BGH Beschluss v. - 4 StR 405/12

Strafverfahren: Prüfung der Verhandlungsfähigkeit im Revisionsverfahren

Gesetze: § 206a StPO, § 333 StPO, §§ 333ff StPO

Instanzenzug: Az: 11 KLs 540 Js 1306/10 (14/11)

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Brandstiftung und versuchten Betrugs unter Einbeziehung einer anderweit verhängten Freiheitsstrafe von zwei Monaten zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat.

2Der Ausführung bedarf nur Folgendes:

31. Der Verteidiger hat mit Schriftsatz vom mitgeteilt, dass bei dem Angeklagten am ein Tumor im Schädelbereich diagnostiziert worden sei; nach Auskunft des leitenden Stationsarztes des Justizvollzugskrankenhauses sei dieser Tumor über Jahre hinaus gewachsen mit der Folge, dass der Angeklagte „während der mündlichen Verhandlungen" verhandlungsunfähig gewesen sei. Es werde die Einholung eines ärztlichen Gutachtens beantragt.

42. Der Senat hat keinen Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit des – verteidigten (dazu BVerfG NStZ 1995, 391, 392) – Angeklagten und sieht auch keinen Anlass, im Freibeweisverfahren (vgl. , BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 16) ein Sachverständigengutachten einzuholen.

5a) Für die Verhandlungsfähigkeit im strafprozessualen Sinne genügt es grundsätzlich, dass der Angeklagte die Fähigkeit hat, in und außerhalb der Verhandlung seine Interessen vernünftig wahrzunehmen, die Verteidigung in verständiger und verständlicher Weise zu führen sowie Prozesserklärungen abzugeben oder entgegenzunehmen (BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 434/94, BGHSt 41, 16, 18, und vom – 1 StR 14/04, bei Becker NStZ-RR 2005, 261; HK-Julius, StPO, 5. Aufl., § 205 Rn. 4).

6Ausweislich des Protokolls über die Hauptverhandlung zeigte sich der Angeklagte jederzeit in der Lage, sich sachgerecht zu verteidigen; er äußerte sich umfänglich zu den Tatvorwürfen. Weder aus den Urteilsgründen noch aus dem Protokoll der Hauptverhandlung ergibt sich irgendein Hinweis darauf, dass Bedenken hinsichtlich der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten bestanden haben oder hätten bestehen müssen. Er hat aktiv an der Verhandlung mitgewirkt, indem er ausführliche Angaben zu seinen persönlichen Verhältnissen und zur Sache gemacht hat:

7Der Angeklagte hatte, nachdem er im Ermittlungsverfahren noch jegliche Beteiligung an dem Brand abgestritten hatte, in der Hauptverhandlung bei seiner Vernehmung zur Sache eine substantiierte Einlassung vorgebracht, mit der er belegen wollte, das Feuer fahrlässig verursacht zu haben. Dabei „offenbarte der Angeklagte ein beeindruckendes Detailwissen bezüglich derjenigen Umstände, die ihm erwähnenswert schienen.“ Nachfragen des Gerichts hatte er allerdings unter pauschalem Hinweis auf fehlende Erinnerung abgewehrt. Zwei Verhandlungstage später schob er eine sich in seine bisherige Sachdarstellung einfügende Ergänzung nach, um eine fahrlässige Brandlegung weiter zu untermauern, nachdem der Sachverständige erklärte hatte, dass der zunächst geschilderte Ablauf aus seiner Sicht kaum denkbar wäre. Nachfragen wehrte er wiederum unter Hinweis auf fehlende Erinnerung ab. Auf Seite 16 der Urteilsgründe listet die Strafkammer drei weitere Vorfälle auf, bei denen der Angeklagte sein ursprüngliches Einlassungsverhalten dem weiteren Gang der Hauptverhandlung – in aus seiner Sicht situationsadäquater Weise – angepasst hat. Auch in seinem letzten Wort hat er sich verständig zu den Anträgen der Staatsanwaltschaft geäußert.

8Wenn während der Verhandlung, die zudem zeitweise in Anwesenheit eines psychiatrischen Sachverständigen stattgefunden hat, das Landgericht keine Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten hatte und solche auch von dem Sachverständigen (vgl. , BGHR StPO vor § 1/Prozesshandlung, Verhandlungsfähigkeit 1) oder dem Verteidiger nicht geäußert wurden, kann die Verhandlungsfähigkeit grundsätzlich auch vom Revisionsgericht bejaht werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 669/98, bei Kusch NStZ-RR 2000, 38 [unbemerkter „Unterzuckerungsschock“], vom – 4 StR 693/98, NStZ 1999, 258, 259, vom – 4 StR 79/99, NStZ 1999, 526, 527, vom – 4 StR 337/00, bei Becker NStZ-RR 2001, 264, und vom – 4 StR 520/04, NStZ-RR 2005, 149, 150).

9b) Auch die – anders zu beurteilende – Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten für das Revisionsverfahren (vgl. , BGHSt 41, 16; Urteil vom – 1 StR 538/01, BGHR StPO vor § 1/Verfahrenshindernis, Verhandlungsfähigkeit 5; Beschluss vom – 4 StR 513/05) ist gegeben. Der Angeklagte hatte die Fähigkeit, über die Einlegung des Rechtsmittels der Revision verantwortlich zu entscheiden; irgendwelche Anhaltspunkte, die eine für die Beurteilung der Verhandlungsfähigkeit relevante Änderung in der Woche nach Verkündung des Urteils in seiner Anwesenheit belegen könnten, sind nicht ersichtlich und werden auch von dem Verteidiger nicht vorgetragen. Zudem ist nicht zweifelhaft, dass der Angeklagte während der Dauer des Revisionsverfahrens wenigstens zeitweilig zu einer Grundübereinkunft mit seinem Verteidiger über die Fortführung oder Rücknahme des Rechtsmittels in der Lage war.

10c) Unter den gegebenen Umständen ist der Senat davon überzeugt, dass er die für die Beurteilung notwendigen Tatsachenfeststellungen auf einer hinreichend zuverlässigen Grundlage treffen kann, ohne in dem hier gegebenen Einzelfall ein Sachverständigengutachten über die Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten einholen zu müssen (vgl. BVerfG NStZ 1995, 391, 393). Auch der Verteidiger hat in seinem Schriftsatz vom keinerlei Anhaltspunkte benannt, die konkret auf eine Verhandlungsunfähigkeit während der erstinstanzlichen Hauptverhandlung oder in dem danach anhängig gewordenen Revisionsverfahren hindeuten würden (vgl. , NStZ-RR 2006, 42; HK-Julius, aaO).

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Fundstelle(n):
RAAAE-27033