BAG Urteil v. - 2 AZR 270/11

Anfechtung - Frage nach Vorstrafen und Ermittlungsverfahren - Offenbarungspflicht - Kündigung

Gesetze: § 123 Abs 1 Alt 1 BGB, § 119 Abs 2 BGB, § 626 Abs 1 BGB, § 1 Abs 2 S 1 Alt 2 KSchG, § 53 BZRG, Art 6 Abs 2 MRK

Instanzenzug: Az: 4 Ca 4246/09 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Az: 15 Sa 64/10 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Anfechtung sowie einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung ihres Arbeitsvertrags.

2Die Beklagte ist ein Automobilhersteller mit mehreren tausend Beschäftigten. Der Kläger bewarb sich bei ihr Ende 2006, Anfang 2007 von sich aus um eine Stelle. Er beschrieb sich dabei als Personenschützer mit langjähriger Erfahrung.

Anfang 2007 schrieb die Beklagte intern eine Stelle „Fahrer/in Fahrdienste Geschäftsleitung“ aus. In der Ausschreibung heißt es:

4Aufgrund seiner schon vorliegenden Bewerbung fand am ein Bewerbungsgespräch zwischen dem Kläger sowie dem Leiter Konzernsicherheit und der Personalreferentin der Beklagten statt. Anschließend vermittelte die Beklagte den Kläger an ein Wach- und Sicherheitsunternehmen. Dieses schloss mit ihm einen Arbeitsvertrag als Sicherheitsfachkraft und setzte ihn bei der Beklagten ein.

5Am schlossen die Parteien mit Wirkung ab dem einen Arbeitsvertrag. Nach Nr. 2 des Vertrags übernahm der Kläger „die Funktion Fahrer Geschäftsleitung im Bereich Unternehmenssicherheit-Fahrdienste Geschäftsleitung“.

6Am unterschrieb der Kläger einen Personalbogen. In dem Feld „Bewerbung als“ war „Vorstandsfahrer“ und in dem Feld „Kurztext Tätigkeit“ war „Fahrer Geschäftsleitung“ eingetragen. Auf die Frage: „Sind Sie einschlägig (bezogen auf die angestrebte Tätigkeit) vorbestraft oder schwebt ein entspr. Verfahren?“ gab der Kläger „nein“ an. In Wirklichkeit war er nach einer Auseinandersetzung, die sich im Januar 2002 im Rahmen einer Tätigkeit als Türsteher ereignet hatte, durch rechtskräftiges wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen verurteilt worden.

7Im Sommer/Herbst 2008 forderte die Beklagte den Kläger auf, die für die Beantragung eines Waffenscheins nötigen Unterlagen beizubringen.

8Ende Oktober 2008 geriet der Kläger außerdienstlich in einen Streit um einen freien Parkplatz. Am wurde er aufgrund dieses Vorfalls wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen verurteilt. Der betreffende Strafbefehl wurde am rechtskräftig.

9Anlässlich einer Festveranstaltung der Beklagten am , an welcher auch der Ministerpräsident des Landes teilnahm, überprüfte dessen Personenschutz-Kommission das eingesetzte Sicherheitspersonal. Danach wurde der Beklagten mitgeteilt, der Kläger dürfe sich nicht in der Nähe des Ministerpräsidenten aufhalten, da sich ein „positiver Befund“ ergeben habe. Daraufhin kam es zu einem Gespräch zwischen dem Kläger und drei Mitarbeitern der Beklagten um den Sachverhalt aufzuklären. Anschließend stellte die Beklagte den Kläger von seiner Arbeitsleistung frei.

10Am wurde der Kläger von der Beklagten gefragt, ob ihm Hinderungsgründe für die Erteilung eines Waffenscheins bekannt seien. Der Kläger verneinte dies und versicherte, nicht einschlägig vorbestraft zu sein.

11Mit Schreiben vom lehnte die Stadt Stuttgart die Erteilung eines Waffenscheins für den Kläger mangels „Zuverlässigkeit nach § 5 WaffG“ ab. Zur Begründung wurde auf die Vorfälle, welche zur Verhängung einer Geldstrafe geführt hatten, und darauf verwiesen, dass weitere Strafverfahren wegen Körperverletzung eingestellt oder die Geschädigten auf den Privatklageweg verwiesen worden waren. Zudem sei der Kläger vom Polizeiposten seines ehemaligen Wohnorts als „gewalttätig“ eingestuft worden.

Eine vom Kläger beim zuständigen Landeskriminalamt eingeholte - und von ihm selbst der Beklagten bekannt gegebene - Auskunft vom enthielt den Hinweis auf folgende Ermittlungsverfahren:

13Die beiden Schreiben wurden dem Kläger in einem Gespräch am im Beisein eines Betriebsratsmitglieds vorgehalten. Der Kläger erklärte, ihm seien die Vorgänge nicht bekannt.

14Am hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten fristlosen, hilfsweise ordentlichen Tat- und Verdachtskündigung an. Am teilte dieser mit, er nehme die Kündigungsabsicht zur Kenntnis. Mit Schreiben vom kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgerecht zum . Mit weiterem Schreiben vom selben Tag erklärte sie „die Anfechtung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 123 Abs. 1 BGB wegen arglistiger Täuschung im Einstellungsgespräch am “.

15Der Kläger hat mit seiner rechtzeitig erhobenen Klage die Auffassung vertreten, Kündigung und Anfechtung seien unwirksam. Er sei als Fahrer und nicht als Personenschützer eingestellt worden. Die Beklagte habe ihn sowohl im Mai 2007 als auch im Januar 2009 nur pauschal nach Vorstrafen gefragt. Diese Frage habe er berechtigterweise verneint, da er sich nach den Vorschriften des Bundeszentralregistergesetzes als unbestraft habe bezeichnen dürfen und den seinen Verurteilungen zugrunde liegenden Sachverhalt nicht habe offenbaren müssen.

Der Kläger hat zuletzt beantragt

17Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, sie habe den Arbeitsvertrag sowohl wegen arglistiger Täuschung als auch wegen Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft wirksam angefochten. Sie habe den Kläger im Einstellungsgespräch am ausdrücklich danach gefragt, ob er als Täter oder Teilnehmer in Straftaten verwickelt, dies jemals gewesen oder in letzter Zeit angezeigt worden sei. Das habe dieser bewusst wahrheitswidrig verneint. Für die Beschäftigung als Fahrer und Personenschützer im Bereich Unternehmenssicherheit sei Zuverlässigkeit das oberste Auswahlkriterium. Sie hätte den Kläger nicht eingestellt, wenn sie von den tatsächlichen Umständen gewusst hätte. Zudem ergebe sich aus den Verurteilungen und mehreren Anzeigen wegen Körperverletzung, dass der Kläger nicht in der Lage sei, in nervlich angespannten Situationen Ruhe zu bewahren, und zu Gewalttätigkeiten neige. Damit fehle ihm eine für den Bereich der Unternehmenssicherheit unverzichtbare Eigenschaft.

18Der Umstand, dass sie den Kläger wegen seiner Vorstrafen für den Bereich der Unternehmenssicherheit nicht einsetzen könne, berechtige sie ferner zur außerordentlichen Kündigung. Ein wichtiger Grund liege zudem in den wahrheitswidrigen Angaben des Klägers. So habe er noch am berechtigte Fragen wahrheitswidrig verneint. In jedem Fall sei eine ordentliche Kündigung gerechtfertigt.

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage abzuweisen.

Gründe

20Die Revision der Beklagten ist teilweise begründet. Auf der Grundlage seiner bisherigen Feststellungen durfte das Landesarbeitsgericht die ordentliche Kündigung nicht als unwirksam ansehen. Das angegriffene Urteil war insoweit aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden. Der relevante Sachverhalt ist noch nicht hinreichend festgestellt (§ 563 Abs. 3 ZPO).

21I. Die Revision ist unbegründet, soweit sie sich gegen die Annahme des Landesarbeitsgerichts richtet, das Arbeitsverhältnis sei weder durch die Anfechtung noch durch die außerordentliche Kündigung vom aufgelöst worden.

221. Die Anfechtung vom hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst.

23a) Die Beklagte vermag die Anfechtung nicht auf § 123 Abs. 1 BGB zu stützen. Es liegt keine arglistige Täuschung im Sinne dieser Bestimmung vor.

24aa) Die falsche Beantwortung einer dem Arbeitnehmer bei der Einstellung zulässigerweise gestellten Frage kann den Arbeitgeber nach § 123 Abs. 1 BGB dazu berechtigen, den Arbeitsvertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten, wenn die Täuschung für dessen Abschluss ursächlich war ( - Rn. 16, AP BGB § 123 Nr. 70 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 11). Der Arbeitgeber darf den Arbeitnehmer bei der Einstellung nach Vorstrafen fragen, wenn und soweit die Art des zu besetzenden Arbeitsplatzes dies „erfordert“, dh. bei objektiver Betrachtung berechtigt erscheinen lässt ( - zu B I 1 b bb der Gründe, BAGE 91, 349). Auch die Frage nach noch anhängigen Straf- oder Ermittlungsverfahren kann zulässig sein, wenn solche Verfahren Zweifel an der persönlichen Eignung des Arbeitnehmers begründen können. Dem steht die in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerte Unschuldsvermutung nicht entgegen. Diese bindet unmittelbar nur den Richter, der über die Begründetheit der Anklage zu entscheiden hat. Daraus ergibt sich nicht, dass aus einem anhängigen Ermittlungs- oder Strafverfahren für den Beschuldigten überhaupt keine Nachteile entstehen dürften ( - zu I 1 b bb (1) der Gründe, BAGE 115, 296; - 2 AZR 320/98 - zu B I 1 b cc der Gründe, BAGE 91, 349). Eine Einschränkung des Fragerechts kann sich im Einzelfall aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Bewerbers, dem Datenschutzrecht oder - in den Fällen abgeschlossener Straf- und Ermittlungsverfahren - den Wertentscheidungen des § 53 BZRG ergeben (vgl. zu letzterem  - zu II 1 b der Gründe, AP BGB § 123 Nr. 35 = EzA BGB § 123 Nr. 35; offengelassen in - 7 AZR 508/04 - zu I 1 b bb (2) der Gründe, BAGE 115, 296; MüArbR/Buchner 3. Aufl. § 30 Rn. 346; Schaub/Linck ArbR-Hdb. 14. Aufl. § 26 Rn. 35; ErfK/Preis 12. Aufl. § 611 BGB Rn. 281).

25bb) Das Verschweigen nicht nachgefragter Tatsachen stellt nur dann eine Täuschung dar, wenn hinsichtlich dieser Tatsachen eine Offenbarungspflicht besteht ( - Rn. 41, AP BGB § 123 Nr. 69 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 10). Eine solche Pflicht ist an die Voraussetzung gebunden, dass die betreffenden Umstände entweder dem Bewerber die Erfüllung seiner vorgesehenen arbeitsvertraglichen Leistungspflicht von vornherein unmöglich machen oder doch für die Eignung für den in Betracht kommenden Arbeitsplatz von ausschlaggebender Bedeutung sind ( - zu II 1 a der Gründe).

26cc) Arglistig ist die Täuschung, wenn der Täuschende weiß oder billigend in Kauf nimmt, dass seine Behauptungen nicht der Wahrheit entsprechen und deshalb oder mangels Offenbarung bestimmter Tatsachen irrige Vorstellungen beim (künftigen) Arbeitgeber entstehen oder aufrechterhalten werden. Fahrlässigkeit - auch grobe Fahrlässigkeit - genügt insoweit nicht. Die Beweislast für das Vorliegen von Arglist trägt der Arbeitgeber. Dass es sich hierbei um eine innere Tatsache handelt, steht dem nicht entgegen ( - Rn. 43, AP BGB § 123 Nr. 69 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 10; - 2 AZR 320/98 - zu B I 4 der Gründe, BAGE 91, 349).

27dd) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, im Streitfall fehle es an einer arglistigen Täuschung im Zusammenhang mit dem Abschluss des Arbeitsvertrags, lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Das gilt unabhängig davon, ob die Beklagte - wie sie behauptet - den Kläger danach gefragt hat, ob er als Täter oder Teilnehmer in Straftaten verwickelt, dies jemals gewesen oder in letzter Zeit angezeigt worden sei, oder ob sie ihn - wie dieser behauptet - nur allgemein nach Vorstrafen gefragt hat.

28(1) Auf die von der Beklagten - gleich in welcher der beiden Formen - gestellte Frage nach Vorstrafen und Strafanzeigen musste der Kläger nicht wahrheitsgemäß antworten. Weder mit ihrem vom Kläger behaupteten noch mit dem von der Beklagten vorgetragenen Inhalt war die Frage auf objektiv einschlägige Straftaten - dh. auf solche, die für die Eignung für einen ins Auge gefassten künftigen Aufgabenbereich relevant wären - bzw. auf Vorstrafen und Anzeigen wegen objektiv einschlägiger - und dementsprechend von der Beklagten konkret benannter - Delikte oder Deliktsbereiche begrenzt. Die Beklagte fragte den Kläger vielmehr ohne eine gegenständliche Beschränkung nach möglichen Vorstrafen und Anzeigen jeder Art. Damit ging sie über ihr schutzwürdiges Informationsinteresse hinaus und war der Kläger zu einer der Wahrheit entsprechenden Antwort rechtlich nicht verpflichtet.

29(2) Der Kläger war auch nicht von sich aus zur Offenlegung seiner Vorstrafe aus dem Jahr 2003 verpflichtet.

30(a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, für die Beurteilung des Umfangs einer Offenbarungspflicht sei die für den Kläger vorgesehene Tätigkeit als „Fahrer Geschäftsleitung“ maßgebend gewesen. Dass mit ihr Aufgaben des Personenschutzes verbunden sein würden, sei vor Vertragsschluss nicht, jedenfalls nicht hinreichend deutlich erkennbar geworden. Diese Würdigung lässt Rechtsfehler nicht erkennen.

31(aa) Laut Arbeitsvertrag vom wurde der Kläger als „Fahrer Geschäftsleitung im Bereich Unternehmenssicherheit-Fahrdienste Geschäftsleitung“ eingestellt. Dies entspricht inhaltlich der Angabe in dem eine Woche nach Abschluss des Arbeitsvertrags ausgefüllten Personalbogen. Dass mit der Tätigkeit als Fahrer auch Personenschutzaufgaben verbunden wären, ist beiden Schriftstücken nicht zu entnehmen. Etwas anderes gilt auch nicht deshalb, weil die Tätigkeit im Organisationsbereich „Unternehmenssicherheit - Fahrdienste Geschäftsleitung“ angesiedelt war. Die Angabe des Bereichs sagt nichts über das Tätigkeitsprofil des einzelnen dort beschäftigten Arbeitnehmers aus.

32(bb) Aus der Ausschreibung vom - deren Kenntnis der Kläger ohnehin bestritten hat - sowie dem von der Beklagten behaupteten Inhalt des Vorstellungsgesprächs am ergibt sich nichts Gegenteiliges. Dieses hat nicht zu einer Einstellung bei der Beklagten, sondern bei einem anderen Arbeitgeber geführt. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte habe einen hinreichenden Bezug zwischen dem Vorstellungsgespräch und dem ein halbes Jahr später zwischen den Parteien abgeschlossenen Arbeitsvertrag nicht dargelegt, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Selbst wenn Gegenstand des Gesprächs auch eine Tätigkeit als Personenschützer gewesen sein sollte, musste der Kläger angesichts der Tätigkeitsbezeichnung im Arbeitsvertrag ein halbes Jahr später nicht notwendig erkennen, dass ihm zum eine solche Aufgabe übertragen werden sollte.

33(b) Unter diesen Umständen verhielt sich der Kläger nicht arglistig iSv. § 123 Abs. 1 BGB, weil er seine Vorstrafe verschwieg. Selbst wenn die Auslegung der getroffenen Vertragsabsprachen gemäß §§ 133, 157 BGB ergeben sollte, dass die Parteien aus objektiver Sicht auch die Wahrnehmung von Personenschutzaufgaben durch den Kläger vereinbart haben, muss dieser das bei Vertragsschluss nicht positiv gewusst haben. Bei dem im Arbeitsvertrag angegebenen Aufgabenbereich als „Fahrer Geschäftsleitung …“ konnten nur Vorstrafen und Ermittlungsverfahren aus dem Bereich der Straßenverkehrsdelikte von maßgebender Bedeutung für dessen Abschluss sein. Eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung war hingegen nicht „einschlägig“. Sie vermochte Zweifel an der Eignung des Klägers als Fahrer aus seiner Sicht nicht zu begründen. Den Kläger traf deshalb keine Offenbarungspflicht. Ob dies auch aus gesetzlichen Vorschriften, insbesondere den Wertentscheidungen des Bundeszentralregistergesetzes folgt, kann offenbleiben.

34(3) Die Erklärungen des Klägers auf dem „Fragebogen“ sind für den Abschluss des Arbeitsvertrags bereits deshalb unerheblich, weil sie erst nach Vertragsschluss erfolgten und damit für die Willensbildung der Beklagten nicht kausal sein konnten.

35b) Die Beklagte war zur Anfechtung nicht wegen des Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Klägers nach § 119 Abs. 2 Alt. 1 iVm. Abs. 1 BGB berechtigt.

36aa) Die Berücksichtigung dieses Anfechtungsgrundes scheitert nicht schon daran, dass die Beklagte die Anfechtung in ihrem Schreiben vom ausdrücklich auf § 123 Abs. 1 BGB gestützt hat.

37(1) Das Nachschieben von Gründen für eine bereits aus anderen Gründen erklärte Anfechtung kann unzulässig sein. Der Anfechtungsgegner geht regelmäßig davon aus, dass die Wirksamkeit der Erklärung nur aus den angegebenen oder erkennbaren Gründen in Zweifel gezogen wird. Er richtet sich in seinem weiteren Verhalten darauf ein. Er braucht grundsätzlich nicht damit zu rechnen, dass im Prozess zu einem späteren Zeitpunkt und außerhalb von Anfechtungsfristen noch andere Gründe nachgeschoben werden ( - Rn. 21, BAGE 124, 345).

38(2) Kann aber eine wegen arglistiger Täuschung erklärte Anfechtung inhaltlich zugleich als eine solche wegen Irrtums über eine Eigenschaft verstanden werden, kann sich der Erklärende noch nachträglich auf diesen Anfechtungsgrund berufen. Eine auf arglistige Täuschung gestützte Anfechtung kann die Irrtumsanfechtung in sich schließen. Ob dies der Fall ist, ist durch Auslegung zu ermitteln ( - zu II 4 d der Gründe, AP BGB § 123 Nr. 35 = EzA BGB § 123 Nr. 35;  - zu I 1 der Gründe, BGHZ 72, 252).

39(3) Im Anfechtungsschreiben hat die Beklagte die Anfechtung zwar ausdrücklich „gemäß § 123 Abs. 1 BGB wegen arglistiger Täuschung im Einstellungsgespräch am “ erklärt. Das Landesarbeitsgericht hat diese Erklärung aber rechtsfehlerfrei dahingehend ausgelegt, dass sie zugleich die Behauptung eines Irrtums über das Vorliegen einer verkehrswesentlichen Eigenschaft beinhaltet. Der Kläger konnte ihr hinreichend deutlich entnehmen, dass die Beklagte ihre Vertragserklärung nicht nur wegen arglistiger Täuschung, sondern auch wegen Irrtums über seine zu Ermittlungsverfahren und einer Vorstrafe führenden persönlichen Eigenschaften anfechten wollte.

40bb) Die Beklagte hat sich jedoch nicht über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Klägers geirrt.

41(1) Die Eigenschaft einer Person ist dann verkehrswesentlich, wenn sie nach der Verkehrsanschauung für die Wertschätzung und die zu leistende Arbeit von Bedeutung und nicht nur vorübergehender Natur ist. Sie muss sich auf die Eignung der Person für die Arbeit auswirken (APS/Preis 4. Aufl. Grundlagen K. Rn. 31).

42(2) Im Streitfall kann dahinstehen, ob und unter welchen Voraussetzungen eine - überdies nicht näher spezifizierte - „Unzuverlässigkeit“ und eine „Neigung zu Gewalttätigkeit“ (verkehrswesentliche) Eigenschaften einer Person sein können. Jedenfalls sind diese Zuschreibungen nicht von maßgebender Bedeutung für die vereinbarte Tätigkeit des Klägers als „Fahrer Geschäftsleitung“. Insoweit gilt das Gleiche wie für die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung.

432. Das Arbeitsverhältnis ist nicht durch die außerordentliche Kündigung vom aufgelöst worden.

44a) Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

45b) Danach fehlt es an einem wichtigen Grund im Sinne der Bestimmung.

46aa) Das Recht zur außerordentlichen Kündigung ist nicht durch die Möglichkeit zur Anfechtung ausgeschlossen. Beide Gestaltungsrechte bestehen nebeneinander ( - Rn. 20, AP BGB § 123 Nr. 70 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 11). Die Anfechtung setzt zwar einen Grund voraus, der schon bei Abschluss des Arbeitsvertrags vorgelegen hat, während die Kündigung dazu dient, ein durch nachträgliche Umstände belastetes oder sinnlos gewordenes Arbeitsverhältnis zu beenden ( - zu 1 der Gründe, AP BGB § 119 Nr. 3 = EzA BGB § 119 Nr. 5). Denkbar ist aber, dass ein Anfechtungsgrund im zustande gekommenen Arbeitsverhältnis so stark nachwirkt, dass dem Arbeitgeber nach seinem Bekanntwerden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar ist ( - aaO; KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 45; APS/Preis 4. Aufl. Grundlagen K. Rn. 23).

47bb) Ein wichtiger Grund im Verhalten des Klägers liegt entgegen der Auffassung der Beklagten nicht darin, dass dieser Vorstrafen und Ermittlungsverfahren mehrfach pflichtwidrig geleugnet und dadurch ihr Vertrauen in seine Loyalität zerstört hätte.

48(1) Soweit die Beklagte die außerordentliche Kündigung auf die unzutreffende Beantwortung der im Bewerbungsgespräch und im Fragebogen gestellten Fragen stützt, fehlt es an einer Pflichtverletzung. Der Kläger war aus den dargelegten Gründen nicht zur Offenlegung verpflichtet.

49(2) Ob der Kläger auf die in den Gesprächen am 28. Januar und gestellten - hinsichtlich ihres Inhalts streitigen - Fragen der Beklagten hin die ihm bekannten Tatsachen deshalb hat offenbaren müssen, weil in Wirklichkeit und mittlerweile für ihn erkennbar auch der Personenschutz zu seinen Aufgaben gehörte, kann dahinstehen. Ebenso kann offenbleiben, ob eine Pflicht bestand, seine Verurteilung wegen der im Jahr 2008 auf einem Parkplatz begangenen Beleidigung zu offenbaren. Selbst wenn dies bejaht werden müsste, war es der Beklagten nicht unzumutbar, den Kläger zumindest bis zum Ablauf der Kündigungsfrist weiterzubeschäftigen. Die Falschbeantwortung der Fragen als solche wäre dann zwar ein Pflichtenverstoß. Dieser vermöchte aber eine außerordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen.

50(3) Daran ändert sich nichts unter dem Gesichtspunkt einer Verdachtskündigung, auf den die Beklagte in der Revisionsinstanz zusätzlich abhebt. Es erschließt sich nicht, welchen über die feststehenden Tatsachen hinausgehenden „Verdacht“ die Beklagte geltendmachen will. Ein Verhalten des Arbeitnehmers wiederum, das schon als erwiesenes eine außerordentliche Kündigung nicht zu stützen vermag, kann eine Kündigung wegen des bloßen Verdachts auf sein Vorliegen - erst recht - nicht begründen.

51cc) Ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB liegt ebenso wenig in der Person des Klägers. Dessen in der nicht wahrheitsgemäßen Beantwortung der Fragen zu Tage getretene mögliche „Unzuverlässigkeit“ und die ihm von der Polizeibehörde seines früheren Heimatorts zugeschriebene „Gewalttätigkeit“ machen der Beklagten die Fortsetzung des im Kündigungszeitpunkt über ein Jahr lang beanstandungsfrei durchgeführten Arbeitsverhältnisses jedenfalls nicht schon bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar.

52II. Die Revision ist begründet, soweit sie sich gegen die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts richtet, das Arbeitsverhältnis sei auch durch eine ordentliche Kündigung nicht aufgelöst worden. Ob eine ordentliche Kündigung iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial gerechtfertigt ist, steht noch nicht fest.

531. Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Kündigung sei nicht durch Gründe im Verhalten des Klägers iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG bedingt.

54a) Die Kündigung ist durch solche Gründe „bedingt“, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat und eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht ( - Rn. 14, NZA 2012, 1025; - 2 AZR 284/10 - Rn. 34, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 37).

55b) Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Insoweit gilt nichts anderes als für die Beurteilung möglicher Pflichtverletzungen im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB.

562. Ob die Kündigung durch Gründe in der Person des Klägers bedingt ist, kann der Senat nicht abschließend beurteilen.

57a) Als Gründe in der Person des Arbeitnehmers kommen Umstände in Betracht, die auf einer in den persönlichen Verhältnissen oder Eigenschaften des Arbeitnehmers liegenden „Störquelle“ für das Arbeitsverhältnis beruhen ( - Rn. 13, AP KSchG 1969 § 1 Personenbedingte Kündigung Nr. 33 = EzA KSchG § 1 Personenbedingte Kündigung Nr. 27; - 2 AZR 984/06 - Rn. 27 mwN, AP BGB § 626 Nr. 212 = EzA KSchG § 1 Personenbedingte Kündigung Nr. 22). Sie stehen einer Weiterbeschäftigung entgegen, wenn sie die Eignung des Arbeitnehmers für die arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit entfallen lassen und eine Weiterbeschäftigung zu geänderten Bedingungen nicht in Betracht kommt.

58b) Das Landesarbeitsgericht hat unter Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts angenommen, dass sich ein Eignungsmangel des Klägers weder aus den Straftaten, die zu seiner Verurteilung geführt haben, noch aus den im Schreiben des Landeskriminalamts aufgeführten Ermittlungsverfahren ergebe. Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die im Jahr 2002 begangene Straftat vermag bereits aufgrund des Ablaufs von im Kündigungszeitpunkt mehr als sieben Jahren nicht die Annahme zu begründen, der Kläger sei generell „gewalttätig“ und deshalb für die arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeiten ungeeignet. Nichts anderes ergibt sich aus dem Vorgang des Jahres 2008, welcher zu einer Verurteilung wegen Beleidigung geführt hat. Soweit sich die Beklagte auf die vom Landeskriminalamt aufgeführten Ermittlungsverfahren beruft, ist ihrem Vortrag nicht zu entnehmen, welche tatsächlichen Vorgänge diesen Verfahren zugrunde gelegen haben. Nur anhand dessen könnte beurteilt werden, ob ihre Annahme, der Kläger sei „gewalttätig“, eine personenbedingte Kündigung rechtfertigen könnte. Allein der Umstand, dass es entsprechende Anzeigen gegen den Kläger gegeben und ein Polizeiposten ihn als „gewalttätig“ eingestuft hat, genügen dafür nicht.

59c) Das Landesarbeitsgericht hat indes nicht geprüft, ob nicht durch die Versagung eines Waffenscheins die Eignung des Klägers für die im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung geschuldete Arbeitsleistung entfallen ist. Der Umstand, dass im Einvernehmen beider Parteien ein Waffenschein für den Kläger beantragt worden war, legt die Annahme nahe, dass dieser künftig für die Ausübung seiner Tätigkeit erforderlich ist. Das Landesarbeitsgericht wird daher zu klären haben, ob die bei Ausspruch der Kündigung arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit das Führen einer Waffe erforderte. Ebenso wenig hat das Landesarbeitsgericht geprüft, ob der Kläger unabhängig von der Versagung eines Waffenscheins deshalb seine vertraglich geschuldeten Aufgaben nicht mehr erfüllen konnte, weil er von den für die Sicherheit gefährdeter Personen - etwa des Ministerpräsidenten - verantwortlichen Stellen als unzuverlässig eingestuft wird und damit als Fahrer der Geschäftsleitung der Beklagten möglicherweise nicht mehr problemlos eingesetzt werden kann. Zu beiden Gesichtspunkten wird das Landesarbeitsgericht den Parteien Gelegenheit zu näherem Vortrag geben müssen. Sollte sich herausstellen, dass zur Erfüllung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung des Klägers der Besitz eines Waffenscheins unerlässlich ist oder dieser in seinem bisherigen Aufgabenbereich wegen der von dritter Seite angenommenen Unzuverlässigkeit nicht mehr ohne unzumutbare Probleme eingesetzt werden kann, wird das Landesarbeitsgericht zu prüfen haben, ob eine zumutbare andere Beschäftigungsmöglichkeit in Betracht kommt.

3. Die gebotene Zurückverweisung erfasst auch den geltend gemachten Weiterbeschäftigungsantrag.

Fundstelle(n):
BB 2013 S. 884 Nr. 15
DStR 2013 S. 12 Nr. 19
NJW 2013 S. 1115 Nr. 15
NJW 2013 S. 8 Nr. 13
YAAAE-32530