ist angegeben:
14Dem Kündigungsschreiben war eine von Herrn Ma für die E S.A. unterzeichnete, auf Rechtsanwalt G lautende Originalvollmacht beigefügt. Ebenso kündigte Rechtsanwalt G die Arbeitsverhältnisse aller anderen Arbeitnehmer der Beklagten zu 1. in Deutschland.
15Mit ihrer fristgerecht eingegangenen Klage wendet sich die Klägerin gegen die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses. Bis zur Berufungsinstanz hat sie darüber hinaus den Übergang des Arbeitsverhältnisses auf die Beklagte zu 2. geltend gemacht. In der Klageschrift ist als Beklagte zu 1. die „Firma O S.A. unter Sonderliquidation des Artikel 14 A des Gesetzes 3429/2005 der Hellenischen Republik Griechenland, vertreten und verwaltet von der Liquidatorin der E A.E., diese vertreten durch die Geschäftsführung, Zweigniederlassung Deutschland“ angegeben. Der Klageschrift war ua. eine Ablichtung des Kündigungsschreibens beigefügt.
16Soweit für die Revision von Bedeutung, hat die Klägerin bereits erstinstanzlich die Auffassung vertreten, die Kündigung sei ua. deshalb unwirksam, weil es an der erforderlichen Unterrichtung und Stellungnahme des Betriebsrats zur Massenentlassungsanzeige fehle. Dem Betriebsrat sei dadurch die Möglichkeit genommen worden, der Agentur für Arbeit den Ausgang des Einigungsstellenverfahrens mitzuteilen und darauf hinzuweisen, dass er den Spruch der Einigungsstelle anfechten werde.
Die Klägerin hat zuletzt - soweit für die Revision noch von Interesse - unter Klarstellung, dass mit diesem Antrag kein allgemeiner Feststellungsantrag verbunden sein soll, beantragt
18Die Beklagte zu 1. hat ihren Klageabweisungsantrag hinsichtlich der Rüge der Verletzung des § 17 KSchG allein damit begründet, die Agentur für Arbeit habe bestandskräftig die Wirksamkeit der Anzeige festgestellt und die Zustimmung zu den angezeigten Kündigungen erteilt. Dieser rechtskräftige Verwaltungsakt binde die Arbeitsgerichte.
Das Arbeitsgericht hat nach Erörterung das Passivrubrum bezüglich der Beklagten zu 1. auf die E S.A., vertreten durch den Vorstand, als Sonderliquidator über das Vermögen der Firma O S.A., geändert und hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Es hat ua. angenommen, die Kündigung sei nicht gemäß § 17 KSchG iVm. § 134 BGB unwirksam. Zwar bestünden Bedenken, ob den Anforderungen des § 17 Abs. 2 KSchG und des § 17 Abs. 3 Satz 2 bzw. Satz 3 KSchG genügt sei. Etwaige Fehler seien jedoch durch einen bestandskräftigen Verwaltungsakt der Agentur für Arbeit geheilt. Mit der gegenüber der Beklagten zu 1. zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Rechtsschutzziel in Bezug auf die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung weiter.
Gründe
20Die Revision ist begründet. Die Beklagte zu 1. hat den ihr nach § 17 KSchG obliegenden Pflichten in mehrfacher Weise nicht genügt. Sie hat kein Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG mit dem dafür zuständigen Gesamtbetriebsrat durchgeführt. Zudem war der Massenentlassungsanzeige entgegen § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG keine Stellungnahme des Gesamtbetriebsrats beigefügt. Die Beklagte zu 1. hat auch nicht glaubhaft gemacht, dass die Voraussetzungen des § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG vorgelegen haben, so dass die Beifügung der Stellungnahme entbehrlich gewesen wäre. Die Massenentlassungsanzeige war deshalb unwirksam. Diese Unwirksamkeit ist, anders als das Landesarbeitsgericht angenommen hat, durch die Schreiben der Agentur für Arbeit vom nicht geheilt worden. Die Kündigung der Beklagten zu 1. vom ist deshalb unwirksam.
21A. Die deutschen Gerichte sind auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) für die Entscheidung des Rechtsstreits international zuständig. Der für die Anwendung der EuGVVO erforderliche Auslandsbezug (vgl. dazu - [Lindner] Rn. 29, ZIP 2011, 2377) ergibt sich daraus, dass die Beklagte zu 1. ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat (vgl. - [Owusu] Rn. 26, Slg. 2005, I-1383). Das vorliegende Kündigungsschutzverfahren ist kein Annexverfahren iSd. Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (EuInsVO), bei dem aufgrund der Bereichsausnahme in Art. 1 Abs. 2 Buchst. b EuGVVO die internationale Zuständigkeit den Gerichten des Staats der Verfahrenseröffnung, hier also den griechischen Gerichten, zugeordnet wäre. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das über das Vermögen der Beklagten zu 1. mit Beschluss des Berufungsgerichts Athen vom eröffnete Sonderliquidationsverfahren nach Art. 14 A des Gesetzes 3429/2005 idF des Art. 40 des Gesetzes 3710/2008 (künftig: Sonderliquidationsverfahren) ein Insolvenzverfahren iSv. Art. 2 Buchst. a EuInsVO darstellt. Kündigungsschutzklagen gegen eine wie hier nach deutschem Recht erklärte Kündigung fehlt der spezifische Insolvenzbezug, um den für die Annahme eines Annexverfahrens erforderlichen engen Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren zu bejahen. Dies gilt auch dann, wenn die kurze Kündigungsfrist des § 113 InsO maßgeblich sein soll. Solche Klagen haben ihren Rechtsgrund nicht im Insolvenzrecht, sondern im Arbeitsrecht. Für solche Verfahren bestimmt sich die internationale Zuständigkeit deshalb nach der EuGVVO und nicht nach der EuInsVO (ausführlich - Rn. 16 ff., ZIP 2012, 2312). Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich, wenn nicht gemäß Art. 19 Nr. 2 Buchst. a EuGVVO aus dem Gerichtsstand des gewöhnlichen Arbeitsorts, so jedenfalls aufgrund der rügelosen Einlassung der Beklagten zu 1. aus Art. 24 EuGVVO.
22B. Die Beklagte zu 1. als Schuldnerin ist, vertreten durch die E S.A. als Sonderliquidatorin, passivlegitimiert. Die Auswirkungen der Bestellung der E S.A. zur Liquidatorin über das Vermögen der Beklagten zu 1. als Schuldnerin sowie ihre Befugnisse und ihre Rechtsstellung als Liquidatorin beurteilen sich unabhängig davon, ob das Sonderliquidationsverfahren ein Insolvenzverfahren iSv. Art. 2 Buchst. a EuInsVO darstellt, nach griechischem Recht. Einer Vorlage nach Art. 267 AEUV an den Gerichtshof der Europäischen Union zur Klärung dieser Frage bedarf es darum nicht.
23I. Gemäß Art. 14 A Ziff. 4 Satz 1 des Gesetzes 3429/2005 hat die Sonderliquidation nicht die Auflösung des Schuldnerunternehmens zur Folge. Der Liquidator wird nicht Rechtsnachfolger des Unternehmens. Vielmehr werden gemäß Art. 14 A Ziff. 4 Satz 3 des Gesetzes 3429/2005 die Geschäfte dieses Unternehmens von dem Liquidator, der das Unternehmen vertritt, lediglich geführt. Anders als im deutschen Recht verbleibt damit die Arbeitgeberstellung bei dem Schuldnerunternehmen.
24II. Diese nach dem griechischen Recht vorliegende Rechtsstellung von Schuldnerunternehmen und Liquidator ist vorliegend maßgeblich.
251. Sollte das Sonderliquidationsverfahren nach Maßgabe der Art. 16 und Art. 17 EuInsVO anzuerkennen sein, weil für Griechenland das Sonderliquidationsverfahren im Anhang A zur EuInsVO und der Sonderliquidator im Anhang C aufgeführt sind (in diesem Sinne wohl Mankowski Anm. NZI 2011, 876, 877), wäre gemäß Art. 4 EuInsVO iVm. Art. 18 Abs. 1 EuInsVO für die Befugnisse der Beklagten zu 1. als Schuldnerin und der E S.A. als Liquidatorin griechisches Recht maßgeblich (lex fori concursus).
262. Wäre das Sonderliquidationsverfahren vom closed-list-system der EuInsVO nicht erfasst und damit der Anwendungsbereich dieser Verordnung nicht eröffnet, bestimmten sich die Befugnisse von Schuldnerin und Liquidatorin gemäß § 335 InsO ebenfalls nach griechischem Recht.
27a) In diesem Fall käme eine Anerkennung dieses Verfahrens nach dem in den §§ 335 ff. InsO normierten deutschen autonomen Internationalen Insolvenzrecht in Betracht (vgl. - Rn. 11, BGHZ 188, 177; Stephan in HK-InsO 6. Aufl. Vor §§ 335 ff. Rn. 18 ff.; HambKomm/Undritz 4. Aufl. Vorbemerkungen zu §§ 335 ff. InsO Rn. 15; Mankowski Anm. NZI 2011, 876, 877; ders. WM 2011, 1201, 1202). Die EuInsVO verdrängt das autonome nationale Recht außerhalb ihres Anwendungsbereichs nicht. Wird ein nationales Insolvenzverfahren von den Anhängen der EuInsVO nicht erfasst, verbleibt ein Spielraum, den das nationale Internationale Insolvenzrecht nutzen kann (Mankowski Anm. NZI 2011, 876, 877). Dies nimmt den Definitionen der EuInsVO als speziellerer Regelung des europäischen Internationalen Insolvenzrechts und deren Anhängen nicht die praktische Wirksamkeit (aA Cranshaw DZWIR 2012, 133, 134). Für die von ihren Anhängen nicht erfassten Verfahren reklamiert die EuInsVO keine Geltung und entfaltet daher keine Regelungssperre für das nationale autonome Internationale Insolvenzrecht. Insoweit gilt nichts anderes als für die Bereichsausnahmen des Art. 1 Abs. 2 EuInsVO (vgl. dazu MünchKommBGB/Kindler 5. Aufl. Vor §§ 335 ff. InsO Rn. 3).
28b) Wäre das Sonderliquidationsverfahren nach § 343 InsO anzuerkennen, so bestimmten sich die Befugnisse von Schuldnerin und Liquidatorin gemäß § 335 InsO ebenfalls nach griechischem Recht als dem lex fori concursus (vgl. LSZ/Smid Internationales Insolvenzrecht 2. Aufl. InsO § 335 Rn. 8; MünchKommInsO/Reinhart 2. Aufl. § 335 Rn. 65).
29c) Sollte das Sonderliquidationsverfahren dagegen nicht als Insolvenzverfahren iSd. §§ 335 ff. InsO zu qualifizieren sein, so dass eine Anerkennung nach § 343 InsO ausschiede, wäre die gesellschaftsrechtliche Frage, wie die Beklagte zu 1. als Schuldnerin (organschaftlich) vertreten ist, gleichwohl nach griechischem Recht zu beantworten. Das Gesellschaftsstatut richtet sich nach dem Gründungsstatut und damit für die in Griechenland gegründete Beklagte zu 1. nach griechischem Recht. Nach allgemeiner Auffassung, die sich auf die Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union in den Sachen Centros ( - C-212/97 - Slg. 1999, I-1459), Überseering ( - C-208/00 - Slg. 2002, I-9919) und Inspire Art ( - C-167/01 - Slg. 2003, I-10155) stützt, richtet sich das Gesellschaftsstatut von Gesellschaften, die in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union gegründet worden sind, nicht nach ihrem Verwaltungssitz, sondern nach ihrem Gründungsort, weil nur so die europarechtlich verbürgte Niederlassungsfreiheit gewährt werden kann (vgl. - Rn. 22, BGHZ 190, 364).
30C. Die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung der Beklagten zu 1. bestimmt sich nach deutschem Arbeitsrecht. Auch insoweit kann dahinstehen, ob das Sonderliquidationsverfahren der EuInsVO unterfällt, so dass auch zur Klärung der sich in diesem Zusammenhang stellenden Fragen keine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union erforderlich ist.
31I. Ist der Anwendungsbereich der EuInsVO eröffnet, ist gemäß Art. 10 EuInsVO für die Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf einen Arbeitsvertrag und auf das Arbeitsverhältnis ausschließlich das Recht des Mitgliedstaats maßgeblich, das auf den Arbeitsvertrag anzuwenden ist (lex causae). Wäre das Sonderliquidationsverfahren nach § 343 InsO anzuerkennen, wäre gemäß § 337 InsO ebenfalls das Arbeitsvertragsstatut maßgeblich. Die Bestimmung des § 337 InsO ist Art. 10 EuInsVO nachgebildet (vgl. BT-Drucks. 15/16 S. 18). Das Recht des Staats, dem das Arbeitsverhältnis unterliegt, soll auch die Wirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf diese Rechtsbeziehung bestimmen (Braun/Tashiro InsO 5. Aufl. § 337 Rn. 3). Läge überhaupt kein anzuerkennendes Insolvenzverfahren vor, wäre nach den Grundsätzen des Internationalen Privatrechts zu bestimmen, welches Recht Anwendung fände.
32II. In allen drei denkbaren Konstellationen ist nach den vorliegend noch maßgeblichen Art. 27, 30 und 34 EGBGB zu ermitteln, welches Recht Anwendung findet. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, dass nach diesen Kollisionsregeln des Internationalen Privatrechts für das Arbeitsverhältnis der Parteien deutsches Arbeitsrecht maßgeblich ist. Rechtsfehler sind insoweit nicht ersichtlich, und die Feststellung wird auch von keiner Partei angegriffen.
33D. Die Dreiwochenfrist des § 4 KSchG ist gewahrt. Die Klägerin hat Klage gegen die O S.A. unter Sonderliquidation und damit gegen die Beklagte zu 1. erhoben. Wie unter Rn. 23 ausgeführt, ist unter Beachtung des maßgeblichen griechischen Rechts die Arbeitgeberstellung bei der Beklagten zu 1. verblieben, die durch die E S.A. als Sonderliquidatorin vertreten wird. Die Kündigungsschutzklage war deshalb gegen die Beklagte zu 1. zu richten. Die vom Arbeitsgericht vorgenommene Berichtigung der Parteibezeichnung war unzutreffend. Der Senat hat die infolge der fehlerhaften Parteiberichtigung unrichtig gewordene Parteibezeichnung abermals „berichtigt“.
34E. Die Klage ist nicht unschlüssig, weil die Klägerin behauptet, ihr Arbeitsverhältnis sei im Wege eines Betriebsübergangs bereits Ende September 2009, also vor Zugang der Kündigung vom , auf die Beklagte zu 2. übergegangen. Sie hat sich das Vorbringen der Beklagten zu 1. und 2. es liege kein Betriebsübergang vor, hilfsweise zu eigen gemacht und ihre Klage auch hierauf gestützt. Damit ist die Klage jedenfalls nach dem Hilfsvorbringen schlüssig ( - Rn. 20, EzA BGB 2002 § 613a Nr. 132).
35F. Zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bestand das zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1. begründete Arbeitsverhältnis noch. Nach den mit der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist das Arbeitsverhältnis nicht auf die Beklagte zu 2. übergegangen, weil das Arbeitsverhältnis der Klägerin keinem etwaig übergegangenen Betriebsteil zuzuordnen ist.
36G. Die Beklagte zu 1. hat den ihr nach § 17 KSchG obliegenden Pflichten in mehrfacher Weise nicht genügt. Dies führt zur Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige und hat die Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge. Darum kann dahinstehen, ob die weiteren von der Klägerin geltend gemachten Unwirksamkeitsgründe vorliegen.
37I. Die am angezeigte Maßnahme war nach § 17 KSchG anzeigepflichtig. Alle in der Niederlassung F beschäftigten 36 Arbeitnehmer sollten entlassen werden. Damit war der Schwellenwert des § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG überschritten. Darüber besteht zwischen den Parteien kein Streit.
38II. Die Beklagte zu 1. hat das nach § 17 Abs. 2 KSchG erforderliche Konsultationsverfahren nicht durchgeführt.
391. Entgegen der im Revisionsverfahren von der Beklagten zu 1. vertretenen Auffassung war das Konsultationsverfahren nicht entbehrlich, weil der Betrieb der Beklagten zu 1. stillgelegt worden ist und alle Arbeitnehmer entlassen worden sind. Die Beklagte zu 1. macht geltend, in einer solchen Situation habe die Arbeitnehmervertretung keine Möglichkeit, konstruktive Vorschläge zu unterbreiten, um die Massenentlassungen zu vermeiden oder auch nur zu beschränken. Die Milderung der Folgen der Massenentlassung erfolge durch den beschlossenen Sozialplan. Mit dieser Argumentation verkürzt die Beklagte zu 1. den Zweck des Konsultationsverfahrens.
40a) Die Unterrichtung der Arbeitnehmervertretung soll es dieser ermöglichen, konstruktive Vorschläge zur Vermeidung oder Einschränkung der Massenentlassungen zu unterbreiten ( - Rn. 60 mwN, ZIP 2012, 2412). Die Beratungen mit der Arbeitnehmervertretung müssen sich dabei nicht auf die Vermeidung oder Beschränkung der Massenentlassungen beziehen. Sie können auch die Möglichkeit betreffen, die Folgen solcher Entlassungen durch soziale Begleitmaßnahmen zu mildern. Dabei kann es sich insbesondere um Hilfen für eine anderweitige Verwendung oder Umschulungen der entlassenen Arbeitnehmer handeln ( ua. - [Claes] Rn. 56, NZA 2011, 337).
41b) Solche Beratungen, die vor allem auf die Zahlung von Abfindungen oder die Einrichtung einer Transfergesellschaft zielen, sind zwar auch Gegenstand der Sozialplanverhandlungen, insbesondere dann, wenn über einen Transfersozialplan verhandelt wird, der von der Bundesagentur für Arbeit gemäß § 110 SGB III (bis zum § 216a SGB III) gefördert werden soll. Unabhängig davon handelt es sich dabei um unterschiedliche Verfahren, die nicht vollständig deckungsgleich sind. Auch bei einer geplanten Betriebsstilllegung muss deshalb bei Vorliegen der jeweiligen gesetzlichen Voraussetzungen nicht nur das Verfahren nach den §§ 111 ff. BetrVG, sondern auch das nach § 17 Abs. 2 KSchG durchgeführt werden. Die verschiedenen Beteiligungsverfahren können lediglich, soweit die Pflichten nach den unterschiedlichen Verfahren übereinstimmen, miteinander verbunden und damit vom Arbeitgeber gleichzeitig erfüllt werden. Eine solche Verbindung verletzt keine unionsrechtlichen Vorgaben (vgl. - Rn. 47 ff., ZIP 2012, 2412). Das Konsultationsverfahren ist nur dann entbehrlich, wenn kein Arbeitgeber mehr vorhanden ist, der als Ansprechpartner für Verhandlungen dienen könnte. Ein solcher Fall liegt bei der Stilllegung eines von einer natürlichen Person geführten Betriebs infolge des Tods des Arbeitgebers, der nach dem spanischen Recht die Beendigung der Arbeitsverträge zur Folge hat, vor ( - [Rodgríguez Mayor] Rn. 44, Slg. 2009, I-11621), nicht aber bei einer Betriebsstilllegung wie der von der Beklagten zu 1. beabsichtigten.
422. Das Konsultationsverfahren hätte mit dem Gesamtbetriebsrat durchgeführt werden müssen. Für dieses Verfahren war der Gesamtbetriebsrat gemäß § 50 Abs. 1 BetrVG originär zuständig, weil der geplante Personalabbau auf der Grundlage eines unternehmenseinheitlichen Konzepts durchgeführt werden sollte und mehrere Betriebe von der Betriebsänderung betroffen waren. Die Unterrichtung der Arbeitnehmervertretung soll es dieser, wie ausgeführt, ermöglichen, konstruktive Vorschläge zur Vermeidung oder Einschränkung der Massenentlassungen zu unterbreiten. Sind mehrere Betriebe von einer nach einem einheitlichen Unternehmenskonzept durchgeführten Betriebsänderung betroffen, kann nur durch eine Durchführung des Konsultationsverfahrens auf der Ebene des Gesamtbetriebsrats den betriebsübergreifenden Zusammenhängen Rechnung getragen werden und eine ggf. betriebsübergreifende Lösung zur Vermeidung oder Einschränkung der geplanten Massenentlassungen bzw. einer sozialen Abmilderung der Folgen einer solchen Entlassung entwickelt werden (APS/Moll 4. Aufl. § 17 KSchG Rn. 74c mwN; Hützen ZInsO 2012, 1801, 1803). Erforderliche Kenntnisse des Gesamtbetriebsrats über die betrieblichen und regionalen Verhältnisse sind dadurch gewährleistet, dass jeder örtliche Betriebsrat mindestens ein Mitglied in den Gesamtbetriebsrat entsendet (vgl. - Rn. 28, AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 165 = EzA BetrVG 2001 § 26 Nr. 3).
433. Die Beklagte zu 1. hat nicht dargelegt, dass sie mit dem zuständigen Gremium ein ordnungsgemäßes Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG durchgeführt hat. Sie hat hinsichtlich der Erfüllung ihrer Pflichten aus § 17 KSchG lediglich auf die Heilungswirkung der Bescheide der Agentur für Arbeit verwiesen.
44III. Die Beklagte zu 1. ist außerdem ihrer Verpflichtung gemäß § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG, der Massenentlassungsanzeige eine Stellungnahme des Betriebsrats beizufügen, nicht nachgekommen.
451. Dabei kann zugunsten der Beklagten zu 1. unterstellt werden, dass, wie sie in der Revisionsinstanz vorgetragen hat, der Massenentlassungsanzeige das Protokoll der Einigungsstellensitzung vom und der auf dieser Sitzung ergangene Spruch beigefügt waren. Diese Unterlagen genügten den Anforderungen an eine Stellungnahme iSv. § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG nicht, weil sich ihnen keine abschließende Meinungsäußerung des Gesamtbetriebsrats zu den angezeigten Kündigungen entnehmen ließ. Die Voraussetzungen des § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG lagen nicht vor.
462. Die Stellungnahme ist auch nicht nach § 125 Abs. 2 InsO ersetzt worden, weil kein Interessenausgleich mit Namensliste zustande gekommen ist. Entgegen der von der Beklagten zu 1. im Revisionsverfahren vertretenen Auffassung ersetzt ein Einigungsstellenverfahren, an dem der zuständige Gesamtbetriebsrat beteiligt worden ist und das zu einem Spruch der Einigungsstelle über einen Sozialplan geführt hat, die nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG erforderliche Stellungnahme nicht. Die gesetzliche Fiktion des § 125 Abs. 2 InsO gilt nur für den Interessenausgleich mit Namensliste, nicht für den Sozialplan durch Spruch der Einigungsstelle.
47IV. Sowohl die Missachtung der Pflicht, ein Konsultationsverfahren durchzuführen, als auch der Verstoß gegen die Pflichten aus § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG führen zur Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige.
481. Die Massenentlassungsanzeige ist bereits deshalb unwirksam, weil die Beklagte zu 1. kein Konsultationsverfahren mit dem dafür zuständigen Gremium durchgeführt hat.
49a) Jedenfalls dann, wenn wie im vorliegenden Fall das Konsultationsverfahren überhaupt nicht durchgeführt worden ist, führt die Verletzung der dem Arbeitgeber nach § 17 Abs. 2 KSchG obliegenden Pflichten zu einer Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige (ErfK/Kiel 13. Aufl. § 17 KSchG Rn. 24; v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG 14. Aufl. § 17 Rn. 56; KR/Weigand 10. Aufl. § 17 KSchG Rn. 63; HaKo/Pfeiffer 4. Aufl. § 17 KSchG Rn. 54; Backmeister in Backmeister/Trittin/Mayer KSchG 4. Aufl. § 17 Rn. 23; Schramm/Kuhnke NZA 2011, 1071, 1074; Reinhard RdA 2007, 207, 213; Hinrichs Kündigungsschutz und Arbeitnehmerbeteiligung bei Massenentlassungen S. 174; wohl auch Bader/Bram/Dörner/Suckow § 17 Rn. 82; unklar Niklas/Koehler NZA 2010, 913, 918, die annehmen, jedenfalls sei eine Missachtung nicht ohne Bedeutung; differenzierend APS/Moll 4. Aufl. § 17 KSchG Rn. 76 ff.).
50aa) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union besteht das Hauptziel der MERL darin, Massenentlassungen Konsultationen mit Arbeitnehmervertretern und die Unterrichtung der zuständigen Behörde vorangehen zu lassen. Ausgehend von diesen Zielen hat der Gerichtshof den Arbeitnehmern ein kollektiv ausgestaltetes Recht auf Information und Konsultation im Vorfeld einer Massenentlassung zugebilligt und zur Wahrung dieses Rechts ein zumindest eingeschränktes Klagerecht der Arbeitnehmervertreter verlangt. Er hat damit der MERL und insbesondere der in deren Art. 2 geregelten Konsultationspflicht auch eine individualschützende Komponente, die zugunsten der Arbeitnehmer als Gemeinschaft ausgestaltet ist, zuerkannt (vgl. - Rn. 82 mwN aus der Rechtsprechung des EuGH, ZIP 2012, 1822). Art. 2 MERL ist das Kernstück dieser Richtlinie (Wißmann RdA 1998, 221, 224).
51bb) Die Vorschrift des § 17 Abs. 2 KSchG, die Art. 2 MERL in das nationale Recht umsetzt, enthält somit ein eigenständiges, gleichwertig neben den in § 17 Abs. 3 KSchG geregelten Verpflichtungen gegenüber der Agentur für Arbeit stehendes Formerfordernis (Reinhard RdA 2007, 207, 213). Dies schließt die Annahme aus, die Wirksamkeitsvoraussetzungen der Anzeige seien in § 17 Abs. 3 KSchG abschließend aufgezählt (anders noch die insoweit überholte Rechtsprechung des BAG vor der Entscheidung des - [Junk] Slg. 2005, I-885, vgl. nur - zu B II 2 b der Gründe, BAGE 84, 267, sowie APS/Moll 4. Aufl. § 17 KSchG Rn. 76 ff., der § 17 Abs. 3 KSchG immer noch als gegenüber § 17 Abs. 2 KSchG unabhängige und selbstständige Wirksamkeitsvoraussetzung ansieht und deshalb annimmt, dass bei Beifügung einer Stellungnahme oder Glaubhaftmachung nach § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG die Anzeige auch dann wirksam sei, wenn in Wirklichkeit keine ordnungsgemäße Unterrichtung erfolgt sei). Kommt der Arbeitgeber seinen Verpflichtungen, die Arbeitnehmervertretung gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG zu unterrichten und sich mit ihr iSd. § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG zu beraten, überhaupt nicht nach, führt vielmehr auch dieser Fehler zur Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige.
52b) Aus der von der Beklagten zu 1. angezogenen Passage aus dem Urteil des Senats vom (- 6 AZR 407/10 - Rn. 36, AP KSchG 1969 § 6 Nr. 6 = EzA KSchG § 6 Nr. 4) folgt nichts anderes. Die Ausführungen des Senats beziehen sich ausschließlich auf die fehlende Unterrichtung über die Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeitnehmer. Der Senat hat insoweit offengelassen, ob eine solche Verletzung der Konsultationspflicht nachteilige Rechtsfolgen für den Arbeitgeber haben könne. Eine partiell in einem Nebenpunkt unvollständige Information nach § 17 Abs. 2 KSchG ist jedoch mit dem vorliegenden Fall, in dem es an einem Konsultationsverfahren gänzlich fehlt, nicht zu vergleichen.
532. Die Massenentlassungsanzeige ist auch deshalb unwirksam, weil ihr entgegen § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG keine Stellungnahme des Betriebsrats beigefügt war und auch die Voraussetzungen des § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG nicht erfüllt waren. Die Beifügung der Stellungnahme bzw. die Glaubhaftmachung der Voraussetzungen des § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG sind Wirksamkeitsvoraussetzungen für die Anzeige (vgl. - Rn. 52, ZIP 2012, 1822). Soweit die Beklagte zu 1. im Revisionsverfahren geltend macht, die Agentur für Arbeit sei durch den Verstoß gegen § 17 Abs. 3 KSchG nicht in ihrer Prüfung beeinflusst worden, ob und welche arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen sie einleiten könne und wolle, legt sie nicht dar, worauf sie diese Behauptung stützt. Die Stellungnahme soll gegenüber der Agentur für Arbeit ua. belegen, ob und welche Möglichkeiten nach Auffassung der zuständigen Arbeitnehmervertretung bestehen, die angezeigten Kündigungen zu vermeiden oder deren Folgen zu mildern. Ferner soll eine ungünstige Stellungnahme des Betriebsrats der Agentur für Arbeit nicht vorenthalten werden (vgl. - Rn. 22, EzA KSchG § 17 Nr. 25). Es bleibt damit Spekulation, ob und welche arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen die Agentur für Arbeit bei einer auf ein ordnungsgemäßes Konsultationsverfahren folgenden Stellungnahme des Gesamtbetriebsrats eingeleitet hätte. Jedenfalls darf ihr eine solche Prüfung nicht durch das Unterlassen des Konsultationsverfahrens, das zugleich das Fehlen jeglicher Stellungnahme zur Folge hat, abgeschnitten werden.
54V. Die Fehler, die der Beklagten zu 1. bei der Erstattung der Massenentlassungsanzeige unterlaufen sind, sind nicht dadurch geheilt worden, dass die Arbeitsverwaltung diese Fehler nicht bemerkt, jedenfalls in den Schreiben vom nicht beanstandet hat.
551. Unabhängig davon, dass diese Schreiben mangels eines Regelungscharakters schon keine Verwaltungsakte waren (zu den Voraussetzungen eines Verwaltungsakts - Rn. 65 ff., ZIP 2012, 1822), hinderte selbst ein bestandskräftiger Bescheid der Arbeitsverwaltung nach § 18 Abs. 1, § 20 KSchG die Arbeitsgerichtsbarkeit nicht daran, die Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige festzustellen.
56a) Ob die Massenentlassungsanzeige ordnungsgemäß erstattet ist, ist lediglich Vorfrage für einen Bescheid der Arbeitsverwaltung nach § 18 Abs. 1, § 20 KSchG, gehört nicht zum Regelungsinhalt eines solchen Verwaltungsakts und wird deshalb von dessen Bestandskraft nicht erfasst (ausführlich - Rn. 25 ff., ZIP 2012, 2412; - 6 AZR 780/10 - Rn. 70 ff., ZIP 2012, 1822). Die Beteiligungspflichten des Ausschusses nach § 20 Abs. 3 KSchG und seine Verpflichtung gemäß § 20 Abs. 4 KSchG, das Interesse des Arbeitgebers, der zu entlassenden Arbeitnehmer, das öffentliche Interesse und die Lage des gesamten Arbeitsmarktes zu berücksichtigen, ändern daran nichts (aA wohl Ferme DB 2012, 2162, 2165). Diese Pflichten erstrecken sich nur auf die vom Ausschuss zu entscheidenden Fragen, also die Länge der Sperrfrist sowie den Zeitpunkt ihres Ablaufs und die Genehmigung, Entlassungen vor ihrem Ablauf vorzunehmen, nicht aber auf die inhaltliche Wirksamkeit der Massenentlassungsanzeige selbst.
57b) Darüber hinaus steht auch Art. 6 MERL der Annahme einer Heilungswirkung von Verwaltungsakten der Arbeitsverwaltung entgegen. Eine solche Auslegung der §§ 17 ff. KSchG führte zur Unterschreitung des von Art. 6 MERL geforderten Schutzniveaus und nähme den Anforderungen des § 17 KSchG ihre praktische Wirksamkeit (ausführlich - Rn. 29, ZIP 2012, 2412; - 6 AZR 780/10 - Rn. 76 ff., ZIP 2012, 1822). Soweit dem entgegengehalten wird, die MERL entfalte keine unmittelbare Drittwirkung (Ferme DB 2012, 2162, 2165 f.), missversteht diese Argumentation Art. 6 MERL. Nach dieser Bestimmung sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass den Arbeitnehmervertretern und/oder den Arbeitnehmern administrative und/oder gerichtliche Verfahren zur Durchsetzung der Verpflichtungen gemäß dieser Richtlinie zur Verfügung stehen. Die Mitgliedstaaten sind danach verpflichtet, Verfahren einzurichten, mit denen die Einhaltung der von der MERL vorgesehenen Verpflichtungen gewährleistet werden kann. Die nähere Ausgestaltung dieser teilharmonisierten Verfahren ist Sache der Mitgliedstaaten. Die Verfahrensausgestaltung darf den Bestimmungen der Richtlinie jedoch nicht ihre praktische Wirksamkeit iSd. Effektivitäts- und Äquivalenzprinzips nehmen ( - Rn. 50, ZIP 2012, 2412 unter Bezug auf - [Mono Car Styling] Rn. 33 ff., 38 ff. und 59 ff., Slg. 2009, I-6653). Die nationalen Gerichte sind Teil des Mitgliedstaats und daher gehalten, bei ihrer Auslegung nationalen Rechts, das wie § 17 KSchG Richtlinien der Europäischen Union umsetzt, das Gebot der Effektivität zu beachten (vgl. nur - [Adeneler] Rn. 122, Slg. 2006, I-6057). Mit der Frage der mittelbaren oder unmittelbaren Wirkung von Richtlinien hat das nichts zu tun.
582. Entgegen der Auffassung der Beklagten zu 1. und von Teilen des Schrifttums (Ferme DB 2012, 2162, 2165 f.) ist der Beklagten zu 1. kein Vertrauensschutz vor den Folgen der Rechtsprechungsänderung zur Heilungswirkung von Bescheiden der Arbeitsverwaltung durch die Entscheidung des Senats vom (- 6 AZR 780/10 - ZIP 2012, 1822) zu gewähren. Es kann daher dahinstehen, ob die Gewährung von Vertrauensschutz durch die nationalen höchsten Gerichte im Hinblick auf die gebotene unionsrechtskonforme Auslegung des § 17 KSchG, die neben verwaltungsverfahrensrechtlichen Gesichtspunkten des nationalen Rechts der Annahme einer Heilungswirkung von Bescheiden der Arbeitsverwaltung entgegensteht, überhaupt möglich wäre (vgl. dazu Koch SR 2012, 159, 166 ff.; Wißmann FS Bauer S. 1161, 1168).
59a) Die Beklagte zu 1. hat die gesetzlichen Vorgaben in § 17 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 bzw. Satz 3 KSchG eindeutig missachtet. Darauf, dass die Arbeitsverwaltung selbst eine derart eindeutig gesetzwidrige Handhabung der Vorschriften zur Massenentlassung hinnehmen und ungeachtet ihrer Verpflichtung, im Wege der Amtsermittlung die Vollständigkeit der Anzeige zu ermitteln und bei Zweifeln an der Erfüllung der formellen Voraussetzungen beim Arbeitgeber rückzufragen ( - Rn. 27, EzA KSchG § 17 Nr. 25), insbesondere das Fehlen der Stellungnahme des Betriebsrats nicht beanstanden würde, konnte die Beklagte zu 1. kein schutzwürdiges Vertrauen stützen.
60b) Unabhängig davon kommt die Gewährung von Vertrauensschutz hinsichtlich der Auslegung nationalen Rechts durch die nationale höchstrichterliche Rechtsprechung unter dem Gesichtspunkt des Art. 20 Abs. 3 GG nicht in Betracht (zu den diesbezüglichen Anforderungen vgl. - Rn. 85, BVerfGE 122, 248; - Rn. 15 ff., EzA KSchG § 17 Nr. 19). Der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 17 KSchG im Allgemeinen und zur Heilungswirkung von Verwaltungsakten der Arbeitsverwaltung im Besonderen, die auf der Annahme eines rein arbeitsmarktpolitischen Zwecks des Verfahrens der Massenentlassungsanzeige beruhte, ist durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union seit seiner Entscheidung vom (- C-188/03 - [Junk] Slg. 2005, I-885) die Grundlage entzogen. Dies gilt auch für die letzte Entscheidung des - 8 AZR 273/08 - AP BGB § 613a Nr. 370 = EzA KSchG § 17 Nr. 20), wie der Senat bereits ausführlich dargelegt hat ( - Rn. 82, ZIP 2012, 1822). Die Beklagte zu 1. durfte deshalb im Dezember 2009, also in dem Zeitpunkt, in dem die Massenentlassungsanzeige zu erstatten war, nicht mehr auf die Fortgeltung der bisherigen Rechtsprechung vertrauen. Auch wurden ihr nicht nachträglich durch eine Rechtsprechungsänderung Handlungspflichten auferlegt, die sie nun nicht mehr hätte erfüllen können. Vielmehr war es ihr ohne Weiteres möglich, den gesetzlichen Anforderungen des § 17 KSchG im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu genügen. Auf diese Anforderungen hätte sie sich deshalb einstellen müssen. Anlass, ihr Vertrauensschutz in den Fortbestand der Rechtsprechung zur Heilungswirkung von Bescheiden der Arbeitsverwaltung zu gewähren, bestand daher nicht.
61VI. Die fehlende Durchführung des Konsultationsverfahrens nach § 17 Abs. 2 KSchG und das Fehlen einer Stellungnahme des Betriebsrats iSv. § 17 Abs. 3 Satz 2 bzw. Satz 3 KSchG führten nicht nur zur Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige. Diese Fehler haben auch die Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge (ausführlich -).
H. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, § 92 Abs. 1 ZPO.
Fundstelle(n):
QAAAE-33603