BAG Urteil v. - 3 AZR 92/11

Auslegung einer Versorgungsordnung

Gesetze: § 1 BetrAVG

Instanzenzug: ArbG Frankfurt Az: 6 Ca 5494/09 Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 8 Sa 2097/09 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten darüber, ob bei dem Kläger der Versorgungsfall nach § 26 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d Anhang II der „Tarifregelung für die Beschäftigten der Deutschen Postgewerkschaft“ mit Vollendung des 60. Lebensjahres eintritt.

Der 1962 geborene Kläger war zunächst auf der Grundlage eines befristeten Arbeitsvertrags mit Wirkung vom in die Dienste der Deutschen Postgewerkschaft (im Folgenden: DPG) getreten. Mit Arbeitsvertrag vom wurde das Arbeitsverhältnis unbefristet fortgesetzt. Dieser Vertrag bestimmt auszugsweise:

Bis zum lautete § 26 der „Tarifregelung für die Beschäftigten der Deutschen Postgewerkschaft“ (im Folgenden: TR-DPG) auszugsweise:

Durch HV-Beschluss vom 30./ wurde § 26 Abs. 1 TR-DPG gestrichen. Für die bis zum Eingestellten sollte die Regelung weitergelten. Dementsprechend erklärte sich der Hauptvorstand der DPG mit Verwaltungsschreiben Nr. 1/1998 vom , das ua. an alle Bezirksverwaltungen und alle Beschäftigten der Hauptverwaltung und der Bezirksverwaltungen gerichtet war, auszugsweise wie folgt:

Im Jahr 2000 erhielt § 26 TR-DPG folgende Fassung:

Der Anhang II (im Folgenden: Anhang II TR-DPG) lautet auszugsweise:

7Mit Wirkung vom wurde der Kläger vom Abteilungssekretär zum Sekretär des Bezirksvorstands H berufen und gleichzeitig als Bezirkssekretär in den Landesbezirk H versetzt. Am wurde die DPG auf die Beklagte verschmolzen.

8Mit der vorliegenden Klage hat der Kläger die Feststellung begehrt, dass für ihn nach § 26 Anhang II TR-DPG bei Vollendung des 60. Lebensjahres der Versorgungsfall eintreten wird. Er hat die Auffassung vertreten, § 26 Anhang II TR-DPG finde auf ihn Anwendung. Die Regelung gelte für die bis zum bei der DPG eingestellten Gewerkschaftssekretäre. Es sei nicht erforderlich, dass die Funktion eines Wahlangestellten oder eines Sekretärs des Haupt- oder Bezirksvorstands bereits am ausgeübt worden sei. Vielmehr genüge es, wenn einem am als Gewerkschaftssekretär Beschäftigten eine solche Funktion zu einem späteren Zeitpunkt übertragen werde. Dies sei bei ihm - unstreitig - zum erfolgt.

Der Kläger hat beantragt

10Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, § 26 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d Anhang II TR-DPG finde auf den Kläger keine Anwendung. Die Bestimmung setze voraus, dass eine Beschäftigung als Wahlangestellter oder Sekretär des Haupt- oder eines Bezirksvorstands bereits am erfolgt sei. Diese Voraussetzung erfülle der Kläger nicht.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger begehrt die Zurückweisung der Revision.

Gründe

12Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten gegen die der Klage stattgebende Entscheidung des Arbeitsgerichts zu Recht zurückgewiesen.

13I. Die Klage ist zulässig.

141. Die Klage ist auf die Feststellung gerichtet, dass für den Kläger als Gewerkschaftssekretär bei Vollendung des 60. Lebensjahres der Versorgungsfall nach § 26 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d Anhang II TR-DPG eintreten kann. Es soll nicht bereits jetzt festgestellt werden, dass der Versorgungsfall ohne weiteres mit Vollendung des 60. Lebensjahres eintreten wird. Dem Kläger geht es vielmehr erkennbar darum, gerichtlich festgestellt zu erhalten, dass er die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d Anhang II TR-DPG erfüllt und er deshalb die Möglichkeit hat - auf einen noch zu stellenden Antrag - mit Vollendung des 60. Lebensjahres in den Ruhestand zu treten. Dieses Verständnis seines Klageantrags hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich bestätigt.

152. An dieser Feststellung hat der Kläger auch das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche rechtliche Interesse. Die Beklagte bestreitet, dass der Kläger die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d Anhang II TR-DPG erfüllt und deshalb bereits mit Vollendung des 60. Lebensjahres in den Ruhestand treten kann. Damit ist das betriebsrentenrechtliche Rechtsverhältnis durch eine tatsächliche Unsicherheit gefährdet und es besteht ein Interesse an alsbaldiger Klärung. Der Kläger kann nicht darauf verwiesen werden, erst mit Vollendung des 60. Lebensjahres einen Rechtsstreit gegen die Beklagte über den Zeitpunkt des Eintritts des Versorgungsfalls zu führen. Beide Parteien haben vielmehr ein berechtigtes Interesse daran, diese Frage bereits vor Eintritt des Versorgungsfalls gerichtlich klären zu lassen.

16II. Die Klage ist begründet. Der Versorgungsfall kann im Falle des Klägers bereits mit Vollendung des 60. Lebensjahres eintreten. Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen von § 26 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d Anhang II TR-DPG. Er wurde vor dem bei der DPG als Gewerkschaftssekretär eingestellt und war seit dem Sekretär eines Bezirksvorstands der DPG. § 26 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d Anhang II TR-DPG erfordert - entgegen der Auffassung der Beklagten - nicht, dass die Funktion eines Wahlangestellten oder eines Sekretärs des Haupt- oder eines Bezirksvorstands bereits am ausgeübt wurde. Es genügt vielmehr, dass der Betreffende am bei der DPG als Gewerkschaftssekretär beschäftigt war und danach in eine der in § 26 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d Anhang II TR-DPG genannten Funktionen gewählt bzw. berufen wurde. Dies ergibt eine Auslegung der TR-DPG.

171. Die Auslegung der TR-DPG einschließlich der Rechtsstandswahrung in § 26 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d Anhang II TR-DPG als einseitig vom Arbeitgeber gestelltem Regelungswerk erfolgt nach den Grundsätzen für die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen. Diese sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind. Zu berücksichtigen sind dabei die für die Vertragspartner des Verwenders allgemein erkennbaren äußeren Umstände, die für einen verständigen und redlichen Erklärungsempfänger Anhaltspunkte für eine bestimmte Auslegung geben. Umstände, die den konkreten Vertragspartner des Verwenders betreffen, sind nur dann von Belang, wenn die Beteiligten im Einzelfall übereinstimmend eine Erklärung in demselben Sinne verstanden haben. Die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen obliegt auch dem Revisionsgericht (st. Rspr. vgl. etwa  - Rn. 36; - 3 AZR 54/09 - Rn. 33, AP BetrAVG § 1 Nr. 66 = EzA TVG § 3 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 52; - 3 AZR 373/08 - Rn. 32 und 50 f., BAGE 134, 269).

182. Danach hat das Landesarbeitsgericht die Rechtsstandswahrung in § 26 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d Anhang II TR-DPG zu Recht dahingehend ausgelegt, dass der Versorgungsfall für Gewerkschaftssekretäre mit Vollendung des 60. Lebensjahres eintreten kann, wenn sie bereits am bei der DGP als Gewerkschaftssekretäre beschäftigt waren und ihnen zu einem späteren Zeitpunkt die Funktion eines Wahlangestellten oder eines Sekretärs des Haupt- oder eines Bezirksvorstands der DPG übertragen wurde.

19a) Der Wortlaut des § 26 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d Anhang II TR-DPG ist zwar nicht eindeutig. Die Bestimmung ist damit überschrieben, dass die nachfolgende Regelung für die bis zum eingestellten Beschäftigten gilt. Dieser Wortlaut deckt ein Verständnis des Anwendungsbereichs dahingehend ab, dass allein eine Anstellung bei der DPG bis zum erforderlich ist und die Funktion eines Wahlangestellten oder eines Sekretärs des Haupt- oder eines Bezirksvorstands und die Unkündbarkeit erst mit Vollendung des 60. Lebensjahres vorliegen müssen. Der Wortlaut lässt jedoch auch eine Auslegung dahingehend zu, dass die Regelung nur für solche Gewerkschaftssekretäre gelten soll, die bereits am die Position eines Wahlangestellten oder eines Sekretärs des Haupt- oder eines Bezirksvorstands innehatten.

20b) Sinn und Zweck des § 26 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d Anhang II TR-DPG sprechen jedoch für die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Auslegung. Die Regelungen des Anhang II TR-DPG dienen, wie sich aus der Überschrift des Anhang II ergibt, der „Rechtsstandswahrung“. Mit einer Rechtsstandswahrung soll der Fortbestand einer bestimmten Rechtslage für die von ihr erfassten Personen gewährleistet werden. Ihre Rechtsposition soll von danach eintretenden Rechtsänderungen nicht mehr betroffen sein. Die Rechtsstandswahrung in § 26 Abs. 1 Anhang II TR-DPG gilt für die am bei der DPG beschäftigten Gewerkschaftssekretäre. Nach § 26 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d TR-DPG in der damals geltenden Fassung war für Gewerkschaftssekretäre bestimmt, dass der Versorgungsfall für Wahlangestellte sowie für Sekretäre des Haupt- oder eines Bezirksvorstands auf Antrag eintritt, wenn sie unkündbar sind und das 60. Lebensjahr vollendet haben. Nach dieser Bestimmung genügte es für den Eintritt des Versorgungsfalls, dass der Gewerkschaftssekretär bei Vollendung des 60. Lebensjahrs unkündbar war und er die Funktion eines Wahlangestellten oder eines Sekretärs des Haupt- oder eines Bezirksvorstands innehatte. Dieser „Rechtsstand“ sollte durch § 26 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d Anhang II TR-DPG für die am bei der DPG beschäftigten Gewerkschaftssekretäre gewahrt werden. Gewerkschaftssekretäre der DPG, die bereits am eingestellt waren, sollten auch zukünftig nach der bis zu diesem Tag geltenden Rechtslage behandelt werden. Die Rechtsstandswahrung dient daher - anders als eine Besitzstandswahrung - nicht ausschließlich dazu, die bereits erreichte Rechtsposition dem Inhaber des Rechts zu erhalten, sondern die bis zum Stichtag bestehende Rechtslage fortzuschreiben bzw. fortgelten zu lassen.

21Für dieses Verständnis der Regelung in § 26 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d Anhang II TR-DPG spricht auch das Verwaltungsschreiben Nr. 1/1998 des Hauptvorstands der DPG ua. an die Bezirksverwaltungen und alle Beschäftigten der Hauptverwaltung und der Bezirksverwaltungen vom . Dieses enthält den ausdrücklichen Hinweis, dass hinsichtlich der Versorgung für die bis zum Eingestellten § 26 TR-DPG weiterhin gilt. Das Verwaltungsschreiben belegt, dass auch der Hauptvorstand der Rechtsvorgängerin der Beklagten davon ausgegangen ist, dass es für die am als Gewerkschaftssekretäre der DPG Beschäftigten bei der Regelung in § 26 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d TR-DPG bleiben sollte.

223. Der Kläger erfüllt danach die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d Anhang II TR-DPG. Er war bereits seit Mai 1990 als Gewerkschaftssekretär bei der DPG tätig, wurde mit Wirkung zum zum Sekretär des Bezirksvorstands H berufen und er ist nach § 23 Nr. 4 TR-DPG unkündbar. Der Kläger kann daher - auf seinen zu gegebener Zeit noch zu stellenden Antrag - mit Vollendung des 60. Lebensjahres in den Ruhestand treten.

III. Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

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Fundstelle(n):
NAAAE-28884