Bankenhaftung bei Kapitalanlageberatung: Kausalität von Aufklärungspflichtverletzungen hinsichtlich des Zuflusses von Rückvergütungen und Beginn der kenntnisabhängigen Verjährung
Gesetze: § 199 Abs 1 Nr 2 BGB, § 280 Abs 1 BGB
Instanzenzug: OLG Braunschweig Az: 8 U 125/10 Urteilvorgehend LG Braunschweig Az: 5 O 3053/08
Gründe
I.
1Der Beklagte begehrt von der Drittwiderbeklagten wegen fehlerhafter Anlageberatung Schadensersatz, den er Zug um Zug gegen Abtretung der Kommanditanteile an einer Fondsgesellschaft mit beziffertem Zahlungsantrag, unbeziffertem Antrag auf Freistellung von Verbindlichkeiten sowie Feststellungsanträgen auf künftigen Schadensersatz und Verzug der Drittwiderbeklagten mit Annahme der Fondsbeteiligung geltend macht. Die Verurteilung des Beklagten zur Rückzahlung der Restschuld aus dem zur Finanzierung der Kapitalanlage aufgenommenen Darlehen an die frühere Klägerin ist nach teilweiser Rücknahme der Berufung rechtskräftig geworden.
2Der Beklagte, Kaufmann im Ruhestand, erwarb in den 90er Jahren Immobilien in den neuen Bundesländern und Beteiligungen an mehreren geschlossenen Immobilienfonds. Dabei wurde er ganz überwiegend von dem Zeugen P. , einem Mitarbeiter der Drittwiderbeklagten, beraten.
3Im Jahre 1998 beteiligte sich der Beklagte als Kommanditist mit 100.000 DM an der L. KG, , einem geschlossenen Immobilienfonds (im Folgenden: Immobilienfonds), der am S. ein Verwaltungsgebäude errichtete und später vermietete. Vermittelt wurde diese Beteiligung von der Drittwiderbeklagten, die dafür von dem Immobilienfonds über die im Prospekt als Empfänger der Kosten für die Eigenkapitalvermittlung ausgewiesene d. GmbH 6,5 % Provision erhielt. Die Einlage erbrachte der Beklagte in Höhe von 73.100 DM aus Eigenmitteln. Im Übrigen nahm er bei der früheren Klägerin, der B. , ein Darlehen auf.
4Die Fondsimmobilie wurde für zehn Jahre an den Be. vermietet. Innerhalb dieses Zeitraums entwickelte sich der Fonds erwartungsgemäß. Der Beklagte erhielt Ausschüttungen und konnte steuerliche Vorteile erzielen. Nach Ablauf des Mietverhältnisses ließ sich das Objekt nicht zu vergleichbaren Bedingungen weitervermieten. Der Fonds wurde aufgelöst, die Immobilie veräußert.
5Das Landgericht hat den Beklagten verurteilt, an die frühere Klägerin 13.954,28 € nebst Zinsen zur Tilgung des Darlehens zu zahlen. Es hat weiter festgestellt, dass dem Beklagten gegen diesen Darlehensrückzahlungsanspruch keinerlei Einwendungen, Einreden, Ansprüche und/oder sonstige Rechte zustehen. Die gegen die Klägerin und die Drittwiderbeklagte gerichtete Widerklage hat das Landgericht abgewiesen.
6Der Beklagte hat die gegen die Klägerin gerichtete Berufung zurückgenommen. Auf seine gegen die Drittwiderbeklagte gerichtete Berufung hat das Berufungsgericht in einem "Grundurteil" das landgerichtliche Urteil zur Drittwiderklage abgeändert und diese dem Grunde nach als gerechtfertigt angesehen.
7Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
8Zwischen dem Beklagten und der Drittwiderbeklagten sei ein Anlageberatungsvertrag zustande gekommen, den diese schuldhaft verletzt habe, da sie den Beklagten nicht über die Provision, die sie von der d. GmbH erhalten habe, aufgeklärt habe. Aus dem Prospekt gehe nicht hervor, dass und in welcher Höhe diese Provision an die Drittwiderbeklagte fließen sollte. Die Beklagte habe deshalb eine aufklärungspflichtige verdeckte Rückvergütung erhalten. Aus der Aussage des vom Landgericht dazu vernommenen Zeugen P. sei nicht zu entnehmen, dass eine Aufklärung des Beklagten ausnahmsweise deshalb entbehrlich gewesen wäre, weil dieser entsprechende Kenntnis besessen hätte. Die Pflichtverletzung habe die Drittwiderbeklagte zu vertreten. Die Kausalität der fehlenden Aufklärung über die empfangene Provision sei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu vermuten. Diese Vermutung habe die Drittwiderbeklagte nicht widerlegt. Die geltend gemachten Schadensersatzansprüche seien nicht verjährt, da nicht ersichtlich sei, dass der Beklagte vor dem vorliegenden Rechtsstreit Kenntnis von der Zahlung einer Provision an die Drittwiderbeklagte gehabt habe. Hinsichtlich der Höhe des geltend gemachten Schadens bedürfe es weiterer Aufklärung unter anderem über erfolgte Ausschüttungen.
9Die Revision ist von dem Berufungsgericht nicht zugelassen worden. Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Drittwiderbeklagten.
II.
10Die Revision ist nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, weil das angegriffene Urteil den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt (vgl. Senatsbeschlüsse vom - XI ZB 39/03, BGHZ 159, 135, 139 f., vom - XI ZR 140/09, BKR 2010, 515, 516 und vom - XI ZR 50/11, juris Rn. 10). Aus demselben Grund sind das angefochtene Urteil gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
111. Zu Recht ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass eine Bank verpflichtet ist, einen Anleger über an sie fließende Rückvergütungen aus einer offen ausgewiesenen Vertriebsprovision oder einem Agio aufzuklären, wenn zwischen beiden - konkludent - ein Beratungsvertrag geschlossen worden ist (vgl. Senatsurteil vom - XI ZR 56/05, BGHZ 170, 226 Rn. 22 f.; Senatsbeschlüsse vom - XI ZR 510/07, WM 2009, 405 Rn. 13 und vom - XI ZR 191/10, WM 2011, 925 Rn. 20). Um aufklärungspflichtige Rückvergütungen handelt es sich auch dann, wenn diese nicht aus einem Agio oder aus Verwaltungsgebühren, sondern - wie hier - aus sonstigen offen ausgewiesenen Vertriebskosten fließen (vgl. Senatsurteil vom - XI ZR 363/10, juris Rn. 16 mwN).
122. Das Berufungsgericht hat jedoch den Anspruch der Drittwiderbeklagten auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, weil es zur Beantwortung der Frage, ob der Beklagte Kenntnis von der Zahlung der Provision an die Drittwiderbeklagte hatte, den dazu erstinstanzlich vernommenen Zeugen entgegen § 529 Abs. 1 Nr. 1, § 398 Abs. 1 ZPO nicht erneut vernommen hat, obwohl es dessen Aussage anders gewürdigt hat als das Landgericht.
13a) Das Berufungsgericht ist nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO grundsätzlich an die Tatsachenfeststellungen des Gerichts des ersten Rechtszuges gebunden. Bestehen Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil, ist in aller Regel eine erneute Beweisaufnahme geboten (vgl. BVerfG, NJW 2005, 1487; BVerfG, NJW 2011, 49 Rn. 14; BGH, Beschlüsse vom - VIII ZR 3/09, NJW-RR 2009, 1291 Rn. 5, vom - XI ZR 140/09, BKR 2010, 515, 516 und vom - XII ZR 18/11, NJW-RR 2012, 704 Rn. 6). Das Berufungsgericht ist in einem solchen Fall nach § 398 ZPO verpflichtet, in erster Instanz vernommene Zeugen erneut zu vernehmen, wenn es deren protokollierte Aussagen anders als die Vorinstanz verstehen oder würdigen will (BVerfG, NJW 2011, 49 Rn. 14; BGH, Beschlüsse vom - II ZR 103/10, WM 2011, 1533 Rn. 7, vom - IV ZR 122/09, NJW 2011, 1364 Rn. 6, vom - VIII ZR 3/09, NJW-RR 2009, 1291 Rn. 5 f. und Urteil vom - VIII ZR 337/00, NJW-RR 2002, 1500). Unterlässt es dies und wendet damit § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO fehlerhaft an, ist die dadurch benachteiligte Partei in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör nach § 103 Abs. 1 GG verletzt (BVerfG, NJW 2005, 1487; BGH, Beschlüsse vom - IV ZR 253/05, VersR 2006, 949 Rn. 1, vom - VIII ZR 3/09, NJW-RR 2009, 1291 Rn. 4, vom - XI ZR 140/09, BKR 2010, 515, 516, vom - XII ZR 18/11, NJW-RR 2012, 704 Rn. 6 und vom - XI ZR 476/11, juris Rn. 11).
14Die erneute Vernehmung eines Zeugen kann allenfalls dann unterbleiben, wenn sich das Rechtsmittelgericht lediglich auf Umstände stützt, die weder die Urteilsfähigkeit, das Erinnerungsvermögen oder die Wahrheitsliebe des Zeugen noch die Vollständigkeit oder Widerspruchsfreiheit seiner Aussage betreffen (, WM 1991, 1896, 1897 f. und vom - VI ZR 30/97, NJW 1998, 2222, 2223 sowie Beschlüsse vom - XI ZR 140/09, BKR 2010, 515, 516, vom - XII ZR 18/11, NJW-RR 2012, 704 Rn. 7 und vom - XI ZR 476/11, juris Rn. 12).
15b. Danach verletzt das Berufungsurteil Art. 103 Abs. 1 GG.
16aa) Das Landgericht hat aufgrund der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme die Überzeugung gewonnen, ein Beratungsfehler liege nicht vor, selbst wenn der Zeuge P. den Beklagten nicht ausdrücklich auf die Zahlung der Provision hingewiesen haben sollte. Der vernommene Zeuge habe "auf ausdrückliches Befragen durch das Gericht glaubhaft bekundet, der Beklagte habe sehr wohl in allen Fällen gewusst, dass auch Provisionen gezahlt würden". Diese Tatsache sei sogar Gegenstand von Verhandlungen gewesen, in deren Rahmen der Beklagte - bei anderer Gelegenheit - günstigere Konditionen erhalten habe. An der Richtigkeit dieser Aussage habe das Landgericht keinerlei Zweifel.
17Von dieser Beweiswürdigung durfte das Berufungsgericht nicht abweichen, ohne eine eigene Zeugenvernehmung durchzuführen.
18Das Berufungsgericht gelangt statt dessen ohne erneute Beweisaufnahme zu der abweichenden Beweiswürdigung, der Aussage des Zeugen sei "nur zu entnehmen, dass bei einem ausgewiesenen Agio der Kunde davon ausging, dass dieses der Bank zugutekam". Da vorliegend ein zusätzliches Agio nicht vereinbart worden sei, hat nach Auffassung des Berufungsgerichts die Drittwiderbeklagte nicht nachgewiesen, dass der Beklagte Kenntnis von einem Zufluss der Provision an die Drittwiderbeklagte besessen habe.
19cc) Diese abweichende Würdigung der Zeugenaussagen durch das Berufungsgericht war nicht ausnahmsweise ohne erneute Vernehmung zulässig, weil weder die Urteilsfähigkeit, das Erinnerungsvermögen oder die Wahrheitsliebe des Zeugen noch die Vollständigkeit oder Widerspruchsfreiheit von dessen Aussage von Bedeutung waren. Die Annahme des Berufungsgerichts, der Zeuge habe Kenntnis des Beklagten von Provisionszahlungen nur für solche Fälle bestätigt, in denen ein zusätzliches Agio vereinbart worden sei, findet bereits in dem protokollierten Inhalt der Beweisaufnahme keine Stütze. Die Niederschrift gibt dazu lediglich die Aussage des Zeugen wider, er habe dem Versuch des Beklagten, über die Kosten zu handeln, beim Agio nicht nachgeben können. Statt dessen habe der Beklagte bei anderer Gelegenheit bessere Konditionen erhalten. Eine Einschränkung der allgemeinen Angabe des Zeugen, der Beklagte habe sehr wohl in allen Fällen gewusst, dass Provisionen gezahlt würden, enthält dies nicht.
203. Das angefochtene Urteil beruht auf dieser Verletzung des rechtlichen Gehörs. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht zu einer abweichenden Entscheidung gelangt wäre, wenn es den Zeugen erneut vernommen hätte.
21a) Allerdings muss nach der Rechtsprechung des Senats eine beratende Bank nicht nur das Ob, sondern auch die Höhe einer Rückvergütung ungefragt offen legen (Senatsbeschlüsse vom - XI ZR 191/10, WM 2011, 925 Rn. 27 und vom - XI ZR 191/10, WM 2011, 1506 Rn. 9 sowie , BGHZ 170, 226 Rn. 24 und vom - XI ZR 262/10, WM 2012, 1337 Rn. 22). Ob der Beklagte auch die Höhe der an die Drittwiderbeklagte geflossenen Rückvergütung kannte, ist jedoch ungeklärt geblieben, da dazu der Zeuge ausweislich seiner protokollierten Aussage nicht konkret befragt worden ist. Insoweit bedarf es einer ergänzenden Zeugenvernehmung, bevor aus diesem Grund die Feststellung einer Pflichtverletzung der Drittwiderbeklagten in Betracht kommt.
22b) Unabhängig davon kann, was das Berufungsgericht von seinem Standpunkt aus konsequent nicht untersucht hat, die Kenntnis eines Anlegers von der Zahlung einer Rückvergütung für die Beurteilung der Kausalität bedeutsam sein. Die vom Landgericht festgestellte Tatsache, der Beklagte habe allgemein Kenntnis von Provisionen gehabt, die die Drittwiderbeklagte von dem jeweiligen Fonds erhielt, und sogar über einen Anteil daran - teilweise mit Erfolg - verhandelt, liefert ein vom Tatsachengericht zu würdigendes Indiz für die Behauptung der Drittwiderbeklagten, der Beklagte hätte auch bei korrekter Aufklärung die vorliegende Fondsbeteiligung gezeichnet (vgl. Senatsurteil vom - XI ZR 262/10, WM 2012, 1337 Rn. 50).
23c) Schließlich kann der Kläger - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts - bereits dann die für den Beginn der Verjährungsfrist ausreichende Kenntnis sämtlicher anspruchsbegründender Umstände im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB gehabt haben, wenn er zwar die Tatsache der Zahlung von Rückvergütungen kannte, von der Drittwiderbeklagten aber nicht über deren Höhe unterrichtet worden ist (vgl. auch OLG Karlsruhe, WM 2012, 2245, 2246 f., rechtskräftig durch Senatsbeschluss vom - XI ZR 383/11 und , juris Rn. 34 f., rechtskräftig durch ; U. Schäfer in Schäfer/Sethe/Lang, Handbuch der Vermögensverwaltung, § 21 Rn. 60 aE). Damit wären die subjektiven Voraussetzungen der von der Drittwiderbeklagten erhobenen Verjährungseinrede dargetan.
244. Im weiteren Verfahren wird das Berufungsgericht zu beachten haben, dass ein Grundurteil zum Zahlungsantrag nicht ohne gleichzeitige Entscheidung über den Feststellungsantrag ergehen darf.
25Wenn sowohl Zahlungs- als auch Feststellungsklage rechtshängig sind, muss zusammen mit dem Grundurteil über den Feststellungsantrag zum Zahlungsanspruch entschieden werden, da andernfalls die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen besteht (vgl. , WM 2000, 873, 874, vom VIII ZR 109/99, WM 2001, 106, 107 und vom - V ZR 296/00, NJW 2002, 1806 jeweils mwN). Erlässt das Berufungsgericht - wie hier - ein isoliertes Grundurteil, kann dieses zu der späteren Entscheidung über die Feststellungsklage in Widerspruch geraten, wenn im Zeitpunkt des Schlussurteils die Voraussetzungen einer Haftung dem Grunde nach nicht mehr bestehen sollten.
Wiechers Grüneberg Maihold
Pamp Menges
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VAAAE-30480