Besitz eines aufenthaltsrechtlichen Titels für die Kindergeldberechtigung maßgebend; Kindergeldberechtigung eines Ausländers
Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, FGO § 116 Abs. 3 Satz 3, EStG § 62 Abs. 2, GG Art. 3 Abs. 1
Instanzenzug:
Gründe
1 Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet und durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
2 1. Der von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) liegt, soweit die Beschwerdebegründung überhaupt den Darlegungserfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügt, nicht vor.
3 Für die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung muss der Beschwerdeführer eine konkrete Rechtsfrage formulieren und substantiiert auf ihre Klärungsbedürftigkeit, ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung sowie darauf eingehen, weshalb von der Beantwortung der Rechtsfrage die Entscheidung über die Rechtssache abhängt (z.B. , BFH/NV 2008, 1440). Eine Rechtsfrage, die der BFH bereits geklärt hat, bedarf im Regelfall keiner erneuten Klärung im Revisionsverfahren (, BFH/NV 2006, 1616). Macht ein Beschwerdeführer mit der Nichtzulassungsbeschwerde verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine gesetzliche Regelung geltend, so ist darüber hinaus eine substantiierte, an den Vorgaben des Grundgesetzes (GG) und der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des BFH orientierte Auseinandersetzung mit der Problematik erforderlich (vgl. Senatsbeschluss vom III B 82/10, BFH/NV 2011, 38, m.w.N.).
4 a) Die Rechtsfrage, ob ein Ausländer, der nur über einen Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) verfüge, kindergeldberechtigt sei, wenn ihm wegen eines deutschen Kindes aus familiären Gründen ein Daueraufenthaltsrecht zustehe, ist nicht klärungsbedürftig. Gleiches gilt für die Rechtsfrage, welche Folgen für die Kindergeldberechtigung daraus zu ziehen seien, dass der Klägerin ab Geburt ihrer Tochter im Januar 2004 keine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 des Ausländergesetzes 1990 (AuslG) bzw. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG, sondern erst im Dezember 2004 fälschlicherweise eine Aufenthaltserlaubnis nach § 30 Abs. 3 AuslG bzw. § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt worden sei. Diese Rechtsfragen sind durch die Rechtsprechung des BFH geklärt.
5 Das Finanzgericht (FG) hat im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden, dass ein Ausländer gemäß § 62 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes in der für den Streitzeitraum maßgeblichen Fassung (EStG n.F.) nur und erst dann eine für den Kindergeldanspruch erforderliche Niederlassungs- oder Aufenthaltserlaubnis „besitzt”, wenn er einen dieser Aufenthaltstitel tatsächlich in den Händen hält. Diese zu § 62 Abs. 2 EStG a.F. ergangene Rechtsprechung (, BFH/NV 1998, 696) gilt gleichermaßen für den mit Wirkung zum in Kraft getretenen und nach § 52 Abs. 61a Satz 2 EStG auf den Streitfall anwendbaren § 62 Abs. 2 EStG n.F. Es ist daher unerheblich, ob ein Ausländer bereits zu einem früheren Zeitpunkt einen Anspruch auf einen zum Bezug von Kindergeld berechtigenden Titel hatte (Senatsurteil vom III R 1/08, BFHE 229, 262, BStBl II 2010, 980, m.w.N.). Im Übrigen hat die Klägerin nicht dargelegt, ob und ggf. welche gewichtigen neuen rechtlichen Gesichtspunkte gegen die Rechtsprechung des BFH vorgetragen werden.
6 b) Soweit die Klägerin die Rechtsfrage für grundsätzlich bedeutsam erachtet, ob die Regelungen in § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b und c sowie Nr. 3 EStG n.F. verfassungsgemäß seien, ist die Rüge bereits nicht ordnungsgemäß erhoben.
7 Die Klägerin trägt nicht vor, weshalb die genannten Regelungen verfassungswidrig sein sollen. Hierzu hätte mit Blick auf die Rechtsprechung des beschließenden Senats, nach der § 62 Abs. 2 EStG n.F. verfassungsrechtlich unbedenklich, insbesondere nicht gleichheitswidrig ist, Anlass bestanden (z.B. Senatsbeschluss in BFH/NV 2011, 38; Senatsurteil vom III R 72/09, BFH/NV 2011, 1134, m.w.N.). Die Klägerin nimmt zwar auf eine gegen den Senatsbeschluss vom III B 54/08 (BFH/NV 2010, 32) eingelegte Verfassungsbeschwerde Bezug, die nach wie vor anhängig sei. Damit legt sie aber nicht dar, welche der von ihr genannten Regelungen in § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b und c sowie Nr. 3 EStG aus welchen Gründen gegen die Verfassung verstoßen soll.
8 Eine Auseinandersetzung mit der Verfassungsmäßigkeit des § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c i.V.m. Nr. 3 EStG n.F. war auch nicht deshalb entbehrlich, weil das BVerfG mit dem auf mehrere Vorlagen des Bundessozialgerichts —BSG— (z.B. Vorlagebeschlüsse des , B 10 EG 6/08 R sowie B 10 EG 7/08 R, jeweils juris) ergangenen Beschluss vom 1 BvL 2-4/10, 3/11 (BGBl I 2012, 1898) den mit § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b EStG n.F. wortgleichen § 1 Abs. 6 Nr. 3 Buchst. b des Gesetzes zum Erziehungsgeld und zur Elternzeit (BErzGG) wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG für nichtig erklärt hat. Der Senat ist in seinen bisherigen Entscheidungen davon ausgegangen, dass die vom BSG im Rahmen seiner Vorlagen gegen § 1 Abs. 6 Nr. 3 Buchst. b BErzGG vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken bei Gewährung des steuerrechtlichen Kindergeldes nicht zum Tragen kommen, weil das Kindergeld, anders als das Erziehungsgeld (s. § 8 Abs. 1 Satz 1 BErzGG), als Einkommen auf die Sozialleistungen angerechnet (z.B. § 11 Abs. 1 Satz 3 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch —SGB II—) oder an den Sozialleistungsträger erstattet (s. § 74 Abs. 2 EStG) oder an diesen abgezweigt (§ 74 Abs. 1 Satz 4 EStG) wird. Danach brächte eine Ausweitung der Kindergeldberechtigung nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer, die ihren Unterhalt mit Sozialleistungen bestreiten, für diese in der Regel keine finanziellen Vorteile (Senatsurteil in BFH/NV 2011, 1134, m.w.N.).
9 So sind auch der Klägerin nach den Feststellungen des FG ab dem dem Grunde nach Sozialleistungen nach dem SGB II (Arbeitslosengeld II) gewährt worden. Es hätte daher erwartet werden dürfen, dass sich die Klägerin —zumindest in einer knappgehaltenen Darlegung— mit der Frage auseinandergesetzt hätte, warum § 62 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b EStG n.F. trotz der Ausführungen des beschließenden Senats verfassungswidrig sei.
10 c) Soweit in der Beschwerdebegründung ausgeführt wird, die Rechtssache habe deshalb grundsätzliche Bedeutung, weil sich die Klägerin auf Art. 65 Abs. 1 des Europa-Mittelmeer-Abkommens vom zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dem Königreich Marokko andererseits (BGBl II 1998, 1810), auf Art. 41 des Kooperationsabkommens vom zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und dem Königreich Marokko (BGBl II 1978, 690), auf die Vereinbarung zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung des Königreichs Marokko über die vorübergehende Beschäftigung marokkanischer Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland in der Fassung vom (BGBl II 1971, 1366) und auf das Übereinkommen vom über die Rechte des Kindes (BGBl II 1992, 990), insbesondere dessen Art. 26 und 27 berufen könne, formuliert sie hiermit weder eine hinreichend bestimmte Rechtsfrage von allgemeinem Interesse noch zeigt sie hierdurch die Klärungsbedürftigkeit und die Klärungsfähigkeit einer solchen Rechtsfrage auf. Vielmehr rügt sie die fehlende Prüfung vorstehend genannter Bestimmungen durch das FG. Dies begründet jedoch allenfalls einen materiellen Mangel. Mit der Rüge einer vermeintlich fehlerhaften Rechtsanwendung lässt sich jedoch die Zulassung der Revision grundsätzlich nicht erreichen (z.B. Senatsbeschluss vom III B 9/10, BFH/NV 2012, 65, m.w.N.).
11 2. Aus den gleichen Gründen scheidet eine Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 FGO) aus. Dieser Zulassungsgrund stellt einen Spezialfall der grundsätzlichen Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO dar und setzt daher ebenfalls die Darlegung und das Vorliegen einer klärungsbedürftigen und klärbaren Rechtsfrage voraus (Senatsbeschluss vom III B 153/11, BFH/NV 2012, 705, m.w.N.).
12 3. Die ausdrücklich oder sinngemäß gerügten Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) liegen jedenfalls nicht vor.
13 a) Das FG hat nicht gegen die Grundordnung des Verfahrens verstoßen, indem es das Klageverfahren nicht bis zum Ergehen einer Entscheidung durch die Ausländerbehörde nach § 74 FGO ausgesetzt hat.
14 Eine Aussetzung ist nur dann möglich, wenn das andere Verfahren zumindest in bestimmter Weise rechtlich vorgreiflich für das anhängige Verfahren ist (z.B. , BFH/NV 2008, 1845). Dies hat das FG im Ergebnis zutreffend verneint, weil es nach der Rechtsprechung des BFH unerheblich ist, ob ein Ausländer bereits zu einem früheren Zeitpunkt einen Anspruch auf einen zum Bezug von Kindergeld berechtigenden Titel hatte (dazu 1.a).
15 b) Ebenso hat das FG den Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 96 Abs. 2 FGO, Art. 103 Abs. 1 GG) nicht deshalb verletzt, weil es bei seiner Entscheidung unerwähnt gelassen hat, dass die Klägerin nach § 8 Abs. 2 SGB II erwerbsfähig gewesen sei. Auf diesen Gesichtspunkt kam es nach der maßgeblichen materiell-rechtlichen Auffassung des FG (s. dazu Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 79, m.w.N.) nicht an. Aus dem gleichen Grund musste das FG auch nicht ermitteln (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO), ob die Klägerin bereits zu einem früheren Zeitpunkt Anspruch auf einen den Bezug von Kindergeld berechtigenden Aufenthaltstitel hatte.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2013 S. 372 Nr. 3
IAAAE-26239