BFH Beschluss v. - XI R 40/11

Keine Wiedereinsetzung bei unterlassener Prüfung der Rechtsmittelbegründungsfrist durch den Anwalt

Leitsatz

1. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn für das Fristversäumnis allein ursächlich war, dass der Prozessbevollmächtigte die Richtigkeit des durch den Eingangsstempel der Kanzlei beurkundeten Zustellungsdatums entgegen seiner Verpflichtung überhaupt nicht geprüft hat, und er auf den verspäteten Eingang der Revisionsbegründung erst durch den Hinweis des Senatsvorsitzenden aufmerksam geworden ist.
2. Ist die Revision unzulässig, weil sich im Fall der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist der Wiedereinsetzungsantrag als erfolglos erweist, ist die Revision gemäß § 126 Abs. 1 FGO durch Beschluss zu verwerfen. Ein Zwischenurteil, wonach die Revision unzulässig ist, darf nicht ergehen. Hingegen kann durch Zwischenurteil gemäß §§ 97, 121 FGO darüber entschieden werden, dass die Revision zulässig ist.

Gesetze: FGO § 54, FGO § 56, FGO § 97, FGO § 116 Abs. 7, FGO § 120 Abs. 2, FGO § 121, FGO § 124, FGO § 126, FGO § 155, ZPO § 222, BGB § 187, BGB § 188

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

1 I. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) wegen Kindergeld ab, ohne die Revision zuzulassen. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 670 veröffentlicht.

2 Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hatte Erfolg. Der vormals zuständige III. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) ließ mit Beschluss vom III B 142/10 die Revision zu. Der Beschluss wurde mit Schreiben des abgesandt und den Prozessbevollmächtigten des Klägers am zugestellt.

3 Mit Telefaxschreiben vom ging beim BFH am selben Tag die Revisionsbegründung ein.

4 Der Senatsvorsitzende des nunmehr zuständigen XI. Senats des BFH machte den Kläger mit Schreiben vom darauf aufmerksam, dass die Frist zur Begründung der Revision nach § 120 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) am abgelaufen war und wies auf die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 FGO hin.

5 Hierauf beantragte der Kläger mit Schreiben vom , ihm für die am abgelaufene Revisionsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und über den Wiedereinsetzungsantrag durch Zwischenurteil zu entscheiden.

6 Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags beruft sich der Kläger auf ein Büroversehen seiner Prozessbevollmächtigten. Die für die Notierung und Überwachung der Fristen zuständige, dazu regelmäßig belehrte sowie wiederholt ohne Beanstandung kontrollierte, ihre langjährige Tätigkeit zuverlässig und gewissenhaft ausübende Bürovorsteherin, habe bei der Entgegennahme der am dem Kanzleibriefkasten entnommenen Post übersehen, dass das Schreiben des mit dem Beschluss vom bereits am , einem Silvester-Samstag, durch Einwurf förmlich zugestellt worden sei.

7 Dem Schreiben vom war zur Glaubhaftmachung des anwaltlich versicherten Sachvortrags eine eidesstattliche Versicherung der Rechtsanwaltsfachangestellten vom sowie je eine anwaltlich beglaubigte Ablichtung des betreffenden Fristenkalender-Ausschnitts und der zugestellten Ausfertigung des mit Posteingangsstempel vom und handschriftlicher Fristnotiz „” beigefügt.

8 Die Rechtsanwaltsfachangestellte erklärte in der eidesstattlichen Versicherung vom , dass am Vormittag des der Briefkasten von einer Auszubildenden geleert und die Post mit dem Schreiben des ihr übergeben worden sei. Vermutlich habe sich auf dem Briefumschlag ein entsprechender Vermerk über die bereits am erfolgte Zustellung befunden, der jedoch von ihr übersehen worden sei. Der Briefumschlag sei daher dem Schreiben vom nicht angeheftet, sondern von ihr entsorgt worden. Sie habe auf dem Schreiben vom ihren Posteingangsstempel mit Datum angebracht und sei davon ausgegangen, dass die Zustellung an diesem Tag erfolgt sei, sodass sie das Ende der einmonatigen Revisionsbegründungsfrist auf den notiert habe.

9 II. Die Revision ist unzulässig und durch Beschluss zu verwerfen (§ 124 Abs. 1, § 126 Abs. 1 FGO).

10 1. Der Kläger hat die Revision nicht rechtzeitig begründet. Hat der BFH —wie vorliegend— der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, ist die Revision innerhalb von einem Monat nach Zustellung des Zulassungsbeschlusses zu begründen (§ 116 Abs. 7 Satz 2 Halbsatz 1, § 120 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO).

11 Im Streitfall ist diese Frist für den am Silvester-Samstag, dem zugestellten Beschluss nach § 54 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowie § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs am Dienstag, dem abgelaufen. Der erst am beim BFH eingegangene Schriftsatz war mithin verspätet.

12 Ob der Fristbeginn auf einen Sonntag, allgemeinen Feiertag oder Samstag fällt, ist unerheblich, denn das Gesetz sieht in § 54 Abs. 2 FGO i.V.m. § 222 Abs. 2 ZPO diesen Umstand lediglich für das Ende der Frist als bedeutsam an (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom I B 48-49/09, BFH/NV 2010, 439; vom II R 56/09, BFH/NV 2010, 1833; vom IV B 39/10, BFH/NV 2011, 613).

13 2. Dem Kläger ist keine Wiedereinsetzung in die versäumte Revisionsbegründungsfrist zu gewähren.

14 a) Die Wiedereinsetzung kommt in Betracht, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung der gesetzlichen Frist gehindert war (§ 56 Abs. 1 FGO). Dies setzt in formeller Hinsicht voraus, dass innerhalb einer Frist von einem Monat (§ 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO) nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb dieser Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. BFH-Beschlüsse vom VII B 150/02, BFH/NV 2002, 1489; vom XI B 186/02, BFH/NV 2003, 1589; vom III R 43/03, BFH/NV 2005, 1312; vom X R 38/07, BFH/NV 2008, 1517; vom II R 16/11, BFH/NV 2012, 593, unter II.1.). Jedes Verschulden —mithin auch einfache Fahrlässigkeit— schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom I R 38/09, BFH/NV 2010, 1283; in BFH/NV 2011, 613, jeweils m.w.N.). Der Beteiligte muss sich gemäß § 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2011, 613; in BFH/NV 2012, 593, jeweils m.w.N.).

15 b) Das Versäumen der Revisionsbegründungsfrist ist im Streitfall nicht entschuldbar.

16 aa) Zwar ist substantiiert und glaubhaft vorgetragen, dass die sorgfältig ausgewählte und geschulte sowie bisher fehlerfrei arbeitende Bürovorsteherin bei der Entgegennahme der am dem Kanzleibriefkasten entnommenen Post übersehen hat, dass das Schreiben des mit dem Beschluss vom bereits am Silvester-Samstag, dem zugestellt worden war.

17 bb) Das rechtfertigt indes eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht. Denn es liegt ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers vor, der die Sache bearbeitet hat.

18 Zu dessen Aufgaben gehörte es, bei der Bearbeitung der Sache eigenständig den Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist zu prüfen. Dabei darf ein Prozessbevollmächtigter sich nicht auf den Eingangsstempel seiner Kanzlei verlassen, sondern hat zu prüfen, ob das dort angegebene Datum mit dem von dem Postbediensteten auf dem Zustellungsumschlag eingetragenen Zustellungsdatum übereinstimmt (vgl. BFH-Beschlüsse vom VII R 31/08, BFH/NV 2009, 951; in BFH/NV 2011, 613, jeweils m.w.N.). Dieser Umschlag hätte sich in der ihm vorgelegten Handakte befinden müssen (vgl. dazu BFH-Beschluss in BFH/NV 2009, 951). Bei der Zustellung gegen Postzustellungsurkunde ist der Umschlag mit dem Zustellungsvermerk aufzubewahren und dem Prozessbevollmächtigten im Zusammenhang mit der rechtzeitigen Wiedervorlage der Sache zur Prüfung der Frist mit vorzulegen (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom V B 71/87, BFH/NV 1988, 250; vom IV R 78/05, BFH/NV 2008, 1860; vom II R 9/08, BFH/NV 2009, 1817).

19 Es kann hier dahinstehen, ob der bearbeitende Rechtsanwalt eine solche eigenständige Prüfungspflicht bereits hätte erfüllen müssen, als er sein Schreiben vom fertigte und ihm die Handakte hierbei vorgelegen haben muss (vgl. dazu BFH-Beschluss in BFH/NV 2009, 951, m.w.N.). Hätte er —gleich zu welchem Zeitpunkt— eigenständig den Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist geprüft, hätte ihm auffallen müssen, dass —wie eidesstattlich von seiner Bürovorsteherin versichert— der Umschlag mit dem Zustellungsvermerk nicht angeheftet, sondern entsorgt worden war. Er hätte durch Nachfrage bei der Geschäftsstelle des III. bzw. des inzwischen zuständig gewordenen XI. Senats des BFH den Zeitpunkt der Zustellung des Zulassungsbeschlusses vom III B 142/10 in Erfahrung bringen müssen. Nicht ausreichend ist jedenfalls die Berechnung der Revisionsbegründungsfrist anhand des Eingangsstempels der Kanzlei (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2009, 1817, m.w.N.).

20 Der Senat muss deshalb davon ausgehen, dass für das Fristversäumnis allein ursächlich war, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Richtigkeit des durch den Eingangsstempel der Kanzlei beurkundeten Zustellungsdatums entgegen seiner Verpflichtung überhaupt nicht geprüft hat, und er auf den verspäteten Eingang der Revisionsbegründung erst durch den Hinweis des BFH mit Schreiben des Senatsvorsitzenden vom aufmerksam geworden ist.

21 3. Dem Antrag des Klägers, durch Zwischenurteil über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist zu entscheiden, konnte nicht entsprochen werden.

22 Ist die Revision unzulässig, weil sich —wie hier— im Fall der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist der Wiedereinsetzungsantrag als erfolglos erweist, ist die Revision gemäß § 126 Abs. 1 FGO durch Beschluss zu verwerfen (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom XI R 63/06, BFH/NV 2008, 606; vom III R 44/09, BFH/NV 2011, 997; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler —HHSp—, § 97 FGO Rz 11, m.w.N.). Ein Zwischenurteil, wonach die Revision unzulässig ist, darf nicht ergehen (vgl. Bergkemper in HHSp, § 126 Rz 19, m.w.N.; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 126 Rz 4, m.w.N.). Hingegen kann durch Zwischenurteil gemäß §§ 97, 121 FGO darüber entschieden werden, dass —anders als hier— die Revision zulässig ist (vgl. , BFHE 104, 493, BStBl II 1972, 425, unter 1.; vom V R 33/97, BFHE 189, 573, BStBl II 2000, 235, unter II.1.; vom III R 47/05, BFH/NV 2006, 2082).

Fundstelle(n):
AO-StB 2013 S. 88 Nr. 3
BFH/NV 2013 S. 213 Nr. 2
DStR 2012 S. 8 Nr. 43
YAAAE-25467