Strafzumessung und Verteidigungsverhalten: Wertung einer wahrheitswidrigen Notwehrbehauptung bei einer gefährlichen Körperverletzung
Gesetze: § 46 Abs 2 StGB, § 46 Abs 3 StGB, § 224 Abs 1 StGB
Instanzenzug: LG Bielefeld Az: 10 Ks 46 Js 579/10 - 33/11
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Seine wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
I.
2Nach den Feststellungen stach der Angeklagte am dem Zeugen H. ohne nachvollziehbaren äußeren Anlass ein Messer mit einer Klingenlänge von etwa 7,5 cm in den Bereich des linken Brustkorbs. Der Zeuge erlitt eine ca. 7 cm tiefe Stichwunde, die mit einem Faden genäht werden musste. Da weder die Lunge, noch die innere Schicht des Brustkorbs verletzt wurden, bestand keine konkrete Lebensgefahr (Fall II. 2a der Urteilsgründe). Am packte der Angeklagte in den Räumlichkeiten einer Buchhandlung seine ehemalige Lebensgefährtin, die Zeugin B. , von hinten an den Haaren und schlug mehrfach mit der Faust auf sie ein. Als die Zeugin am Boden lag, hielt er sie mit der linken Hand fest und fügte ihr mit einem Cutter-Messer Verletzungen im oberen linken Brustbereich und im Nacken zu. Die Stichverletzung im Brustbereich musste genäht werden. Es ist eine sichtbare Narbe zurückgeblieben. Die Zeugin leidet auch weiterhin an einer posttraumatischen Belastungsstörung (Fall II. 2b der Urteilsgründe).
3Das Landgericht hat den Angeklagten in beiden Fällen wegen gefährlicher Körperverletzung mittels eines anderen gefährlichen Werkzeugs gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB schuldig gesprochen und gegen ihn Einzelfreiheitsstrafen in Höhe von zwei Jahren und sechs Monaten (Fall II. 2a) und drei Jahren und neun Monaten (Fall II. 2b) verhängt. Aus diesen Einzelfreiheitsstrafen hat es eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten gebildet.
II.
4Der Strafausspruch hält aus mehreren Gründen rechtlicher Überprüfung nicht stand.
51. Die beiden verhängten Einzelstrafen können nicht bestehen bleiben, weil das Landgericht jeweils sowohl im Rahmen der Prüfung eines minderschweren Falls gemäß § 224 Abs. 1 letzter Halbsatz StGB, als auch bei der konkreten Strafzumessung ein zulässiges Verteidigungsverhalten zum Nachteil des Angeklagten gewertet hat.
6a) Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung zum Tatvorwurf im Fall II. 2a erklärt, den Zeugen H. geschlagen zu haben, als dieser nach einer zunächst verbal geführten Auseinandersetzung eine Teleskopstange mit einem kleinen Ball an der Spitze in die Hand nehmen wollte (UA 16). Im Fall II. 2b habe ihn die Zeugin B. mit einer Handtasche geschlagen. Er habe gesehen, dass er an der rechten Hand geblutet habe und ein Messer in der linken Hand der Zeugin wahrgenommen. Dieses Messer habe er ihr wegnehmen wollen. Schließlich habe er sie an der linken Schulter ergriffen und „herumgewirbelt“. Auch glaube er um sich geschlagen zu haben, weil er das Gefühl hatte, sich wehren zu müssen (UA 17). Das Landgericht hat in diesen Einlassungen einen schulderhöhenden Umstand gesehen, weil der Angeklagte den Zeugen H. und die Zeugin B. verdächtigt habe, sich ihm gegenüber der versuchten bzw. der vollendeten Körperverletzung schuldig gemacht zu haben (UA 31). Dies ist rechtsfehlerhaft.
7b) Grundsätzlich ist es einem Angeklagten nicht verwehrt, sich gegen den Vorwurf der Körperverletzung mit der Behauptung zu verteidigen, er habe in Notwehr gehandelt. Soweit damit Anschuldigungen gegen Dritte verbunden sind, werden die Grenzen eines zulässigen Verteidigungsverhaltens dadurch nicht überschritten (, NStZ 2010, 692; MükoStGB/Miebach, 2. Aufl., § 46 Rn. 129). Eine wahrheitswidrige Notwehrbehauptung kann erst dann straferschwerend gewertet werden, wenn Umstände hinzukommen, nach denen sich dieses Verteidigungsverhalten als Ausdruck einer zu missbilligenden Einstellung darstellt (vgl. , NStZ 2007, 463; Beschluss vom - 1 StR 10/89, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 4; SSW-StGB/Eschelbach, § 46 Rn. 124). Dies ist hier nicht der Fall. Der Angeklagte hat sich auf die wahrheitswidrige Behauptung eines drohenden (Fall II. 2a der Urteilsgründe) bzw. eines bereits eingeleiteten Angriffs (Fall II. 2b der Urteilsgründe) der Zeugen beschränkt. Darüber hinausgehende Verleumdungen oder Herabwürdigungen (vgl. , BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 8; Beschluss vom - 1 StR 184/89, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 5), die eine straferschwerende Bewertung rechtfertigen könnten, sind in seinem Vorbringen nicht enthalten. Auch hat der Angeklagte die Zeugen nicht einer besonders verwerflichen Handlung bezichtigt (vgl. , BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 10), sodass nicht angenommen werden kann, dass es ihm darum ging, ihr Ansehen über das verfolgte Verteidigungsziel hinaus zu beschädigen (vgl. , BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 13).
82. Die Bemessung der Einzelstrafe im Fall II. 2b der Urteilsgründe (Tat zum Nachteil der Zeugin B. ) ist auch deshalb rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht straferschwerend berücksichtigt hat, dass es zum Einsatz eines Messers kam (UA 31). Hierin liegt ein Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB, da die Verwendung des Messers bereits zur Begründung der Strafbarkeit des Angeklagten nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB herangezogen worden ist. Soweit das Landgericht in diesem Zusammenhang darauf abgehoben hat, dass es mit dem Messereinsatz zu einer Steigerung der Übergriffe des Angeklagten auf die Zeugin gekommen ist, wird damit nicht lediglich das Vortatverhalten des Angeklagten gewürdigt, sondern auch die Verwendung des Messers mit negativem Vorzeichen in die Bewertung einbezogen.
93. Durch die Aufhebung der Einzelstrafen verliert auch die Bestimmung der Gesamtstrafe ihre Grundlage.
10Da es sich bei den aufgezeigten Fehlern um bloße Wertungsfehler handelt, können die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum Strafausspruch bestehen bleiben. Ergänzende - hierzu nicht in Widerspruch tretende - Feststellungen sind möglich ().
Mutzbauer Cierniak Franke
Bender Quentin
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MAAAE-31588